Grenzenloser Einfluss
Regierungen anderer Länder können sich bei ihrer Lobbyarbeit in den USA zumeist auf ihre dort lebenden Landsleute stützen. Denn die amerikanische Nation besteht ja fast völlig aus Einwanderern aus aller Welt und deren Nachkommen.
von Avery Alpha
Häufig wird US-Amerikanern vorgeworfen, dass sie nicht wüssten, was in ausländischen Hauptstädten vor sich geht. Umgekehrt lässt sich das jedoch nicht sagen. Denn die ungeheuren Möglichkeiten der Vereinigten Staaten, das Geschehen jenseits ihrer Grenzen zu gestalten, gibt Menschen in aller Welt Grund genug, zu verfolgen, was in Washington geschieht. Zwar können sie in den USA nicht wählen, doch das bemerkenswert offene, demokratische System dieses Landes ermöglicht es ihnen, die politische Entscheidungsbildung dort zu beeinflussen.
Die Beteiligung von Ausländern am politischen Prozess in den USA ist möglich, weil die amerikanische Verfassung allen Menschen garantiert, sich friedlich zu versammeln und sich zur Behebung von Missständen an die Regierung zu wenden. Das Recht des Einzelnen, seine Anliegen gewählten Volksvertretern vorzutragen, ist so grundlegend, dass die Vereinigten Staaten durchaus zutreffend als eine Gesellschaft von Interessengruppen bezeichnet werden. Zu der verwirrenden Fülle von Gruppen, die auf die politische Entscheidungsbildung Einfluss zu nehmen versuchen, gehören auch ausländische Regierungen.
Um ihre Absichten den entscheidenden Leuten näher zu bringen, wenden Regierungen aus dem Ausland die gleichen Strategien an wie inländische Interessengruppen. Sie tragen zum einen ihre Anliegen den Volksvertretern direkt vor, sowohl in der Regierung als auch im Kongress. Diesen Versuch der Beeinflussung von Abgeordneten durch Interessengruppen nennt man Lobbyarbeit.
Zum anderen bemühen sich Regierungen aus dem Ausland auch, indirekt Einfluss auf die Entscheidungsbildung in den USA zu nehmen. Zu diesem Zweck unterhalten viele von ihnen enge Beziehungen zu ethnischen Organisationen, von denen sie sich erhoffen, dass sie in Washington für sie Lobbyarbeit leisten. Darüber hinaus können sie versuchen, mit Hilfe von professionellen Agenturen für Öffentlichkeitsarbeit und Kontaktpflege, so genannte Public Relations Unternehmen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Mit dem gleichen Ziel finanzieren manche ausländischen Regierungen außerdem Forschungsprogramme an Universitäten und in Ideenfabriken, so genannten think tanks.
In der Regel steht die Botschaft eines Landes an der Spitze der Bemühungen, Lobbyarbeit direkt bei den jeweils zuständigen Vertretern der US-amerikanischen Regierung zu leisten. Die politische Abteilung der deutschen Botschaft in Washington beispielsweise fördert Deutschlands Interessen bei zahlreichen Organen der Regierung in Fragen des Handels, der Außenpolitik, hinsichtlich der Einsparung von Energie und im Gesundheitswesen. Das Personal des Verteidigungsattachés der deutschen Botschaft andererseits vertritt seine Anliegen beim Pentagon.
Botschaften betreiben jedoch nicht nur bei der Regierung Lobbyarbeit. Da der Kongress vom Weißen Haus unabhängig ist, versuchen Botschaftsangehörige auch Kongressmitgliedern ihre Anliegen vorzutragen. Ein guter Kontakt zu diesen kann entscheidend dafür sein, dass die eigenen Vorstellungen Gehör finden. Ausländische Regierungen, die Parlamentarier ignorieren, machen leicht die Erfahrung, dass Vereinbarungen, die sie mit einem Präsidenten getroffen haben, im Kongress zu Fall gebracht werden können.
Regierungen anderer Länder können sich bei ihrer Lobbyarbeit in den USA zumeist auf ihre dort lebenden Landsleute stützen. Denn die amerikanische Nation besteht ja fast völlig aus Einwanderern aus aller Welt und deren Nachkommen. Folglich kann nahezu jede Regierung ethnische Organisationen finden, die ihren Ideen wohlgesonnen sind. Wenn Ersuchen oder Beschwerden von US-Bürgern selbst vorgetragen werden, erscheinen sie glaubwürdiger und versprechen eher Erfolg. Das haben viele ausländische Regierungen gelernt.
Dafür gibt es eine ganze Reihe Beispiele: Israel hat seit langem enge Beziehungen zu bedeutenden jüdischen Gruppen in den USA wie dem “Amerikanisch-Israelischen Ausschuss für öffentliche Angelegenheiten”. Dank der Arbeit der “Armenischen Versammlung von Amerika” ist Armenien eines der Länder mit der - pro Kopf gemessen - höchsten Auslandshilfe der USA geworden. Und Mexiko steht in Verbindung zu nahezu jeder wichtigen mexikanisch-amerikanischen Organisation.
Ausländische Regierungen verlassen sich jedoch nicht allein auf ihre Landsleute, sondern setzen zunehmend auch amerikanische Public-Relations-Unternehmen, Anwaltsbüros oder Lobbyisten ein, um ihre Belange in Washington und im ganzen Land zu vertreten. An der Spitze dieser Firmen stehen in der Regel ehemalige Regierungsmitglieder aus Washington oder den Bundesstaaten mit hochkarätigen Kontakten und wertvollem Einblick, wie die politischen Prozesse in den USA funktionieren. Ziel ihrer Lobbyarbeit ist es, das Land, das sie vertreten, und seine Politik möglichst positiv darzustellen, etwa indem sie die Loyalität des Auftraggeberlandes gegenüber den Vereinigten Staaten herausstellen, wenn dessen Staatschef nach Washington reist. Die meisten Public-Relations-Aktivitäten versuchen jedoch, Auslandsinvestitionen für den Auftraggeberstaat anzuwerben, Unterstützung für dessen Verteidigungspolitik zu gewinnen oder Entwicklungshilfeersuchen zu stellen. Die Mitarbeiter der Unternehmen für Öffentlichkeitsarbeit organisieren dazu Pressekonferenzen, schalten Werbung in den Medien, verfassen Artikel für Zeitungen und führen direkte Briefkampagnen durch. Damit wollen sie das Publikum mobilisieren, an den Kongress zu schreiben. Die Öffentlichkeitsarbeiter organisieren ferner Gespräche mit Mitgliedern des Kongresses und ihren Mitarbeitern und verfassen Informationsblätter, Entwürfe für Reden und Gesetzesvorschläge.
Ist der Ruf einer ausländischen Regierung angekratzt, müssen diese PR-Unternehmen ihn wieder polieren. Ende der achtziger Jahre hatte “Die Nationale Union für die völlige Unabhängigkeit Angolas” (UNITA) geradezu einen Public-Relations-Krieg ausgelöst. Anführer dieser Rebellenbewegung war Jonas Savimbi, der am 22. Februar 2002 getötet wurde. Die von Savimbi angeheuerten PR-Profis hatten so großen Erfolg damit, seine Leute als Freiheitskämpfer darzustellen, dass die marxistische Regierung in Luanda Schwierigkeiten bekam, in den USA überhaupt ein PR-Unternehmen zu finden, das ihre Sicht der Dinge vertrat. Auch Saudi-Arabien hat ein Public-Relations-Unternehmen hinzugezogen, um nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 die Botschaft zu verbreiten, dass das Land ein unerschütterlicher Verbündeter der USA im Kampf gegen den Terrorismus sei.
Solche Kampagnen sind nicht billig. Saudi-Arabien zahlte der Firma Qorvis Communications in Washington D.C. fast 15 Millionen US-Dollar für sechs Monate Arbeit. So etwas lässt sich nicht im Geheimen tun. Denn das amerikanische Gesetz über die Registrierung von ausländischen Organen schreibt vor, dass alle Firmen, die ausländische Kunden vertreten, ihre Aktivitäten bei der Bundesregierung melden müssen. Ursprünglich wurde das Gesetz im Jahr 1938 verabschiedet, um die Propaganda der deutschen Regierung in den Vereinigten Staaten zu kontrollieren.
Eine andere Strategie, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, ist die Einrichtung von Lehrstühlen mit Stiftungskapital aus ausländischer Quelle. Die italienische Regierung etwa hat 17,5 Millionen US-Dollar ausgegeben, um an der Columbia-Universität die “Italienische Akademie für fortgeschrittene Studien in Amerika” einzurichten. Saudi-Arabien hat für 21 Millionen US-Dollar ein Studienzentrum für den Nahen und Mittleren Osten an der Universität von Arkansas geschaffen, und Deutschland hat fast eine Million Dollar gestiftet, um ein Zentrum für deutsche und europäische Studien an der Georgetown-Universität zu finanzieren.
Die Finanzierung von Bildungsinstituten kann aber auch zu Kontroversen führen. Amerikaner armenischer Herkunft haben sich heftig darüber beklagt, dass das gestiftete Gründungskapital aus der Türkei für Lehrstühle für türkische Studien an den Universitäten Harvard, Princeton, Georgetown und Chicago dazu bestimmt sei, eine Diskussion über die Ermordung von rund 1,5 Millionen Armeniern in den letzten Jahren des Osmanischen Reiches zu unterbinden. Aufgrund dieser Befürchtungen verlangt das US-amerikanische Gesetz nunmehr von Universitäten, alle finanziellen Zuwendungen aus dem Ausland in Höhe von über 250.000 US-Dollar anzugeben.
“Mit der Globalisierung, dem Internet, Zusammenschlüssen von Unternehmen wie DaimlerChrysler und transatlantischem Handel im Werte von Milliarden Dollars täglich ist die Unterscheidung zwischen ausländischen und inländischen Angelegenheiten bald überholt”, meint Christoph Eichhorn, stellvertretender Leiter der Abteilung für Politik im Büro der deutschen Botschaft in Washington. Je mehr die Globalisierung Grenzen untergräbt, um so stärker werden es ausländische Regierungen für unbedingt notwendig halten, ihre Begehren in den politischen Entscheidungsprozess der USA einzubringen.
aus: der überblick 03/2004, Seite 46
AUTOR(EN):
Avery Alpha:
Avery Alpha ist "special assistant" von James M. Lindsay im Rat für Auswärtige Beziehungen der USA.