Schillerndes Mosaik
Privatuniversitäten in Vietnam, eine Uni nach dem Oxford-Modell in Afrika, eine Frauenuniversität in Südkorea, die Universität in der "Ebola"-Stadt Kikwit im Kongo, das fast 200 Jahre alte Genadendal-College in Südafrika oder eine Mennoniten-Universität in den USA lassen sich nicht über einen Kamm scheren. So vielfältig wie die Welt ist auch die Bildungslandachaft in verschiedenen Ländern.
Wie ein Blitz in das Wissenszeitalter?
Sechzig Augenpaare richten sich auf einen gewaltigen Bildschirm hinter dem leeren Professorenkatheder in einem Hörsaal der Universität von Cotonou in Benin. Aufmerksam verfolgen die Informatikstudenten die auf Französisch abgehaltene Übung eines Professors, der an der 10.000 Kilometer entfernten Universität Laval in Kanada lehrt. Dort führt er nicht nur kanadische Studienanfänger in die Computerwissenschaften ein, sondern zeitgleich beteiligen sich Hunderte von Studenten in zwei Dutzend schwarzafrikanischen Ländern an seinem Tele-Learning, seinem Fernlehrgang.
Jeweils zwei Beniner teilen sich einen Computer und setzen abwechselnd die mündlich übermittelten Anweisungen des Professors um. Bei Unklarheiten können sie blitzschnell Kontakt mit ihm aufnehmen: Jeder Studierende besitzt eine Email-Adresse, wahlweise kann man ihn auch telefonisch erreichen. Immerhin ist der Tutor, der den beninischen Studierenden bei den angeleiteten Übungen beisteht und sich an deren Auswertung beteiligt, aus Fleisch und Blut.
Dieser Kurs, bei dem Fernlehre und Präsenzunterricht kombiniert werden, ist Bestandteil eines Bildungsprojekts, das die Weltbank vor fünf Jahren gestartet hat: Die Afrikanische Virtuelle Universität (AVU). Dazu gab die Weltbank ein Startkapital von rund zwei Millionen US-Dollar. Auch andere Geberorganisationen stehen der als gemeinnützige Organisation verfassten AVU mit Sitz in Washington und Nairobi finanziell bei.
Mit bescheidenen Budgets entstand eine Cyber-Universität, die real existierende Lehrangebote zusammenfasst und sie afrikanischen Präsenzuniversitäten zugänglich macht. Zu Beginn konnten zwölf Universitäten in sechs anglophonen Ländern Schwarzafrikas dank Informations- und Kommunikationstechnologie mit Hochschulen in den USA und Irland in Verbindung treten. Der schwarze Kontinent, durch einen digitalen Graben vom Westen getrennt, werde dank Afrikas virtueller Universität "wie ein Blitz in das Wissenszeitalter springen", prophezeite die Weltbank damals euphorisch. Sie lobte ihre Initiative als demokratischen "Gleichmacher", der die Chancengleichheit zwischen der entwickelten Welt und dem rückständigen Kontinent voranbringen werde.
Zügig stieg die Zahl der afrikanischen Länder, die die AVU nutzten, auf 25 an. Auch Universitäten frankophoner Länder Schwarzafrikas stießen hinzu. Bis zum Jahr 2002 hatten sich nach offiziellen Angaben 24.000 Studierende an Lehrveranstaltungen über die AVU mit einer Dauer von insgesamt 3500 Stunden beteiligt.
Auf westlicher Seite zählen mittlerweile illustre Lehrstätten zu diesem Verbund, etwa das Massachusetts Institute of Technology (MIT), dessen begehrte Diplome schwarzafrikanische Studierende jetzt von zuhause aus erwerben können. Von afrikanischen Hochschulen hervorgebrachte Bildungsinhalte sind im AVU-Kanon jedoch nur in geringem Maß vertreten. Die Gründer wiesen der AVU klar die Aufgabe zu, die chronisch unterfinanzierten Präsenzuniversitäten Schwarzafrikas, die außerdem zu wenig geeignete Lehrkräfte und Ausrüstung besitzen, zu entlasten. Seit Jahren steigen auf dem Kontinent die Zahlen der Neu-Immatrikulierungen stark an. Durch eine ausgewogene Kombination von virtuellem Lernen und Präsenzunterricht, im Fachjargon Blended Learning genannt, hofft man, mehr Studierenden zu akademischer Qualifikation mit guten Abschlüssen zu verhelfen.
Wie bei anderen virtuellen Universitäten wird der multimedial gestützte Lehr- und Lernbetrieb der AVU über Satellitenfernsehen und ISDN sichergestellt. Hinzu kommen Internet-Einrichtungen und eine eigene Internetseite. Veranstaltungen sind entweder aufgezeichnet oder werden simultan übertragen, Texte und sonstiges Material werden elektronisch übermittelt.
Der Schwerpunkt der virtuellen Universität liegt auf Naturwissenschaften, vor allem Mathematik, Physik und Statistik, sowie auf Ingenieurswissenschaften, wobei die Informations- und Kommunikationstechnologien im Vordergrund stehen. Denn gerade in diesen Berufskategorien herrscht in allen Ländern Schwarzafrikas gewaltiger Fachkräftemangel.
Zu den Zielgruppen gehören Studierende, die an ihrer Heimatuniversität immatrikuliert bleiben und in der Regel ein vierjähriges Grundstudium absolvieren, aber auch Lehrpersonal, das über die Kurse Qualifikationslücken schließen kann. Vor allem Führungskräften in der öffentlichen Verwaltung und in der Privatwirtschaft sollen die Bildungsangebote schmackhaft gemacht werden.
Gebühren für die Teilnahme fallen von Land zu Land unterschiedlich aus. Sie können pro Jahr mit bis zu 200 US-Dollar zu Buche schlagen. Nachdem die meisten Staatsuniversitäten Afrikas die Gebühren kräftig erhöht haben, ist es oft die billigere Variante, nur die Gebühren für das Fernstudium an der virtuellen Universität bezahlen zu müssen. Da sich Ärmere jedoch auch diese Gebühren nicht leisten können, hat der aus Mali stammende AVU-Rektor Scheich Modibo Diarra die teilnehmenden Länder aufgefordert, ein angemessenes Stipendiensystem zu entwickeln. Um die AVU finanziell zu sichern, strebt er Partnerschaften mit Unternehmen der Informationstechnologie-Branche an.
Jedes teilnehmende Land hat ein eigenes AVU-Zentrum eingerichtet. In der ugandischen Makerere Universität wurde es sinnigerweise in der Abteilung für Erwachsenenbildung und Berufsfortbildung angesiedelt. Dieser Schritt zeigt deutlich, dass die AVU die Berufsqualifikation sicherstellen soll.
Zwar ist Afrika in Sachen Internet nach wie vor das Schlusslicht. Mittlerweile sind jedoch alle 55 Staaten südlich der Sahara ans Netz angeschlossen - allerdings gewähren nur 18 Staaten Netzzugang zum Ortstarif. Und damit kommen die Vorteile, die die Universität im Netz dem schwarzen Kontinent bringt, erneut ausschließlich den bereits gut versorgten Ballungszentren, nicht aber dem ländlichen Raum, zugute. Da die wenigsten Studierenden bei sich zuhause einen Computer mit Netzanschluss haben, lernen sie gemeinsam mit den Tutoren in einem AVU-Zentrum. Innerhalb solch relativ homogenen Gruppen hilft man einander gegenseitig und vermeidet damit ein grundlegendes Problem des individueller ausgerichteten Fernstudiums im Westen: Die Quote derjenigen, die das Studium abbrechen, ist nach AVU-Angaben geringer als an anderen Fernuniversitäten.
Zu Beginn der Erprobungsphase hatten die teilnehmenden Universitäten Schwarzafrikas als besonders geeignet eingestufte Studierende für die virtuellen Kurse ausgewählt. Während die westlichen Hochschulen für Bildungsinhalte und Examen verantwortlich waren, kontrollierten einheimische Tutoren Hausarbeiten und organisierten regelmäßig Leistungstests. Seit 1999, so war vereinbart, sollten die afrikanischen Lehrstätten allmählich ihre eigenen virtuellen Studienprogramme hervorbringen. Allerdings hatte man damals offen gelassen, bis wann diese Entwicklung abgeschlossen sein soll.
Thomas Veser
Thomas Veser ist freier Journalist und schreibt für mehrere Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er ist spezialisiert auf Afrika.
Eine Hochschule des Volkes
Am Anfang der Universität von Ngozi stand eine Bank. Bewohner der Provinz Ngozi im Norden Burundis hatten sie vor drei Jahren mit Hilfe von katholischen, protestantischen und muslimischen Geistlichen gegründet. Sie sollte gemischt-ethnische Projekte finanzieren, um die verfeindeten Volksgruppen einander wieder näher zu bringen. Hutus und Tutsis sollten zu Partnern werden, die gemeinsam Interesse an der Entwicklung ihrer Provinz haben.
Ein erstes Projekt, das diese Bank mitfinanzierte, war die Gründung einer neuen Universität. Sie sollte, so die Vorstellung ihrer Gründer, an den Bedürfnissen der Einheimischen ausgerichtet sein. Von Beginn an sollte ein Beitrag zur Versöhnung geleistet werden, indem verschiedene Bevölkerungsgruppen in die Planung miteinbezogen wurden. Privatpersonen, Verwaltungsbeamte, Entwicklungsverbände und Vertreter verschiedener religiöser Konfessionen trafen sich am 17. April 1999, um in einer Konstituierenden Versammlung die Universität Ngozi zu gründen. Schon einen Monat später wurde sie durch eine ministerielle Verordnung genehmigt. Die Gemeinde stellte das Gebäude zur Verfügung, das mit Hilfe der katholischen Diözese Ngozi wieder instandgesetzt wurde. Damit konnte die Universität Ngozi am 11. Oktober 1999 ihre Pforten für den akademischen Betrieb öffnen.
Die Auswahl der Fächer orientiert sich an dem, was der lokalen Bevölkerung nützt. So überwiegen Studiengänge mit berufsrelevanter Ausrichtung wie Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Medizin, Verwaltungsinformatik, Informationstechnologie, Englisch und Recht. Die Lebensbedingungen der Bevölkerung sollen verbessert werden, indem die Grundlagen-, aber auch die praxisorientierte Forschung verstärkt wird. Man hofft, durch die Ausbildung von Hochschullehrern und akademischen Führungskräften der mittleren und höheren Ebene sowie Ärzten die Probleme der Landbevölkerung bekämpfen zu können. Mit gut ausgebildetem Personal kann beispielsweise die medizinische Versorgung verbessert und eine Vielfalt nahrhafter landwirtschaftlicher Produkte angebaut werden.
Diese Schwerpunkte spiegeln sich auch in der Struktur der Universität wieder. Besonders gefördert werden die Fachbereiche Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Informatik und Medizin. Von Anfang an trägt die Universität Ngozi auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen bei.
Als erste Hochschule dieser Art in Burundi verstärkt Ngozi die einzige staatliche Universität der Hauptstadt Bujumbura. Die Universität in Ngozi entwickelt eine ganz eigene Dynamik. Da sie im ländlichen Milieu angesiedelt ist, bekommen nun auch Studenten im Norden Burundis die Chance, ihr Bildungsniveau durch ein Studium in ihrer Heimatregion zu verbessern.
Doch die jährlichen Studiengebühren von 150 US-Dollar stellen für viele Familien eine unüberschreitbare Hürde dar. Schließlich beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen lediglich 110 US-Dollar. Die tatsächlichen Kosten der Ausbildung liegen aber schätzungsweise bei 1000 US-Dollar, die großen Investitionen nicht einmal mitgerechnet. Nur durch die Unterstützung von Spenden der katholischen Kirche und Beiträgen der Gemeinde wird der Universitätsbetrieb am Laufen gehalten.
Um den Ärmsten unter den Studierenden die Fortführung ihres Studiums zu ermöglichen, hat die Universität für das akademische Jahr 2000 bis 2001 einen Kredit bei der Gemeinschaftsbank in Höhe von umgerechnet 70.000 US-Dollar aufgenommen und für 242 Studierende bereitgestellt. Im darauf folgenden Jahr waren es schon über 80.000 US-Dollar. Es wäre jedoch die Einrichtung eines ständigen Stipendienfonds nötig, um die Studierenden weiter unterstützen zu können.
Ziel der Universität von Ngozi ist es, 3000 Studierende aufnehmen zu können. Dazu bedürfte es einer Investition von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Darin sind die Kosten für die Einrichtung von Laboratorien und die Ausstattung der Bibliotheken nicht mitgerechnet. Bisher gehören 41 Planstellen zum festen Personalbestand der Universität; hinzu kommen 100 Gastprofessoren in verschiedenen Bereichen.
Derzeit sind an der Universität, die zur Zeit über vier Fakultäten und ein Hochschulinstitut mit zehn Fachbereichen verfügt, 1445 Studenten eingeschrieben, davon etwa 35 Prozent Frauen. Mit ihrem Ausländeranteil von fast 24 Prozent kommt der Universität von Ngozi auch eine Rolle als Vermittler zwischen den Kulturen zu: Die meisten der Studierenden stammen aus Burundi, 119 Studenten kommen aus dem Nachbarland Ruanda, 160 aus der Demokratischen Republik Kongo, und jeweils einer aus der Republik Kongo Brazzaville, aus Pakistan und aus Tansania. Ihre geographische Lage im Norden des Landes macht die Universität von Ngozi zu einem Treffpunkt für den Austausch zwischen den benachbarten Völkern der Region der Großen Seen.
Emmanuel Ngendanzi
Emmanuel Ngendanzi ist Journalist und arbeitet für den Radiosender RTNB in Burundi.
Das afrikanische Ox-bridge
Wenn von einer europäischen Traditionsuniversität die Rede ist, dann verbürgt das eine wenigstens 500-jährige Geschichte. Die Makerere Universität in Ugandas Hauptstadt Kampala, ehrwürdige Alma Mater in Ostafrika, blickte 2002 immerhin auf 80 bewegte Jahre zurück. Zahlreiche Führer der afrikanischen Befreiungsbewegungen und der ersten Phase der Unabhängigkeit, bildende Künstler und Autoren gingen aus ihr hervor. "Makerere University, der Schmelztiegel höherer Bildung im östlichen Afrika, hat in ihrer Geschichte einen bedeutenden Beitrag zur akademischen Bildung in Afrika geleistet und war die Mutter zahlreicher Hochschulen", heißt es in einer Schrift zur Einrichtung der theologischen Fakultät 1981 - ausgerechnet im schweren Jahr Eins nach der Invasion tansanischer Truppen und dem Ende des Amin-Regimes. Nicht unbeschädigt, aber unbeirrt ging Makerere auch damals ihren Weg.
Die britische Besiedlung Ugandas im 19. Jahrhundert ging einher mit einem ausgeprägten Bildungs- und Missionspathos. C. W. Hattersley, Gründer der ersten Schule in Uganda, vermeldete seiner Majestät in London stolz, Erfolge bei der Christianisierung, Alphabetisierung und Verbreitung viktorianischer Tischsitten. Die Gründung der Universität als Makerere University College im Jahr 1922 ist Ausdruck dieses missionarischen Geistes. England setzte auf die Heranziehung einer einheimischen mittleren Führungsschicht als Puffer zwischen Kolonialverwaltung und ugandischen Kaffee- und Baumwollpflanzern.
Absolventen technischer, human- und veterinärmedizinischer, landwirtschaftlicher und pädagogischer Studiengänge erwarben zunächst das Cambridge Overseas School Certificate. Ab 1949/50, bei Erhebung in den Stand eines University College of East Africa waren es Abschlüsse der Universität London.
1961 wird Uganda unabhängig. Austin Bukenya, in den siebziger Jahren Literaturdozent in Makerere, beschreibt in seinem satirischen Roman "Maalas" das herrschaftliche Leben auf dem Makerere-Campus in den nachkolonialen Jahren, als Lunch und Dinner nach wie vor von weiß gekleideten Kellnern serviert wurden. Er mokiert sich über die "absurd hohen Gehaltszulagen allein aufgrund der Kardinaltugend, Ausländer zu sein" und fragt: "Maalas war weder britisch noch mittelalterlich - oder etwa doch? Es wurde gegründet und bestand immer noch als College einer der mittelalterlichen britischen Universitäten. Eins der ungeschriebenen Gesetze war immer noch, dass man an einer britischen Universität studiert haben musste, um irgendeine Stelle auf dem Campus zu ergattern. Selbst die Gärtner, Nachtwächter und Köche kamen aus den Häusern der Kolonialbeamten, Distriktkommissare und Gutsverwalter."
1963 ging Makerere im Rahmen der damaligen Ostafrikanischen Union in der University of East Africa (UEA) auf, zusammen mit den Neugründungen von Nairobi und Dar es Salaam. Ihr erster Rektor war Mwalimu (Lehrer) Julius Nyerere, der später langjährige Präsident Tansanias. Alle drei Standorte hatten eine philosophische, eine medizinische und eine naturwissenschaftliche Fakultät. Nairobi bot zusätzlich Veterinärmedizin, Architektur und Ingenieurwesen an, Dar es Salaam Jura, Kampala Agrar- und Erziehungswissenschaft. Seit 1969 gibt es an der Makerere auch einen Studiengang Deutsch, den ältesten in Ostafrika. Er wird seit vielen Jahren personell vom Deutschen Akademischen Austauschdienst unterstützt.
Innerhalb der UEA kam es zu einer fruchtbaren Migration. Ein angehender Architekt aus der nordugandischen Teso-Provinz würde also in Dar es Salaam studieren, einen Lehramtskandidaten vom Indischen Ozean könnte es an den Viktoria-See verschlagen. Unterschiedliche Schwerpunktsetzungen an den Fakultäten führten zu einem lebhaften Studentenaustausch zwischen den Partnerländern.
Mit dem Auseinanderbrechen der Union 1970 endete auch diese wirtschaftlich und wissenschaftlich sinnvolle Kooperation. Unglücklicherweise zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die ökonomische Zerrüttung und Verschuldung der afrikanischen Entwicklungsländer abzuzeichnen begann.
In den Turbulenzen der Folgejahre hat Makerere ein bemerkenswertes Beharrungsvermögen an den Tag gelegt. Die Jahre des Amin-Regimes, die tansanische Invasion und der Sturz Amins 1981, die erneute Präsidentschaft Obotes und der damit ausbrechende, bis 1986 tobende und auch heute nicht ganz beendete Bürgerkrieg bedeuteten für Makerere nur zu häufig: Übergriffe und Plünderungen durch die Armee und willkürliche Festnahme von Professoren und Studenten.
Dennoch wurde der Lehrbetrieb aufrecht erhalten. Prüfungen fanden regelmäßig und ordnungsgemäß statt. Trotz aller Versuche staatlicher Einflussnahme, trotz des Versiegens der notwendigen Mittel, der Verarmung des Lehrkörpers und des Verfalls der Infrastruktur blieb Makerere in jenen etwa 20 Jahren ein Stück nationalen Selbstbewusstseins: fragile Stabilität und Symbol der Hoffnung. Die von Austin Bukenya verspotteten Expatriates, die ausgewanderten Europäer unter den Dozenten, galten in jenen Jahren der Isolierung, während die westliche Entwicklungshilfe praktisch eingestellt war, als Brücke nach "draußen".
Mit zunehmender innerer Stabilität und Liberalität seit 1986, dem Beginn der Ära Museveni, hat sich auch Makerere erholt. Bald danach wurde das ganze Ausmaß der Aids-Tragödie in Ostafrika und namentlich in Uganda deutlich. Die Universität war die Speerspitze in dem beispielhaften Aufklärungsfeldzug und der medizinischen Grundversorgung der Opfer.
So wie sie in den Wirren der siebziger und achtziger Jahre eine Bastion der offenen Diskussion und kritischen Opposition war, so sind auch heute wieder vom Makerere-Campus warnende und mahnende Stimmen gegen Ugandas militärische Abenteuer im benachbarten Kongo zu vernehmen. Uganda braucht seine Universität.
Jörg Braunert
Dr. Jörg Braunert war von 1981 bis 1985 Lektor des DAAD in Uganda.
Die Welt interpretieren und verändern
Die südkoreanische Frauenbewegung hat einen bedeutenden Erfolg zu verzeichnen: Im Januar 2001 wurde ein Ministerium für Gleichstellung geschaffen. Damit gibt es jetzt eine zentrale Stelle, in der die Genderpolitik (gender ist der soziologische Geschlechtsbegriff) der südkoreanischen Regierung geplant, koordiniert und ausgeführt wird. Zur Ministerin des neuen Ministeriums wurde Han Myung-Sook ernannt. Sie ist eine unerbittliche Kämpferin, die in ihrem bisherigen Leben konsequent das Interesse der unterdrückten Frauen vertreten hat. Für ihr Engagement musste sie in den Jahren 1979 bis 1981, währende der Militärdiktatur, sogar eine Gefängnisstrafe verbüßen. Im Jahre 1985 erwarb sie den Magistertitel in Women's Studies an der Ewha Frauenuniversität - als eine der ersten Absolventinnen des damals frisch gegründeten Studiengangs. Ist es Zufall, dass die erste Ministerin für Gendergleichstellung eine Absolventin der Ewha Frauenuniversität ist?
Als Ursprung der Ewha Frauenuniversität, die mit rund 21.000 Studentinnen weltweit die größte Frauenuniversität ist, gilt die Mädchenschule, die im Jahre 1886 von Mary F. Scranton, einer Missionarin der Methodist Episcopal Church der USA, gegründet wurde. Damals befand sich Korea in einer schwierigen Zeit des Umbruchs: Die feudalen Gesellschaftsstrukturen zerfielen, es gab Versuche, zu neuen Gesellschaftsformen aufzubrechen, die Kolonialmächte stritten sich um Korea. In der damaligen streng konfuzianistischen Gesellschaft konnten die Frauen nur das lernen, was für ihre Rolle als Frau angemessen erachtet wurde - Gehorsamkeit und Haushaltsarbeit.
Eine öffentliche Schule, in der junge Menschen Wissen aus der westlichen Wissenschaft und Zivilisation lernen konnten, war selbst für Männer etwas ganz Besonderes. Insofern war die Gründung einer Mädchenschule im westlichen Stil ein revolutionäres Ereignis. Sie entsprach dem Wunsch der Koreanerinnen, die Gesellschaft aus der feudalen Unterdrückung und sich selbst aus der feudal-patriarchalischen Herrschaft über Frauen zu befreien. Vor allem strebten sie nach gleichen Ausbildungschancen. Durch Ausbildung sollen die Koreanerinnen die Möglichkeit bekommen, sich an dem Prozess der Bildung einer neuen Gesellschaft zu beteiligen.
Nach der Befreiung Koreas von der von 1910 bis 1945 dauernden japanischen Kolonialherrschaft wurde die Schule von der neu gegründeten Regierung als die erste Universität anerkannt. Seitdem wird sie Ewha Frauenuniversität genannt. Die Universität umfasst 15 Fakultäten und 67 Studiengänge auf der undergraduate Ebene, 13 graduate schools und 34 Forschungsinstitute. Die Zahl der Alumni, der ehemaligen Studentinnen, beträgt fast 140.000. Von Beginn an gilt die Ewha als eine der besten Universitäten Koreas.
Als eine Frauenuniversität hat die Ewha eine einzigartige Rolle mit vollem Engagement wahrgenommen: ihren Beitrag zur Frauenemanzipation. Im Jahre 1977 bot die Ewha zum ersten Mal in Korea eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung zu Women's Studies im Rahmen der Allgemeinbildung an. Im selben Jahr wurde das Korean Women's Institute gegründet, das die weitere Entwicklung der Women's Studies vorantrieb. Schließlich wurde 1982 in Ewha zum ersten Mal in Asien ein regulärer Studiengang Womens's Studies mit dem Abschluss als Master of Arts (seit 1990 erweitert auf den Doktortitel Ph.D.) eingerichtet. Im März 1993 wurde das Ewha Institute for Women's Theological Studies gegründet. Dieses ökumenische Institut bezweckt die Bewusstseinsbildung der Frauen in der Kirche und die theologische und institutionelle Reform der koreanischen Kirchen in Richtung auf die volle Beteiligung und Anerkennung der Frauen.
Weil die westliche Orientierung der Women's Studies kritisiert worden war und der Wunsch nach Entwicklung einer feministischen Theorie im Umfeld der asiatischen Gesellschaft bestand, wurde 1995 das Asian Center for Women's Studies an der Ewha gegründet. Damit sollten auch die Solidarität und Gedankenaustausch zwischen Frauen verschiedener Länder Asiens gefördert werden.
Im Herbstsemester 2002 bot Ewha 85 Lehrveranstaltungen im Sinne der Women's Studies an (http://ewhawoman.or.kr/acwseng/). Der Beitrag der Ewha bleibt aber nicht auf die wissenschaftliche Ebene beschränkt. Die Absolventinnen der Ewha hatten während ihres Studiums die Möglichkeiten, die Gesellschaft aus der Gender-Perspektive zu betrachten und zu reflektieren. Viele von ihnen engagieren sich deshalb in dem breiten Wirkungsfeld der Frauenbewegungen. Andere Aktivistinnen aus der Frauenbewegung kommen zu Ewha, um sich in feministischen Theorien weiterzubilden und neue Impulse für weitere Praxis zu gewinnen.
So gesehen, ist es kein Zufall, dass Han Myung-Sook als eine Absolventin von Ewha die erste Ministerin für Gleichstellung wurde.
Choe Hyondok
Dr. Choe Hyondok ist Asienreferentin am Missionswissenschaftlichen Institut Missio in Aachen.
Die Lehrer waren wahre Zuchtmeister
Genadendal war die erste evangelische Missionsstation auf dem afrikanischen Kontinent. Sie liegt 140 Kilometer von Kapstadt entfernt und wird in vielerlei Hinsicht als Wiege der Missionsarbeit in Südafrika bezeichnet. Die Herrnhuter der Mährischen Kirche hatten 1737 die Arbeit im Westkap aufgenommen. Sie sandten den deutschen Junggesellen Georg Schmidt nach Baviaanskloof, in das "Tal der Paviane", um dort die einheimischen Khoi zu missionieren. 1806 wurde der Name in "Tal der Gnade" umgeändert.
Georg Schmidt legte eine solide geistliche Grundlage. Die Missionare, die ihm folgten, leisteten in jeder Hinsicht hervorragende Pionierarbeit. Heimgewerbe von Hutmachern, Böttchern, Gerbern, Messerschmieden, Kupferschmieden, Schustern und Wagenmachern florierten. Im Laufe der Zeit wurde Genadendal als Früchte-Tal bekannt. Die Farmer exportierten Tonnen von Obst und Gemüse auf den Kap-Markt. Viele Menschen strömten nach Genadendal, um dort Arbeit zu finden oder ihren Kindern Erziehung und Ausbildung zu ermöglichen.
In dem Wissen, dass die Sklaven eines Tages frei sein und weitere Menschen sich auf Missionsstationen ansiedeln werden, wurde es immer wichtiger, eine Einrichtung für tertiäre Bildung ins Leben zu rufen. Um die Nachfrage nach Bildung befriedigen zu können, wurden Einheimische zu Lehrern und Instrukteuren ausgebildet.
Am 6. September 1838, 100 Jahre nach Ankunft der ersten Missionare, wurde ein zweistöckiges Gebäude im kap-holländischen Stil errichtet. Ein deutscher Edelmann, Fürst Otto Victor von Schönburg-Waldenburg, unterstützte den Bau mit einer großzügigen Spende. Das Genadendal-Ausbildungscollege war das erste seiner Art. Nirgendwo sonst im Land wurden Lehrer ausgebildet. Wer mit einer solchen Qualifizierung als Lehrer in Südafrika arbeitete, hatte entweder in Holland oder in England studiert.
Die ersten elf Schüler, die am 6. September 1838 zugelassen wurden, kamen allesamt aus verschiedenen Missionsstationen am Kap. Sie wurden als hochintelligente und fleißige Jungen ausgesucht, die bereit waren, sich einer gründlichen Ausbildung von mindestens sieben Jahren zu unterziehen. Während ihrer Ausbildungszeit durften sie nicht nach Hause gehen, sie sollten ihr Leben Jesus Christus und den Ausbildungskursen widmen.
Zu den ersten Schülern, die aufgenommen wurden - alle waren Khois - gehörten Juzua Plezier, Johannes Absalom, Nikolaas Oppelt und Michael Balie (der Urgroßvater des Verfassers dieses Artikels). Unterrichtet wurden Religionskunde, Englisch, Holländisch, Arithmetik, Geschichte und Geographie. Der Unterricht begann morgens um acht Uhr und dauerte bis zwölf Uhr Mittags. Danach durften sich die Schüler ausruhen und Mittag essen. Nach eineinhalb Stunden Pause folgten die praktischen Fächer: Musik (Geige, Klavier und Trompete), Landwirtschaft, Buchbindung und Buchdruck sowie Zeichnen.
Die Lehrer waren wahre Zuchtmeister. Die Schüler mussten sich an die 29 strengen Regeln der Bildungseinrichtung halten. Dazu gehörte auch ein straffer Zeitplan: Um 5 Uhr 30 mussten alle aufstehen, ab 6 Uhr lernen. Von 7 bis 7 Uhr 15 wurden die Betten gemacht und in Schlafraum, Badezimmer und Speisesaal absolute Ordnung hergestellt. Zum Morgengebet um 7 Uhr 15 bestand Anwesenheitspflicht. Die Jungen versammelten sich in absoluter Stille in der Halle. Um 7 Uhr 30, 12 Uhr und 18 Uhr wurden die Utensilien für die verschiedenen Mahlzeiten von den Jüngeren aus der Küche geholt, die auf keinen Fall unnötigerweise mit den Bediensteten sprechen durften. Der Älteste begann mit dem Tischgebet und beendete die Mahlzeit in der gleichen Weise. Es durfte nichts in den Tellern und Tassen zurückbleiben.
Drei der erstzugelassenen Schüler wurden wegen Fehlverhaltens von der Schule verwiesen, die anderen aber konnten ihr Studium erfolgreich absolvieren. Sie bekamen als erste formal ausgebildeten südafrikanischen Lehrer im ganzen Kap-Gebiet, vorwiegend in Missionsstationen, eine Anstellung.
Neben der Lehrerausbildung hat sich das Genadendal-College auch an vielen anderen kulturellen Aktivitäten in Südafrika beteiligt. Einige der ersten afrikaans-sprachigen Werke wurden auf seiner Druckpresse gedruckt: Das Kirchenmagazin De Bode ("Der Bote") war eines der ersten Südafrikas, Het Kindervriend ("Der Kinderfreund") die erste Kinderzeitschrift und Benigna van Groenekloof der erste Roman in Afrikaans. Somit hat Genadendal eine entscheidende Rolle dabei gespielt, Afrikaans als offizielle Sprache zu etablieren. Außerdem besaß Genadental eine Zeit lang die einzige Druckpresse in Südafrika, die Musiknoten drucken konnte. Das Ausbildungscollege gründete zudem eine der ersten Blaskapellen des Landes. Die qualifizierten Lehrer, die auch exzellente Musiker waren, gingen in andere Siedlungen und trugen dazu bei, dass auch anderswo am Kap viele Musikzentren entstanden.
Doch die politischen Veränderungen im Land machten auch vor dem College nicht halt. Die Schüler schrieben zu jedem Jahresende ein externes Examen, das von einer Regierungsabteilung entworfen wurde. Am Bildungsstandard gab es nichts auszusetzen: Die Schüler erzielten über die Jahre hinweg hervorragende Ergebnisse. Doch gegen Ende des Englisch-Burischen Krieges (1899-1901) bereitete den Afrikaanern (den Weißen Südafrikas) das zunehmende politische Bewusstsein unter den Schwarzen Südafrikas Unbehagen. Damals entstanden die ersten politischen Organisationen. Genadendal galt als Bedrohung: Eine nicht-weiße Gemeinde, in der Höhere Bildung angeboten wurde. Akademisch ausgebildete Gemeindeführer hätten einen Aufstand gegen die damalige Regierung anzetteln können.
Die Menschen von Genadendal hatten ihren Standpunkt bereits während des Englisch-Burischen Krieges demonstriert. Sie zeigten keine Sympathie für die Buren (Afrikaaner), sondern offene Ablehnung. Schließlich hatten diese ihre Vorväter versklavt und behandelten sie immer noch als Bürger zweiter Klasse. Nach der Gründung der südafrikanischen Union (1910) verabschiedete die Regierung ein Gesetz, nach dem nur Europäer, also Weiße, Lehrer in Genadendal sein durften. Dagegen bestanden die Missionare darauf, die qualifiziertesten Personen einzustellen, gleich welcher Hautfarbe sie sind.
Die Regierung stellte daraufhin ihre finanzielle Unterstützung ein, und das College musste im Jahre 1928 seine Pforten schließen. Es hatte in 90 Jahren insgesamt 240 Lehrer ausgebildet. In Würdigung der besonderen erzieherischen Rolle, die Genadendal in der Geschichte Südafrikas gespielt hat, benannte Nelson Mandela 1995 seinen Amtssitz in Kapstadt in "Genadendal" um.
Isaac Balie
Isaac Balie ist Direktor des Missionsmuseums in Genadendal, das in den Räumen des ehemaligen "Teachers Training College" untergebracht ist.
Prüfungen als Vetternwirtschaft
Nur einmal machte Kikwit, die 600.000 Einwohner zählende Stadt in der Demokratischen Republik Kongo, Schlagzeilen auf den ersten Seiten der Weltpresse. Das war im Jahr 1995, als nahe der Stadt im damals noch Zaire genannten Land das Ebola-Fieber ausbrach und binnen weniger Tage über 200 Tote forderte. Heute ist Kikwit wieder in Vergessenheit geraten, und die Bewohner sind weitgehend abgeschnitten vom Rest der Welt. Bis zur rund 500 Kilometer nordwestlich gelegenen Hauptstadt Kinshasa benötigen Lastwagen auf der völlig zerwühlten Schlammpiste eine Woche. Mit dem Schiff auf dem Kwilu-Fluss dauert es sogar drei Wochen.
Bis vor knapp zehn Jahren, während des angolanischen Bürgerkrieges, war Kikwit noch ein wichtiger Umschlagsplatz für geschmuggelte Diamanten, und Savimbis Truppen versorgten sich dort mit Nachschub. Heute herrscht tiefe Wirtschaftsflaute. Studenten, die an der Universität von Kikwit ihren Abschluss machen, haben kaum eine Chance, dort auch eine Arbeit zu finden. Sie suchen, wenn irgend möglich, anderswo ihr Glück.
Einer aber ist zurückgekehrt, der die Chance hatte, in Deutschland zu studieren und seinen Doktortitel zu erwerben: Dudu Musway ist heute, obwohl er noch an seiner Habilitation arbeitet, Professor an der Universität von Kikwit, in der Leitung der medizinischen Fakultät und Oberarzt am staatlichen Universitätsklinikum. Außerdem organisiert er für die Weltgesundheitsorganisation das Seuchenschutzprogramm und Impfaktionen in der "großen Gesundheitszone", die auch die Rebellengebiete im Osten des Kongo umfasst. Vielleicht hat die Finanzierung seiner Ausbildung durch Jesuiten dazu beigetragen, dass er, der früh beide Eltern verloren hatte, heute besondere Verantwortung spürt: "Ich muss einen kleinen Beitrag zur Entwicklung meines Landes leisten."
Aber das ist eine Sisyphos-Arbeit. Denn die einst von Jesuiten betriebene renommierte Universität von Kikwit hat einen jahrzehntelangen Niedergang erlebt. Unter dem Diktator Mobutu Sese Seko war die Hochschule verstaatlicht worden, und der Staatschef ernannte schnell Verwandte und ihm hörige Gefolgsleute zu Professoren. Besondere Qualifikationen benötigten diese nicht. In der Folge sanken die akademischen Standards zusehends, Labore und die Ausstattungen der Gebäude verrotteten. Als sich schließlich immer weniger Bewerber fanden, die dort noch studieren wollten, versuchte Mobutu, die Universität an die Kirche zurückzugeben. Diese aber sah nicht ein, dass sie ausbügeln sollte, was der Staat ausgeplündert hatte. So zahlen die Kirchen heute lediglich einen Zuschuss für Medikamente und Logistik, sowie für eine Aufstockung der Gehälter.
Für Professor Musway ist die Universität von Kikwit heute keine wirkliche Hochschule mehr. Es gebe nur noch wenige gute Professoren aus der alten Generation. Und "die Absolventen sind nicht wirklich qualifiziert. In einem Semester wird nämlich statt sechs Monate real nur drei studiert. Entweder streiken die Dozenten oder verdienen anderswo Geld. Mal haben die Labore haben kein Material, oder es herrscht Stromausfall, oder die Studenten haben nicht genug Geld für die Studiengebühren und müssen ihre Kursteilnahme vertagen." Einzelne Fakultäten verlängern wenigstens das akademische Jahr, bis alle Lehrveranstaltungen stattgefunden haben, so Professor Musway.
Aber die Vetternwirtschaft sei immer noch so stark verankert, dass einzelne Prüfer die Kandidaten aus ihrer Volksgruppe beim Examen immer bestehen ließen, egal wie wenig diese wüssten. Manche Prüfer ließen Studenten auch deshalb nicht durchfallen, weil sie im wesentlichen von deren Studiengebühren lebten. Die Gehälter, die der Staat zahle, seien zu niedrig, um damit eine Familie ernähren zu können, und würden zudem meistens bis zu sieben Monate verspätet gezahlt. Die Professoren seien deshalb von den Studenten abhängig. "Wie können wir solche Studenten Ärzte werden lassen? Wollen wir denn selbst später einmal von solch einem Chirurgen operiert werden?", habe er unlängst dem Prüfungskomitee vorgeworfen. Noch aus einem anderen Grund sorgt er sich um den akademischen Standard: Im Februar hat Südafrika zwei der besten Lehrkräfte abgeworben - nicht zum ersten Mal.
Im staatlichen Universitätsklinikum sieht es nicht viel anders aus. Die Gehälter bieten für das Personal wenig Anreiz, regelmäßig zur Arbeit zu kommen. Qualifizierte Ärzte zu bekommen, ist also nicht einfach. Und weil Musway weiß, was von manchen Zeugnissen zu halten ist, stellt er Ärzte erst nach einer bis zu einjährigen Probezeit fest ein. Ferner fehlt es an Medikamenten und funktionierenden Röntgen- und Laborgeräten. Musway kann den Betrieb nur dadurch einigermaßen am Laufen halten, dass er Ärzten und Pflegern die Gelegenheit bietet, in seiner benachbarten Privatklinik etwas hinzuzuverdienen. Acht US-Dollar nimmt er dort für eine Visite. Ohne die Zusatzeinnahmen aus dieser Privatklinik könnte er selbst auch nicht seine Tätigkeit an der Universität und im städtischen Krankenhaus ausüben.
Immerhin wird das Personal künftig besser mit einer eventuellen Ebola-Seuche umgehen können. Mit Hilfe der Weltgesundheitsorganisation konnte Musway eine gründliche Schulung durchführen, wie man Ebola- Patienten behandeln kann, ohne sich selbst zu infizieren. (Siehe auch Interview mit Heinrichs-Drinhaus im Forum).
Jürgen Duenbostel
Jürgen Duenbostel ist Redakteur beim "überblick".
Erinnerungen an ein Theologiestudium
Wir vier Männer mittleren Alters, gereift aber einander noch wiedererkennend, trafen uns nach Jahren wieder. Drei Baptistenpastoren und ich, ein lutherischer Pfarrer. Anlass für unser Veteranentreffen war ein Jubiläum. Zwanzig Jahre lag es zurück, dass wir am Mennonite Brethren Biblical Seminary (MBBS) in Fresno, Kalifornien unter den Palmen des Gebäudes im englischen Fachwerkstil unseren Magistertitel gefeiert hatten.
Was hatte uns damals als Studenten in den Westen der USA verschlagen? Ich denke, es war geistliche Freiheitssuche. Denn da wo wir seinerzeit zuvor studiert hatten, klang nur der Name so: Freie Evangelisch-Theologische Akademie Basel. Obwohl wir theologisch nichts anderes kannten, hatten wir gespürt, dass der dort herrschende Bibelfundamentalismus nicht weiter half, um angstfrei unsere Fragen stellen oder uns einer Antwort näher bringen zu können, die mehr war als nur angelernt.
In Fresno angekommen erfuhren wir, dass es dort zwar auch "Fundis" gab unter Dozenten und Studierenden. Aber zu unserer Überraschung bestand diese Richtung nur als eine unter mehreren, zudem in friedlicher Konkurrenz. Ich denke hinter dieser Offenheit stand kein akademischer Relativismus, sondern die alte mennonitische Weisheit, sich nur an die Bibel zu halten, ohne eine bestimmte Auslegungsnorm zu definieren und vor die Schrift selbst zu schalten. Dass wir es mit einem solchen Biblical Seminary zu tun hatten, kam unserer ursprünglichen Prägung entgegen, half uns aber schon, die Fundi-Brille wenigstens zeitweise beiseite zu legen. Wir merkten: Die Bibel verdient Grundvertrauen, weist aber über sich selbst hinaus. Wer sie ernst nimmt, sieht Gott nicht als einen, der ein fehlerloses Buch zaubern und vom Himmel fallen lassen kann, sondern beginnt dem Geheimnis dessen nachzuspüren, der sich in Jesus Christus aufgemacht hat zu den Menschen in der Tiefe. Was das bedeutete, darüber haben wir in Fresno bis in die Nächte hinein diskutiert.
Nicht nur fanden wir dort die Freiheit, unsere Fragen zu bewegen, sondern wir stießen auch auf Deutsch oder Englisch auf jene Autoren in der Bibliothek, die wir zuvor nur aus polemischen Randbemerkungen gekannt hatten, allen voran die immer noch nachklingenden Bultmann und Barth. Jürgen Moltmann erschien in Fresno sogar leibhaftig zu einer Gastvorlesung. Die Friedensthematik hatte ihn zu uns geführt. Unser Horizont wurde weiter.
So war es für uns auch eine Überraschung, dass missionarisch gesonnene fromme Christenmenschen nicht notwendigerweise politisch rechts stehen mussten. Ich erinnere mich noch an den Moment, in dem mir das klar wurde. Professor Henry Schmidt, einer unserer originellsten und warmherzigsten Dozenten, lud uns am Schluss seiner Vorlesung zum Thema Stadtmission dazu ein, ihn zu begleiten: auf eine Demonstration gegen die Reagan'sche Außenpolitik.
Apropos Warmherzigkeit. Wir wurden als Nicht-Mennoniten und Nicht-Nordamerikaner herzlichst in Empfang genommen. Zur Begrüßung schenkte uns einer der Dozenten - Hans Kasdorf - einen enormen Schinken, und ein anderer kümmerte sich um einen Nebenjob für mich. Acht Tage nach Ankunft schon trat ich in die Pedale einer presbyterianischen Orgel. Will sagen: Das Konzept der friedfertigen Gemeinschaft wurde nicht nur theoretisch verhandelt, es wurde gelebt und die Dozenten übernahmen eine echte Vorbildfunktion. Nie fühlten wir uns ausgegrenzt von den Toews und Martens, den Wiebes und Warkentins, Neufelds oder Ratzlaffs, sondern im Gegenteil hineingenommen in die Gemeinschaft und auch in unserer Andersartigkeit angenommen. Auch im Praktikum - ein besonderes Highlight - erlebte ich das. Ich war in einer großen, noch deutschsprachigen Mennonite Brethren-Gemeinde in Clearbrook, British Columbia, eingesetzt. Großartige Leute, geradlinig, fleißig, schlicht, ernsthaft, warm und solidarisch miteinander.
Natürlich gab es auch Punkte, an denen wir uns rieben. So musste ich entdecken, dass auch die Erben der Täufer nicht frei davon sind, die eigene Tradition zu überhöhen. Gewiss geht er auch beim wiederholten Hören seiner Geschichte immer noch zu Herzen, jener noble Täufer des 16. Jahrhunderts, der beim Flüchten über das Eis seinen Häscher rettete, dabei gefangen genommen wurde und den Märtyrertod starb. Aber auch unter Mennoniten kann das einseitige Pflegen solcher Traditionen dazu führen, das Negative auszulassen und sich für die besseren Christen zu halten. So verstieg sich etwa einer der Kirchengeschichtsdozenten allen Ernstes zu der Aussage, Luther und die Lutheraner hätten Fürsten und Kaiser immer mehr geliebt als den Heiland, zumal sie anders als die Täufer mit den Herrschenden zusammengearbeitet und selbst den Kriegsdienst nicht abgelehnt hätten. Trotz dieser Belehrung bin ich kein Mennonit geworden, sondern Lutheraner. Doch wenn ich jetzt selbst als Kirchengeschichtsdozent in Santiago arbeite, so helfen mir diese Erfahrungen. Ich versuche etwa, die einzelnen Strömungen der Reformation und der Radikalen Reformation in sich zu würdigen und nicht alle über einen, nämlich meinen Leisten zu schlagen.
Auch die partizipativen Methoden, mit denen wir damals schon unterrichtet wurden, setze ich heute ähnlich in meiner eigenen Lehrtätigkeit ein. Nicht stundenlange Professorenmonologe wie an deutschen Universitäten, sondern aktive Beteiligung der Studierenden prägt das Bild mit Kurzvorträgen, Lektüre und Buchbesprechungen, eigenen Recherchen und schriftlicher Themenbearbeitung, Diskussionen und anderes mehr. Unvergesslich sind mir vor allem unsere Exkursionen zu den unterschiedlichsten Kirchen und Kirchengemeinden in Los Angeles. Heute mache ich es mit meinen Studentinnen und Studenten ähnlich.
Wie sich das MBBS heute darstellt, ist mir nur aus dem Internet bekannt. Ich weiß, es kamen nach uns immer wieder auch junge Deutsche dorthin zum Studieren. Mein Weg ist weiter gegangen, aber etwas Staub jener Zeit wird immer an meinen Schuhen kleben und ein Hauch von jenem Geist in meinem Inneren wehen. Meinen drei Ex-Kommilitonen, mit denen ich mich auf halbem Wege zwischen Studium und Pensionierung traf, sagten es bei unserem Treffen ähnlich. Dogmafreie Bibelinterpretation, glaubwürdige und Frieden suchende Gemeinschaft - das sind für mich seit Fresno die liebenswerten Markenzeichen des Mennonitentums, die auch mich -hoffentlich - geprägt haben.
Martin Breitenfeldt
Martin Breitenfeldt ist Pastor der Bremischen Evangelischen Kirche, ausgesandt von der Basler Mission (jetzt Mission21) als Kirchengeschichtsdozent an der "Facultad Evangélica de Teología CTE" in Santiago de Chile.
aus: der überblick 01/2003, Seite 17