Kritik kann tödlich enden
Ob in der Ukraine, in Eritrea oder Afghanistan, in vielen Ländern der Welt wird die Pressefreiheit missachtet. Und jedes Jahr werden Journalisten ermordet, etwa weil sie die Regierung kritisiert, Korruptionsfälle recherchiert oder dunkle Geschäfte des organisierten Verbrechens aufgedeckt haben. Aber auch in westlichen Demokratien gibt es Gefahren für die Pressefreiheit, wenn etwa kommerzielle Interessen die Möglichkeiten freier Berichterstattung beschränken.
von Hardy Prothmann
Georgij Gongadse war sicherlich ein netter Mensch. Zumindest auf den Fotos sieht er so aus. Jung, neugierig. Ein wenig nachdenklich. Und irgendwie auch entschlossen. Georgij Gongadse ist tot. Er verschwand am 16. September 2000. Sechs Wochen später fand man eine enthauptete und stark verweste Leiche. Erst seit Frühjahr 2003 gilt als sicher, dass es sich um den vermissten Gongadse handelt.
Der Fall ist pikant, Tonbandprotokolle sollen den Verdacht nahe legen, der ukrainische Präsident Leonid Kutschma selbst habe den Mordbefehl erteilt oder zumindest gebilligt. Angeblich wurde Gongadse von Kriminellen getötet, die anschließend von deren Bandenchef umgebracht wurden, der wiederum nun einsitzt. Die Beweis- und Faktenlage hingegen ist mehr als dürftig.
Georgij Gongadse war für manche ein unangenehmer Journalist. Der Chefredakteur des Online-Magazins Ukrainska Prawda ("Ukrainische Wahrheit") hatte den Präsidenten Kutschma mehrfach hart kritisiert und über Korruption und Mafia recherchiert. Manche sagen auch Politik und Wirtschaft dazu. Dieser Mord ist ein eindeutiges Signal, genauso wie die Ermordung anderer Journalisten in einer Reihe von Ländern: Ihr seid sterblich. Und wir entscheiden darüber, ob Euer letztes Stündlein geschlagen hat, wenn Ihr uns zu nahe kommt.
In zwei Dritteln aller Länder dieser Welt ist die Presse- und Meinungsfreiheit nicht voll verwirklicht. Das sind rund 120 Staaten, die keine oder nur beschränkte öffentliche Meinungsbildung zulassen. Weil sie den Staat über den Menschen stellen wie im kommunistischen China. Weil ein geldhungriger und menschenverachtender Clan wie in Indonesien regiert. Weil ein religiös und autoritär geführter Staat wie Iran keine andere Meinung neben der seiner Herrscher duldet. Es gibt also mindestens 120 Begründungen, warum Presse- und damit Meinungsfreiheit unerwünscht ist oder verboten wird, warum ihre Vertreter verfolgt und einige sogar getötet werden.
Diese Staaten ohne eine wirklich freie öffentliche Meinung, ohne eine tatsächlich unabhängige Presse, ohne freie Information sind allesamt Mitglied der Vereinten Nationen (UN). Als jedoch die Menschenrechtsorganisation Reporters sans frontiéres (RSF), die "Reporter ohne Grenzen", während einer Zusammenkunft der UN-Menschenrechtskommission gegen den libyschen Vorsitz des Gremiums protestierte, schloss der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) auf Antrag Kubas die Organisation für ein Jahr von allen Sitzungen der Kommission aus. Seit 1985 prangert RSF Missstände, Bedrohungen, Verfolgungen und Morde an und verlangt Aufklärung. Dass dies die Regierungen der meisten Staaten, die eine freie Meinung nicht zulassen, nicht gerade begrüßen, versteht sich von selbst.
In den meisten Ländern der Dritten Welt gibt es keine uneingeschränkte Pressefreiheit. Die Staatsmedien können häufig nur das berichten, was die jeweiligen Machthaber erlauben. Ein Beispiel dafür ist Eritrea. "Journalismus ist hier Steigbügelhalter der Macht. Freie Berichterstattung in Hörfunk oder Fernsehen ist hier nicht möglich, es sei denn, die Journalisten riskieren Kopf und Kragen, was überwiegend für den ganzen afrikanischen Kontinent gilt", sagt Frank Lemke, Leiter Hörfunk des Deutsche Welle Fortbildungszentrums. Trotzdem gebe es selbst in Eritrea Bewegung: "Man hat dort erkannt, dass es wichtig ist, die Journalisten und Techniker aus- und weiterzubilden. Weil wir aber nicht nur technische Hilfe anbieten, sondern natürlich immer auch unsere Sicht von Pressefreiheit mittransportieren, ist das ein heikles Geschäft", beschreibt Lemke die Situation. Auch ohne staatliche Zensur kann ein freier Journalismus nur schwer Fuß fassen: "In einzelnen Fällen gibt es Tendenzen einer freien Presse, weil hier private Geldgeber sich eine Zeitung leisten. Im audiovisuellen Bereich ist das aus finanziellen Gründen fast nicht möglich", sagt Lemke.
So ist der Beruf Journalist in vielen Ländern nicht besonders angesehen oder erstrebenswert, weil dort Journalisten entweder Steigbügelhalter der Macht sind oder ganz abgesehen von Gefahren für die eigene Person oder die Familie kaum Perspektiven für eine wirtschaftlich gesicherte Existenz haben. Es gibt aber auch positive Entwicklungen, etwa in China. "Das Land", so Lemke, "öffnet sich trotz aller Beschränkungen in bemerkenswerter Weise." Immerhin könne das Beijing Broadcast Institute, das jährlich tausende von Medienarbeitern ausbildet, mit ausländischen Partnern selbständig Programme zur Journalistenausbildung vereinbaren.
Und in Indonesien lässt sich seit einiger Zeit eine Art Presseboom erkennen. Flaggschiff des freien Journalismus ist dort das Nachrichtenmagazin Tempo, das sich wie viele Nachrichtenmagazine an dem US-Magazin Time orientiert. Nicht ohne Grund, schließlich hat Chefredakteur Bambang Harymurti bei Time gearbeitet und orientiert sich an den hohen Standards des amerikanischen Vorbilds: "Wir können weitgehend frei berichten", beschreibt er die Situation. Die Tempo-Redaktion in Jakarta arbeitet sowohl technisch als auch inhaltlich auf einem mit westlichen Ansprüchen vergleichbaren Niveau. Die Journalisten haben meistens studiert und verdienen überdurchschnittlich gut. Tempo ist auf die Arbeit mit freien Journalisten angewiesen, weil ansonsten eine Berichterstattung aus dem riesigen Inselreich kaum möglich wäre. "Die Journalisten versorgen uns mit Informationen von vor Ort", erklärt Harymurti die Zusammenarbeit. Im Klartext heißt das: Freie Journalisten kommen selten über den Status von Informanten hinaus. Sie liefern Informationen gegen Honorar, die Artikel schreibt die Redaktion. "Damit schützen wir auch unsere freien Mitarbeiter."
Leben können die wenigsten von dieser Tätigkeit. Deswegen haben viele mehrere Jobs wie Fremdenführer, Fahrer oder Verkäufer, um sich über Wasser zu halten. So positiv das Beispiel Tempo sein mag, so ernüchternd sind die Zahlen: rund 70.000 Exemplare will Tempo pro Woche als Marktführer verkaufen. In Indonesien leben aber mehr als 200 Millionen Menschen. Zum Vergleich: In Deutschland mit nur gut 80 Millionen Einwohnern verkauft "Der Spiegel" jede Woche gut eine Million Exemplare.
Doch auch die westliche Medienfreiheit ist aus verschiedenen Gründen gefährdet. Der jüngste Irak-Krieg hat deutlich gemacht, wie sehr sich die amerikanische Presse vereinnahmen lies. Nicht Dokumentation und Aufklärung stand im Vordergrund, sondern das Interesse, der Nation Mut und Kraft durch Zusammenhalt zu geben. An der fahrlässig unkritischen Berichterstattung eines Senders wie Fox News wird die Gefahr deutlich, in der auch westliche Medien immer stecken: aus geschäftlichen oder ideologischen Gründen parteiisch zu werden. Auch englische und italienische Medien verstießen gegen die journalistische Sorgfaltspflicht. Sogar die ehrwürdige BBC wollte unbedingt mit einem scoop, einer Enthüllungsstory, in die politische Geschichte Großbritanniens eingreifen. Für diese scoop kaufte der Sender den als muckraker (Skandaljournalisten) bekannten Andrew Gilligan ein. Wie man heute weiß, hat Gilligan seinen Bericht aufgebauscht, und seine Informationen können nicht beweisen, dass die britische Regierung unter Tony Blair bewusst falsche Informationen zur Begründung des Krieges veröffentlicht hat. Überdies hat sich die BBC an journalistischen Grundsätzen versündigt, indem sie einen Informanten preisgegeben hat. Ohne einen verlässlichen Schutz werden sich Menschen seltener vertraulich äußern oder nur dem, der sie dann auch finanziell absichert. Eine solche Entwicklung kann die Pressefreiheit ebenfalls bedrohen.
Pressefreiheit und damit die Freiheit der Menschen, zwischen Informationen und Meinungen zu wählen, hat auch eine ökonomische Dimension. Freie öffentliche Meinungen und Informationen müssen bezahlt werden. Deshalb gibt es in vielen westlichen Demokratien öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, die staatsfern organisiert sind und durch Gebühren finanziell unabhängig arbeiten können. Sie stehen in Konkurrenz zu werbefinanzierten Medien. Und diese leiden zur Zeit weltweit beträchtlich. Ein gutes Beispiel für die ökonomische Dimension: Im wohlhabenden Deutschland wurden in den vergangenen Jahren mehrere tausend Journalisten entlassen, dutzende Objekte eingestellt und manche Medienfirma hat Pleite gemacht. Experten befürchten nun, dass eine "Presse light" ihre Wächterfunktion verliert, weil die Kapazitäten fehlen.
In den meisten Ländern ohne Meinungsfreiheit wäre so etwas eher ein theoretisches Problem. In Weißrussland entzieht der immer diktatorischer auftretende Präsident Alexander Lukaschenko den privaten Medien ganz einfach die ökonomische Basis. Entweder dürfen Weißrusslands Staatsbetriebe und die meisten großen Firmen sind Staatsbetriebe in diesen Blättern keine Werbung schalten oder Medien verlieren unter fadenscheinigen Begründungen nach drei Verwarnungen durch das Informationsministerium für einige Monate die Lizenz was für die meisten das wirtschaftliche Aus bedeutet. "Jeder freie Journalist hat noch andere Einkommensquellen, ich arbeite beispielsweise noch für ein privates Wirtschaftsinstitut", sagt Wladimir Dorochow. Sein Kollege Andrew Sereda hat mehr Glück, er arbeitet für die private Nachrichtenagentur Belapan, die von ausländischen Geldgebern mit unterstützt wird. "Die Arbeit als Journalist ist in Weißrussland sehr schwer. Zum Beispiel bekommt man von den Behörden nur selten stichhaltige Auskünfte", erläutert Sereda. Und wenn die Journalisten brisante Informationen recherchiert haben, greift häufig die Selbstzensur. "Viele Informationen werden nicht veröffentlicht, weil die Medien die Verwarnungen fürchten", erläutert Ilona Urbanovich selbstkritisch, die für die weißrussische Journalistenvereinigung (BAJ) tätig ist. "Mein Mann meint manchmal, ich hätte eine Schere im Kopf, wenn ich manche Sachen schreibe oder nicht schreibe." Die Arbeit der Journalisten sei ein ständiger Spagat zwischen kritischem Journalismus und der Staatsräson. Denn immer öfter bekommen Journalisten den Hammer in die Hand, wenn die Schere im Kopf versagt hat. So wurden unter anderem Nikolai Markevich, Pavel Mozheiko und Viktar Ivakevich zu Arbeitslager verurteilt. Ihr Verbrechen: Beleidigung des Präsidenten. Sie hatten über Korruptionsvorwürfe berichtet.
Pressefreiheit ist aber mehr, als nur seine Meinung äußern zu können. Voraussetzung für wirkliche Meinungsfreiheit ist der freie Zugang zu Informationen. Deswegen gibt es in den USA seit 1966 den Freedom of Information Act (Gesetz zur Informationsfreiheit). Die Medien und andere haben deswegen Zugriff auf viele Daten, die sie auswerten können. Ob sie das tun, hängt von jedem einzelnen Journalisten ab.
Zwar hat auch Simbabwe zumindest dem Namen nach ein solches Gesetz: Im März 2002 trat der Access to Information and Protection of Privacy Act (AIPPA) in Kraft, das "Gesetz über den Informationszugriff und den Schutz der Privatsphäre". Auf der Grundlage dieses Gesetzes müssen sich allerdings Journalisten und Medienanstalten bei der von der Regierung ernannten Medien- und Informationskommission eintragen lassen. Mindestens zwölf Journalisten wurden nach dem Inkrafttreten des AIPPA festgenommen, einige von ihnen mehrmals. Das Informationsministerium lehnte es kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes ab, die Arbeitserlaubnis für den Büroleiter der Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) zu verlängern. Und Zeitungsverkäufer, die auf der Straße unabhängige Zeitungen anboten, wurden schikaniert und angegriffen. In vielen ländlichen Gebieten war nach Informationen von amnesty international der Verkauf unabhängiger Zeitungen ganz verboten. Im August 2002 wurde in Harare ein Bombenanschlag auf das Büro von Voice of the People verübt, einen der beiden unabhängigen Rundfunksender. Es kam zwar niemand zu Schaden, jedoch wurde das Gebäude schwer beschädigt.
In den meisten demokratischen Ländern können viele parteiische Sichtweisen nebeneinander existieren, ohne dass Arbeitslosigkeit, Gefängnis, Folter oder Tod drohen. So kann sich die Öffentlichkeit ihr Urteil auf Grund von zahlreichen Quellen bilden. In vielen anderen Ländern aber wird sich Presse- und Meinungsfreiheit ohne politischen Druck und ohne Unterstützung der UN nicht etablieren können. Die Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten aber ist nicht wirklich demokratisch und folglich nicht an der Ausübung solchen politischen Drucks interessiert. Auch die größten Wirtschaftsnationen (G-8) zeigen oft mehr Interesse an freiem Handel als an freier Presse.
Auch Afghanistan, das ja von den Freiheitsbeschränkungen durch das Taliban-Regime befreit werden sollte, ist noch weit entfernt von wahrer Pressefreiheit. Noch Anfang August 2003 hat der afghanische "Rat der Ulamas", der sich aus 13 islamischen Gelehrten zusammensetzt, Todesurteile wegen Gotteslästerung gegen die Journalisten Sayeed Mahdawi und Ali Reza Payam gefällt. Die beiden Reporter, die sich nunmehr versteckt halten, hatten in einem Artikel folgende Frage gestellt: "Wenn der Islam die einzige und vollendetste Offenbarungsreligion der Welt ist, warum liegen die muslimischen Länder dann hinter der modernen Welt zurück?" Die Wochenzeitschrift Aftag, in der der Text erschien, wurde geschlossen. Und der Chefredakteur der Wochenzeitung Farda (Morgen), Abdul Ghafour Itequad, wurde auf Anordnung des Verteidigungsministers drei Tage inhaftiert, weil er eine Karikatur veröffentlicht hatte, die Präsident Hamid Kasai verspottete. Kurz danach erhielt er erneut telefonische Drohungen wegen einer Karikatur, die einen Minister als Warlord zeigte. Und bei der Nachrichtenagentur Hindu Kush tauchten möglicherweise auf eigene Faust handelnde Agenten des dem Verteidigungsministerium nahestehenden Geheimdienstes auf und verlangten, die Meldungen vor Veröffentlichung zu sehen.
Immerhin gibt es vom Ausland unterstützte Bemühungen, die Bedingungen für eine freie Berichterstattung zu verbessern. So hilft die Deutsche Welle (DW) beim Aufbau der Radio- und TV-Versorgung und leistet neben der Ausbildung von Journalisten auch technische Unterstützung. Ende 2002 wurde ein Synchronstudio für das öffentliche afghanische Radio RTV eingerichtet. DW-TV produziert zudem zweimal täglich Nachrichten in den Landessprachen Dari und Pashtu für Afghanistan. Die Sendungen werden von Berlin nach Kabul und jetzt auch Kandahar überspielt. Schritt für Schritt werden so in Afghanistan die Informationsmöglichkeiten erweitert, aber bis zur vollen Pressefreiheit ist es noch ein weiter Weg.
Der grausame Mord an Georgij Gongadse liegt nun schon ein paar Jahre zurück. Aber inzwischen sind weitere Journalisten in vielen Teilen der Welt aus politischen oder kriminellen Motiven getötet worden, so etwa der philippinische Hörfunk-Journalist Rico Ramirez. Am 20. August wurde er in San Francisco auf der philippinischen Insel Mindanao, hinterrücks am späten Nachmittag erschossen. Er war der fünfte Journalist, der in diesem Jahr auf den Philippinen ermordet worden ist, seit 1986 sind es insgesamt 41. Rico Ramirez hatte über Drogengeschäfte der Mafia berichtet und war lokalen Gangstern damit wohl zu nahe gekommen.
aus: der überblick 04/2003, Seite 40
AUTOR(EN):
Hardy Prothmann:
Hardy Prothmann ist freier Journalist mit Sitz in Mannheim. Er arbeitet als Redakteur für das Broadcast-Magazin CUT, mehrere Zeitungen und für die ARD. Seit 2003 ist er Korrespondent für die deutsche Sektion von "Reporter ohne Grenzen".