China und Lateinamerika
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Lateinamerika und China gewannen erst Mitte der 1990er Jahre an Bedeutung. Um das Wachstum weiter steigern zu können, braucht die Volksrepublik mehr Rohstoffe wie Stahl oder Soja, die Lateinamerika exportiert. Lateinamerika wiederum benötigt ausländisches Kapital, und die chinesischen Unternehmen sind bereit, in Lateinamerika zu investieren.
von Georgi Peniachki
Der Handelsaustausch zwischen Lateinamerika und China ist in den letzten Jahren stark gestiegen: Seit 1999 wachsen die chinesischen Importe aus Lateinamerika um durchschnittlich 50 Prozent pro Jahr während Lateinamerika jährlich rund ein Viertel mehr Waren von China bezieht. So hat sich der bilaterale Handel seit 1999 verfünffacht und lag 2004 bei 40 Milliarden US-Dollar.
Die lateinamerikanischen Regierungen haben ebenfalls Interesse daran, den Handel mit China zu intensivieren. Argentinien zum Beispiel hat seit dem Jahr 2000 fünf Handelsdelegationen nach China entsandt. Brasilien hat in Shanghai ein neues Handelsförderungsbüro eröffnet; damit ist China neben den USA das einzige Land, in dem Brasilien mehr als ein Handelsförderungsbüro unterhält. Im Norden von Brasilien ist als Gemeinschaftsunternehmen chinesischer und brasilianischer Firmen eine Stahlhütte geplant. Für diese Kooperation ist ein Investitionsvolumen von rund 1,5 Milliarden Dollar vorgesehen dies wäre die größte Auslandsinvestition Chinas überhaupt. Insgesamt sind mehr als 50 chinesische Firmen in Brasilien tätig. Auch in Peru, Chile und Venezuela sind die Chinesen sehr aktiv.
Die Folgen des chinesischen Engagements in Lateinamerika werden für die verschiedenen Länder der Region unterschiedlich sein. Gewinnen werden so sagen Wirtschaftsanalysten die Rohstoffexportländer, während Länder, mit deren Waren China auf dem Weltmarkt konkurriert, Absatzeinbußen hinnehmen müssten. Länder wie Argentinien, Chile und Peru werden von der starken Nachfrage nach Stahl, Kupfer, Soja und anderen Rohstoffen profitieren. Brasilien werde weiterhin durch steigende Rohstoffpreise gewinnen. Dagegen würden lateinamerikanische Fertigerzeugnisse gegenüber der chinesischen Konkurrenz über kurz oder lang an Bedeutung verlieren. Auf der Verliererseite steht zumindest kurzfristig Mittelamerika. Trotz der erheblichen Handelserleichterungen, die Mexiko im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA gewährt werden, verliert dieses Land in seinem wichtigsten Absatzmarkt, den USA, Marktanteile an China. Im Januar 2005 ist der Anteil der US-Importe aus Mexiko zum ersten Mal seit 1998 unter 10 Prozent gefallen, China dagegen konnte seinen Anteil an den US-Importen auf 14,6 Prozent erhöhen und hatte schon 2003 Mexiko als zweitwichtigsten Lieferanten der USA abgelöst. Mexiko kann diese Einbußen teilweise durch Exporte des im Preis angestiegenen Erdöls kompensieren, dramatisch aber wird sich dieser Trend auf die anderen Länder Mittelamerikas auswirken. Die chinesischen Produkte verdrängen die mittelamerikanischen Waren mehr und mehr vom Weltmarkt, und gleichzeitig verursacht China eine Verteuerung der Rohstoffe, die diese Länder importieren müssen. Auch die Inlandsmärkte Mittelamerikas werden mit chinesischen Produkten und Dienstleistungen überschwemmt. Im Jahr 2004 lag beispielsweise das Handelsdefizit Mexikos mit China bei rund drei Milliarden US-Dollar und war fünfmal so hoch wie im Jahr 1999.
Die chinesischen Unternehmen haben sehr niedrige Arbeitskosten, die Lateinamerika zur Zeit offenbar nicht unterbieten kann. In der Textilindustrie liegen diese in China bei rund der Hälfte der mexikanischen Kosten. In Nicaragua, dem Land mit den niedrigsten Löhnen der Region, liegen die Arbeitskosten immerhin noch um etwa ein Drittel über denen in China.
Für die Länder Lateinamerikas ist aber auch Chinas Engagement auf den Kapitalmärkten überaus wichtig. Dessen stetige Nachfrage nach US-Staatsanleihen stabilisiert den Wechselkurs des US-Dollar, der andernfalls wegen des hohen Außenhandelsdefizits der USA sinken würde. Dadurch bleiben die Zinsen für langfristige Dollaranleihen auf einem sehr niedrigen Niveau. Das erleichtert die Schuldentilgung für die hochverschuldeten lateinamerikanischen Staaten und begünstigt neue Kapitalzuflüsse dorthin. So ist deren Auslandsverschuldung von rund 180 Prozent der jährlichen Exporte im Jahr 2002 auf etwa 150 Prozent im Jahr 2004 zurückgegangen.
aus: der überblick 04/2005, Seite 18
AUTOR(EN):
Georgi Peniachki
Georgi Peniachki hat Soziologie studiert und als Hospitant beim überblick gearbeitet.