Aus einem Bericht von Werner Rostan, Projektreferent bei Brot für die Welt
In einem herrlichen, abgelegenen Hochtal am Fluss Piaxtla liegt das Bergdorf Ajoya (gesprochen Achoja), in dem mit einfachen Mitteln und völlig den ländlichen Bedingungen angepasst eine Lebensgemeinschaft von Behinderten entstanden ist. Die meisten Bewohner des Zentrums sind Behinderte, die hier ihre Rehabilitation erfahren haben und Mitglieder dieser Gemeinschaft gegenseitiger Hilfe geworden sind.
von Werner Rostan
Marcelo Acevedo, derzeit im Koordinierungsteam und Verantwortlicher der Prothesenwerkstatt, beschreibt seine Motivation so: "Ich habe Liebe, Zuneigung und Hilfe erfahren durch mehrere kostenlose Operationen in Palo Alto, Kalifornien, vermittelt durch die uns damals unterstützende Hesperian Foundation und durch den Biologen Dr. David Werner. Jetzt kann ich wieder fast ohne Krücken gehen. Ich kann gar nicht anders, als diese Liebe und Hilfe an andere Behinderte, die oft in elendem Zustand zu uns kommen, weiterzugeben. Auch unter uns in der Gemeinschaft versuchen wir unsere verschiedenen Gaben zu teilen. Das ist mein Lebensinhalt geworden. Ich habe gelernt, wie wertvoll das Leben ist, nachdem ich vorher mein Leben wegwerfen und mich umbringen wollte. Hier habe ich inzwischen mehrere Berufe erlernt, sodass ich mich vielseitig nützlich machen kann."
Eine wunderbare, heitere und harmonische Atmosphäre empfinde ich in dem Zentrum, das aus einfachen Häusern besteht, die sich locker um einen Garten gruppieren, wo sich ein Teil der Arbeit und des Lebens abspielt. Da treffen sich morgens die Mitarbeiter(-innen) und Patient(-innen) und besprechen in Ruhe und Gelassenheit die Aufgaben des Tages. Dann gehen oder fahren sie mit ihren Rollstühlen oder fahrbaren Liegen nach und nach an die Arbeit:
Mario ist zusammen mit zwei anderen dabei, den mehrfachbehinderten Jungen Edgar zu untersuchen. Ihr Ziel ist es, einen einfachen Spezialsitz auf kleinen Rädern für ihn zu entwickeln. Dazwischen hilft Mario auch in der Mechanikerwerkstatt, Rollstühle zu reparieren oder aus alten Teilen und einigen importierten Elementen neue zu bauen.
Conchita hatte vor ihrem Unfall Buchhaltung gelernt. Sie kann inzwischen mit einem PC umgehen und macht die ganze schriftliche Verwaltung. Aber sie hilft auch in der Prothesenwerkstatt beim Anpassen neuer Prothesen oder sie wirkt bei Ausbildungskursen mit. Rosa Maria fährt mit ihrem Rollstuhl zur Spielzeugwerkstatt, wo sie Mädchen und Jungen in der Herstellung und im Bemalen von Holzpuzzles ausbildet.
Es ist für mich Mitteleuropäer unglaublich, ja beschämend, mit welch einfachen Mitteln und unter welch extremen Bedingungen hier, teilweise unter freiem Himmel, eine erfolgreiche Rehabilitation Körperbehinderter durch Körperbehinderte geleistet wird. Natürlich sind die Standards nicht mit unseren Maßstäben zu vergleichen. Es ist aber die Atmosphäre und die Gemeinschaft der Behinderten, die auf alle Patienten heilend und ermutigend wirkt. Hier wird Hilfe zur Selbsthilfe verwirklicht und konkret von Betroffenen für Betroffene umgesetzt. PROJIMO ist für viele in Mexiko ein Beispiel dafür geworden, dass durch Liebe, Anerkennung und Hilfe selbst bitterarme und behinderte Menschen nicht nur zu neuem Leben gelangen, sondern zu effizienten Dienstleistungen an anderen Menschen befähigt werden können. Solche "Perlen" machen deutlich, dass trotz Armut, Misere und Rechtlosigkeit nicht alles hoffnungslos ist in der so genannten Dritten Welt.
aus: der überblick 02/2000, Seite 111