Interview mit Stephan Reimers
In Israel und den palästinensischen Gebieten eskaliert die Gewalt. Damit kommen liberale palästinensische Gruppen, darunter Partner des EED, zusätzlich unter Druck. Sie sollten stärker unterstützt werden, erklärt Stephan Reimers, der EKD-Bevollmächtigte bei der Bundesregierung und den Europäischen Gemeinschaften in Berlin. Prälat Dr. Reimers hat als Mitglied des Aufsichtsrates des EED im Februar die Gebiete besucht.
von Bernd Ludermann
Herr Reimers, Sie sind mit einer Delegation des EED in den autonomen palästinensischen Gebieten und in Jerusalem gewesen. Was war der Zweck der Reise?
Wir haben Partner besucht, die von uns gefördert werden. Und zwar sowohl Projekte in der Trägerschaft der Evangelischen Kirche Jordaniens, etwa das Auguste-Viktoria-Krankenhaus und das Projekt Abrahams-Herberge, als auch Partner aus dem Bereich der Zivilgesellschaft - palästinensische und israelische Gruppen. Die wichtigste auf palästinensischer Seite war PARC, das Palestinian Agricultural Relief Committee (Palästinensisches Komitee für Landwirtschaftshilfe).
Welche Ziele verfolgt PARC?
PARC engagiert sich in der landwirtschaftlichen Beratung und Förderung von ländlichen Selbsthilfeinitiativen, um zum Beispiel in vielen Dörfern auf der Westbank aufgegebene Terrassen wieder zu kultivieren. Es will jeder Familie mindestens einen halben Hektar zur Verfügung stellen. Angesichts der Arbeitslosigkeit von über 50 Prozent sollen Menschen die Perspektive erhalten, sich selbst zu ernähren und sinnvolle Arbeit zu haben. Angebaut werden vor allem Oliven- oder Mandelbäume und Obst, die mit dem Regen auskommen, der dort pro Jahr fällt. Ein Hintergedanke ist, dass die Bebauung einen gewissen Schutz gegen Landkonfiskationen durch Israel bietet, denn für jüdische Siedlungen wird in der Regel unbebautes Land beschlagnahmt.
Wie wirkt sich die gegenwärtige Serie von Anschlägen und Gegenschlägen auf die Arbeit der Partner aus?
Ein indianisches Sprichwort sagt: Um einen Menschen zu verstehen, musst du drei Tage in seinen Mokassins gelaufen sein. Wir haben bei dem Besuch zusammen mit den palästinensischen Partnern Stunde um Stunde vor den Checkpoints gestanden, den Straßen-Kontrollstellen der israelischen Armee. Die haben ganz offensichtlich keinerlei sicherheitspolitische Bedeutung, weil man sie umgehen und umfahren kann. Und Attentäter werden mit Sicherheit nicht in den Autos sitzen und sich kontrollieren lassen. Die Grenzen sind ja nicht abgeschlossen, man kann über Feldwege jeden beliebigen Punkt der israelischen Städte erreichen. Die Checkpoints haben eindeutig das Ziel, Macht und Kontrolle zu demonstrieren. Und sie folgen, wie uns eine Partnerin von der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem gesagt hat, dem Motto: Ihr macht uns leiden, und wir lassen euch leiden. Die Engpässe an den Checkpoints verursachen nicht nur Verzögerungen, sondern auch großen Stress. Das ist das Gegenteil davon, was man machen müsste, wenn man Menschen beruhigen und Frieden befördern will.
Hat sich dadurch, dass Sie während der Reise "in den Mokassins" der Partner gelaufen sind, Ihr Bild von der Lage auf der Westbank verändert?
Jedenfalls mein Gefühl dazu. Sicher habe ich das alles vorher irgendwie gewusst, aber es ist doch etwas Anderes, wenn man selbst in Kontrollen festsitzt und sie über sich ergehen lässt. Ich habe früher immer gedacht, die Trennung in A-Zonen und B-Zonen der Selbstverwaltung hätte den Vorteil, dass die Palästinenser in der A-Zone ihre Angelegenheiten bereits selbst regeln können (die B-Zonen der autonomen Gebiete stehen noch stärker unter israelischer Kontrolle). Aber uns ist vor Augen geführt worden, dass die Übergänge zwischen diesen Zonen für Israel auch ein Anlass sind, neue Checkpoints einzurichten.
Ist unter den gegenwärtigen Umständen sinnvolle Entwicklungsarbeit überhaupt möglich?
Sowohl die Botschaft Deutschlands in Tel Aviv als auch die diplomatische Vertretung in Ramallah auf der Westbank haben uns nachdrücklich gebeten, alle Mosaiksteine möglichst zu erhalten. Denn wenn noch mehr wegbricht, gerade im Bereich der christlichen Projekte und Gruppen, würden die Möglichkeiten für Alternativen und für eine friedliche Entwicklung schlechter.
Verlassen auf Grund der Sicherheitslage fähige Mitarbeiter die Partnerorganisationen und wandern aus?
Wir haben eher die trotzige Mitteilung gehört: Auf keinen Fall werden wir weggehen wie 1948, nach der Gründung des Staates Israel. Wir bleiben auf jeden Fall.
Welche Wünsche äußern die Partner zum Engagement des EED?
Sie hoffen vor allem, dass wir unser politisches Gewicht als Kirche und deutsches Hilfswerk einbringen, um auf eine friedliche Lösung des Konflikts und auf eine Beendigung der Besatzung zu drängen. Zusätzlich erbitten Sie aber auch mehr Geld. Gerade nichtstaatliche Organisationen (NGOs) und Bürgerinitiativen haben uns darauf hingewiesen, dass zum Beispiel die islamistische Hamas, die für eine Reihe von Anschlägen verantwortlich ist, aus den Golfstaaten und anderen Quellen 30 Millionen US-Dollar monatlich an Zuwendungen erhält. Dagegen bekommen die NGOs in der Westbank von allen europäischen Partnern zusammen 50 Millionen Dollar im Jahr. Aber gerade die liberalen Ansätze einer Bürgergesellschaft sollten gestärkt werden.
Ist das denn realistisch angesichts des doppelten Drucks von Israel einerseits und der Autonomiebehörde andererseits, die ja nicht als Vorbild für Demokratie bekannt ist?
Ich habe einen sehr guten Eindruck von den NGOs gewonnen. Zudem habe ich das Gefühl, dass die Behörden der palästinensischen Selbstverwaltung zunehmend Kontakt zu den NGOs suchen, denn sie sehen die Qualität von deren Arbeit und haben Mühe, selbst Leistungen anzubieten, die die Bevölkerung braucht. PARC hat zum Beispiel in vielen Dörfern Frauengruppen gegründet, in denen Frauen über ihre rechtliche Lage, über Fragen von Ehescheidung, Kindererziehung und so weiter diskutieren. Das ist auch ein wichtiges Gegengewicht gegen fundamentalistische Bestrebungen im jeweiligen Ort.
Wie steht es denn um die Zusammenarbeit zwischen palästinensischen und israelischen NGOs?
Es gibt sie, aber insgesamt ist die Zusammenarbeit zwischen israelischen Friedenskräften und den palästinensischen Partnern sehr zurückgegangen. Nach dem Scheitern der Gespräche in Camp David 2000 und der Abwahl von Premierminister Barak hat sich unter den israelischen Linken eine gewisse Orientierungslosigkeit verbreitet, weil man auf palästinensischer Seite keinen Partner mehr gesehen hat. Nachdem ein von israelischer Warte aus gesehen so weitgehendes Angebot wie das von Barak ins Leere gelaufen war, hatten die Friedenskräfte kaum noch Argumente, um in der israelischen Gesellschaft Unterstützung zu finden. Das haben die Wahlen mit dem deutlichen Votum für den heutigen Premierminister Scharon ja klar gezeigt. Erst in jüngster Zeit erleben wir eine Revitalisierung der Friedenskräfte.
Der EED und Brot für die Welt haben im November internationale Beobachter für die palästinensischen Gebiete befürwortet und erklärt, sie wollten stärker versuchen, europäische Regierungen zur Einwirkung auf die Konfliktparteien zu bewegen. Beides stößt bei der israelischen Regierung auf Ablehnung. Kommen die deutschen Kirchen damit nicht in eine heikle Lage?
Nun, die Zunahme der Gewalt spricht dafür, dass etwas Wichtiges geschieht; internationale Beobachter könnten beiden Seiten nutzen, da sie zu einer unabhängigen Wahrnehmung der Situation beitragen. Und gerade wenn man sich als Freund Israels versteht - dazu würde ich mich nachdrücklich bekennen -, darf das nicht dazu führen, dass man Israels Politik nicht kritisieren kann. Auch die Evangelische Kirche Deutschlands hat ja auf ihrer Synode in Amberg kritische Bemerkungen zum Beispiel zur Siedlungspolitik Israels gemacht.
Haben Sie in Israel auf Grund solcher Äußerungen ein gewisses Misstrauen zu spüren bekommen?
Ich habe durchaus von offiziellen israelischen Stellen Hinweise erhalten, dass man sich von den Kirchen mehr öffentliche Zurückhaltung wünscht. Aber unsere Haltung hängt ja von der Lage ab und von dem Auftrag, den wir als Kirche haben, nämlich für Friedensprozesse einzutreten.
Welche Aufgaben sehen Sie mittelfristig für den EED und die anderen Werke?
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es sehr gute Ansätze zur Entwicklung einer palästinensischen Bürgergesellschaft gibt. Innerhalb der muslimischen Welt ist die palästinensische Gesellschaft für einen Dialog mit Europa und dem Westen besonders aufgeschlossen. Diese Chancen sollten auf jeden Fall genutzt werden. Das heißt wir sollten überlegen, ob wir unsere Unterstützung erhöhen können.
EED- und Brot-Projekte in Palästinenser-GebietenHilfe für die BürgergesellschaftDer EED und Brot für die Welt unterstützen in den Palästinenser-Gebieten über ein Dutzend Initiativen und Gruppen sowie ein halbes Dutzend in Israel. Brot für die Welt fördert zum Beispiel drei Berufsbildungszentren sowie zwei Institutionen, die Fachkräfte für seelische Gesundheit ausbilden oder Beratung für seelisch Gestörte anbieten; der Bedarf wächst infolge der Gewalt. Der EED unterstützt unter anderem Organisationen, die versuchen, ländliche Entwicklung und den Aufbau des Gemeinwesens im Dorf - der untersten Ebene der Demokratie - zu verbinden. Auch Frauenorganisationen, die sich für die rechtliche Gleichstellung der Frau einsetzen, und Gesundheitsstationen auf dem Land gehören zu seinen Partnern. Brot für die Welt und der EED fördern außerdem palästinensische Menschenrechtsorganisationen. Die Partner in Israel kommen überwiegend aus diesem Bereich; sie dokumentieren Rechtsverstöße oder bieten Rechtsberatung für Palästinenser in den Autonomiegebieten und in Israel selbst. Bürgergruppen werden jeweils entweder von Brot für die Welt oder dem EED unterstützt. Bei der Förderung kirchlicher Gremien und Institute - etwa des Nahöstlichen Kirchenrates und seiner Projekte - arbeiten beide zusammen. Eine Sonderstellung hat zudem der Lutherische Weltbund (LWB), der das Auguste-Victoria-Krankenhaus auf dem Ölberg in Jerusalem betreibt. Dieses Krankenhaus für palästinensische Flüchtlinge wird seit 1948 von deutschen Kirchen mit finanziert, auch aus Mitteln des kirchlichen Entwicklungsdienstes. Ein kirchliches Menschenrechts-Beobachterprogramm für die Palästinensergebiete will der Ökumenische Rat der Kirchen demnächst auflegen. Zahlreiche Kirchen aus dem Nahen Osten unterstützen das (die Entsendung von UN-Beobachtern hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrfach abgelehnt). Die EKD und mehrere kirchliche Werke - darunter der EED, Brot für die Welt, das Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland (EMS), das Evangelische Missionswerk (EMW) in Hamburg und Pax Christi von katholischer Seite - überlegen, sich an diesem Programm zu beteiligen. bl |
aus: der überblick 01/2002, Seite 110
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".