Schönes Programm, schlechte Praxis
Julius Nyerere war der erste Präsident Tanganjikas und, als das Festland 1964 mit Sansibar vereint wurde, dann Tansanias. Bei seiner Amtseinführung einen Tag nach Ausrufung der Republik Tanganjika sagte er am 9. Dezember 1962: "Das Tanganjika, das wir geerbt haben, ist ein völlig anderes Land als das, das wir schaffen und unseren Kindern hinterlassen wollen. Wir wollen versuchen, in zehn Jahren die meisten Dinge zu erreichen, die unsere Kolonialherrscher in der gesamten Zeit, in der sie unser Land regierten, nicht erreicht haben."
von G. Mdimi Mhogolo
Nyerere ließ sich mit dieser Zusicherung auf ein ambitioniertes Entwicklungs-Unterfangen ein. Als geschickter Politiker wollte er die Bevölkerung von der kolonialen Entwicklungsmentalität abbringen und für einen neuen Weg gewinnen, der das Tempo der Entwicklung des Landes beschleunigen sollte. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde in der Verfassung des Staates und seiner politischen Partei verankert; dann nahm Nyerere die Reform des Landes durch die Einführung des ujamaa-Sozialismus und durch die Schaffung eines Einparteistaates in Angriff. Als Nyerere 1963 den Einparteistaat einführte, meinte er: "Es ist die Aufgabe des Staates, das heißt des Volkes, aktiv in das Wirtschaftsleben einzugreifen, um das Wohlergehen aller Bürger Tanganjikas sicherzustellen und die Ausbeutung der Menschen oder die Anhäufung von Reichtümern, die mit der Existenz einer klassenlosen Gesellschaft unvereinbar ist, zu verhindern." Mit der Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft meinte er nicht die marxistische wirtschaftliche und politische Ideologie, sondern richtete sich gegen die britische koloniale Klassenkultur, die alle Afrikaner zu drittklassigen Staatsbürgern gemacht hatte, während die Briten die erste und die überwiegend aus Indien zugewanderten Asiaten die zweite Klasse bildeten.
Nyerere stellte seine ehrgeizigen Entwicklungspläne, die er durch eine sozialistische Politik zu verwirklichen versuchte, in der Erklärung von Arusha vor. Er verstaatlichte alle Produktionsmittel und alle sozialen Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser. In der Arusha-Deklaration legte er fest, dass die wichtigsten Produktionsmittel unter der Kontrolle der Bauern und der Arbeiter selbst stehen sollten, vertreten durch ihre Regierung und deren Genossenschaften; nur so könne der Sozialismus aufgebaut und bewahrt werden.
Über die klassenlose ländliche Entwicklung meinte Nyerere einmal: "Ujamaa-Dörfer sollen sozialistische Organisationen sein, die ... von denen verwaltet werden, die in ihnen leben und arbeiten. Niemand kann in ujamaa-Dörfer gezwungen werden ... Ein ujamaa-Dorf ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen, die aus freien Stücken beschlossen haben, für ihr gemeinsames Wohl zusammen zu leben und zu arbeiten." Doch in Wirklichkeit wurden die Menschen gegen ihren Willen und ihre Wünsche zur Schaffung von ujamaa-Dörfern gezwungen. Die ujamaa-Dörfer wurden zum Gegenteil dessen, wofür Nyerere stets eintrat: Sie standen für Zwangsumsiedlung, Unfreiheit und Armut.
Nyerere war einer der brillantesten Politiker, die der Kontinent je hervorgebracht hat. Er wusste das Richtige zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zu sagen. Er trat für die Gleichstellung und Freiheit aller Menschen ein und konzentrierte alle seine Anstrengungen auf die ländliche Entwicklung. Doch gleichzeitig duldete er im eigenen Land niemanden, der seinen ujamaa-Sozialismus in Frage zu stellen schien.
Seine einfache Lebensweise vermittelte die Idee des afrikanischen Sozialismus. Und da er aufrichtig an sein Projekt der wirtschaftlichen Entwicklung mittels staatlicher Kontrolle der Produktionsmittel heranging - eine seinerzeit auch in Teilen Europas verfolgte Politik -, fand Nyerere viele Freunde, die ihn beim Aufbau des Grundschulwesens unterstützten und halfen, in jedem ujamaa-Dorf Gesundheitsstationen einzurichten. So wurde Tansania von Geberstaaten abhängig.
Die Tansanier zahlten keine Steuern, um die Investitionen in soziale Dienste zu finanzieren, sondern Nyerere verließ sich dafür auf Entwicklungshilfe von seinen Freunden im Ausland. Die Steuern dienten lediglich dazu, die laufenden Ausgaben des Staates zu decken. Auch das stand im Gegensatz zu Aussagen von Nyerere selbst, in denen er betonte, dass Tansania seine eigenen Ressourcen nutzen und eigenständig sein sollte. Doch stand der Gedanke der Eigenständigkeit im Gegensatz zu Überlegungen, die Nyerere schon in der Arusha-Deklaration geäußert hatte: "Eine unserer Methoden, um mehr Geld für die Entwicklung zu bekommen, ohne dass die Steuern erhöht werden, besteht darin, zusätzliche Mittel aus dem Ausland zu erhalten. Solche Mittel von außen fallen in drei Hauptkategorien: Spenden, Kredite und Privatinvestitionen."
Nyereres Stärken waren auch seine größten Schwächen. Zwar konnte er durch das Einparteisystem, durch Sozialfürsorge und Ausbildung für alle, Chancengleichheit, die Verstaatlichung aller wichtigen Produktionsmittel, den Aufbau einer einheimischen Kultur und die Förderung von Swahili als Landessprache alle 120 Ethnien vereinen und erreichen, dass sie in Frieden zusammenleben und zusammen für das Gemeinwohl arbeiten. Doch die Geschichte hat gezeigt, dass sein Eingreifen in das Wirtschaftsleben des Landes, die Einschränkung von Privatinvestitionen und seine Überzeugung, dass Geschäftsleute nur auf die Ausbeutung des Proletariats aus seien und die Anhäufung von Reichtum die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft behindere, die Wirtschaft des Landes ruiniert hat. Tansania ist ein hoch verschuldetes und korruptes Land mit einem für die meisten äußerst niedrigen Lebensstandard. Die Bevölkerung ist demoralisiert, denn sie war gewöhnt, vom ujamaa-Sozialismus Geschenke zu erhalten. Nun ist sie unfähig, in der Weltwirtschaft und ihrer grenzenlosen Märkten mitzuhalten.
aus: der überblick 02/2002, Seite 29
AUTOR(EN):
G. Mdimi Mhogolo:
G. Mdimi Mhogolo ist seit 1989 Anglikanischer Bischof der Diözese "Central Tanganyika". Er ist Mitglied des Zentralkomitees des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) seit dessen Konferenz in Harare 1999.