Doch das Messer sieht man nicht
Kein anderer Film hat das Bild eines Lebewesens bei unzähligen Menschen so dauerhaft nachteilig geprägt wie vor 25 Jahren Steven Spielbergs Horrorstreifen "Der Weiße Hai". Die Darstellung des blutrünstigen Monsters löste weltweit Panik und Hetzkampagnen gegen diese Tierart und ihre Verwandten aus.
von Maren Peters und Frank Schweikert
Dabei gibt es im wirklichen Leben weit weniger Hai-Attacken als durch derartige Filme propagiert wird. Weltweit werden dem International Shark Attack File (ISAF) jährlich zwischen 50 und 75 Angriffe von Haien auf Menschen gemeldet, fünf bis zehn davon enden tödlich. Bei 40 Milliarden Badegästen die jedes Jahr die Küsten bevölkern, ist diese Anzahl erstaunlich gering.
Der amerikanische Forscher George Burgess vom Florida Museum of Natural History in Gainesville (USA) fand heraus, dass in den letzten drei Jahren die Anzahl der Angriffe sogar kontinuierlich gesunken ist. Gründe dafür könnten sein, dass Badegäste und Taucher mehr Kenntnis von der "Wildnis Ozean" haben und sich entsprechend verantwortlicher verhalten, aber auch dass die Haibestände bereits stark geschrumpft sind. Viele Haiarten sind nach Einschätzung der internationalen Naturschutzorganisation The World Conservation Union (IUCN) stark bedroht, einige stehen bereits auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten. Darunter auch der Weiße Hai, der immer noch als Menschenfresser verfolgt wird.
Da Haie im Durchschnitt erst mit 10 bis 12 Jahren, der Dornhai sogar erst mit 21 Jahren, geschlechtsreif werden, führt die derzeit betriebene intensive Bejagung zu einer extremen Überfischung der Bestände: Jährlich werden wesentlich mehr Haie getötet als geboren. Früher waren Haie zumeist nur Beifang, der kaum verwertet wurde. Heute werden sie gezielt und in großen Mengen für die auf dem asiatischen Markt gefragte Haifischflossensuppe, fragwürdige pharmazeutische Produkte, Kosmetika und die im angelsächsischen Bereich beliebten Original Fish and Chips gefangen.
Auch in Deutschland sind viele Haiprodukte auf dem Markt. Hier werden sie unter den kulinarischen Synonymen "Schillerlocken" und "See-Aal-Filets" für den Kleinen Dornhai sowie "Kalbsfisch", "Karbonadenfisch" oder "See-Stör" für Heringshaie verkauft. Sogar im medizinischen Bereich kommen Teile von Haien zum Einsatz: Die Netzhaut der Augen wird bei Organtransplantationen verwendet.
Zu den stark angestiegenen Fangquoten kommt die Zerstörung der Kinderstuben. Der Mensch dringt immer mehr in die Rückzugsgebiete der Tiere ein und erschließt sie für den Tourismus oder die Industrie. Auch die allgemeine Meeresverschmutzung setzt den Haien zu. Die großen Jäger der Meere stehen am Ende der Nahrungskette und sind daher der Anreicherung mit Schadstoffen besonders ausgesetzt.
All diese Faktoren haben die Bestände der faszinierenden Tiere stark dezimiert. Dabei macht die unkontrollierte Jagd zur Gewinnung von Haifischflossen als Suppeneinlage den größten Anteil aus. Bei diesem so genannten Finning (englisch fin für Flosse) werden den oft noch lebenden Tieren nur die Flossen abgeschnitten, die Körper werden ins Meer zurückgeworfen, wo die verstümmelten Tiere langsam und qualvoll verenden. Der Handel mit dem eigentlich geschmacksneutralen Knorpelfleisch hat mafiöse Strukturen angenommen. Für ein Schüsselchen Haifischflossensuppe zahlen Gourmets in Asien bis zu 100 US-Dollar. Dies hat zur Folge, dass allein vor Hawaii nach Recherchen der "Deutschen Elasmobranchier Gesellschaft" in nur einem Jahr über 68.000 Haien die Flossen abgeschnitten wurden.
Um dieses Verfahren zu unterbinden fordern Experten ein Gesetz, welches es verbietet, nur die Flossen ohne die dazugehörigen Körper zum Verkauf an Land zu bringen. Die Regierungen der verantwortlichen Länder werden in dieser Sache jedoch nur langsam aktiv. Der schwunghafte Handel spült verlockend viel Geld in die oft leeren Staatskassen. Auf Hawaii werden beispielsweise jährlich Haifischflossen für 1,2 bis 1,5 Millionen US-Dollar umgeschlagen.
Eine weitere Bedrohung sind die Sportfischerwettbewerbe, bei denen Haie zwar nur wenig Punkte bringen, dafür aber oft in Massen geangelt werden und anschließend achtlos auf dem Müll landen. Ein Lösungsansatz, der jedoch stark umstritten ist, ist die so genannte Catch-and-Release-Methode: Die Haie werden von Sportanglern zwar gefangen, dann jedoch möglichst schnell wieder ins Wasser zurück gelassen. Wissenschaftler kritisieren an diesem Verfahren, dass die Tiere durch den Stress und den Sauerstoffmangel oft dermaßen geschwächt seien, dass sie sich nicht wieder erholen könnten und in der Folge sterben. Auch einige Reiseveranstalter machen mit Touren zum Haifang Geld. Auf den Kanaren beispielsweise wird für derartige Angelausflüge groß die Werbetrommel gerührt.
Solch achtloser Umgang mit Haien erklärt sich auch dadurch, dass zu wenige Menschen wissen, dass Haie die Gesundheitspolizei der Ozeane sind und damit eine wichtige Rolle im Ökosystem Meer ausüben. Sie erbeuten vor allem verletzte und schwache Tiere, aber auch andere große Raubfische und erhalten dadurch Fischbestände gesund. Die ersten Haifische patrouillierten auf der Jagd nach Beute bereits vor über 400 Millionen Jahren durch die Weltmeere und entwickelten im Laufe ihrer Evolution eine perfekte Anpassung an das Leben als Jäger im Ozean: Haie sind Knorpelfische, das heißt, sie haben kein festes Knochengerüst aus Kalzium, sondern nur weichere und leichtere Knorpel. Dies ist einer der Gründe, weshalb sie so gewandte Schwimmer sind. Außerhalb des Wassers ist dieser Trick zur Gewichtsreduktion jedoch unwirksam und das Knorpelskelett wirkt sich nachteilig aus: Die Tiere haben keinen stabilen Brustkorb und werden daher an Land innerhalb kürzester Zeit von ihrem eigenen Gewicht erdrückt.
Nur die wenigsten der heute noch über 370 Haiarten können dem Menschen überhaupt gefährlich werden, einige Arten sind sogar nur harmlose Planktonfresser. Diese Tatsachen sind den meisten Menschen leider nicht bekannt. Auf vielen Inseln des Pazifiks hingegen, wo man täglich mit den Tieren und den von ihnen ausgehenden Gefahren konfrontiert ist, wird Haien mit großer Achtung und oft sogar inniger Zuneigung begegnet. Einige Inselvölker verehren die gewandten Jäger als Reinkarnation ihrer Vorfahren.
Sollten die Haie aus den Meeren verschwinden, könnte dies nach Einschätzung von Experten eine Kettenreaktion auslösen, die das gesamten Ökosystems aus dem Gleichgewicht bringen würde.
aus: der überblick 02/2004, Seite 54
AUTOR(EN):
Maren Peters und Frank Schweikert:
Maren Peters ist Meeresbiologin.
Frank Schweikert ist Hörfunk- und
Fernsehjournalist. Seit 1992 betreibt er
das Medien- und Forschungsschiff
ALDEBARAN (www.aldebaran.org).