Sarath Fernando vom Movement for Land and Agricultural Reform (MONLAR) wirft der Regierung Sri Lankas vor, sie nutze Hilfsgeld, das für Opfer des Tsunami bestimmt ist, um den Tourismus und die Exportlandwirtschaft zu fördern. Das droht weitere Menschen in Armut zu stürzen, erklärt er. Seine Organisation ist ein Partner von "Brot für die Welt" und setzt sich in Sri Lanka für die Belange der Kleinbauern ein.
Gespräch mit Sarath Fernando
MONLAR hat die Wiederaufbaupläne nach dem Tsunami scharf kritisiert. Was werfen Sie der Regierung Sri Lankas vor?
Die Regierung will den Tsunami als Gelegenheit nutzen, ihre Entwicklungspläne umzusetzen. Sie hat sehr schnell einen Wiederaufbauplan vorgelegt mit dem Titel Rebuilding the Nation, der unter anderem eine starke Ausweitung der Tourismus-Industrie vorsieht. Eine Woche nach dem Tsunami beschloss die Regierung, dass die Fischerdörfer im Süden der Insel hundert Meter und im Osten zweihundert Meter von der Küste zurückverlegt werden müssen. Der Sinn dieser sogenannten Pufferzone ist eindeutig nicht, die Fischer zu schützen, sondern den Tourismus auszuweiten. Vorgesehen sind 15 Tourismus-Zonen an der Küste, aus denen die Fischer verdrängt werden sollen. Damit verlieren sie ihren Lebensunterhalt.
Und wer profitiert davon?
Vier der acht Mitglieder der Arbeitsgruppe, die den Aufbau plant, sind die Eigentümer der größten Tourismus-Unternehmen in Sri Lanka. Der Besitzer des größten ist zufällig auch der führende Wirtschaftsberater der Präsidentin. Deshalb hat die Förderung des Tourismus die höchste Priorität. Der Plan sieht den Bau von 62 neuen, modernen Siedlungen an der Küste vor. Sie sind für Reiche bestimmt Einheimische, Investoren oder Touristen.
Der Tourismus schafft aber auch Beschäftigung, oder?
Er schafft ein paar Jobs. Aber der Nutzen für das Land ist beim heute vorherrschenden Tourismus gering. Die großen Hotels importieren zum Beispiel sogar einen großen Teil ihres Bedarfs an Nahrungsmitteln. Der Schaden überwiegt. Schon immer sind Fischerdörfer für den Tourismus vertrieben worden. Aber nach den jetzt vorgelegten Plänen müssten eine halbe Million der rund achthunderttausend Menschen dort dem Tourismus weichen.
Behaupten Sie, dass ein Teil der Nothilfe, den die Regierung für die Opfer des Tsunami erhält, für diese Art Projekte verwendet wird?
Nicht ein Teil, sondern fast die gesamte Hilfe. Die Regierung hat die erwähnte Arbeitsgruppe eingesetzt, die den Wiederaufbaus steuert Siedlungen, Straßen, Telefon, Strom- und Wasserleitungen, alles. Die Pläne dieser Gruppe lagen schon am 15. Januar fertig vor. Das war nur möglich, weil Pläne übernommen wurden, die schon vor dem Tsunami existierten. Deshalb heißt der Plan auch "die Nation neu aufbauen ", nicht etwa die verwüsteten Regionen oder die Lebensgrundlage der Betroffenen wiederherstellen. Er sieht sehr wenig Geld für die dringenden Bedürfnisse der Opfer des Tsunami vor. Die leben immer noch in Übergangs-Behausungen wie Zelten, weil sie nicht an ihre früheren Wohnorte zurück dürfen und ihre Häuser, Tempel und Schulen wiederaufbauen.
Wo sollen sie denn dem Plan zufolge hin?
Das ist ein ungelöstes Problem. Die Regierung sagt, die Menschen, die die Pufferzone verlassen müssen, würden Land für eine Umsiedlung erhalten. Die Präsidentin hat allen ein Haus innerhalb von drei Monaten versprochen. Nichts davon ist eingehalten worden. Noch immer leben sehr viele in provisorischen Siedlungen, die nichtstaatliche Organisationen (NGOs) angelegt haben. Die Regierung hat zwar festgestellt, wie viele Häuser wo gebraucht werden, wartet aber auf Vereinbarungen mit NGOs wie Caritas Sri Lanka, Care oder Oxfam, dass diese die Häuser bauen. Das Geld der Regierung dafür ist also noch nicht ausgegeben. Der Rest des Wiederaufbauplans enthält Vorhaben, die schon lange geplant waren und Auslandsinvestitionen anziehen sollen.
Mit Hilfe von Infrastruktur wie Straßen zum Beispiel?
Ja, mit Autobahnen. In den vergangenen Jahren gab es verschiedene Pläne zum Bau von bis zu 17 Autobahnen. In Bau ist bisher nur eine, und wegen großer Proteste der Anwohner ist sie nur halb fertig. Die gegenwärtige Regierung hat versichert, sie werde die Pläne nicht weiter verfolgen. Jetzt aber sind diese Pläne Teil des Aufbauplans nach dem Tsunami alle Autobahnen stehen darin und sogar noch einige, die bisher nicht vorgesehen waren. Eine davon, im Süden, will die Europäische Union finanzieren. Angeblich soll das den Armen besseren Marktzugang geben. Tatsächlich sollen Großinvestoren angezogen und ihnen billige Arbeitskräfte sowie Land verschafft werden. Auch das wird Arme ihrer Lebensgrundlage berauben.
Was sollte man alternativ tun?
Man sollte als erstes an den dringenden Bedürfnissen der Opfer des Tsunami ansetzen. Sie haben von der Regierung zu wenig Hilfe für Nahrung erhalten und bekommen jetzt gar nichts mehr. Die Hilfe der Regierung hat zwar funktioniert, aber mit ihren Ressourcen und der enormen Hilfe von Außen hätte sie viel mehr erreichen können. Nur lag das Augenmerk nicht auf den langfristigen Bedürfnissen der Opfer. Die gesamte Planung geschieht ohne jede Beteiligung der Betroffenen.
Wurde die Nahrungsmittelhilfe importiert oder im Land gekauft?
Sie kam anfangs vollständig aus dem Ausland, obwohl man sie mindestens teilweise hätte lokal kaufen können. Jetzt ist das angeblich anders. Es mag sein, dass die Hilfsgüter nun im Land gekauft werden. Aber das geschieht dann unnötig teuer über Zwischenhändler, die den größten Teil des Preises einstecken. Dabei kann man direkt bei den Bauern kaufen, selbst die Regierung hat das schon getan. Das würde den Kleinbauern sehr helfen.
Und was sind Alternativen zu den langfristigen Plänen der Regierung?
Sri Lanka hat seit 27 Jahren versucht, zuerst das Wachstum und die Exporte zu erhöhen und dadurch Armut zu vermindern. Das ist gescheitert. Bis 1977 schützte die Regierung die kleinen Reisfarmer; sie stellte Saatgut zur Verfügung, finanzierte die Agrarforschung und sorgte für gute Vermarktungsbedingungen. Diese Politik wurde 1977 geändert: Nun wurden auf Kosten der Kleinbauern landwirtschaftliche Exporte gefördert. Die Weltbank empfahl 1996, den relativ teuren Reisanbau aufzugeben und Reis besser zu importieren. Aber die Exportförderung war nicht auf Dauer erfolgreich: Der Export von Tee und Kautschuk sinkt, und Bemühungen, Blumen oder Tabak zu exportieren, sind fehlgeschlagen. Dafür hat diese Politik zu Unterernährung und Hunger auf dem Land geführt. Seit 1992 begehen jedes Jahr zahlreiche Kleinbauern Selbstmord, meist weil sie stark verschuldet sind.
Fördert das auch die Konzentration des Landbesitzes?
Der Verkauf von Land ist politisch eingeschränkt. Die Weltbank hält das für ein Hindernis des Wirtschaftswachstums und fordert, die Besitzer sollten das Land verkaufen dürfen.
Weil sie es dann den Banken als Sicherheit anbieten können und damit Zugang zu Kredit erhalten?
Das ist die Begründung. Aber die meisten Kleinbauern sind schon verschuldet, die Produktionskosten sind hoch und die Absatzpreise niedrig. Wenn sie ihr Land verpfänden dürfen, werden sie es verlieren. Das wissen auch die Regierung und die Weltbank. Die Absicht ist, das Land für Investitionen in den Anbau von höherwertigen Exportprodukten zu öffnen. Die Kleinbauern sollen in die Städte abwandern. Dort gibt es in Sri Lanka aber keine Arbeitsmöglichkeiten. Das würde daher nur die Löhne drücken. Billigere Arbeitskräfte zu schaffen, ist das zweite Ziel dieser Politik. Denn Sri Lanka kann nicht mit den niedrigen Löhnen in Ländern wie China konkurrieren.
In der Bekleidungsindustrie?
Ja. Der Export von Bekleidung ist zeitweise gewachsen, weil Sri Lanka von einer Quote unter dem Welt-Textilabkommen profitierte. Aber das ist seit 2005 vorbei. Die Textilfabriken verlassen Sri Lanka. Man schätzt, dass von den 400.000 überwiegend weiblichen Arbeitskräften in der Textilindustrie in den kommenden Jahren mindestens 250.000 ihre Anstellung verlieren werden. Statt unter diesen Umständen Abwanderung in die Städte zu beschleunigen, sollte man lieber Armuts- und Hungerbekämpfung an den Beginn der Entwicklungsprozesse stellen. Potenzial für die Steigerung der Erträge der Kleinbauern mit Hilfe einer nachhaltigen Landwirtschaft ist im ganzen Land vorhanden das Land ist fruchtbar, das Klima günstig. Und es würde nur wenig kosten. Im Bergland könnte man brachliegendes Land nutzen, man müsste gar nicht das Land der Teeplantagen angreifen. Solch eine Entwicklung würde den Ärmsten sofort nutzen und wäre auch für das Land als Ganzes sinnvoll.
Müsste man nicht trotzdem investieren zum Beispiel in Straßen, Schulen, Gesundheitseinrichtungen?
Sicher. Aber dabei müssten die Prioritäten anders gesetzt werden. Zum Beispiel werden jetzt große Colleges für begüterte Städter gebaut, und die Bedingungen in Schulen auf dem Land sind entsetzlich. Die Politik nimmt den Armen und unterstützt die Reichen. Das kann und muss geändert werden. Wir wollen jetzt eine Planungskommission des Volkes einrichten, der glaubwürdige Experten angehören.
Haben Sie dazu die nötige Unterstützung, etwa an Universitäten?
Ja. Selbst viele Mitarbeitende von regierungseigenen Institutionen sind unzufrieden. Viele stehen aber unter Druck auch von Seiten der Weltbank und äußern sich nicht offen.
Hat die Regierung Ihre Argumente angehört?
Überhaupt nicht. Die Regierung wird von Großunternehmern und der Tourismus-Industrie dominiert. Sie hat nicht etwa Fischerei-Experten oder Experten für den Wiederaufbau nach Katastrophen zugezogen, um sie in der Frage der Nutzung der Küsten zu beraten, sondern die Welt-Tourismusorganisation. Die Weltbank fordert zwar die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Aber dafür hat die Regierung eine Anzahl NGOs einige werden von der Weltbank finanziert , die ihre Pläne abnicken.
aus: der überblick 03/2005, Seite 80
AUTOR(EN):
die Fragen stellte Bernd Ludermann