Die Arbeitsmigration föderte eine fragwürdige Entwicklung
Vor einem viertel Jahrhundert verblüffte der indische Bundesstaat Kerala die entwicklungspolitische Öffentlichkeit: Trotz niedrigen Pro-Kopf-Einkommens schien es große sozialpolitische Fortschritte zu geben, und das ohne Rückgriff auf die bis dahin bekannten Rezepte wie Revolution oder Industrialisierung. Eine kritische Bewertung zeigt jedoch, dass Kerala seinen hohen sozialen Lebensstandard in Wahrheit der Arbeitsmigration vieler Bewohner verdankt, die zwar den Konsum in der Heimat, nicht aber die Produktion angekurbelt und die Infrastruktur vernachlässigt hat.
von T. T. Sreekumar und Govindan Parayil
Sicherlich hat diese Migration auch das Konsumverhalten und die Einstellung der Öffentlichkeit beeinflusst. Die hohen Überweisungsbeträge wurden in Kerala kaum für Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen verwendet und haben so vielleicht der langfristigen Entwicklung Keralas sogar geschadet, weil sie eine Konsumgesellschaft ohne produktive Basis schufen. Von den Vorzügen des Kerala-Modells profitierte nämlich hauptsächlich eine neu entstehende Mittelschicht, die sich mit den Statussymbolen einer Konsumgesellschaft umgab. Gut organisierte Gruppen konnten sich unter Mithilfe von Staat und Politik einen beträchtlichen Anteil an den neuen Reichtümern sichern. Aber Gruppen und Gemeinschaften, die am Rande der Gesellschaft stehen, blieben von diesem Entwicklungsprozess ausgeschlossen. Dazu gehörten etwa traditionelle Stämme sowie Fischer und ein Teil der Dalitseiner Bevölkerungsschicht, die als unberührbar oder kastenlos gebrandmarkt und unterdrückt wird (siehe auch den Beitrag von Lalita Panicker in diesem Heft).
In der jüngeren Vergangenheit gab es Versuche, die Probleme Keralas auf der Grundlage des Modells der "Holländischen Krankheit" zu erklären. Dieses Modell der Entwicklungsliteratur geht davon aus, dass ein unerwartet großer Einkommensanstieg aus dem Verkauf eines wichtigen Rohstoffes (meist Öl oder Erze) notwendigerweise dazu führt, dass sich Arbeitskräfte und Kapital in diesen Sektor drängen und infolgedessen die verarbeitende Wirtschaft schrumpft. Als logische Folge des Exports, so wird argumentiert, steigen die Wechselkurse der eigenen Währung, wodurch ausländische Importwaren billiger werden. Die dadurch verringerte Wettbewerbsfähigkeit der eigenen produzierenden Industrie führt zu einem Niedergang der Exporte von Fertigerzeugnissen. Wenn mehr Devisen ins Land fließen - so wird ferner angenommen - wird auch mehr Geld ausgegeben, und das bedeutet eine stark steigende Nachfrage nach überwiegend staatlich bereitgestellten Gütern wie Bauten und Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und soziale Dienste.
Der Bundesstaat Kerala in Südindien hat einen recht eigenständigen Entwicklungsweg beschritten. Durch konzertierte Aktionen und die Mobilisierung der Öffentlichkeit hat Kerala beachtliche Erfolge bei der Bekämpfung der Armut und sozialer Ungleichheiten erzielt. Keralas Entwicklung ist nicht einfach der einzigartige Entwicklungsweg eines Bundesstaates, der in den einschlägigen Berichten als hohe soziale Entwicklung bei extrem niedrigem Pro-Kopf-Einkommen beschrieben wird. Man muss dabei auch beachten, dass Keralas Erfolg bei der Förderung grundlegender menschlicher Fähigkeiten und damit bei der Verringerung der Armut etwa durch Bildung, ein verbessertes Gesundheitswesen und bedeutsame Landreformen, tiefe historische Wurzeln hat, die bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen.
Kerala ist einer der 28 Gründungsstaaten der Indischen Union. Der Staat umfasst gut ein Prozent der Landfläche Indiens und hat nach der Volkszählung von 2001 rund 31,8 Millionen Einwohner, was gut drei Prozent der indischen Bevölkerung entspricht. Das Bevölkerungswachstum in Kerala zählte in den 1950er Jahren zu den höchsten in Indien. Es ist aber seit den siebziger Jahren gefallen und heute das niedrigste von allen indischen Bundesstaaten. Im Jahrzehnt zwischen 1981 und 1991 wuchs die Bevölkerung von Kerala um 14,32 Prozent, im Zeitraum von 1991 bis 2001 nur noch um 9,42 Prozent, während die Vergleichszahlen für ganz Indien 23,86 und 21,34 Prozent lauten. Die Geburtenrate in Kerala betrug 1997 17,9 und in ganz Indien 27,2 Prozent. Im Jahr 2001 konnten in Kerala 90,92 Prozent der Erwachsenen lesen und schreiben, während es in ganz Indien nur 65,38 Prozent waren. Auch bei den Frauen liegt der Anteil in Kerala höher als in allen anderen indischen Bundesstaaten. Außerdem können fast alle Kinder und Jugendlichen im Schulalter in Kerala lesen und schreiben.
Kerala ist außerdem der einzige indische Bundesstaat, in dem das Geschlechterverhältnis fast wie in Westeuropa und Nordamerika mit 1,058 : 1 zu Gunsten der Frauen ausfällt, im Gegensatz zum nationalen Verhältnis, das bei 0,933 : 1 liegt. Kerala verzeichnet auch von allen indischen Staaten die besten Ergebnisse im Hinblick auf die Gesundheit von Müttern und Kindern. Während die Säuglingssterblichkeit in Kerala 1997 bei 12 von 1000 Lebendgeburten lag (Indien: 71), zeigen neuere Untersuchungen unter bestimmten Bevölkerungsgruppen in Kerala heutzutage eine Kindersterblichkeit von 6 bis 7 pro 1000.
Der Fall Kerala zeigt in beispielhafter Weise, wie es eine wirtschaftlich arme Region schaffen kann, einen sozialen Lebensstandard zu erreichen, der sich mit dem in den hoch entwickelten Industrienationen vergleichen lässt. Kerala gilt als Modell, wie die Schattenseiten der Unterentwicklung wie Hunger, Unterernährung, hohe Geburtenraten und Rückständigkeit im Bildungswesen überwunden werden können, ohne den mühsamen Weg einer militanten sozialen Revolution zu gehen oder den einer schnellen Industrialisierung. Die verschiedenen Entwicklungsexperten haben jeweils die ihnen passenden Schlüsse daraus gezogen. Sowohl die Weltbank wie auch die radikale Linke haben diesen Bundesstaat als Modell gepriesen - und das nicht ohne Grund. Diejenigen, die einen alternativen Weg nachhaltiger Entwicklung für nötig halten, haben darauf hingewiesen, dass es sich lohne, einmal genauer hinzuschauen, wie Kerala mit seinen Ressourcen umgehe. Die gefeierte Publikation der Vereinten Nationen zu diesen Errungenschaften aus dem Jahr 1975 wies schon darauf hin, dass die positive Beurteilung dieses Entwicklungsprojektes von immer mehr Menschen geteilt wird.
Diese Errungenschaften beruhten jedoch nicht auf einem nennenswerten Ausbau der Produktion in dem Bundesstaat. Im Gegenteil, die Industrie begann damals zurückzufallen und die Landwirtschaft zu stagnieren. Deutlich kündigte sich eine bevorstehende Krise in der Entwicklung Keralas an. Die wurde zwar abgewendet, aber man kann durchaus die Meinung vertreten, dass dies nur durch die Abwanderung vieler arbeitsloser junger Menschen in die arabischen Golfstaaten und ihre Überweisungen möglich war, die Mitte der 1970er Jahre begannen. Seitdem hatten die Migration von gelernten und ungelernten Arbeitskräften in die Länder des Persischen Golfes und ihre Überweisungen einen offensichtlichen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung Keralas.
Sicherlich hat diese Migration auch das Konsumverhalten und die Einstellung der Öffentlichkeit beeinflusst. Die hohen Überweisungsbeträge wurden in Kerala kaum für Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen verwendet und haben so vielleicht der langfristigen Entwicklung Keralas sogar geschadet, weil sie eine Konsumgesellschaft ohne produktive Basis schufen. Von den Vorzügen des Kerala-Modells profitierte nämlich hauptsächlich eine neu entstehende Mittelschicht, die sich mit den Statussymbolen einer Konsumgesellschaft umgab. Gut organisierte Gruppen konnten sich unter Mithilfe von Staat und Politik einen beträchtlichen Anteil an den neuen Reichtümern sichern. Aber Gruppen und Gemeinschaften, die am Rande der Gesellschaft stehen, blieben von diesem Entwicklungsprozess ausgeschlossen. Dazu gehörten etwa traditionelle Stämme sowie Fischer und ein Teil der Dalitseiner Bevölkerungsschicht, die als unberührbar oder kastenlos gebrandmarkt und unterdrückt wird (siehe auch den Beitrag von Lalita Panicker in diesem Heft).
In der jüngeren Vergangenheit gab es Versuche, die Probleme Keralas auf der Grundlage des Modells der "Holländischen Krankheit" zu erklären. Dieses Modell der Entwicklungsliteratur geht davon aus, dass ein unerwartet großer Einkommensanstieg aus dem Verkauf eines wichtigen Rohstoffes (meist Öl oder Erze) notwendigerweise dazu führt, dass sich Arbeitskräfte und Kapital in diesen Sektor drängen und infolgedessen die verarbeitende Wirtschaft schrumpft. Als logische Folge des Exports, so wird argumentiert, steigen die Wechselkurse der eigenen Währung, wodurch ausländische Importwaren billiger werden. Die dadurch verringerte Wettbewerbsfähigkeit der eigenen produzierenden Industrie führt zu einem Niedergang der Exporte von Fertigerzeugnissen. Wenn mehr Devisen ins Land fließen - so wird ferner angenommen - wird auch mehr Geld ausgegeben, und das bedeutet eine stark steigende Nachfrage nach überwiegend staatlich bereitgestellten Gütern wie Bauten und Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und soziale Dienste.
Das Modell der Holländischen Krankheit erklärt die Wirtschaftsentwicklung Keralas historisch nur unzureichend. Man kann jedoch nicht leugnen, dass die Überweisungen der Arbeitnehmer im Ausland für den Bestand des Kerala-Modells eine große Bedeutung hatten. Das Phänomen verdient deshalb eine genauere Betrachtung. Eine Sammlung von Aufsätzen, die kürzlich unter dem Titel Kerala's Gulf Connection von dem Centre for Development Studies (CDS) veröffentlicht und von K. C. Zacharia, K. P. Kannan und S. Irudaya Rajan herausgegeben worden ist, versucht, diesen Faktor in seiner Gesamtheit zu begreifen.
Zunächst ein paar grundlegende Statistiken über Tendenzen und Muster der Golfmigration: Nach Angaben des indischen Arbeitsministeriums stammten im Jahr 1998 nicht weniger als 26 Prozent aller indischen Arbeiter, die eine Ausreiseerlaubnis erhielten, aus Kerala. Die Gesamtzahl der Arbeiter aus Kerala in den Golfstaaten wird auf 1,4 bis 1,6 Millionen geschätzt. Das ist etwa die Hälfte aller Inder, die im Ausland arbeiten. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind die Hauptziele der Arbeitsmigranten aus Kerala. Die Überweisungen von Arbeitern, die aus Kerala stammen, betragen etwa 50 Prozent der gesamten Überweisungen, die aus dem Ausland in Indien eintreffen. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass sie im Haushaltsjahr 1999/2000 bei etwa 2,5 bis 3 Milliarden US-Dollar lagen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten Arbeitsmigranten aus Kerala keine berufliche Ausbildung vorweisen können. Aber sie haben in der Regel eine gute Schulbildung; mehr als die Hälfte von ihnen hat die Sekundarschule abgeschlossen oder studiert. Die meisten Abwanderer aus Kerala sind zwischen 15 und 34 Jahre alt, und man nimmt an, dass ein Migrant aus Kerala nach etwa sieben Jahren wieder nach Hause zurückkehrt.
In Kerala werden die Überweisungen von Arbeitsmigranten vorwiegend für Baumaßnahmen und die Sanierung von Wohnraum verwendet. Sie werden auch dafür eingesetzt, dauerhafte Konsumgüter anzuschaffen und den Alltag angenehmer zu gestalten. Ferner wird das Geld für Bildung und Gesundheit ausgegeben. Dieses Ausgabeverhalten hat das Entwicklungsmodell in Kerala finanziert, während eine Umwandlung der Überweisungen in produktives Kapital unterblieb. Inzwischen konsumieren die Leute relativ weniger. Lag der Konsumanteil am Bruttoinlandsproduktes von Kerala bis in die frühen 1990er Jahre noch bei über 85 Prozent, so sind es gegenwärtig weniger als 50 Prozent. Dennoch zählen die Pro-Kopf-Ausgaben der Verbraucher in Kerala immer noch zu den höchsten in ganz Indien.
Das Buch Kerala's Gulf Connection enthält sechs Studien. Eine davon zeigt, wie sich die Zusammensetzung der Migrantenströme in den 1980er Jahren verändert und der Trend von der Binnenmigration in andere Bundesstaaten hin zu einer Abwanderung ins Ausland verschoben haben. Die Binnenmigration aus Kerala nimmt seit einiger Zeit ab, in den jüngsten Jahren hat es sogar eine Netto-Einwanderung aus dem übrigen Indien nach Kerala gegeben. Die Zahl der Arbeiter, die aus Kerala ins Ausland wanderten, ist jedoch bisher immer höher gewesen, als die Zahl ihrer Rückkehrer. In den vergangenen fünf Jahren haben aber sowohl die Netto-Auswanderung ins Ausland als auch die Netto-Binnenmigration abgenommen.
Der Wirtschaftsabschwung in den Golfstaaten könnte Hauptursache für den abnehmenden Auswanderungstrend ins Ausland sein. Ebenso mag der verschärfte Wettbewerb mit qualifizierten Arbeitskräften aus anderen Ländern Süd-und Südostasiens zu einem weiteren Rückgang der Arbeitsmigration aus Kerala beitragen. Weil aber Ausgewanderte normalerweise weitere Auswanderer nach sich ziehen, könnte die Zahl der Abwanderer einige Jahre lang sogar noch zunehmen. Die Autoren erwarten jedoch, dass die Zahl der Rückkehrer schneller wachsen wird, sodass es zu einer Phase der Netto-Rückwanderung aus dem Ausland kommen wird. Da die Abwanderung unabhängig von der Zahl der Rückkehrer zumindest noch einige Jahre anhalten wird, wird es auch noch für längere Zeit hohe Überweisungen aus dem Ausland geben.
Die Autoren fordern, Wiedereingliederungshilfe für Rückkehrer zu leisten, vor allem aber deren Erfahrungen und Fachwissen optimal zu nutzen, wenn in den kommenden Jahren mehr und mehr Auswanderer wieder in die Heimat zurückkommen. Die meisten Heimkehrer wollen sich selbstständig machen. Deshalb empfehlen die Autoren Politikern, ein Milieu zu schaffen, in dem die Rückkehrer mit einem Gefühl von Sicherheit und Selbstvertrauen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen können.
Die Autoren von Kapitel 3 des Buches sehen die Migration als den entscheidenden Faktor, der wie kein anderer dazu beigetragen hat, die Armut in Kerala zu mildern und die Arbeitslosigkeit zu senken. Ihrer Einschätzung nach hat der Anteil an der Bevölkerung, der unterhalb der Armutsschwelle lebt, um 12 Prozent abgenommen. Die Zahl der Beschäftigungslosen ist infolge der Überweisungen der Arbeitsmigranten um mehr als 30 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig warnen die Autoren davor, dass Kerala sich zu abhängig von der Migration als Faktor zur Unterstützung der Entwicklung macht. Sie zeigen, dass solche Abhängigkeit Kerala extrem anfällig für die Folgen von Krisen im Ausland macht. Die Migration könnte - wie schon 1990 während des Krieges zwischen dem Irak und Kuwait und des anschließenden Krieges zwischen den USA und dem Irak - plötzlich gestoppt werden.
Infolge der Migration leben nahezu eine Million verheirateter Frauen in Kerala von ihren Männern getrennt. Viele von denen leiden unter extremer Vereinsamung. Aber auf der anderen Seite haben sich die meisten der Frauen von diesem Gefühl der Hilflosigkeit frei gemacht. "Das Gefühl von Autonomie, Unabhängigkeit, das Entwickeln von Organisationstalent und Erfahrungen im Umgang mit der Außenwelt, Erfahrungen, die sie zu machen gezwungen waren, werden sie für ihr restliches Leben begleiten, zum Nutzen ihrer Familien und der gesamten Gesellschaft. Langfristig hat die Veränderung dieser Millionen von Frauen mehr zur sozialen Entwicklung in Kerala beigetragen als die zeitlich begrenzte Euphorie, die von den Auslandsüberweisungen ausgegangen ist."
Das Kapitel 4 geht auf einige Aspekte ein, die die Rückkehrer nach Kerala betreffen, so etwa ihre berufliche Mobilität, der Einsatz ihrer Fähigkeiten und Gelder für Keralas Entwicklung und ihre Wiedereingliederung. Etwa 43 Prozent der Heimkehrer haben während der Emigration ihren Beruf gewechselt. Die Studie geht aber davon aus, dass die dadurch ausgelöste Strukturveränderung in der Wirtschaft - weg vom Rohstoffsektor und hin zu verarbeitenden Branchen und von dort zum Dienstleistungssektor - nur weniger als die Hälfte der gesamten Verschiebung ausmacht. Eines der interessanten Ergebnisse dieser Untersuchung ist, dass die Arbeitsmigranten zwar während ihres Auslandsaufenthaltes eine bedeutende Rolle im Prozess der Kapitalbildung spielen, dass ihr Beitrag nach ihrer Rückkehr jedoch verhältnismäßig gering oder gleich null ist. "Es gibt heutzutage etwa eine Dreiviertelmillion zurückgekehrte Arbeitsmigranten in Kerala. Diese sind allerdings mit einem Durchschnittsalter von 41,7 Jahren relativ alt. Einige von ihnen sind sogar zu alt oder zu krank, um zu arbeiten. Andere haben das Gefühl, dass sie überhaupt nicht arbeiten müssen, sondern dass sie sich von dem im Ausland verdienten Geld einen gepflegten Ruhestand leisten können. Die Mehrzahl von ihnen hat weder die Fähigkeiten noch das Geld, um einen Beitrag zur Entwicklung in Kerala zu leisten." Der Studie zufolge ist von den Wohlhabenderen und besser Qualifizierten mit unternehmerischen Qualitäten kaum jemand nach Kerala zurückgekehrt. Die Untersuchung endet allerdings mit der Schlussfolgerung, dass es keine wirtschaftliche Rechtfertigung dafür gibt, Wiedereingliederungshilfen an Heimkehrer aus den Golfstaaten zu verteilen, außer in solchen Fällen, in denen die Auswanderer im Ausland gescheitert sind und Geld, Gesundheit und viel Energie verloren haben.
In Kapitel 5 wird die Gesamtzahl indischer Migranten in der arabischen Welt im Jahr 2000 auf über 3 Millionen geschätzt. Von ihnen befanden sich etwa eine Million in den VAE, davon kamen nach einer für das Jahr 2001 erhobenen Statistik eine halbe Million aus Kerala. Der Untersuchung zufolge haben Veränderungen der Einwanderungspolitik der Regierung der VAE, die Fertigstellung größerer Infrastrukturmaßnahmen und die wirtschaftliche Rezession in der Region den Bedarf an ungelernten und angelernten Arbeitskräften im Land stark reduziert. Außerdem stellt die Regierung der VAE keine Visa mehr aus für ungelernte Arbeitskräfte aus dem südasiatischen Raum, insbesondere Indien, Pakistan und Bangladesch. In Zukunft wird es nur noch einen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften wie Technikern, Computerfachleuten, Monteuren, Elektrikern und ausgebildeten Ärzten, Krankenschwestern, Ingenieuren, Lehrern und Buchhaltern geben. Angesichts dieser gesunkenen Nachfrage ist es interessant zu sehen, dass eine Umfrage in den VAE unter den Arbeitnehmern aus Kerala gezeigt hat, dass der größte Teil von ihnen, je nach Kategorie ungelernt, angelernt und qualifiziert, in den Bereichen Bau, Produktion und Transportwesen beschäftigt war. Nur etwa ein Fünftel war im Bereich hochqualifizierter und technischer Dienstleistungen tätig.
Die größten Probleme, mit denen Arbeitsmigranten aus Kerala der Studie zufolge zu kämpfen hatten, waren die Verzögerung oder Verweigerung der Lohnzahlung, die Ausstellung von Arbeitsverträgen unter Ausschluss von Sozialleistungen, das Einbehalten des Reisepasses und die Weigerung des Arbeitgebers, das Flugticket für die Rückkehr nach Kerala zu bezahlen. Auch die Lebensbedingungen der Arbeiter aus Kerala waren nicht zufriedenstellend. So wurde festgestellt, dass ein Drittel der Arbeitsmigranten aus Kerala in Arbeiterwohnheimen lebt, in denen pro Raum in der Regel zwischen vier und sechs Menschen untergebracht sind.
Das letzte Kapitel schätzt die Höhe der Überweisungen aus dem Ausland und beurteilt ihren Einfluss auf die Wirtschaft Keralas im Zeitraum von 1972 bis 2000. Die Untersuchung bestätigt die Schlussfolgerung früherer Studien, wonach die Überweisungen für die Wirtschaft Keralas von großer Bedeutung waren. Sie machten zwischen 17 Prozent (1991/92) und 24 Prozent (1997/98) des Volkseinkommens aus und lagen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre bei durchschnittlich 22 Prozent. Die Autoren führen aus, dass Kerala durch die Freigabe der zuvor festen Wechselkurse immens profitiert hat. Schätzungen des Pro-Kopf-Einkommens einschließlich der Überweisungen zeigen, dass Kerala mit seinem Pro-Kopf-Einkommen den indischen Durchschnitt nicht nur eingeholt hat, sondern Ende der neunziger Jahre sogar 49 Prozent darüber lag. Infolge der Überweisungen haben die Sparquoten in Kerala vergleichbare Standards erreicht wie in den ost-und südostasiatischen Ländern. Die Überweisungen nach Kerala waren 13 Prozent höher als die gesamten staatlichen Ausgaben des Bundesstaates und ein Zehntel höher als der dort erzeugte industrielle Mehrwert. Die Wertschöpfung im gesamten Produktionsbereich betrug weniger als die Hälfte der Überweisungen.
Die Botschaft des Buches ist eindeutig. Die Arbeitsmigration aus Kerala an den Persischen Golf hat den Bundesstaat aus einer sehr ernsten ökonomischen und sozialen Krise gerettet. Aber die Risiken eines migrationsabhängigen Wirtschaftswachstums sind nicht zu unterschätzen. Die Autoren glauben allerdings, dass durch vernünftige politische Interventionen nachteilige Auswirkungen gemildert werden können und der Bundesstaat die Überweisungen sogar für künftiges Wachstum nutzen könnte.
Hat Kerala also von der Auswanderung profitiert? Was sind die politischen Implikationen der Migration? Ein wesentliches Anliegen der indischen Bundesregierung ist, die Überweisungen für Investitionen zur Förderung des Wirtschaftswachstums zu nutzen, also insbesondere in den Produktionssektor zu investieren. Dafür muss man die Überweisungen steuerlich abschöpfen. Es ist auch erforderlich, eine Politik zur Wiedereingliederung der Rückkehrer zu entwickeln. In finanzieller Hinsicht und hinsichtlich einiger räumlicher und sozialer Entwicklungsindikatoren scheint Kerala von der Arbeitsmigration an den Golf profitiert zu haben. Allerdings war der Bundesstaat nicht in der Lage, das Potenzial für die Kapitalbildung und ein daraus folgendes industrielles Wachstum voll auszuschöpfen.
Die Rolle, die das Geld vom Golf dabei gespielt hat, Kerala zu einer Konsumgesellschaft zu machen, kann man nicht außer Acht lassen. Die Bevölkerung von Kerala macht 3 Prozent der indischen Bevölkerung aus, aber sie verbraucht 13 bis 15 Prozent aller Konsumgüter in dem Land. Und das ist vor allem durch die Überweisungen möglich geworden. Wenn man den Platz Keralas in der neuen Weltwirtschaftsordnung betrachtet, erscheint es fast unmöglich, die Überweisungen in produktives Kapital zu verwandeln.
Dem Handel mit Dienstleistungen wird im Rahmen internationaler Verhandlungen viel Aufmerksamkeit gewidmet, und Drittweltländer setzen sich für ein größeres Engagement seitens der USA und der westlichen Länder ein, den Zuzug von Ausländern zuzulassen. Auch wenn man noch nicht absehen kann, ob es in diesem Bereich angesichts der bestehenden Ungleichgewichte der Verhandlungspartner in der Welthandelsorganisation nennenswerte Veränderungen geben wird, würde ein erleichterter Zugang von gelernten und angelernten Arbeitskräften aus der Dritten Welt auf die internationalen Arbeitsmärkte vor allem in den USA und dem übrigen Westen Vorteile für Kerala bringen.
Literatur
Centre for Development Studies (CDS): Poverty, Unemployment and development Policy. Vereinte Nationen, New York 1975.
Prakash, B. A: The Economic Impact of Migration to the Gulf, in Prakash, B.A (Hrsg): Kerala's economic Development: Issues and Prospects. New Delhi 1999.
Zacharia, K. C, K. P Kannan and S. Irudaya Rajan:Kerala's Gulf Connection: CDS studies on International Labour Migration from Kerala State in India. Thiruvananthapuram Centre for Development Studies, 2002.
aus: der überblick 03/2002, Seite 47
AUTOR(EN):
T. T. Sreekumar und Govindan Parayil :
T. T. Sreekumar ist Dozent am "Institute of Management in Government" in Thiruvanathapuram, Kerala. Er ist Autor der Studie "Urban Process in Kerala", Thiruvananthapuram, 1993.
Govindan Parayil ist außerordentlicher Professor des "Information and Communication Management Programme" der Staatlichen Universität in Singapur. Seine jüngste Veröffentlichung ist "Kerala: The Development Experience: Reflections on Sustainability and Replicability", Zed Books, 2000.