Die Pfingstkirchen und der Ökumenische Rat der Kirchen
Von Anfang an standen die meisten Pfingstkirchen dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) distanziert gegenüber. Er war ihnen zu liberal, zu offen gegenüber modernen Entwicklungen in Wissenschaft und Sozialpolitik. In den siebziger Jahren, noch zu Zeiten des Kalten Krieges, wurde er bezichtigt, Partei für die Sozialisten und Kommunisten zu ergreifen. Dem ÖRK waren die Pfingstler ebenso suspekt. Seit Ende der neunziger Jahre aber findet wieder ein Dialog zwischen den Pentekostalen und dem Rat statt.
von Huibert van Beek
Die Einheit der Christen ist das erklärte Ziel des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Der Weg dorthin ist allerdings schwierig. Zwar arbeiten im ÖRK zur Zeit 347 Kirchen, Denominationen und kirchliche Gemeinschaften in über 100 Ländern zusammen. Er umfasst damit rund 400 Millionen Christen. Die römisch-katholische Kirche ist jedoch nicht Mitglied, sie arbeitet aber mit dem ÖRK zusammen und ist in einigen regionalen und nationalen ökumenischen Organisationen auch Vollmitglied. So sind es überwiegend aus den Traditionen der protestantischen Reformation stammende Kirchen und Gemeinschaften sowie die Mehrheit der orthodoxen Kirchen, die der ÖRK repräsentiert.
Allerdings gibt es auch im protestantischen Spektrum Kirchen, die sich mehrheitlich dem ÖRK gegenüber reserviert verhalten: Neben vielen sogenannten Evangelikalen sind das die Pfingstkirchen. Nur eine Handvoll von ihnen befinden sich unter den Mitgliedskirchen: fünf aus Lateinamerika, zwei aus Afrika und eine aus den USA. Alle sind verhältnismäßig kleine Kirchen im Vergleich zu den großen pfingstlerischen Denominationen, die es heute in Ländern wie Brasilien, Südkorea, Indonesien und Südafrika gibt.
Als der Ökumenische Rat 1948 in Amsterdam gegründet wurde, waren die Pfingstkirchen noch im wesentlichen auf Nordamerika und Europa konzentriert. Die Leiter dieser Kirchen, vor allem in den USA, standen der Art von Ökumene, die zur Gründung des ÖRK führte, ablehnend gegenüber. Von daher erklärt sich die Tatsache, dass auf der Vollversammlung in Amsterdam keine einzige Pfingstkirche vertreten war. Der ÖRK seinerseits hatte keinen zwingenden Grund, sich um die damals noch nicht so großen Pfingstgemeinschaften zu bemühen. Es gab genug Kirchen, die zur ökumenischen Bewegung gehörten und sich der neuen Weltorganisation anschließen wollten. In den sechziger Jahren wurden viele der neuen Kirchen in Afrika, Asien und anderen »Missionsfeldern«, die aus der Missionsarbeit der »Mutterkirchen« in Europa und Nordamerika hervorgegangen waren, selbstständig und bewarben sich um Mitgliedschaft. Die ökumenische Bewegung dehnte sich so auf alle Regionen der Welt aus; der ÖRK nahm an Mitgliedern und an Einfluss zu. Da gab es keinen Grund, um die zu werben, die es vorzogen, draußen zu bleiben. Die größte aller Kirchen, die römisch-katholische Kirche, gehört zwar dem Ökumenischen Rat der Kirchen nicht an, hat jedoch, insbesondere nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1963-1965) eine deutliche ökumenische Öffnung gezeigt. Sie ist zudem Mitglied der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Viele Pfingstgemeinschaften empfanden diese Annäherung als befremdlich.
Der ÖRK ist eine Gemeinschaft von Kirchen, deren »Hauptziel (...) darin besteht, einander zur sichtbaren Einheit in dem einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft aufzurufen, die ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen Leben in Christus findet, durch Zeugnis und Dienst in der Welt, und auf diese Einheit zuzugehen, damit die Welt glaube« (Verfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Artikel III). Hier wird ganz deutlich: sichtbare Einheit und gemeinsames Zeugnis sind seine Hauptanliegen. Alles, was der ÖRK zusammen mit seinen Mitgliedskirchen in Arbeitsfeldern wie Diakonie, Mission, soziale und rassische Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter, Menschenrechte oder Frieden tut, leitet sich von dieser Grundüberzeugung her: Die Kirche Christi in der ganzen Welt soll in ihrem Sein und in ihrem Tun sichtbar eine einheitliche sein.
Die Pfingstgemeinschaften leugnen die Bedeutung der Einheit nicht, neigen aber dazu, sie als eine schon bestehende geistliche Einheit aller »wahren« Gläubigen zu verstehen. Viele von ihnen glauben, dass die Zerbrochenheit der Kirche unumkehrbar ist und dass das Streben nach sichtbarer Einheit ein zum Scheitern verurteiltes menschliches Unterfangen ist. Sie haben eine andere Priorität, nämlich den Missionsbefehl: »Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« (Matth. 28, 18-20). Mit anderen Worten: Mission oder das Gewinnen von Seelen für Christus ist für sie dringender als die Einheit kirchlicher Organisationen. Von außen betrachtet, haben sie den Eindruck, dass der ÖRK das Gebot der Evangelisierung nicht ernst nimmt.
Die Entfremdung zwischen der Pfingstbewegung und der evangelikalen Bewegung auf der einen und der ökumenischen Bewegung auf der anderen Seite ist um so erstaunlicher, wenn man die Geschichte betrachtet. Es besteht kein Zweifel daran, dass es Wurzeln der Ökumene des 20. Jahrhunderts auch in den großen Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts gibt. Christen aus unterschiedlichen Denominationen überschritten die konfessionellen Grenzen, die sie trennten, und reichten sich die Hand zu einem neuen Aufbruch in der Evangelisation und im sozialen Handeln. Sie gründeten interkonfessionelle und internationale Organisationen wie die Evangelische Allianz (1848), den Christlichen Verein junger Männer und den Christlichen Verband junger Frauen (1855 und 1898), den Christlichen Studentenweltbund (1895). Diese wurden zum Nährboden für die ökumenischen Pioniere. Einer von ihnen war der methodistische amerikanische Laie John R. Mott, der erste Generalsekretär des Christlichen Studentenweltbundes, der es sich zum leitenden Motto gemacht hatte, die ganze Welt »innerhalb dieser Generation« für Christus zu gewinnen. Wo ist der Pfingstler, der nicht aus vollen Herzen einer solchen Vision zustimmen würde?
Dabei muss betont werden, dass diese Pionierorganisationen von einzelnen Christen aufgebaut wurden und nicht von den Kirchen, denen sie angehörten. Das trifft auch auf die meisten Missionsgesellschaften zu, die im 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika entstanden. Im Jahre 1910 versammelten sich diese Gesellschaften in Edinburgh, Schottland, zu einer großen internationalen Konferenz. Dort geschah etwas Neues. Zum ersten Mal tauchte die Erkenntnis auf, dass es Sache der Kirchen sei, ihre Spaltungen zu überwinden und sich zu gemeinsamem Zeugnis in der Gesellschaft zusammenzutun. Das war der Anfang der Bewegungen für »Glauben und Kirchenverfassung« und »Praktisches Christentum«, die Vorläufer des Ökumenischen Rates der Kirchen waren.
Was ist in diesen frühen Jahren des 20. Jahrhunderts aus den Erweckungsbewegungen und dem kraftvollen Streben nach Heiligkeit und Heiligung geworden, insbesondere in den großen presbyterianischen, baptistischen und methodistischen Kirchen in den USA? Unter den Evangelikalen entwickelte sich die Lehre des Fundamentalismus (vergl. »der überblick« 4/96 und 1/97) als Reaktion auf den Positivismus und Modernismus von Wissenschaft und Kultur und, so die Wahrnehmung, auf den Liberalismus und das »soziale Evangelium« der etablierten Kirchen.
Inzwischen war aus der Heiligungsbewegung die Pfingstbewegung hervorgegangen, die sich zwischen 1900 und 1910 gleichzeitig an verschiedenen Orten der Welt, vor allem in den USA, entwickelte.
Die Pfingstbewegung, deren Wesen vornehmlich in der Erfahrung der Geistestaufe besteht, setzte sich in ihrer Aufbruchsphase über alle kirchlichen, sozialen und rassischen Grenzen hinweg. Außerdem war sie randvoll von Enthusiasmus und missionarischem Eifer erfüllt, weil die Ausgießung des Heiligen Geistes als Zeichen der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Christi galt. Die Menschen mussten bekehrt werden, bevor es zu spät war.
Die Reaktion der historischen Kirchen, die schockiert waren von dem, was sie für äußerste Unordnung hielten, und die Erkenntnis, dass die Endzeit nicht unmittelbar bevorstand, zwang die Pfingstgemeinschaften dazu, ihre eigenen Denominationen zu bilden. Darauf waren sie weder theologisch noch institutionell vorbereitet. Sie hielten nach Hilfe und Freunden Ausschau und fanden niemand anderen als die Evangelikalen, von denen die meisten Zuflucht im Fundamentalismus gefunden hatten. Das erklärt, warum die meisten Pfingstkirchen bis heute in den nationalen und internationalen evangelikalen Bündnissen anzutreffen sind und warum die wenigen Organisationen, die sie haben, wie die World Pentecostal Fellowship, schwach und nicht gut organisiert sind.
Es ist anzunehmen, dass künftige Kirchenhistoriker das 20. Jahrhundert als das Zeitalter zweier Bewegungen beschreiben werden, die der Weltchristenheit ihren Stempel aufgedrückt haben: die ökumenische Bewegung und die Pfingstbewegung. Von einigen verstreuten kleinen Gruppen hier und dort ist die Pfingstbewegung auf über 500 Millionen Christen angewachsen. Dazu gehören auch die Charismatiker, Gläubige, die eine ähnliche Erfahrung der Geistesgaben haben wie die Pfingstgemeinschaften, doch in ihren Kirchen geblieben sind: römisch-katholische, anglikanische, protestantische, sogar orthodoxe Christen. Die Mehrzahl der Mitgliedskirchen des ÖRK gehören den protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Traditionen an. Viele von ihnen zählen zu ihren Gläubigen Charismatiker, die neue Gottesdienstformen, Handauflegung, Heilungsgebete und anderes mehr in ihre Kirchen eingebracht haben.
Viele Mitgliedskirchen des ÖRK haben auch pfingstlerische Weisen, Gott zu loben, übernommen, insbesondere junge Leute fühlen sich von der Spontaneität, dem Singen und der Spiritualität der Pfingstgemeinschaften angezogen. Doch insgesamt sind die Ökumene und die Pfingstbewegung in den vergangenen hundert Jahren ihre eigenen Wege gegangen und haben zumeist keine Notiz voneinander genommen. Das ist um so erstaunlicher, als beide den Anspruch erheben, eine Frucht des Heiligen Geistes zu sein! Es sieht so aus, als habe der gleiche Geist verschiedene Teile der Weltkirche in entgegengesetzte Richtungen geführt. In den 1970er Jahren etwa, als die Pfingstkirchen sprunghaft wuchsen, und die charismatische Erneuerung die historischen Kirchen ins Wanken brachte, konzentrierten der ÖRK und seine Mitgliedskirchen sich mehr denn je auf soziale, wirtschaftliche und politische Probleme. In diesen Jahren des Kalten Krieges war die Kluft auch ideologischer Art. Pfingstgemeinschaften und Evangelikale warfen dem ÖRK vor, politisch links zu stehen, auf der Seite der Sozialisten und Kommunisten. Aus der Sicht des ÖRK waren die Pfingstgemeinschaften hoffnungslos konservativ und nur an jenseitigen, geistlichen Dingen interessiert.
Dennoch gab es Versuche, einander zuzuhören. Von 1954 bis 1983 nahm ein geachteter führender Pfingstler, Reverend David du Plessis aus Südafrika, an allen Vollversammlungen des ÖRK teil und versuchte unermüdlich, die Pfingstgemeinschaften und den ÖRK ins Gespräch miteinander zu bringen. 1978 begann der ÖRK einen Studienprozess über Spiritualität und charismatische Erneuerung, der 1980 in eine Konsultation mit führenden Charismatikern mündete, auf der Philip Potter, der damalige Generalsekretär des ÖRK, eine aktive Rolle spielte. Viele Mitgliedskirchen bekundeten ihr Interesse und waren froh darüber, dass dieses Thema aufgegriffen wurde.
Die Tatsache, dass im Laufe der Jahre einige Pfingstkirchen, wenn auch nur wenige und kleine, Mitglieder des ÖRK geworden sind, ist beachtenswert, weil sie zeigt, dass so etwas überhaupt möglich ist. Kurzfristig sah es sogar so aus, als ob ein Durchbruch gelungen wäre, als sich nämlich 1969 eine Pfingstkirche aus Brasilien mit 1,5 Millionen Mitgliedern dem ÖRK anschloss. Doch diese Kirche trat nach dem Tod ihres charismatischen Führers wieder aus. Wenn man die Pfingstkirchen, die Mitglieder des ÖRK sind, nach ihrer Motivation fragt, antworten sie, dass sie ihre Einheit in Christus mit anderen Kirchen bezeugen wollen. In dieser Hinsicht sind sie sicher eine Ausnahme unter ihren Glaubensgenossen.
Der ÖRK stellt Pfingstkirchen, die Mitglied werden wollen, keine besonderen Bedingungen. Sie müssen mit den Grundsätzen des Rates übereinstimmen und die gleichen Kriterien erfüllen, wie alle anderen Kirchen auch. Schwierigkeiten könnte es mit einem Zweig der Pfingstgemeinschaften, den so genannten »Jesus-allein« Kirchen geben, die ein eigentümliches Verständnis der Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiliger Geist haben. Doch das gleiche würde auf die so genannten Unitarischen Kirchen im Protestantismus zutreffen.
Wie kommt der ÖRK heutzutage mit der Tatsache zurecht, dass es inzwischen mindestens ebenso viele Pfingstler in der Welt gibt wie in allen seinen Mitgliedskirchen zusammen? Was bedeutet es für sein Selbstverständnis, dass die Vitalität und das Wachstum der Christenheit in diesen neuen Gemeinschaften zu finden ist und nicht in den abnehmenden alten Kirchen Europas, welche die Pioniere der ökumenischen Bewegung waren? In der Vorbereitung auf sein 50-jähriges Jubiläum 1998 hat der Ökumenische Rat eine kritische Überprüfung seines Selbstverständnisses und seiner Vision vorgenommen (vergl. »der überblick« 3/98). Das war die Gelegenheit, zu der Erkenntnis zu kommen, dass die ökumenische Gemeinschaft ohne die römischen Katholiken auf der einen und die Pfingstgemeinschaften und Evangelikalen auf der anderen Seite nicht vollständig ist. Es war Zeit, zu erkennen, dass parallel zum Dialog und zur Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche eine Diskussion mit den Pfingstgemeinschaften notwendig ist.
So begann der Ökumenische Rat, Kontakte aufzunehmen, unaufdringlich, bescheiden. In verschiedenen Teilen der Welt wurden Tagungen mit denjenigen Pfingstgemeinschaften veranstaltet, die bereit waren, die Einladung anzunehmen. In einigen Fällen half der ÖRK Pfingstgemeinschaften, sich selbst zu organisieren und unter ihren eigenen Kirchen für eine Einheit zu wirken. Nach und nach wurde Vertrauen aufgebaut, wurden Beziehungen geknüpft. Eine der Früchte dieser Bemühungen war es, dass eine große Anzahl von Pfingstlern an der Vollversammlung des ÖRK in Harare 1998 teilnahm (vergl. »der überblick« 1/99). Auf dieser Vollversammlung wurde der Vorschlag angenommen, eine »Gemeinsame Arbeitsgruppe« des ÖRK und der Pfingstgemeinschaften zu bilden. Diese Gruppe hat sich seit dem Jahr 2000 jährlich getroffen und wird auf der nächsten Vollversammlung 2006 in Porto Alegre, Brasilien, einen Bericht vorlegen. Sie wird eindringlich empfehlen, dass dieser Dialog fortgesetzt und vertieft wird.
Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass es in den kommenden Jahren einen Ansturm der Pfingstkirchen auf Mitgliedschaft im ÖRK geben wird. Der ÖRK hat seinerseits immer erklärt, dass es nicht Ziel des Dialogs sei, neue Mitglieder zu gewinnen. Wenn einige beitreten möchten, seien sie willkommen. Doch worauf es eigentlich ankomme, sei die Überwindung der gegenseitigen Unkenntnis, Fehleinschätzungen und Verdächtigungen, um dann Beziehungen des Vertrauens und der Zusammenarbeit aufzubauen. Das wird allerdings eine langwierige Aufgabe sein.
aus: der überblick 01/2005, Seite 58
AUTOR(EN):
Huibert van Beek:
Huibert van Beek ist von Haus aus Ingenieur und war nach Missionstätigkeit in Madagaskar beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf zwölf Jahre lang für die ökumenischen Beziehungen zuständig, insbesondere zu den Pfingst- und Evangelikalen Kirchen. Derzeit ist er Generalsekretär des »Global Christian Forum«, einer Initiative des ÖRK zum Dialog und zur Kooperation zwischen den großen christlichen Traditionen.