Kirchenpartnerschaften können den Nord-Süd-Austausch fördern - aber auch Abhängigkeiten schaffen
Zu kaum einem Land unterhalten deutsche Kirchenkreise und -gemeinden so viele Partnerschaften wie zu Tansania. Persönliche Kontakte verleihen ihnen Stabilität und Verbindlichkeit. Der Anspruch, einen gegenseitigen Austausch an die Stelle der Sendung von Nord nach Süd zu setzen, wird jedoch oft nicht eingelöst. Projekte und Spenden können neue Abhängigkeiten schaffen und Spannungen in tansanischen Kirchen erzeugen.
von Lothar Bauerochse
Tansania war weit weg damals, im Jahr 1971. Die kleine, neu gegründete evangelische Gemeinde am Stadtrand von Hannover hatte gerade ihren ersten Pastor bekommen. Und dessen Herz schlug für die Missionstheologie, verstärkt von persönlichen Erfahrungen bei Besuchs- und Studienreisen nach Tansania. Beim Aufbau seiner jungen Gemeinde wollte er nun umsetzen, was die Missionstheologie schon lange lehrte: dass Gemeindeaufbau nur in ökumenischer Dimension möglich ist, dass Kirche nur im Horizont der weltweiten Kirche wachsen und leben kann, dass Mission zum Wesen jeder Kirche und jeder Gemeinde gehört und dass sie nicht länger als Einbahnstraße in Nord-Süd-Richtung funktionieren soll.
Also schlug der Pastor seinem Kirchenvorstand vor, eine partnerschaftliche Beziehung aufzunehmen zu einer tansanischen Gemeinde. Die damalige Leipziger Mission in Erlangen vermittelte ihm den Kontakt zu einem deutschen Missionar, der als Gemeindepfarrer in Moshi im Norden Tansanias tätig war. Mit einem Briefwechsel zwischen dem deutschen Pfarrer und dem deutschen Missionar in Tansania begann damals eine der ersten Direktpartnerschaften zwischen Gemeinden in Deutschland und Tansania.
Das Erfolgsmodell hat zahllose Nachahmer in Landeskirchen und Missionswerken gefunden. Es birgt ungewöhnliche Chancen für erneuerte Nord-Süd-Beziehungen, aber auch große Probleme und Gefahren. So manche Partnerschaft von Gemeinden oder Kirchenkreisen bleibt trotz aller gegenteiligen Behauptungen den alten Rollenmustern verhaftet, in denen der Norden dominiert und neue Abhängigkeiten geschaffen werden.
Auffällig am Beispiel der Gemeinde in Hannover ist: Die Motive für den Beginn einer deutsch-tansanischen Gemeindepartnerschaft lagen ganz im (missions-)theologischen Bereich. Das politische "Modell Tansania" spielte kaum eine Rolle. "Weltweite Kirche" sollte am Stadtrand von Hannover erfahrbar werden - das stand als Motiv ganz oben an. Dazu sollte gehören, dass man gelegentlich "einen der durchreisenden afrikanischen Brüder hier in einem Gottesdienst hat". Impulse für die "missionarische Arbeit hier vor Ort" sollten von dieser Zusammenarbeit ausgehen, schrieb der deutsche Pfarrer. Die Gemeinde in Tansania sollte wissen, "dass in Deutschland eine Gemeinde mit ihrem Gebet, ihrem Denken und ihrem Handeln dahintersteht". Und schließlich: Es sollte Bewusstsein "über die Schwierigkeiten im Aufbau der 3. Welt" geschaffen werden. Man könnte in dieser letzten Formulierung eine Anspielung sehen auf die Idee des nation building eines Julius Nyerere, mehr aber auch nicht. Eine offene Unterstützung für einen "afrikanischen Sozialismus" war es jedenfalls nicht.
Aber Tansania ist 1971 weit weg. Die Gemeinde sieht das Projekt ihres Pastors mit skeptischer Verwunderung, mit Stirnrunzeln, sogar mit Kopfschütteln. Dennoch beschließt der Kirchenvorstand, die Partnerschaft zu der Gemeinde in Tansania aufzunehmen, auch wenn man sich "noch nichts Rechtes darunter vorstellen konnte", wie der Pastor einräumte. Tansania war eben "seine große Liebe", so berichtet eine Frau aus der Gemeinde. Die Gemeindeglieder könnten ihm nur bedingt folgen in der Begeisterung, "aus Unkenntnis und weil Tansania nicht unsere große Liebe ist. Aber das kann ja noch kommen!"
Und tatsächlich, die Gemeinde - oder zumindest viele in der Gemeinde - entdecken schon bald ihre große Liebe zu Tansania. Das hängt, wie in fast allen kirchlichen Nord-Süd-Partnerschaften, mit zwei Dingen zusammen. Erstens mit Spendenaktionen und Hilfsprojekten. Die Gemeinde fängt an, Geld zu sammeln - zunächst für die Fertigstellung eines Pfarrhauses, später für einen Krankenwagen, für Nähmaschinen, für Ölmühlen. Dadurch wird die Partnerschaft in der Gemeinde erst bekannt. Das Zweite waren die Besuche von Gemeindemitgliedern in Tansania und später die Gegenbesuche von Christen aus Tansania bei ihren deutschen Partnern.
Bis heute kennzeichnet das zugleich die Stärken und die Schwächen der kirchlichen Nord-Süd-Partnerschaften, nicht nur der deutsch-tansanischen. Sie zeichnen sich gegenüber fast allen vergleichbaren Formen von Nord-Süd-Kontakten dadurch aus, dass sie in ihrem Kern auf persönliche Intensität, auf Dauer und Verbindlichkeit angelegt sind. Entscheidend sind die direkten Begegnungen während der meist jährlichen Besuche und Gegenbesuche. Sie geben dem Engagement ein Gesicht. Wer in kirchlichen Partnerschaften mitarbeitet, setzt sich ein für Menschen, die man persönlich erlebt hat, mit denen oft Freundschaft geschlossen wurde. Daraus ziehen Partnerschafts-Engagierte einen Großteil ihrer Motivation.
Sind die Kontakte erst einmal geknüpft, dann halten sie meist über Jahre oder Jahrzehnte - trotz aller Kontakt- und Kommunikationshindernisse wie Sprache und Entfernung. Auch in Zeiten des Ärgers, der Enttäuschung und der "Kontakt-Dürre" bleiben die Partner beieinander. Sie stehen verbindlich zueinander und wissen dies auch jeweils vom anderen. Hier herrscht kein kurzatmiges Wechseln der Themen, sondern andauernde, verbindliche Weggemeinschaft. Insofern mag man es als Vorteil ansehen, dass am Anfang als Motiv nicht die Identifikation mit oder Unterstützung für ein bestimmtes politisches Programm im Vordergrund stand.
Partnerschaften konzentrieren sich auf die jeweilige Partnergemeinde oder den Partner-Kirchenkreis und eröffnen so einen umgrenzten Raum für direkte und konkrete Solidarität. "Global denken, lokal handeln" - diese alte entwicklungspolitische Forderung findet in Partnerschaften eine fast ideale Handlungsfläche. Partnerschaften können so auch der Frustration und Resignation entgegenwirken, wenn die globalen Probleme viel zu groß und die erreichten Veränderungen viel zu klein sind.
Und schließlich können Partnerschaften Lernorte sein für Einzelne und für Gemeinden. Hier können Frauen und Männer aus Gemeinden in Deutschland und Tansania erfahren, was weltweite Kirchengemeinschaft über Grenzen und Kontinente hinweg bedeutet. Sie erleben die Spannung des Nord-Süd-Konfliktes in oft bedrängender Deutlichkeit, sie machen ihre eigenen Erfahrungen mit kulturellen Differenzen. Sie haben Raum und Zeit, sich diesen Erfahrungen zu stellen, Fremdheiten wahrzunehmen, Konflikte zu lösen, Veränderungen einzuleiten.
Allerdings sind damit nur die Ansprüche von Partnerschaften beschrieben. Die Wirklichkeit sieht leider allzu oft ganz anders aus. Auch dafür ist Tansania ein gutes Beispiel.
Vor allem bleibt es in vielen Partnerschaften bei einem verhängnisvollen strukturellen Gefälle zwischen den Partnern. Kirchliche Partnerschaften waren einst angetreten, den Einbahn-Beziehungen der traditionellen Mission eine neue Form der Beziehung entgegenzusetzen, die auf Gegenseitigkeit beruht. Aber die alten Rollenmuster sind stärker als befürchtet. Was wir heute vielfach finden, sind Einbahn-Partnerschaften: Die eigentlichen Träger der "Partnerschaftsarbeit" - ein im Übrigen typisch deutscher Begriff - sind die deutschen Partner.
Obwohl die Wahrnehmung der weltweiten Kirche und damit der geistliche Austausch und die ökumenisch-missionarische Erneuerung von Gemeinden im Zentrum der Partnerschafts-Theorie stehen, nehmen zahllose Spendenkampagnen und Projektförderungen den weitaus größten Raum in der Praxis der Partnerschaften ein. Die Finanzmittel einer Partnerschaft werden überwiegend in Deutschland aufgebracht. Das eigentliche Arbeitsfeld (die Projekte) liegt dagegen im Süden. Die dominierende Rolle der deutschen Partner sorgt dafür, dass Finanzen, Initiativen, Ideen vom Norden in den Süden fließen. Aber kaum etwas kommt zurück. Partnerschaftsgruppen in Deutschland fühlen sich für den Blick auf die eigene kirchliche oder gesellschaftliche Situation meist nicht zuständig. Die Beschäftigung mit den ökumenisch-missionarischen Aufgaben vor der eigenen Haus- und Kirchentür ist ihre Sache nicht. Und die deutschen Partnerschaftsgruppen erwarten in dieser Hinsicht nichts von ihren Partnern. Der alte Satz, dass die Gemeinden in Deutschland sich von der Spiritualität ihrer Partner anstecken und verändern lassen, erweist sich zunehmend als leere Floskel. Ein afrikanisches Lied im Gottesdienst ist noch keine ökumenische Lernerfahrung.
Gerade das Beispiel Tansania zeigt die Ambivalenzen gut gemeinter Partnerschaft. Es gibt wohl kaum ein Land, zu dem es so viele partnerschaftliche Kontakte aus Deutschland gibt wie Tansania. In fast allen evangelischen Landeskirchen finden sich direkte Kontakte zwischen Gemeinden, Kirchenkreisen oder kirchlichen Organisationen. Und viele sind geprägt von einem lebendigen und persönlichen Hin und Her. So mancher ökumenische Mitarbeiter hat schon im Rahmen einer Partnerschaft eine Zeit lang im Partnerland gearbeitet.
Aber die vielen Partnerschaftsbeziehungen verdanken sich einer jeweils höchst unterschiedlichen Interessenlage. Da sind die Missionswerke, deren frühere Missionsarbeit zum Entstehen beispielsweise der Lutherischen Kirchen in Tansania geführt hat. Für sie bedeuten die Partnerschaftsmitarbeiter in Gemeinden und Kirchenkreisen eine wichtige Gruppe von Unterstützern und Spendern. Doch viele Partnerschaftsgruppen sehen sich - früher vielleicht noch mehr als heute - eher in kritischer Distanz zu den Missionswerken. Sie wollen eine allzu große Nähe zum alten Missionsgedanken vermeiden oder fühlen sich in ihrer Projektarbeit gegängelt von Vorgaben und Richtlinien kirchlicher Werke oder Organisationen.
Für die kirchlichen Partner in Tansania, die Bischöfe zumal, sind Partnerschaften einerseits eine wichtige Geldquelle und andererseits ein Hort ständiger Unruhe. So manche Diözese in Tansania ist stark geworden, weil sie auch mit Hilfe der Partnerschaften zum Beispiel Ausbildungseinrichtungen in ihrem Bereich ansiedeln konnte. Andere stehen trotz der Finanzhilfe aus dem Ausland am finanziellen Abgrund, weil der kirchliche Verwaltungsapparat inzwischen viel zu groß geworden ist. Zugleich kommt Unruhe auf, wenn etwa deutsche Partner das Muster tansanischer Kirchenhierarchien kritisieren oder die Frage der Ordination von Frauen ansprechen.
Und natürlich gibt es immer wieder Konflikte um das liebe Geld. Denn die Partnerschafts-Landschaft in Tansania ist komplett unübersichtlich. Neben den halbwegs offiziellen und über Missionswerke koordinierten Partnerschaften gibt es ja noch eine Fülle anderer Beziehungen. Da bestehen Schulpartnerschaften, da halten zurückgekehrte Entwicklungshelfer Kontakt zu ihrer früheren Wirkungsstätte, da weiten sich einstige Kinderpatenschaften aus.
Die deutschen Missionswerke haben mit einem sogenannten Partnerschaftsatlas vor einigen Jahren versucht, ein paar Schneisen in das Dickicht zu schlagen. Und weil auch nordamerikanische und skandinavische Kirchen und Organisationen in dem ostafrikanischen Land engagiert sind, haben zumindest die Lutheraner versucht, die Spenden- und Projektförderpraxis international und im Blick auf alle lutherischen Diözesen in Tansania zu harmonisieren und koordinieren. Mit vermutlich mäßigem Erfolg. Noch immer sind die meisten tansanischen Kirchen von finanzieller Selbstständigkeit weit entfernt. Noch immer beklagen Kirchenvertreter aus Tansania, dass durch Partnerschaften Ungerechtigkeiten in den einzelnen Kirchen entstehen, oft zwischen benachbarten Gemeinden, und dass Abhängigkeiten verfestigt werden.
Wenn kirchliche Partnerschaften gelingen, dann führen sie wie in den Gemeinden am Stadtrand von Hannover und im Süden von Moshi dazu, dass einzelne Gemeindemitglieder sich intensiv mit dem Partnerland und der Partnerkirche beschäftigen, dass sie in der unmittelbaren interkulturellen Begegnung wichtige und sie persönlich verändernde Lernerfahrungen machen. Gelegentlich werden auch Teile des Gemeindelebens von der Partnerschaft geprägt. Da gewinnt eine Gemeinde einen weiten Horizont, entdeckt, dass Christen in anderen Kontinenten ihren Glauben anders leben, und beginnt, nach dem eigenen Glauben zu fragen. Da wird eine Gemeinde sensibel für den Dialog der Religionen oder die Fragen weltweiter Gerechtigkeit, beschäftigt sich mit Verschuldung und fairem Handel und entdeckt vielleicht sogar, dass Partnerschaft nicht erst mit den Christen in Tansania beginnt, sondern mit den eigenen Nachbarn. Wenn es gut läuft. Und es läuft oft in Gemeindepartnerschaften besser als in Partnerschaften von Kirchenkreisen oder Dekanaten.
Aber es ist ein langer Weg bis zu einer Partnerschaft "auf Augenhöhe", die von Gegenseitigkeit lebt. Und da müssen, so scheint es, vor allem die deutschen Partner noch lernen, dass sie sich und ihren Partnern dabei mit ihren gut gemeinten Projektideen und Hilfsangeboten meistens selbst im Weg stehen.
aus: der überblick 02/2002, Seite 51
AUTOR(EN):
Lothar Bauerochse:
Lothar Bauerochse ist Kirchenfunk-Redakteur beim Hessischen Rundfunk und Autor des Buches "Miteinander leben lernen. Zwischenkirchliche Partnerschaften als ökumenische Lerngemeinschaften" (Verlag für Mission und Ökumene, Erlangen 1996).