Ein Selbsthilfeprogramm von Behinderten in Mexiko
"Wir glauben, dass wir als behinderte Menschen die gleichen Rechte auf gesundheitliche Versorgung, Erziehung, Arbeit ... haben. Deswegen und aus vielen anderen Gründen kämpft PROJIMO für die Rechte von Behinderten."
So steht es in den Grundsätzen einer mexikanischen Selbsthilfeorganisation, die zu einem Vorbild für andere geworden ist.
In Mexiko leben Behinderte unter besonders schwierigen Bedingungen. Meist stammen sie aus armen Verhältnissen, werden von ihren Familien als Last empfunden und sind vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Es mangelt an Einrichtungen, die den Behinderten zu einem weitgehend selbstbestimmten Leben verhelfen.
von Jörg Jenrich
Der Bundesstaat Sinaloa im Westen Mexikos ist eine sehr arme Region. Das bergige Gebiet in der westlichen Sierra Madre hat wegen seiner hohen Verbrechensquote eine traurige Berühmtheit erlangt. Es wird dort Marihuana angebaut, vor allem aber ist es Durchgangsgebiet für andere Drogen, und es herrscht offene Gewalt sowohl vonseiten der Drogenmafia, als auch vonseiten der staatlichen Sicherheitsorgane.
Diese Gewalt hinterlässt viele behinderte Menschen. Hinzu kommt die schlechte medizinische Versorgung als einer der Hauptgründe für eine körperliche oder geistige Behinderung. Weitere Ursachen sind Unfälle, Misshandlungen, genetische Defekte und Krankheiten.
Die Behinderten gelten als Störfaktor und werden nicht nur in der Öffentlichkeit abgelehnt, sondern - schlimmer noch - häufig auch in den Familien vernachlässigt oder gar misshandelt. Wer kein Geld hat, kann sich nicht einmal eine annähernd ausreichende Rehabilitation leisten. Folgen sind körperliche Schäden, Wunden, die nicht verheilen, und letztendlich ebenso schlimme seelische Schäden wie Depressionen und der Verlust des Selbstwertgefühls.
Deshalb haben Behinderte 1982 eine Gemeinschaft gegründet, die Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung helfen will, ihr Leben so weit wie möglich selbst in die Hand zu nehmen. Der Name der Organisation, PROJIMO, ist nicht nur die Abkürzung für "Rehabilitationsprogramm mit behinderten Jugendlichen in West-Mexiko". Es bedeutet im Spanischen so viel wie "der Nächste".
Bei PROJIMO arbeiten sechs Frauen und fünf Männer. Neun von ihnen haben eine Behinderung. Für alle, die im Zentrum zur Behandlung leben, wird erwartet, dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten an den täglich anfallenden Arbeiten beteiligen, also zum Beispiel ihre Zimmer reinigen, die Gartenanlagen in Ordnung halten, ihre Wäsche waschen und so weiter. So sollen die Patienten lernen, unabhängiger zu werden. Unterstützt wird die Arbeit der Selbsthilfeorganisation vom evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt.
Das Programm von PROJIMO richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche in der Region. Teilweise leben die Behinderten über Wochen und Monate in der Gemeinschaft. Zunächst einmal werden die meist offenen Wunden im speziell eingerichteten Behandlungsraum gesäubert, bis kein abgestorbenes Gewebe mehr darin ist. Falls zu viel davon vorhanden ist, benützt man bei PROJIMO die Milch, die aus einem angeritzten Stamm oder der grünen Frucht der Papaya gewonnen wird, zum Lösen dieser Schichten. Danach wird Honig mit Zucker zu einer Paste verrührt, auf die betroffene Stelle gegeben und steril abgedeckt. Der Vorgang wird oft mehrmals am Tag wiederholt, bis die Wunde ausgeheilt ist. Die Angehörigen werden auch hier mit einbezogen und angelernt.
PROJIMO führt Rehabilitationsmaßnahmen durch und stellt in seinen Werkstätten orthopädische Geräte, Prothesen und Rollstühle her. Es bietet Behandlungen und Massagen an und Kurse für Interessierte aus anderen Landesteilen. In seiner Öffentlichkeitsarbeit und bei Schulbesuchen setzt sich PROJIMO für einen normalen Umgang mit Behinderten ein und wirbt für mehr Verständnis für deren Bedürfnisse.
aus: der überblick 02/2000, Seite 110