Russlands Unternehmer resignieren, NGOs haben kaum Einfluss
Nichtstaatliche Organisationen, die Korruption bekämpfen wollen, werden von den Staatsorganen in Russland als Agenten des Westens betrachtet und stoßen auf Granit. Auch die Unternehmensverbände arbeiten nicht mit ihnen zusammen. Die Unternehmer fürchten, dass sie nur noch mehr Schwierigkeiten bekämen, wenn sie sich gegen Korruption wehren.
von Irina Olimpieva und Oleg Pachenkov
Das Thema Korruption steht hoch oben auf der Tagesordnung des heutigen Russlands. In den jüngsten Jahren ist Russland auf der Skala des Korruptionswahrnehmungsindex, der jedes Jahr von der internationalen nichtstaatlichen Organisation (NGO) Transparency International zusammengestellt wird, auf einen immer schlechteren Platz gerutscht. 2005 rangierte Russland auf Platz 126 von 159 bewerteten Ländern.
Am 17. Februar 2006 hat die Staatsduma einstimmig die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert. Die Bekämpfung der Korruption wurde zu einem wichtigen Ziel der Putin-Präsidentschaft erklärt. Bereits im Jahre 2003 war im Präsidentenamt ein Rat zu Bekämpfung der Korruption eingerichtet worden. Es folgten eine Reihe neuer Anti-Korruptionsgremien Ämter, Komitees und Kommissionen auf verschiedenen Ebenen der föderalen und regionalen Behörden. Der Kreml hat eine Reihe von hoch angesiedelten Medienkampagnen gegen korrupte Funktionäre lanciert. Diese zielen insbesondere auf die "Werwölfe in Epaulette-Uniformen" ab, auf korrupte Mitglieder der Polizeikräfte. Die Bekämpfung der Korruption wird auch als eines der Ziele der neuen politischen und administrativen Reformen gesehen. Dazu gehört allerdings auch, dass lokale Gouverneure nicht mehr gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt werden.
Die Anti-Korruptionsstrukturen und -erklärungen mögen zwar wie Pilze aus dem Boden schießen, sie haben jedoch kaum Einfluss auf das Alltagsleben der Menschen und die Geschäfte. Die Mehrheit der russischen Bürgerinnen und Bürger ist auf die eine oder andere Weise in korrupte Praktiken involviert. Das geht aus einer soziologischen Befragung zum Korruptionsverhalten hervor, die 2005 von der INDEM-Stiftung in ganz Russland durchgeführt wurde. Im Vergleich zum Jahr 2001 hatte sich der Anteil der in Korruptionspraktiken verwickelten Bürger von 50 auf 54 Prozent erhöht. Die Summe der gezahlten Bestechungsgelder übertraf den Staatshaushalt um das 2,66-Fache.
So scheinen Putins "Anti-Korruptions"-Maßnahmen eher eine Waffe in seinem Kampf gegen Oligarchen und Munition in seinem Wahlkampf zu sein. Die nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) können als "ideologische Agenten" im Feld der Korruptionsbekämpfung gesehen werden. Ihr Ziel ist die Verteidigung der Menschenrechte und Demokratiebildung. Deswegen konzentrieren sie ihre Aktivitäten auf Fragen, die mit Korruption im Zusammenhang stehen. Wirtschaftsverbände kann man im Unterschied dazu als "rationale Anti-Korruptions-Agenten" charakterisieren, die schon allein deshalb am Kampf gegen Korruption interessiert sind, weil diese die wirtschaftliche Entwicklung hemmt und einen wirklichen Wettbewerb auf dem Markt verhindert, was wiederum die Investitionen aus dem Ausland bremst.
Was kann die Geschäftswelt im Einzelnen gegen die Korruption tun? Unsere Befragungen in kleinen und mittlereren Unternehmen zeigen, wie schwer es ihnen fällt, sich aus den Zwängen der Korruption zu lösen. Der Staat dominiert die Beziehungen mit der Wirtschaft. Russische Wissenschaftler sprechen deshalb schon vom "sanften Terror". Viele formale Regeln sind widersprüchlich und lassen sich gar nicht einhalten. Da verlangt etwa für eine Baugenehmigung die Polizei zur Einbruchsicherung vergitterte Fenster, während die Brandschutzabteilung vergitterte Fenster nicht zulässt. So wird die Verletzung von Regeln zur normalen Praxis. "Wenn man die Regeln nicht verletzt hätte..., wenn man sich an das Fairplay gehalten hätte, dann wäre es besser gewesen, erst gar nicht mit der Arbeit zu beginnen." Unternehmer sehen sich deshalb als Geiseln der bürokratischen Strukturen. Eine Firma kann zu jedem Zeitpunkt geschlossen (oder zumindest bestraft) werden. Das gilt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen.
Nach unserer Studie haben 57,3 Prozent der Befragten sich kein einziges Mal an jemanden gewandt, um Hilfe, Rat oder Schutz zu bekommen, wenn sie zur Bestechung genötigt wurden. 16,4 Prozent glaubten nicht, dass man wirksam gegen solche Behördenpraktiken vorgehen kann. 30 Prozent waren der Ansicht, dass es leichter ist zu zahlen, als das System zu ändern. Ein Drittel der Befragten meint, dass "keine Organisation" in der Lage ist, die Unternehmen vor bürokratischer Willkürherrschaft zu schützen, und ein Viertel der Geschäftsleute lehnt es ab, mit einer Anti-Korruptions-Organisation zusammenarbeiten.
Von allen Organisationen, die als Partner im Kampf gegen die Korruption infrage kommen, setzen die Geschäftsleute noch am ehesten auf ihre eigenen Unternehmerverbände, die ohne Beteiligung des Staates errichtet wurden. Gleichwohl herrscht auch da Skepsis: "Die Unternehmer mögen sich alle versammeln, in einem Raum sitzen, Kaffee trinken und sagen: 'Okay, beginnen wir also mit dem Kampf'. Doch wenn ein einziger Geschäftsmann von einer Agentur angegangen wird, wird er seine Probleme selbst lösen, denn er weiß, dass er in der Zukunft weit mehr zu verlieren hat, wenn er aus Prinzip kein Schmiergeld zahlt."
Auf der einen Seite sind die Geschäftsleute unzufrieden mit den Beziehungen zwischen Wirtschaft und Staat und allgemein daran interessiert, diese zu ändern. Sie brauchen eine Instanz, die ihre Rechte und Interessen im Dialog mit den Behörden schützt. Auf der anderen Seite glauben die Geschäftsleute nicht einmal dann an die Durchsetzungsfähigkeit von Unternehmerverbänden, wenn sie extra dafür geschaffen wurden.
Die Vorbehalte der Unternehmer gegen NGOs, die Korruption bekämpfen, mögen auch noch einen anderen Grund haben: Die überwältigende Mehrheit der russischen NGOs wird mit Geldern aus dem Westen unterstützt, das von verschiedenen internationalen Stiftungen und Organisationen kommt. In den 1990er Jahren hat Russland Milliarden von US-Dollar für Programme zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und für Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption erhalten. Das Geld stammt aus Quellen wie dem US-amerikanischen staatlichen Entwicklungsdienst USAID, dem IRIS Center der Universität von Maryland (USA), das weltweit Aktivitäten zur Liberalisierung der Wirtschaft unterstützt, der Eurasia- Stiftung, der Weltbank, der Europäischen Wiederaufbaubank, der National Endowment for Democracy, einer Stiftung zur Unterstützung von Freiheit und Demokratie mit Sitz in Washington D.C., und vielen anderen.
Nur ganz wenige Geldquellen sind russischen Ursprungs. So kommen zum Beispiel bei einem der fortschrittlichsten Zentren für Öffentliche Politik in St. Petersburg nur fünf Prozent der gesamten finanziellen Hilfe aus russischen Quellen. Der Direktor einer in unserer Untersuchung befragten NGO kommentierte, dass "die russischen Ideenschmieden direkt wieder verschwinden würden, wenn es keine Unterstützung von westlichen Organisationen gäbe". Die örtlichen Behörden leisten den NGOs nur ganz selten Hilfe, und sie würden deren Aktivitäten gegen Korruption niemals unterstützen. Das gilt insbesondere für NGOs, die sich auf den Schutz der Menschenrechte spezialisiert haben. Während die Stadtverwaltung wenigstens ab und zu von Wirtschaftsforschungsinstituten ökonomische Expertisen anfordert, ist die staatliche Nachfrage nach Anti-Korruptionsaktivitäten gleich null.
Darüber hinaus gibt es aber überhaupt keine institutionalisierten Kanäle, über welche die NGOs die Staatspolitik beeinflussen können. Nur wenn sie die Personen in der Stadtverwaltung oder dem Stadtparlament aus der Zeit der ersten demokratischen "Welle" kennen, können NGO-Aktivisten hoffen, dass sie Gehör finden. Der Dialog zwischen den NGOs und den Behörden wird auch dadurch erschwert, dass den NGOs keine Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Nur in wenigen Regionen in Russland ist ein Einspruchsrecht für NGOs im Stadtrecht verankert.
Die Zusammenarbeit zwischen den in der Korruptionsbekämpfung tätigen NGOs in St. Petersburg ist eher dürftig, obwohl die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit von allen anerkannt wird. Zwar unterhalten einige führende NGOs enge Beziehungen untereinander, sowohl personell wie organisatorisch, doch die Verbindungen zwischen den anderen Organisationen sind nicht so eng. Als die Vertreter solcher NGOs gefragt wurden, welches ihre Partnerorganisationen seien, führten sie Partner in West- und Osteuropa, verschiedene internationale Organisationen sowie Organisationen aus anderen russischen Städten oder den Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) auf doch keine lokalen. Die Unternehmer halten die NGOs nicht für stark genug, um über Lobbyarbeit den Staat im Sinne ihrer Geschäftsinteressen zu beeinflussen. Die Unternehmer sind nur dann zur Zusammenarbeit mit den Institutionen der Zivilgesellschaft bereit, wenn sie sich etwas davon versprechen. Mit anderen Worten, die Unternehmerverbände würden mit den "ideologischen Agenten" der Zivilgesellschaft erst zusammenarbeiten, wenn jene Einfluss auf die Staatspolitik haben.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass weder die NGOs noch die Unternehmensverbände bedeutende Kräfte in der Korruptionsbekämpfung sind. Ob zivilgesellschaftliche Organisationen zur Korruptionsbekämpfung im unternehmerischen Umfeld Erfolg haben, hängt vom guten Willen der jeweils zuständigen Vertreter des Staates ab. Die Leiter der NGOs von St. Petersburg mussten eingestehen, dass "in diesem Land oder dieser Stadt nichts getan werden kann ohne die Initiative von oben". Der Staat leiste weder finanzielle noch institutionelle Unterstützung für die "ideologischen Agenten im Anti-Korruptionsfeld". Und bei den NGOs selbst gibt es keine institutionalisierten Mechanismen, um Basisinitiativen zur Korruptionsbekämpfung zu fördern. Die Unternehmerverbände als die "rationalen Agenten" sehen ihrerseits keine Möglichkeit, gegen die "vom Staat gesetzten Regeln" zu kämpfen, sie passen sich lieber der Situation an als den Konflikt heraufzubeschwören. Also überlassen sie das Problem der Korruption dem Staat, und dieser zeigt keine kohärente Politik zur Bekämpfung der Korruption.
aus: der überblick 02/2006, Seite 30
AUTOR(EN):
Irina Olimpieva und Oleg Pachenkov
Irina Olimpieva ist Wissenschaftlerin am Zentrum
für unabhängige Sozialforschung (CISR) in St. Petersburg,
Russland.
Oleg Pachenkov ist stellvertretender Direktor des
CISR.