Gewalt ist nicht typisch. Indonesische Christen und Muslime arbeiten vielerorts freundschaftlich zusammen.
von Klaus Rieth
Das Ehepaar aus dem Osten Deutschlands zeigt sich überrascht. Während wir in der Warteschlange vor dem Zoll in Denpasar stehen, nehmen sie wahr, dass man nach dem zwölfstündigen Flug nicht nur auf Bali gelandet ist, sondern auch in Indonesien. Bali hatten sie im Reisebüro gebucht und sich gefreut, dass die Preise so günstig sind.
Zwei Wochen Badeurlaub an einem der schönsten Strände der Welt für knapp 1000 Euro ein Schnäppchen. Dass die Preise so niedrig sind und dass so wenig andere Touristen nach Bali einreisen, kümmert sie nicht weiter. Den Bewohnern von Bali aber macht das Kummer. Seit im Oktober 2002 die so genannte Bali-Bombe explodierte, ist auf Bali nichts mehr so wie es war. Die Extremisten von Jemaah Islamiah hatten in diesem Oktober in einer von westlichen Touristen besuchten Diskothek nahe der Hauptstadt Denpasar eine Bombe zur Explosion gebracht, die mehr als 200 Tote forderte. Daraufhin waren die Touristen weg geblieben, und bis heute hat sich die Insel nicht von diesem Schlag erholen können. Zehntausende direkt oder mittelbar im Tourismus Tätige verloren ihr Einkommen.
Wer heute durch den berühmten Badeort Kuta geht, wird umworben von den Besitzern der zahlreichen Boutiquen und Kleiderläden, Kunstgewerbe-Shops und den Souvenir-Händlern als einziger Kunde. Viele Inhaber machen deshalb ihre Läden schon gar nicht mehr auf. Umschulungsprogramme sollen den Menschen helfen, andere Einkommensquellen zu finden. Doch wo? Fährt man über Land, so fällt auf, dass selbst das letzte Fleckchen Land bebaut ist. Bali beherbergt zu viele Menschen. Die Insel ist so dicht besiedelt, dass es bereits Programme der Regierung gibt, die Menschen etwa in den Norden der Insel Sulawesi umzusiedeln, wo es noch genügend Platz und Ackerflächen gibt.
14.000 Inseln, so steht es im Reiseführer, gehören zu Indonesien. Das viertgrößte Land der Welt beherbergt 210 Millionen Menschen. Allein auf der Insel Java leben 110 Millionen. Und: Indonesien ist mit etwa 90 Prozent Muslimen das größte islamische Land der Erde. Christen, Buddhisten und Hindus machen rund zehn Prozent aus. Es gibt allerdings Kreise, die sagen, dass die Anzahl der Christen in den letzten Jahren erheblich zugenommen hätte. Aber das ist schon ein Politikum, und deshalb erhält man kaum verlässliche Zahlen.
Mit dem Erstarken des islamischen Fundamentalismus, der unter dem langjährigen Diktator Suharto keine Chancen hatte, wuchsen auch die Übergriffe gegen Christen und andere Minderheiten. Nicht nur auf den Molukken, sondern selbst in der Hauptstadt Jakarta gingen Kirchen in Flammen auf. Im Zentrum der Insel Sulawesi wurde vor wenigen Wochen eine Pfarrerin auf der Kanzel erschossen.
In Zentralsulawesi gibt es in einigen Gegenden Dörfer, wo sich an der Straße nicht nur die Moschee, sondern auch das christliche Gotteshaus hervorhebt. In Toro, einer größeren Gemeinde von Zentralsulawesi, nahe der Provinzhauptstadt Palu, wurde sogar der Pfarrer der evangelischen Gemeinde von den Muslimen gefragt, ob er nicht die Bauaufsicht über den Neubau einer Moschee führen könne. Der Pfarrer gilt als durchsetzungsfähig und ist anerkannt in der Dorfgemeinde. Wiederum hat die Leiterin der örtlichen Frauenbewegung, eine Muslima, überhaupt keine Probleme damit, in der Kirche den Ausführungen des evangelischen Bischofs zu folgen.
Die Dorfgemeinschaft empfängt uns, eine Kirchen-Delegation aus Baden-Württemberg, mit ihren traditionellen Riten. Dem deutschen Bischof werden Reiskörner über den Kopf geworfen und seine Füße rituell gewaschen. Im Dorfhaus wird die Tradition der Adat erklärt, die das Zusammenleben der Menschen untereinander sowie mit der Natur und Gott regelt. Kanto Peroma, der Pfarrer, kam 1965 als Flüchtling aus Südsulawesi und baut jetzt seit 15 Jahren an einer neuen größeren Kirche für die Gemeinde. Von den Deutschen wird erwartet, dass sie diesen Kirchenbau großzügig fördern.
Die Kirchenleitung der evangelischen Donggala-Kirche in Zentralsulawesi unterstützt ausdrücklich die Bemühungen ihrer Gemeinden, zu wachsen. Dabei achtet sie sehr auf ein auskömmliches Miteinander mit den muslimischen Gemeinschaften. So legt Kirchenpräsident Zacharias Widodo großen Wert auf eine Begegnung mit der islamischen Bildungsorganisation Al-Khairat auf höchster Ebene. Es ist die erste Begegnung dieser Art, und die Gäste aus Deutschland sind eine willkommene Gelegenheit, die Rolle der christlichen Kirche noch deutlicher herauszustellen. Al-Khairat betreibt 1268 Einrichtungen, darunter vor allem Schulen, Moscheen und Universitäten. Dabei fällt auf, dass an den muslimischen Hochschulen auch christliche Lehrer angestellt sind. Von den Deutschen will man beim Treffen vor allem wissen, wie die Situation der Muslime in Deutschland nach dem Anschlag vom 11. September 2001 ist. Aber auch die kritische und ablehnende Haltung der deutschen Bundesregierung beim Irak-Krieg wird angesprochen, und die Stellungnahme der deutschen evangelischen Bischöfe gegen diesen Krieg mit Beifall bedacht.
Beim Flug von Zentralsulawesi zur Landeshauptstadt Jakarta auf der Insel Java liegen in der Sitztasche der Maschine der privaten indonesischen Gesellschaft Lion Air Faltkarten mit Gebeten aller fünf offiziellen Religionen in Indonesien. Zuerst für den Islam, dann für die Protestanten, dann die Katholiken, die Hindus und zuletzt die Buddhisten. Alle Gebete sind auf indonesisch und englisch verfasst. Im protestantischen Abschnitt wird darum gebeten, dass das Flugzeug vor Turbulenzen und Gefahr beschützt wird und dass die Crew es sicher und pünktlich zur Zielflughafen führen wird. Im katholischen Gebet wird um gutes Wetter gebeten und dass die zurückbleibenden Familien glücklich und friedvoll leben können. Bei den Buddhisten und Hindus geht es mehr ums Glück und den Frieden und bei den Muslimen um Schutz vor Gefahr und um die Gesundheit.
Mein Sitznachbar, ein muslimischer Regierungsbeamter, sieht mich ein Infoblatt über die Donggala-Kirche lesen und spricht mich an, ob ich Christ sei. Ich bejahe. Er beruhigt mich: Das sei nicht schlimm, wir alle glaubten ja irgendwie an einen Gott. Sein nächstes Anliegen sind die Folgen der Tsunami-Katastrophe. Ganz gleich, wo man sich bewegt in Indonesien, dieses Thema beschäftigt die Menschen.
Dies bestätigt auch der stellvertretende Generalsekretär des indonesischen Kirchenbundes (CCI) Dr. A. A.Yewangoe. Man habe mit Hilfe der weltweiten Partner des Lutherischen Weltbundes (LWB) und der Aktion »Kirchen helfen gemeinsam« (Action by Churches Together; ACT) in den Unglücksgebieten schnell und tatkräftig Hilfe leisten können, sowohl in der von Muslimen bevölkerten Provinz von Aceh als auch auf der mehrheitlich von Christen bewohnten Insel Nias. Man habe deutlich gespürt, wie groß die Angst der Moslems in Aceh gewesen sei, man wolle die Hilfe mit Missionierung verknüpfen. Immer wieder seien auch Gerüchte gestreut worden, man habe Kinder zwangschristianisiert oder ähnliches. Aber durch ihre professionelle Nothilfe-Arbeit hätten sie letztendlich überzeugen können. Im Gegenzug wird behauptet, islamische Organisationen hätten die Notlage der Christen auf Nias ausgenützt und Tausende von Koranexemplaren an die christliche Bevölkerung verteilt.
Auf dem Weg mit dem Zug von Jakarta nach Bandung, der zweitgrößten Stadt der Insel Java, bleibt Zeit für einen Blick in indonesische Zeitungen. Haupthemen sind die alles beherrschende Korruption im Lande. Im Kampf dagegen habe die Regierung nur Teilerfolge erzielt. Ein anderes Thema sind die Folterungen seitens US-amerikanischer Aufseher im irakischen Gefängnis Abu Ghraib und die Schändungen des Korans im amerikanischen Gefängnis Guantánamo. Die Artikel zur Korruption mahnen die Leser, nicht nur auf die korrupten Politiker und Beamten zu schimpfen, sondern in sich zu gehen und die Korruptionen im eigenen Lebenswandel zu erkennen und dagegen anzugehen.
In Bandung befindet sich die theologische Hochschule der Evangelikalen Kirche in Indonesien (Gereja Injili Indonesia, GII). Dort werden rund 120 Studierende unterrichtet, die immer wieder auch zu missionarischen Einsätzen von mehren Monaten vor Ort in die Dörfer Indonesiens gesandt werden. Diese Kirche hat etwa 5500 Mitglieder, aber durchschnittlich gut 12.000 Besucher bei den zumeist fünf Gottesdiensten an Sonntagen.
Diese Kirche wächst stark und scheint für die anderen attraktiv zu sein. Ihr charismatischer Leiter Kaleb Tong hat gute Kontakte zu seinem Bruder, der in den USA lebt. Einflussreiche und wohlhabende Industrielle und Kaufleute finanzieren die GII und sorgen unter anderem dafür, dass das Hochschulgebäude prachtvoll ausgestattet und die Bibliothek für die Studierenden immer auf dem neuesten Stand ist.
Die Anfänge dieser Kirche gehen auf eine Gruppe chinesischer Christen zurück, die sich in Indonesien niedergelassen hatten. Die GII hat sich vor 20 Jahren von der Kirche Gereja Krista Indonesia abgespalten und ihren eigenen unabhängigen Weg gesucht. Heute unterhält sie neben der Hochschule medizinische Zentren, verschiedene Schulen, Gebetszentren und Rückzugsstätten. Der Traum der Kirche ist es, dass die Anzahl der Christen in Indonesien auf allen Inseln in allen Regionen kräftig wächst. Ein weiterer Zweig ist die China-Mission, wozu besonders Chinesen ausgebildet und nach China gesandt werden.
Nach seinen Gastvorlesungen wird der deutsche Bischof häufig gefragt, wie man am besten gegen böse Geister kämpfen könne und ob der Islam auch zu den bösen Mächten gehöre. Die Studierenden wollen wissen, welcher Umgang mit den Dämonen, die allgegenwärtig wären, erlaubt und geboten sei.
Der Studieninspektor der Theologischen Hochschule von Bandung, B. Kreysen Purba, der der altindonesischen Volksgruppe Batak angehört, hat für die Besucher auch einen kleinen touristischen Abstecher organisiert. Auf der Fahrt zum Vulkan Tangkuban Prahu erzählt er, sein Vater sei von dem deutschen Missionar Klaus Zöller in einer Massentaufe von 5000 Christen getauft worden. Der Missionar, habe seinem Vater daraufhin dessen gesamte Ausrüstung, die er als traditioneller Naturheiler besessen hatte, abgenommen und ihm dafür eine Bibel gegeben. Purba erklärt uns, es sei sein größter Wunsch, einmal diese Utensilien wieder zu sehen, die der Deutsche mit nach Europa genommen habe.
Auf dem Weg zum Vulkan kommt man durch das Bergland von Lembang. Dort weisen uns unsere Gastgeber auf Werbetafeln am Straßenrand hin, die Kühe zeigen, wie sie auch im Allgäu anzutreffen sind. Hier in den höheren Lagen, kann diese Rinderrasse leben, und die Einwohner von Lembang sind stolz, die in dieser Region rare Milch und Joghurt produzieren zu können. In Lembang steht auch etwas versteckt und abseits der Hauptstraße ein gepflegtes Denkmal des deutschen Arztes Franz Wilhelm Junghuhn, der dort um die Mitte des 19. Jahrhunderts als Geograph und Botaniker wirkte. Die Entdeckung des China-Rinden-Baums für Heilzwecke geht auf Junghuhn zurück. 1856 bis 1864 legte er in Lembang die erste China-Baum-Plantage in West-Java an. Der Durchbruch, des nach diesem Baum genannten Chinins zur Bekämpfung der Malaria wäre ohne seine Studien nicht möglich gewesen.
Nach dem Besuch in Bandung geht es zu einer weiteren evangelikalen Hochschule in Cipanas in der Nähe von Jakarta. Auch dort kann sich die Hochschulleitung nicht über mangelndes Interesse der Studenten beklagen. An diesem Tag ist auch der zuständige Religionsminister der regionalen Regierung anwesend. Er ist zur Abschlussfeier der Studenten gekommen, die nun nach beendetem Studium als Pfarrer in die Gemeinden gehen. Bereits morgens um 4.30 Uhr hatte der Muezzin Christen und Moslems geweckt und sein überlautes Gebet an diesem Festtag über eine halbe Stunde ausgedehnt. Die Themen, welche die Studierenden in ihren Abschlussarbeiten behandelt haben, sind hochaktuell: »Gewalt gegen Frauen im häuslichen Umfeld«, »Befreiung der Armen nach Jesaja 61«, »Das Verständnis islamischer Theologen« oder »Diakonie und Solidarität mit den Armen.«
Bei der Abfahrt im Auto holt uns der Alltag ein. Ein Verkehrspolizist hält uns an, kontrolliert uns pro forma, erkundigt sich aber vor allem danach, ob wir beiden Deutschen weibliche Begleitung wünschten. Als unser örtlicher Gastgeber von der Hochschule ihm erklärt, dass wir Christen seien und mein Kollege sogar Pfarrer, will sich der Polizist vor Lachen ausschütten und kann sich gar nicht beruhigen, als wir schon längst weitergefahren sind.
aus: der überblick 02/2005, Seite 64
AUTOR(EN):
Klaus Rieth
Klaus Rieth ist Pressesprecher und Leiter des Amtes für Information der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in Stuttgart.