Die Auswirkungen westlichen Fernsehens auf Entwicklungsländer sind geringer als weithin angenommen
Fernseh-Seifenopern aus den USA wie "Dallas" werden zwar in vielen Ländern Asiens, Lateinamerikas, Osteuropas und Afrikas gerne gesehen, aber westliche Programme dominieren das dortige Fernsehen nicht, und ihre Wirkung ist je nach lokalem Umfeld ganz verschieden. In vielen Ländern übernehmen bald eigene Produktionen die führende Rolle. Die These vom Kulturimperialismus hält empirischer überprüfung nicht stand.
von Bella Thomas
Als in diesem Jahr die berüchtigte Fernsehshow Big Brother in Afrika Einzug hielt, brach ein Sturm der Empörung los. Für diejenigen, die vorher schon in vielen anderen Teilen der Welt die aufgeregten Debatten um das Sendeformat verfolgt hatten, war das Szenario nichts Neues: Quotenrekorde und jubelnde Mengen eifriger Zuschauer, gefolgt von moralischer Entrüstung über die drastische Darstellung des Paarungsverhaltens der Mitspieler. An der Oberfläche schien es nur eine weitere, den bisher erlebten ähnliche Reaktion zu sein, nur in einem neuen Kontinent. Hinter den Schlagzeilen stand jedoch die Angst, dass dieses Phänomen ein Anzeichen mehr für die Gleichschaltung durch die Globalisierung ist.
Big Brother erzielte einen neuen Rekord von afrikaweit 30 Millionen Zuschauern und schuf ein Verlangen nach Fernsehen in bisher ungekannter Dimension, und das in einer Region, die unter extremer Armut leidet. ähnliche Zuschauerzahlen hatte in Afrika vorher nur CNN erreicht. Daraufhin versuchte das Parlament von Malawi, die Ausstrahlung zu verhindern, ebenso wie die Regierung Nigerias. Zwar gab es keinen Versuch, Fernsehgeräte zu beschlagnahmen und in Brand zu setzen, wie es eine Muslimbrüderschaft 1999 in der pakistanischen Stadt Karachi gemacht hatte; nichtsdestotrotz wirkte die bloße Popularität einer Fernsehshow vor allem einer ausländischen bedrohlich für die Mächtigen. Denn in einer sich rapide verändernden Gesellschaft wird das Fernsehen für vieles verantwortlich gemacht. Dazu gesellt sich die Dominanz US-amerikanischer Programme: Sie wird als deutliches Anzeichen für den übergroßen Einfluss indirekter amerikanischer Macht auf die arglose Dritte Welt betrachtet. Die Gewinnerin des afrikanischen Big Brother, Cherise Makabale, die ein Preisgeld von 100.000 US-Dollar erhielt, soll nun "Botschafter des guten Willens für den Tourismus" in ihrem Land werden.
Zusätzliches Gewicht erhielt diese Ansicht nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Die US-Amerikaner rangen darum, zu verstehen, was sich an diesem Septembertag zugetragen hatte, und suchten nach Gründen für den tödlichen Hass, der ihrem Land in der Welt entgegengebracht wurde. So begannen die Amerikaner in den folgenden Wochen, Konferenzen zu diesem Thema abzuhalten. Es war kein Gegenstand müßiger, nebensächlicher Unterhaltungen mehr: das US-amerikanische Image war zu einer Frage von Krieg oder Frieden geworden. Die Analysten traten auf das Spielfeld. Zweifellos ließ sich das Phänomen bis zu einem gewissen Ausmaß mit der amerikanischen Politik im Nahen Osten begründen. Aber die Wechselfälle der Außenpolitik und das Vorhandensein oder das Fehlen von Entwicklungshilfeprogrammen erklärten nicht die weite Verbreitung oder die Intensität des Anti-Amerikanismus unter Menschen, die von diesen politischen Dingen kaum Ahnung hatten. US-Gegner ziehen eher weit hergeholte Schlussfolgerungen vom amerikanischen Lebensstil auf Entscheidungen der Regierung als ob die schießwütige Cowboy-Kultur der USA die Unlogik ihrer Außenpolitik zur Folge hätte. Auch andere Faktoren wie die Waffengesetze, Fastfood, die Todesstrafe, die militanten Abtreibungsgegner, der Gegensatz zwischen Arm und Reich sowie in den Worten von Ariel Dorfman die "kulturelle Armut" werden ohne Unterschied in einen Topf geworfen, um die Feindschaft gegenüber den USA zu begründen.
Solch festgefügten Meinungen von der Schlechtigkeit der USA werden laut diesen Kommentatoren höchst erfolgreich von den Flimmerkisten verbreitet, die überall von US-amerikanischen Programmen beherrscht werden. Das auf der ganzen Welt allgegenwärtige US-Fernsehen vermittele einen Eindruck von US-amerikanischer Kultur, der hauptsächlich aus endemischer Korruption, grotesken Auswüchsen von Gewalt, moralischer Verderbtheit und sexueller Zügellosigkeit bestehe und die Menschen davon überzeuge, dass ihre Abneigung begründet und berechtigt ist.
Der Journalist Thomas Friedman hat es folgendermaßen ausgedrückt: "Dank des Internets und des Satellitenfernsehens sehen und hören wir uns nun schneller und besser, aber ohne uns auch besser zu verstehen oder mehr voneinander zu lernen. Die Integration produziert mehr Wut als alles andere."
Gleichzeitig und hier liegt das Paradox in dieser Grundannahme verborgen existiert eine starke Unterströmung in der Diskussion, die das Gegenteil behauptet: Die Allgegenwart US-amerikanischer Medien sei ebenfalls verantwortlich für die immer schnellere kulturelle Gleichschaltung des Globus. Diese Homogenisierung ist ja eines der meistbeschworenen Schreckgespenster der Antiglobalisierungsbewegung. Der Medientheoretiker Cees Hamelink beispielsweise glaubt, dass "die beeindruckende Vielfalt der kulturellen Systeme der Erde durch einen noch nie dagewesenen Prozess der kulturellen Synchronisierung nach und nach verschwindet". Das Argument gründet sich auf die hartnäckige Theorie des Kulturimperialismus, die in den siebziger Jahren an Popularität gewann und für die die Globalisierung lediglich eine Neunziger-Jahre-Variante eines alten Phänomens darstellt.
Wie es aussieht, wird also das US-amerikanische Fernsehen für kulturelle Gleichschaltung und Ablehnung derselben zugleich verantwortlich gemacht. Der Schriftsteller Salman Rushdie hält das für ein scheinheiliges Paradoxon und macht sich lustig über die "internationalen Kulturkommissare, die Jeans tragen, Fastfood essen, den Kopf voller amerikanischer Musik, Filme, Gedichte und Literatur haben und im gleichen Atemzug den verderblichen Einfluss amerikanischer Kultur beklagen, die zu konsumieren ihnen von niemandem aufgezwungen wird."
Trotzdem ist es durchaus möglich, differenzierte Antworten auf die Überflutung durch US-amerikanische Bilderwelten zu finden Antworten, die sowohl Sympathie als auch Ablehnung umfassen.
Es mag sein, dass die USA heute bedroht sind durch eine Abscheu, die durch ihren weltweit verbreiteten verführerischen Einfluss auf Fernsehkonsumenten hervorgerufen wird. Zumindest setzt sich diese Ansicht in vielen US-amerikanischen Köpfen fest: Sie hassen uns, weil in unseren Seifenopern, die überall auf der Welt die Menschen berieseln, ihnen pausenlos Bilder unseres reichen, faulen, problemlosen Lebens vorgeführt werden. Vor allem in den ärmsten Regionen der Welt, wo Mangel und Analphabetismus herrschen, hätten derartige Bilder besonders massive Auswirkungen.
Aber solche Interpretationen sind weit von der Wahrheit entfernt. Die Vielfalt an Fernsehprogrammen steigt stetig. Es gibt weniger Dominanz US-amerikanischen Fernsehens als allgemein angenommen wird. Weiterhin üben diese Fernsehprogramme oft einen ganz anderen Einfluss aus als erwartet. Wie hoch ist denn überhaupt der Anteil der Bevölkerung in der Dritten Welt, der Zugang zu Fernsehen hat, und was sehen sich diese Menschen an? Wie viele westliche Fernsehprogramme sehen denn die Leute in den ärmsten Weltgegenden und welche Auswirkungen haben solche Programme?
Da es nur wenige verlässliche Daten über Fernsehgewohnheiten der Menschen in Asien und Afrika gibt, ist es schwierig, diese Fragen zu beantworten. Was den Einfluss des Fernsehens angeht, so gibt es wesentlich mehr Untersuchungen über die Programme, die in den betreffenden Ländern gezeigt werden, sowie über Ziele und Strategien der Sender, als darüber, was tatsächlich gesehen wird, und noch weniger über die hochspezielle und schwer zu fassende Frage nach der Wirkung einzelner Programme. Es besteht eine gewisse Spannung zwischen zwei Arten von Statistiken sowie zwischen den Forschungsergebnissen von Statistikern und Anthropologen. Beispielsweise ist es sehr viel einfacher, pauschal davon auszugehen, dass eine Fernsehsendung einen bestimmten Effekt hat, als nach den wirklich überprüfbaren Auswirkungen zu fragen. Es gibt die Tendenz, die kulturellen Effekte der globalen Medien direkt aus deren Inhalten abzuleiten, weil angenommen wird, dass die jeweilige Bevölkerung vor allem die Armen und Analphabeten das, was ihnen gezeigt wird, ohne kritischen Abstand ganz und gar einsaugen. Dieser Argumentation zufolge sind die Armen besonders gefährdet, weil sie nicht in der Lage seien, der kulturellen Botschaft des Gezeigten zu widerstehen, nicht über die angeblich höher entwickelten kritischen Fähigkeiten der Gebildeten und Wohlhabenden verfügten.
Wie wir sehen werden, ist solche Einschätzung unvernünftig und absurd. Eine Sendung wie Dallas, die von französischen Intellektuellen als symbolischer Inbegriff des US-amerikanischen Kulturimperialismus betrachtet wird, wirkt in einer Region wie, sagen wir, dem ländlichen Algerien, durchaus nicht so, als ob skrupellose Kapitalisten massenhaft die Hammams, die türkischen Bäder, stürmen wollten. Die Bewohner abgelegener algerischer Dörfer sind durchaus dazu fähig, das texanische Drama durch einen nostalgischen Blick zu sehen: als Bild einer Familie mit engen Bindungen in einer patriarchalen Welt, die im Untergehen begriffen ist. Dem neuen panafrikanischen Sendeformat Big Brother wird bereits zugeschrieben, es habe zu einem neuen panafrikanischen Bewusstsein geführt, um das sich internationale Konferenzen bisher stets vergebens bemühten. Verschiedene Teile der Welt reagieren auf die gleichen Programme auf überraschend verschiedene und nicht vorherzusehende Weisen, und immer trifft das, was gesehen wird, auf eine einzigartige individuelle Erfahrung.
Im Kairo der achtziger Jahre kursierte ein Witz über die Sa'idis, arme, rückständige Bauern aus Oberägypten. Ein Sa'idi kommt in einen Laden für Haushaltsgeräte und fragt: "Was kostet der Fernseher im Schaufenster?" Der Ladenbesitzer schreit: "Mach, dass du rauskommst, du dummer Sa'idi!" Der Sa'idi kommt verkleidet als Saudi-Araber zurück. Der Besitzer ruft ihm das Gleiche zu, auch als er sich beim dritten Mal als Europäer verkleidet. Verblüfft fragt der Mann: "Woher wusstest du, dass ich das schon wieder bin?" Der Besitzer antwortet: "Das ist kein Fernseher, das ist eine Waschmaschine."
Zu dieser Zeit galt es als Inbegriff der Rückständigkeit, keinen Fernseher zu kennen. Seitdem ist die Zahl der Fernsehgeräte und Programme in ganz Asien und der arabischen Welt jedoch exponentiell gestiegen, und kaum einem ägyptischen Bauern könnte man heute eine Waschmaschine als Fernseher verkaufen. Mitte der Neunziger führte die Anthropologin Lila Abu-Lughod eine Studie über den Fernsehempfang in den Dörfern Oberägyptens durch und fand heraus, dass die meisten Haushalte ein Fernsehgerät besaßen. "Viele davon waren einfache Schwarzweißgeräte mit schlechtem Empfang und standen auf wackligen Regalen in Räumen von Lehmziegelhäusern, deren einzige andere Dekoration das Poster eines Filmstars bildete. Die reichsten Familien des Dorfes hatten große Farbfernseher in Zimmern mit gepolsterten Sofas und religiösen Kalligraphien an den Wänden. Auf der Wunschliste jeder armen Familie stand ganz oben ein Farbfernseher, und müssten sie dafür ein Stück Land verkaufen oder auf eine Anzahlung sparen."
Ein anderer ägyptischer Medienwissenschaftler, Hussein Amin, betont die Bedeutung des Fernsehens als Statussymbol für die meisten armen Familien des Landes, aber auch als Quelle von Bildung nicht nur für die Kinder, sondern für alle Familienmitglieder. Eine Feldstudie im ländlichen Ägypten fand 1989 heraus, dass 87 bis über 95 Prozent der Kinder regelmäßig fernsehen, die meisten davon den Großteil des Tages, oft während anderer Aktivitäten. Der laufende Fernseher ist quasi Teil der Einrichtung.
Obwohl es vor allem in Afrika immer noch viele Millionen Menschen gibt, die noch nie ein Fernsehprogramm gesehen haben, nimmt im Verhältnis zur Nutzung anderer Technik die Nutzung des Fernsehens weltweit zu. Zwar haben viele Millionen Menschen noch nie telefoniert oder keinen Zugang zu Elektrizität, aber viele Chinesen in ländlichen Gebieten haben eher einen Kabelfernsehanschluss als einen Festnetz-Telefonanschluss.
Es ist sehr schwierig, genaue Zahlen über Fernsehzuschauer in den armen Ländern zu bekommen. Wie James Murdoch, Generaldirektor der Star Group und Sohn von Rupert Murdoch, im Jahr 2002 anlässlich einer Konferenz über Kabelfernsehen in Indien entnervt feststellte, sind die offiziellen Zahlen viel zu niedrig. Die Realität sieht so aus, dass eine Einzelperson einen Kabelanschluss beantragt und damit die Fernseher des ganzen Viertels versorgt. Außerdem drängen sich vielerorts Zuschauer aus der ganzen Nachbarschaft vor einem einzigen Fernsehgerät, was eine genaue Zahlenerhebung für Statistiken schwierig macht. Den verfügbaren Daten zufolge ist die Zahl der Fernsehzuschauer in der südlichen Hemisphäre in den letzten zehn Jahren dramatisch gestiegen. Die Anzahl der Fernsehgeräte weltweit hat sich seit 1980 von 550 Millionen auf 1,4 Milliarden im Jahre 1996 verdreifacht, wobei das stärkste Wachstum in Asien stattfand (von 100 Millionen auf 650 Millionen). Was jedoch am meisten beeindruckt, ist die explosive Zunahme der verfügbaren Programmkanäle.
1991 gab es in Indien einen Fernsehkanal; zehn Jahre später waren es weit über hundert. Schon 1998 zählte man auf dem Subkontinent mehr als 70 Kabel- und Satellitenkanäle, darunter große transnationale Medienkonzerne wie STAR, BBC, Discovery, MTV, Sony, CNN, Disney und CNBC, sowie etliche indische Unternehmen. Zusätzlich existierten noch die terrestrischen Sender. Im gleichen Jahr, 1998, gab es der Media-Fachzeitschrift Screen Digest zufolge weltweit mehr als 2600 Fernsehkanäle, die Mehrheit davon waren private.
Mehr Kanäle bedeuten zwar nicht notwendigerweise auch mehr Zuschauer. Im Zuwachs der Kanäle spiegelt sich allerdings die erbitterte Konkurrenz um die gestiegenen Zuschauerzahlen wider. In seinem Buch Electronic Empires schätzt der Autor Daya Thussu, Lehrbeauftragter an der University of North London, dass mittlerweile 2,5 Milliarden Menschen im Süden Zugang zu einem Fernseher haben und damit die Mehrheit der Zuschauer der Welt bilden. Das ist der Grund dafür, dass die Medienimperien ihre Aufmerksamkeit auf die Entwicklungsländer richten. China mit seiner Bevölkerung von 1,3 Milliarden und einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt ist ein begehrter Markt für diese Konzerne. Bereits 1999 besaßen die Chinesen nach Schätzungen 350 Millionen Fernsehgeräte (fast jeder Haushalt verfügte über eines) mehr als in den USA. Im letzten Vierteljahrhundert ist die Zahl der Fernsehzuschauer in China von nur 18 Millionen im Jahr 1975 über 540 Millionen 1985 bis auf 1,02 Milliarden im Jahr 1995 gestiegen. Das chinesische Staatsfernsehen erreicht nach eigenen Angaben 84 Prozent der Bevölkerung, gleichbedeutend mit über 900 Millionen regelmäßigen Zuschauern.
In Indien hat gut die Hälfte der Gesamtbevölkerung TV-Zugang; 78,7 Prozent der Stadt- und 39,8 Prozent der Landbewohner (nach Angaben von Arthur Andersons Studie für STAR TV). Das sind mindestens 79,8 Millionen Fernsehhaushalte (wahrscheinlich aber viel mehr) sowie 37 Millionen Kabelanschlüsse, von denen viele über hundert indische und ausländische Sender übertragen. Kabel- und Satellitenfernsehen hat seit 1992, als es erst 1,2 Millionen Anschlüsse gab, und 1996 (14,2 Millionen Anschlüsse), enorm zugenommen. Besonders das Satellitenfernsehen dringt mittlerweile auch zu den Wohlhabenden und Mittelschichten der ländlichen Gebiete vor allem der südlichen Bundesstaaten Indiens vor. In Tamil Nadu zum Beispiel empfangen schon fast 32 Prozent der ländlichen Fernsehzuschauer ihr Programm über Satellitenkanäle.
In Afrika südlich der Sahara ist das Bild völlig anders. Nur 2,5 Prozent der Fernsehgeräte des Globus finden sich dort. Ein großes Hindernis für die Verbreitung des Fernsehens ist die unregelmäßige oder gar nicht vorhandene Stromversorgung in weiten Teilen des Subkontinents. Viele Länder haben nur sehr rudimentäre Elektrizitätsnetze, die kaum in die ländlichen Regionen reichen. Lediglich 3,5 Prozent der Schwarzafrikaner besitzen einen Fernseher, und nationale Fernsehsender lassen sich nur in den größeren Städten empfangen. Einige Staaten haben noch nicht einmal einen eigenen Sender.
Bleibt die Frage, was gesehen wird. Aus der Flut von Statistiken, welche die Medienkonzerne und Satellitensender veröffentlichen und in denen die Zuschauerzahlen oft künstlich aufgebläht werden, um Werbekunden zu gewinnen gibt es einige interessante Anhaltspunkte. So lässt sich feststellen, dass es eine Zunahme von Unterhaltungssendungen auf Kosten der aktuellen Information gegeben hat. Selbst die Nachrichten werden mehr und mehr zu Infotainment, zu Nachrichten, die als Unterhaltung verpackt werden.
Ferner konnte man beobachten, dass es aufeinander folgende Wellen der Globalisierung gibt, wie Terhi Rantanen, eine Medienwissenschaftlerin an der London School of Economics and Political Science schreibt. Die erste Welle schwappt mit westlichen Programmen über die Fernsehschirme der Länder des Südens. Diese Länder entwickeln jedoch in der zweiten und dritten Welle zunehmend eigene Versionen westlicher Sendeformate oder schneiden ihre Programme auf den lokalen Geschmack zu. Rantanen beruft sich auf ihre Analyse der Fernsehgewohnheiten in Russland und stellt fest, dass "der Neuheitswert, den westliche Fernsehprogramme und -werbung früher besaßen, sich in den neunziger Jahren wieder verloren hat. Die Überflutung, die sich aus der Globalisierung ergab, hat sich in das Gegenteil, nämlich in einen gesteigerten Sinn für das Nationale verkehrt." Immer mehr Russen sehen sich russische Sender an. Das gleiche Phänomen wird deutlich bei al-Jazira sowie STAR oder Zee TV in Indien und Phoenix TV in China. In allen diesen Ländern lässt sich ein Boom des lokalen Fernsehens beobachten. Rupert Murdoch selbst hat es folgendermaßen ausgedrückt: "Wo ich auch hinkomme, sind die lokalen Programme die populärsten."
Sicher sollte man den Einfluss der westlichen Welt auf das Fernsehen nicht unterschätzen. Er nimmt aber komplexere Formen an, als bloß die Sendeformate vorzugeben, und ist nicht allein an der Zahl der in einem bestimmten Land zu empfangenden Satellitenprogramme festzumachen. Die pure Menge der westlichen Programme wirkt nicht so alles durchdringend, wie die Anhänger der Kulturimperialismus-Theorie uns glauben machen wollen: Auch wenn unzählige US-amerikanische so genannte Seifenopern (Soaps) die Nachmittagsstunden füllen, sind sie doch keineswegs die beliebtesten Sendungen. Im Gegenteil, es gibt deutliche Hinweise auf eine Unterströmung im weltweiten Mediengeschäft, auf eine Aufteilung in Regionen, von denen jede ihre eigene internationale Dynamik besitzt. So vermarktet Lateinamerika seine Fernsehprogramme erfolgreich in Osteuropa: Jahrelang waren die Russen von der mexikanischen Soap The Rich Also Cry in den Bann geschlagen. ägyptisches Fernsehen ist in der ganzen arabischen Welt beliebt, während man in Zentralasien begeistert türkische Soaps verschlingt.
Wie im Grunde zu erwarten ist, sind westliche Programme dort am begehrtesten, wo sie von der Zensur verboten werden, zum Beispiel im Iran. Auch hier bewahrheitet sich in tröstlicher Weise das Sprichwort von den verbotenen Früchten in Nachbars Garten.
Für Medienkonzerne, die in den Ländern des Südens investieren wollen, sind Filme, Sport und Kindersendungen die profitabelsten Fernsehformate. Sie sind über die Grenzen von Sprache und Kultur hinweg verständlich, im Gegensatz zu Nachrichten und Informationssendungen, die gehobene Sprachkenntnisse und Wissen oder zumindest Interesse für internationale Politik voraussetzen. Einen narrensicheren Erfolg für Satellitensender bietet vor allem der Markt für Kinderfernsehen in den armen Ländern, der von den nationalen Sendeanstalten sträflich vernachlässigt wurde. Davon profitiert hauptsächlich Disney Donald Duck beherrscht das kindliche Universum. Während 1994 erst knapp ein Viertel der 10,1 Milliarden US-Dollar Gewinn des Disney-Konzerns außerhalb der USA erwirtschaftet wurden, plant das Unternehmen, diesen Anteil bis 2006 auf die Hälfte zu erhöhen.
Der im ganzen Süden populärste Sender ist wahrscheinlich MTV, der Verträge mit lokalen Sendern abschließt, um seinen Programmen lokales Flair zu geben. Das meiste Geld macht jedoch Disneys Sportkanal ESPN, der nach eigenen Angaben fast 120 Millionen Zuschauer in Asien und 14,5 Millionen in Lateinamerika erreicht. Sportfernsehen hat die höchsten aller Zuwachsraten der letzten zehn Jahre. Es wird beherrscht vom Fußball, einem auffällig nicht US-amerikanischen globalen Phänomen, obwohl die amerikanischen Medien über ihn berichten. US-Sportarten, wie Baseball, gewinnen nicht an Zuschauerzahlen und scheinen nur in Kuba besonders populär zu sein wo US-Importe normalerweise nicht erlaubt und die USA generell tabu sind. Kuba ist außerdem das einzige Land in Lateinamerika, in dem kein Fußball gespielt wird vielleicht aus loyaler Konkurrenz zu seinem Erzfeind.
Thussu zufolge war es der erste Golfkrieg, der die Verbreitung des Satellitenfernsehens in Gang setzte. Durch die Kuwait-Krise wurde der Mittlere Osten zu einem Brennpunkt der Aufmerksamkeit für internationale Nachrichtensender, und die Bewohner der Region bekamen Zugang zu umfangreichen internationalen Fernsehprogrammen. Bahrain, das im Wettstreit mit der restlichen arabischen Welt stand (und sich offenbar nicht um die Auswirkungen auf die islamische Kultur scherte), begann rund um die Uhr das CNN-Programm über einen konventionellen terrestrischen Sender mit einem so starken Signal auszustrahlen, dass der Empfang in Saudi-Arabien und anderen Staaten der Region möglich wurde. Das spornte die anderen arabischen Staaten an, eigene Satellitensender einzurichten.
Der erste internationale Fernsehkanal für die arabische Welt war der Egyptian Space Channel (ESC), der 1990 seinen Sendebetrieb über Arabsat aufnahm. Ihm folgte Nile TV, ein weiterer ägyptischer Satellitensender, im Jahr 1993. Von da an begann auch das von Saudi-Arabien geführte MBC (Middle East Broadcasting Centre) in London zu senden, und seitdem hat ein wahrer Wettlauf um eigene Satellitenprogramme unter den arabischer Staaten eingesetzt. Orbit Satellite 1994 in Rom gegründet und im Besitz einer saudischen Gruppe sendet in alle Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas: dazu gehören 16 Fernseh- und vier Hörfunknetze einschließlich CNN, Disneys Unterhaltungs- und Sportkanal sowie der Discovery Channel. Im Jahr 1997 erreichte Orbit Satellite 3,1 Millionen Haushalte in der arabischen Welt und der arabischen Diaspora. Dann kam al-Jazira.
Der chinesische Phoenix Chinese Channel wurde 1994 in Hongkong gegründet und gehört anteilig zu Rupert Murdochs News Corporation. Es ist ein Unterhaltungssender, der hauptsächlich in der Sprache Mandarin ausgestrahlt wird. Dazu gehört auch ein Film-Kanal, der rund um die Uhr chinesische und westliche Filmklassiker sendet. Phoenix gibt an, im Jahr 1999 von fast zwei Milliarden Menschen in mehr als 30 asiatischen Staaten gesehen worden zu sein, unter anderem von 47 Millionen Haushalten im Mutterland China.
In Indien einem weiteren der am härtesten umkämpften Fernsehmärkte, existieren neben dem nationalen Kanal Doordarshan drei Hauptkonkurrenten: Star Plus, Zee TV und das japanische Sony TV sowie über 100 weitere Sender. Zee TV ist der größte und produziert sein Programm zunehmend in indischen Sprachen. Diese Satellitensender liefern eine Mischung aus Sport, Unterhaltung, Soaps und Filmen. Darunter sind westliche Filme und Soaps nur ein Teil eines Programmangebots, das in anderen Sparten dieser Sender viel schneller wächst.
Dass es weniger amerikanisches Fernsehen auf der Welt gibt, als viele sich vorstellen, liegt daran, dass in vielen Fernsehmärkten ein handfester Trend zur "Lokalisierung" zu beobachten ist: Man nimmt ein erfolgreiches westliches Format, jongliert ein bisschen damit und produziert eine eigene Version in Hindi oder Mandarin. Die afrikanische Spielart von Big Brother ist ein offensichtliches Beispiel für diesen Vorgang. Ein anderes ist "Wieg dein Gewicht in Gold auf", die Saudi-Variante der immens erfolgreichen britischen Quiz-Show Who wants to be a Millionaire?, und eine der beliebtesten Sendungen in Saudi-Arabien.
Nicht nur in Asien und Lateinamerika geschieht dies, auch in Russland ist eine ähnliche Tendenz erkennbar. Die russischen Zuschauer sahen nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems mit Begeisterung ausländische Filme, Serien und Werbung an. Aber als die westlichen Programme endlich frei zugänglich waren, verloren sie schnell den Reiz des Neuen. Sie symbolisierten bald nicht mehr Freiheit, sondern Ungleichheit, und die Russen wandten sich wieder den alten sowjetischen Programmen zu. Selbst im Falle Russlands, wo es keine offiziellen Einschränkungen durch Zensur, ja nicht einmal eine klare staatliche Medienpolitik gibt, siegte also das Globale nicht über das Nationale. Die auf Funkmedien spezialisierte Terhi Rantanen drückt das so aus: "Das Globale musste sich anpassen und verändern, um in Russland zu überleben."
Ein Schlüsselbeispiel für diesen Vorgang der Lokalisierung ist wahrscheinlich der Sender al-Jazira, der mittlerweile über Satellit Zuschauer in mehr als 20 arabischen Staaten erreicht. Da der Sender sein Signal kostenfrei in die meisten Länder übermittelt, braucht es zum Empfang lediglich eine Satellitenschüssel, die offenbar in den Kairoer Slums so selbstverständlich ist wie in den Palästen Dubais. Al-Jazira hat 35 Millionen Zuschauer weltweit, ist bei einer arabischen Bevölkerung von insgesamt etwa 250 Millionen, also nicht so dominierend, wie manchmal behauptet wird. Im Kontext unseres Themas betrachtet, besteht das Besondere des Senders darin, dass er sich auf westliche journalistische Werte stützt, die in arabischer Gestalt daherkommen. Angesichts seiner Gründungsgeschichte al-Jazira entstand 1996 aus einem gescheiterten Gemeinschaftsunternehmen zwischen der BBC und dem saudi-arabischen Medienunternehmen Orbit mag das nicht verwundern, vor allem weil viele der Reporter und Redakteure ursprünglich für die BBC gearbeitet haben. Das Programm imitiert denn auch mit seinen Talk-Shows namens The Opposite Direction und der ungewöhnlich aggressiven Interviewführung deutlich den BBC-Stil.
Im Falle Indiens waren die Medientycoons gezwungen, ihre Strategien anzupassen, um dem nationalen Kontext gerecht zu werden. Als STAR TV 1993 von Rupert Murdoch aufgekauft wurde, erreichten seine hauptsächlich aus den USA stammenden Programme nur eine allerdings einflussreiche und wohlhabende städtische Minderheit. Deshalb begann der Sender, die auf dem 24-Stunden-Kanal ausgestrahlten Hollywoodfilme mit Untertiteln in Hindi zu versehen und US-amerikanische Soaps in Hindi zu synchronisieren. Seit Oktober 1996 sendet STAR TV zusätzlich zu den importierten westlichen auch lokal produzierte Programme in Englisch und Hindi. Die Zuschauerzahlen beliefen sich laut eigenen Angaben 1999 auf 19 Millionen Zuschauer.
Der Hang der Sozialwissenschaften zur Erfindung plumper Etiketten besonders solcher, die aus zwei einzelnen Worten eine Bezeichnung für ein angeblich neues "Zwischending" machen, als ob das beschriebene Phänomen vorher nicht existiert hätte bescherte uns die linkische Wortschöpfung "Glokalisierung". So nennen Robertson und andere die kulturelle Fusion, durch die westliche Mediengenres in lokale Sprachen transformiert werden. Ein weiteres klassisches Beispiel dafür ist Zee TV, Indiens erster privater Hindi-Sender und erfolgreichster Satellitenkanal.
Zee TV wurde im Oktober 1992 gegründet und sendete zu Anfang "recycelte" Programme. Durch die Ausstrahlung von Sendungen mit bis dahin im Fernsehen tabuisierten Themen wie Sex, Beziehungen und Astrologie wurde der Sender außerordentlich populär. Schon 1995 war der Eigentümer Goel zum TV-Tycoon geworden. Heute ist der Sender vor allem für Hindi-Filme und Serien, Musikcharts und Quizshows bekannt. Sein innovatives Programm, darunter Nachrichtensendungen in "Hinglish" sind mit wachsenden Zuschauerzahlen immer populärer geworden. Zee TV hat sich darauf eingestellt, dass trotz des großen Einflusses der englischen Sprache in Indien das größte Wachstum bei Medien in lokalen Sprachen zu verzeichnen ist. Der Sender hat sogar US-Fernsehserien wie Friends lokalisiert (unter dem Titel Hello Friends), allerdings mit weniger Erfolg als bei anderen Serien. Das indische Publikum konnte sich offenbar mit den Figuren aus Hyderabad, die als Gegenstück zu den New Yorker Originalen ausgewählt wurden, nicht wirklich identifizieren.
In Afrika südlich der Sahara hat sich die Rache des Lokalen noch nicht in vergleichbarem Maße bemerkbar gemacht, da den dortigen Fernsehsendern meist die Mittel fehlen, um eigene Programme zu produzieren. Sie sind häufig noch technisch und finanziell abhängig von internationalen Organisationen oder westlichen Medienkonzernen. Der südafrikanische Sender Multi-Choice M-Net Television strahlt kontinentweit das so genannte pan-afrikanische Programm aus. Außerdem stellen BBC World TV oder Canal France Int afrikanischen Sendern subventionierte Programme zur Verfügung. Mehr als 70 Prozent der in Afrika gesendeten Programme stammen aus dem Ausland. Kleine Staaten wie Kap Verde oder Djibouti importieren sogar mehr als 90 Prozent ihrer Fernsehprogramme. Vermutlich erfährt man hier zur Zeit die erste Welle der Globalisierung, die sich drastischer zeigt als die nachfolgenden.
Die Situation auf den Fernsehmärkten des Südens ist also von Region zu Region sehr unterschiedlich. Ganz gewiss kann man aber nicht von einer alles beherrschenden Flut westlicher Programme sprechen. Und die Situation ist überall im Fluss und verändert sich entsprechend den Kategorien, die Rantanen vorgeschlagen hat: wie neu die westlichen Medien noch sind, wie reich der betreffende Staat und wie fortgeschritten die Globalisierung ist.
Diese Vielzahl von Einflüssen auf die Fernsehproduktion lässt sich aus der Nähe beobachten, wenn man ein Projekt des Know-How Fund studiert, das Mitte der neunziger Jahre von der britischen Regierung in Kasachstan durchgeführt wurde. Ziel des Projektes war es, den Kasachen beizubringen, wie man eine Soap Opera produziert; festgehalten wurde es in einem Dokumentarfilm unter Mitarbeit einer Londoner Anthropologin. Es basierte auf einer staatlichen Initiative, die davon ausging, dass Soaps einen wirksamen erzieherischen Beitrag leisten können. Auch ohne die allgegenwärtige Präsenz der Zwänge des Marktes zeigten sich in dieser Produktion, wie ein westliches Vorbild nach kasachischem Geschmack umgemodelt wurde und als Ergebnis das bereits beschriebene "Hybridgenre" herauskam.
Die kasachische Soap trug den Titel Crossroads und wurde zum Teil von Portobello Media in Anlehnung an deren britische Serie Eastenders produziert. Crossroads war darauf ausgerichtet, der kasachischen Bevölkerung marktwirtschaftliches Denken nahe zu bringen, indem Themen wie Privatisierung, Reform des Marktes und ethnische Pluralität wie selbstverständlich in die Handlungsstränge eingebaut wurden. Dabei führten die britischen Ausbilder Konzepte wie Cliffhanger, Storyline und Open-End ein. Schon bald entstanden zwischen den beiden Teams enorme Spannungen, wie die Anthropologin, Ruth Mandel, letztes Jahr in einem faszinierenden Artikel in Media Worlds berichtete. Einmal inszenierten die Kasachen sogar eine kleine Revolte: unvertraut mit der "offenen" Natur des Genres, wollten sie unbedingt das "Ende" der strukturell auf Endlosigkeit angelegten Handlung wissen.
Die Animositäten, die dem Projekt zu schaffen machten, waren lediglich das Spiegelbild der Gräben in der kasachischen Gesellschaft. Als die Engländer Heiraten zwischen Russen und Kasachen in die Handlung einbauten, missfiel das einigen der kasachischen Autoren. Andere Kasachen waren darüber verärgert, dass die "Bösen" immer nur Kasachen, aber nie Russen waren. Nachdem die britischen Ausbilder abgereist waren, endeten alle interethnischen Ehen in Scheidung. Mit dem Abschluss der britischen Finanzierung veränderte sich Crossroads stark in Richtung des Melodramatischen, Unwahrscheinlichen, also zum erkennbar Kasachischen hin.
Das Beispiel zeigt zugegebenermaßen in Zeitlupe und in einem kontrollierten, regierungsfinanzierten Experiment wie der Widerstand gegen westliche Einflüsse zur Entdeckung einer eigenen lokalen Stimme und zur Ablehnung westlicher Formate führen kann. Aber um zu entdecken, wogegen man eigentlich ist, muss man erst der Überflutung ausgesetzt werden oder den Erziehungsmaßnahmen der Soap-Profis.
Der Einfluss westlicher Stile und Anschauungen bleibt also gegenwärtig, selbst wenn er bekämpft wird. Westliche Programme werden weiterhin von einem gewissen Anteil der Bevölkerung der nicht-westlichen Welt konsumiert. Es ist allerdings ein relativ kleiner Anteil. John Tomlinson von der Nottingham Trent University legt dar, dass Studien über das Prime-Time-Programm überall auf der Welt zeigen, dass fast immer die lokal produzierten Programme die höchsten Einschaltquoten währen der Spitzenzeiten aufweisen und US-amerikanische Importe in den weniger beliebten Sendezeiten laufen. Man mag das Argument des Programm-Dumping anbringen, wobei es sich wahrscheinlich eher darum handelt, aus wirtschaftlichen Gründen ein Programm rund um die Uhr füllen zu müssen. Auf jeden Fall kann man von den ökonomischen Aspekten des Medienimperialismus nicht zwangsläufig auf eine kulturelle Beeinflussung schließen, ohne weitere Fragen zu stellen. Trotzdem ist das Volumen der US-Kulturexporte und ihre Kapazität, für eine internationale Zuschauerschaft zu produzieren, so groß, dass US-amerikanische Sender im weltweiten Fernsehgeschäft immer noch ganz vorne stehen.
Der westliche Einfluss auf das Fernsehen besteht aus vier Faktoren: direktes Senden über Satellit, Lieferung von Kapital und Sendetechnologie, Ausstrahlung von westlichen Programmen über das nationale terrestrische Fernsehen oder regionale Satelliten, und schließlich, als vielleicht wichtigster Faktor, das direkte Eigentum an terrestrischen Stationen.
Die Hard- und Software der globalen Kommunikationsindustrie befinden sich im Besitz einiger weniger transnationaler Konzerne, von denen die meisten ihren Sitz in den USA haben.
Ich habe bereits erwähnt, dass manche westliche Programme an ganz unerwarteten Orten des Globus besondere Wirkung entfalten. Dazu gehört zum Beispiel Baywatch, das in einigen Teilen Indiens zur Obsession wurde, so dass es zu Tumulten führte, als der Star der Serie, Pamela Anderson, im Rahmen einer Tierschutzkampagne gegen die indische Lederindustrie protestierte. Andere Beispiele sind Dallas, Miami Vice und Columbo (das vor allem in Russland populär ist). MTV hat seinen größten Erfolg in Asien, wo angeblich mehr als 107 Millionen Haushalte in 20 Ländern regelmäßig seine Programme sehen. Das asiatische MTV-Netz wird vom regionalen MTV-Hauptquartier in Singapur aus geführt und ist zu Teilen im Besitz des Musikriesen PolyGram.
Einer der herausragendsten Kritiker der Theorie des Kulturimperialismus ist Stuart Cunningham. Er hat aufgezeigt, dass die Vorstellung des Westens als Zentrum, das die arme Peripherie mit seinem Ausstoß kultureller Produkte dominiert, nicht haltbar ist. Heute ist klar, dass die Welt aus einer Anzahl Regionen besteht, von denen jede ihre eigene innere Dynamik und spezifische Bindungen nach außen besitzt. Diese Regionen werden primär durch ihre geographische Lage definiert, sind aber außerdem von gemeinsamen kulturellen, linguistischen und historischen Verbindungen bestimmt, die die geographischen Grenzen überschreiten können.
In Lateinamerika beispielsweise waren US-Kulturimporte nur in den ersten Stadien vorherrschend. Mit zunehmendem Wachstum der eigenen Kulturindustrien erreichten diese ihre kritische Masse und ersetzten die Importe mit eigenen Produkten. Hier hat sich ein Muster herausgebildet, dass man auch in Asien und dem Nahen Osten finden kann: Jede "geolinguistische Region" wird dominiert von einem oder zwei Zentren der audiovisuellen Produktion Mexiko und Brasilien für Lateinamerika, Hongkong für Taiwan und China, Ägypten und Libanon für die arabische Welt. Da überrascht es nicht zu erfahren, dass eine von Zee TVs Hauptstrategien darin besteht, Zuschauer im reichen Norden zu gewinnen, zum Beispiel in Großbritannien mit seiner großen asiatischen Bevölkerungsgruppe. Mit den Worten von Cunningham: "Die 'westliche Optik', durch die die These vom Kulturimperialismus entstand, bemerkte diese nicht-westlichen Austauschsysteme offenbar nicht."
Der Prozess der Hinwendung zum Lokalen kann sich jedoch wieder ins Gegenteil verkehren, wenn die Zensur auf den Plan tritt. Wenn sie verboten werden, gewinnen westliche Programme stark an Attraktivität. Unter dem Schah war das nationale iranische Fernsehen und Radio eine der größten Sendeanstalten der Region und zeigte viele US-Filme und -Serien. Nach der Revolution wurden die Medieninhalte von allen westlichen Elementen gesäubert. Das hat nach dem Medienwissenschaftler Ali Mohammadi dazu geführt, dass sich die Iraner vermehrt für ausländische Satellitenkanäle, Nachrichten, Informationen und besonders für Unterhaltung interessieren. Die islamische Ratsversammlung verkündete 1994, dass das Anschauen des internationalen Fernsehens eine "Sünde" sei und verbot die Herstellung oder Benutzung von Satellitenantennen.
Trotz des Verbots und der hohen Geldstrafen besitzen viele iranische Haushalte Satellitenschüsseln. Der iranische öffentliche Rundfunk hat die Anzahl der Fernsehsender von zwei (nationalen) auf fünf (regionale) erhöht, um mit dem internationalen Fernsehen mithalten zu können. Ungeachtet dieser tapferen Bemühungen hat der Sender der Islamischen Republik Iran nach Screen Digest an die 67 Prozent an Fernsehzuschauern verloren. Ein Einwohner von Teheran erzählte, dass in den neunziger Jahren der Absatz einer speziellen Box, in der man die Satellitenschüssel verstecken kann, rapide zunahm, und dass die Besitzer ihre Wohnungen an Zuschauer vermieteten, die gerne Baywatch sehen wollten. Mit dem Entgelt fürs Zuschauen konnten dann die Geldstrafen bezahlt werden, falls man entdeckt werden würde.
Es gibt keine verlässliche Methode, den tatsächlichen Einfluss des Fernsehens zu messen. Was aber viele nicht davon abhält, Annahmen als Wissen zu verbreiten. Es ist zu einfach, die Wirkung des Fernsehens nur anzunehmen. Manch einer zieht wissend die Augenbraue hoch, wenn auf al-Jazira ein aggressives Interview läuft, und hält das für ein Zeichen dafür, dass die arabische Kultur rebellischer werde. Andere bestehen auf der Meinung, die Gewalt auf den Straßen Londons sei einzig und allein vom Fernsehen verursacht. Niemand kann diese Annahmen jedoch glaubwürdig beweisen, oder wirklich sagen, was zuerst da war, Henne oder Ei. Bisher ist noch kaum versucht worden, quantitative Studien über den Einfluss des westlichen Fernsehens in Entwicklungsländern durchzuführen. Die meisten Aussagen über dieses Thema gründen sich auf Instinkt und einzelne Beobachtungen.
Dem Fernsehen ist schon alles mögliche Böse und Gute zugeschrieben worden. Vor allem in den Anfangszeiten des Mediums wurde sein Bildungspotential weithin gepriesen. Und wirklich: Vor allem in Ländern mit einer geringen Alphabetisierungsquote kann Fernsehen eine Vielfalt von lebendigen Bildern anderer Erfahrungen zu Menschen bringen, die sonst auf das Lokale beschränkt blieben. Frauen, Kindern und Landbewohnern ermöglicht es den gleichen Zugang zu Geschichten aus anderen Welten, den sonst nur männliche Städter haben. Einer der führenden Fernsehdirektoren Ägyptens, Muhammad Fadil, argumentierte, dass das Fernsehen in einem Entwicklungsland mit verbreitetem, auch kulturellem Analphabetismus einen Bildungsauftrag habe. Er kam zu dem Schluss, dass die beliebteste Form, nämlich das Drama, zu dem Zweck genutzt werden sollte, die Menschen auf unauffällige Weise zu belehren. In einigen Gesellschaften konnte man messbare Bewusstseinsveränderungen feststellen, die dem Fernsehen zugeschrieben wurden. So nimmt man etwa an, dass die peruanische Seifenoper Simplemente Maria (Einfach Maria) in den Armenvierteln von Lima Schulbesuch und Alphabetisierung populär gemacht hat, als sie erzählte, wie das Dienstmädchen Maria sich in ihren Alphabetisierungslehrer verliebt.
Einige Medienwissenschaftler wie George Gerbner und Larry Gross haben sich durch solche Beobachtungen zu ihrer "Kultivierungstheorie" inspirieren lassen, die behauptet, dass unsere Wahrnehmung durch wiederholtes Ansehen von Medien geformt und dauerhaft verändert wird. In dieser Theorie, wie in anderen, gilt es allerdings als gegeben, dass das Fernsehen die Macht zu beeinflussen besitzt und die Empfänger dem schutzlos ausgesetzt sind.
Die "Medienimperialisten" entwickelten diese Theorie noch einen Schritt weiter. Wie die Kulturimperialisten nahmen sie an, dass Kultur wie Ökonomie funktioniert oder zumindest den ökonomischen Gegebenheiten blind folgt. Herbert Schiller und Ariel Dorfman, die wichtigsten Vertreter dieser Denkrichtung, glaubten an eine einzige, eindimensionale Erklärung: Eine Ursache das heißt, die fortwährende Ausbeutung der Dritten Welt durch den Westen erkläre alles, oder fast alles. Damit hatte die Dependenztheorie, die Unterentwicklung als Folge der Herrschaft des "Zentrums" (des Westens) über die "Peripherie" (die Dritte Welt) ansah und in den sechziger und siebziger Jahren großen Zuspruch fand, ihre kulturtheoretische Variante gefunden. Letztere hielt sich noch lange nachdem die Dependenztheorie (formuliert von Andre Gunter Frank) wegen ihrer zu statischen und rein deskriptiven Sicht der Armut in der Dritten Welt an Einfluss verloren hatte.
Ariel Dorfman und Armand Mattelart halten es für wichtig, einzelne Medientexte zu analysieren, um diese Hypothese zu überprüfen. Ihr 1971 in Chile geschriebener Klassiker How to Read Donald Duck (Wie man Donald Duck lesen muss) hatte zur Absicht, die imperialistische Natur der Werte zu entlarven, die sich hinter der unschuldigen, gesunden Fassade der Welt von Walt Disney verbergen. Die Disney-Comics seien Vehikel für US-amerikanische kapitalistische Werte, schrieben sie. Onkel Dagobert steht in dieser Lesart für die organisierte Macht der Kapitalistenklasse, die sich als bemitleidenswerte und sentimentale Einsamkeit eines skurrilen unglücklichen Millionärs tarnt. Es werde das Bild vermittelt, Reichtum befinde sich sozusagen naturgegeben in der Hand von Einzelnen, wobei die Macht dieses Reichtums beschönigt wird, indem dieser einzelne Millionär als harmloser Exzentriker dargestellt wird.
Hier hatte Dorfman allerdings seine Rolle als marxistischer Literaturkritiker mit der des Anthropologen verwechselt. Seiner Interpretation wurde von vielen anderen Wissenschaftlern widersprochen, und auch Kinder, die mit Donald Duck groß geworden sind, werden wohl nicht mit ihm übereinstimmen. Andere Kritiker sahen Dagobert als eine "bissige Parodie des Unternehmers in der frühkapitalistischen Zeit". Wenn schon die Kritiker sich nicht über die wahre Bedeutung des Cartoons einig werden konnten, wie sollte man ihm dann einen überall auf der Welt wirkenden korrumpierenden Einfluss zugestehen?
Einige der interessantesten Mikrostudien, die die Prämissen der Kulturimperialismus-Theorie widerlegen, untersuchten in den achtziger Jahren den Einfluss von Dallas. Eine Studie wurde in Israel von Elihu Katz und Tamar Liebes unter Einwanderern unter anderem aus Marokko und Russland durchgeführt; eine andere von der Forscherin Ien Ang in Dänemark. Ang schrieb, dass die Serie ihr Spaß machte, obwohl sie sich durchaus über ihren ideologischen Inhalt im Klaren war. Sie zitiert eine ihre Interviewpartnerinnen: "Dallas? ... Um Gottes Willen, sprich mich nicht darauf an. Ich bin süchtig danach! Aber du würdest nicht glauben, wie viele Leute zu mir sagen: 'Ich dachte, du wärest gegen den Kapitalismus?' Das bin ich ja auch, aber Dallas ist so dermaßen übertrieben, dass es nichts mehr mit Kapitalisten zu tun hat, es ist einfach nur sehr gut gemachter Unsinn."
In einer Studie mit 42 Dallas-Fans fand Ang heraus, dass es nicht den "einen" entscheidenden Grund gab, warum die Dänen Dallas mochten. Jeder hatte seine eigene Motivation, die Serie anzuschauen, darunter Bewunderung für Pamela, die übertriebenen Kleider, der Einblick in eine amerikanische Stadt oder generell die USA, die Ekelhaftigkeit JRs, die enge Familienbindung, der 'Realismus' der Serie, die 'Irrealität' der Serie. Sie kam zu der Schlussfolgerung, dass eine solche Fernsehserie uns anspricht (oder auch nicht) aufgrund unserer einzigartigen Lebensgeschichte und der sozialen Situation, in der wir uns befinden.
Katz und Liebes führten die bisher ambitionierteste Studie durch, die das Kulturimperialismus-Argument anhand der Zuschauerreaktionen empirisch überprüfen sollte. Sie organisierten 50 Schwerpunktgruppen in Israel, die sich aus Menschen mit verschiedenen ethnischen Hintergründen zusammensetzten. Schon auf der grundsätzlichsten Diskussionsebene, wo es um das Verständnis der Handlung jeder Episode ging, beobachteten sie große Unterschiede. Eine der arabischen Gruppen missverstand die Handlung der Serie in einer Weise, die sie besser kompatibel mit ihren eigenen moralischen Anschauungen machte. Als Sue Ellen mit ihrem Baby zu ihrem ehemaligen Liebhaber und dessen Vater zog, machte die arabische Gruppe daraus, dass sie zu ihrem eigenen Vater zurückgegangen war. Katz und Liebes betonen, dass dieses kleine Detail beweist, dass 'Texte' kulturelle Grenzen nicht unverändert passieren.
Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass das Anschauen von Dallas die eigenen kulturellen Werte der Zuschauer zu verstärken schien. Viele Zuschauer fanden es offenbar tröstlich, dass ihr Leben von den Sorgen der Southfork-Bewohner weit entfernt war. Ein marokkanischer Jude namens Machluf wurde mit den Worten zitiert: "Wissen Sie, ich bin ein Jude, der eine Kippa trägt, und ich habe von dieser Serie gelernt zu sagen 'Glücklich sind wir und gnädig unser Schicksal, dass wir Juden sind.' Die ganze Geschichte mit JR und seinem Baby, das vielleicht vier oder fünf Väter hat, wer weiß? Die Mutter ist Sue Ellen, und der Bruder von Pam hat sie verlassen. Vielleicht ist er der Vater... Ich finde, sie sind alle Bastarde."
Das Erkennen des Andersseins ist genau das, was in Menschen vorgeht, wenn sie das Fernsehen einschalten. Oft ist dieses Andere allerdings reizvoller als es der marokkanische Jude Machluf empfand. Der britische Journalist John Lloyd erinnert sich an die Russen, die sich in den Jahren vor Glasnost sowjetische Propaganda über die schreckliche Armut im Westen ansahen. Sie schauten nicht auf die Bettler im Vordergrund, sondern auf die luxuriösen Güter im Schaufenster: Rolex-Uhren und teure Kleider. Die Armut der Bettler war ihnen vertraut; es war der Luxus, der sie in den Bann zog. Die sowjetischen Propagandisten waren über ihren eigenen Dünkel gestolpert.
Es gibt keine Zwangsläufigkeiten in dem, was die Menschen sehen. Oft sehen sie gerade das, was sie nicht sehen sollen. Die US-Seifenoper The Bold and the Beautiful, die in der Modewelt von Los Angeles spielt und deren Schauspielerinnen alle blond und deren Schauspieler alle gut aussehend sind, war immens populär in Ägypten. Es kursierte sogar der Scherz, dass deren abendliche Sendezeit der günstigste Zeitpunkt für Preiserhöhungen sei, gegen die niemand protestieren würde. Angeblich war die Sendung für die Dörfer in Ägypten genauso bedeutsam wie die politischere ägyptische Serie Himmaya Nights, die in der Kairoer Mittelklasse spielte. Die amerikanische Soap war so beliebt, gerade weil sie scheinbar an keinem realen Ort verankert war. Die Charaktere schienen schwerelos zu schweben und ihr einziger realer Kontext die Serie selbst zu sein. Vielen Ägyptern schien das 'menschlich' zu sein. Angeblich verteidigte sogar die Zensurbehörde die Soap, weil sie "allgemeine menschliche Werte transportiert und Probleme behandelt, die nicht ortsgebunden sind; sie sind vielen Problemen der orientalischen Gesellschaft sehr nah."
Auch die Kasachen waren nie völlig von dem britischen Crossroads-Projekt über ihr eigenes Volk zu überzeugen. Stattdessen bevorzugten sie den melodramatischen Glamour von Santa Barbara und Tropicanea zwei der populärsten aus den USA importierten Soaps.
Dann gibt es noch diejenigen, die immun gegen die Fernseheindrücke sind und nur sehen, was ihrer eigenen Erfahrung entspricht. Bei der Untersuchung der Wirkung des ägyptischen Politdramas Himmaya Nights bemerkte Lila Abu-Lughod, dass Dorfbewohner aus Oberägypten alle Aspekte der Sendung ignorierten, die nicht Teil ihrer eigenen Erfahrungen waren. "Es ist schwierig auszudrücken, was da vor sich geht. Ich glaube, dass das Fernsehen eine eigene Welt geschaffen hatte, die für die Dorfbewohner nur ein wenn auch aufregender Teil ihres täglichen Lebens war. Was sie durch das Fernsehen erfuhren, addierte sich zu den Gegebenheiten ihres Lebens, verdrängte diese aber nicht. Für sie war die Fernsehwelt keine Flucht in die Fantasie, sondern eine eigene Sphäre mit unterschiedlichem Zeitablauf und anderen Gewohnheiten. Sie wurde zu einem speziellen Wissensgebiet, über das sich die Leute austauschten. Als dagegen eine politisch bewusste progressive Autorin 1993 die Serie Harvest of Love schrieb, die in Oberägypten angesiedelt war und das Dorfleben realistisch wiedergeben sollte, lehnten die Bewohner die dargestellten Probleme als nicht ihre ab."
Für Migrantengruppen kann vor allem das Satellitenfernsehen einen isolierenden Effekt haben und ihre Integration im Gastland verlangsamen. René-Jean Ravault hat bei der Beobachtung von Immigranten in Amerika festgestellt, dass sie häufig Programme "von Zuhause" anschauten. Gujaratis in London sehen Gujarati-Fernsehen und werden so andauernd daran erinnert, was ihnen fehlt. Ravault argumentiert, dass sie auf ihren heimischen Fernsehschirmen die glitzernde Welt Amerikas gesehen haben und dadurch motiviert wurden, in den Westen zu emigrieren. Wenn sie dort ankommen, stellen sie fest, dass ihre Erwartungen zu hoch waren, und sind enttäuscht.
Diese voneinander abweichenden Beobachtungen sind weder systematisch noch umfassend. Immerhin stellen sie aber die vereinfachende Wahrnehmung der Wirkungen des westlichen Fernsehens an einigen Punkten in Frage. Das Ergebnis empirischer Studien lautet im Allgemeinen, dass die Zuschauer aktiver und kritischer, ihre Reaktionen komplexer und durchdachter und ihre kulturellen Werte stärker immun gegen Manipulation und "Überfremdung" sind, als viele kritische Medienwissenschaftler angenommen haben.
Die Zuschauerforschung hat jedoch ihre inhärenten Probleme. Auch die sensibelste ethnographische Forschung entkommt nicht dem Dilemma, dass sie ihre "Objekte" in die künstliche Situation bringt, untersucht zu werden oder ihre Meinungen im öffentlichen Raum kundzutun. Ein Beispiel für die Unmöglichkeit dieser Aufgabe bieten die Beobachtungen von Irene Penacchioni, die sie in dem Artikel The Reception of Popular Television in North-East Brazil festgehalten hat. Sie reiste dafür in eine abgelegene Stadt in den Tropen namens Teresina. "Es ist Mitternacht. Die Straßen sind fast leer. Wir gelangen zum einzigen zentralen Platz des Ortes. Sofort werden wir von einem seltsamen, blassen Lichtstrahl angezogen, der von weitem von geisterhaften Silhouetten umgeben scheint. Das Licht kommt von einem Fernseher. Wir hören Gelächter. Ein großer Mann aus dem Sertao, also vom Land, lacht so sehr, dass er sich an seinem Fahrrad festhalten muss. Und was sehen wir auf dem Bildschirm? Charlie Chaplins Brottanz aus "Goldrausch". Und so lachen wir alle auf dem Platz zur gleichen Zeit über die gleichen Dinge."
Wirklich? Sie fährt fort: "Wie können wir behaupten, etwas über den Einfluss des Fernsehens zu wissen, wenn wir nicht einmal dieses Lachen verstehen, das sich über linguistische und kulturelle Unterschiede hinwegsetzt?"
Die Frage lautet, ob wir sicher sein können, dass eine europäische Anthropologin über das Gleiche lacht wie ein lateinamerikanischer Bauer. Wir können es nicht. Die Vorstellung des Universalismus ist mit einem Mal zusammengebrochen. Dem Anschein zu vertrauen kann in die Irre führen. Bedeutung kann nur innerhalb des eigenen Zeichensystems einer Kultur festgestellt werden.
Manche Menschen entspannen sich beim Fernsehen, andere regen sich über was auch immer auf, einige bemerken das Vertraute, andere das Unbekannte. Eine wissenschaftliche Studie über die Auswirkungen des westlichen Fernsehens, die verstehen möchte, warum die Einwohner Amazoniens sich über einen Chaplin-Film kaputtlachen, oder warum die Einwohner Hyderabads verrückt nach Baywatch waren eine solche Studie müsste das gesamte Individuum sowie etliche andere Faktoren der jeweiligen Gesellschaft, Haushaltssituation und Persönlichkeit in den Blick nehmen. Die Untersuchung würde noch dadurch verkompliziert, dass es unbewusste Einflüsse gibt, die von den Betreffenden überhaupt nicht bemerkt werden. Es ist letztlich eine psychologische Frage, die ein ganzes Minenfeld widersprüchlicher Interpretationen ermöglicht. Außerdem werden die Zuschauer umso abgehärteter gegen jedweden Einfluss, je mehr sie fernsehen. Vielleicht ist es ja nicht verwunderlich, dass Studien dieser Art kaum noch durchgeführt werden.
Eines steht jedenfalls fest: bei allen Annahmen über die Art, wie wir auf visuelle Einflüsse reagieren, ist die Einzigartigkeit und die Schutzmechanismen jedes Zuschauers sowie das spezielle Milieu und das Zusammentreffen von Verletzlichkeiten, die es mit sich bringt, dramatisch unterschätzt worden. Das gilt gleichermaßen für die arme wie für die reiche Welt. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass das westliche Image auf der lokalen Ebene auf Widerstand trifft oder verzerrt aufgenommen wird, und dass es andererseits einen damit schwer zu vereinbarenden Hunger danach gibt, der den Zuschauern bestätigt, was sie nicht sind. Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sonntag hat es so formuliert: "Die Welt in Form von Bildern zu besitzen, bedeutet exakt, die Irrealität und Distanz zum Realen wieder zu erfahren." Statt eine gleichgeschaltete Kultur zu erschaffen, könnte die Globalisierung der westlichen Kultur auch Brüche produzieren. Sicher beeinflusst uns das Fernsehen auf vielfache Weise. Doch die Menschen und das gilt auch für die Armen der entwickelten Welt sind gewiss freier in ihrem Denken, als die Theoretiker des Kulturimperialismus uns glauben machen wollen.
aus: der überblick 04/2003, Seite 14
AUTOR(EN):
Bella Thomas:
Bella Thomas konzipiert derzeit eine Ausstellung mit dem Arbeitstitel "The British & Commonwealth Empire and Food" für das British Empire Museum in Bristol. Sie hat für das britische Fernsehen Dokumentationsfilme gemacht und als Journalistin in Madrid, Paris, Mexiko, Armenien und Kuba gearbeitet.