Die Bevölkerung der Westsahara muß weiter auf die Volksabstimmung über ihre politische Zukunft warten. Die Saharaui, wie die Einwohner der früheren spanischen Kolonie heißen, sollten nach dem jüngsten Zeitplan am 31. Juli 2000 entscheiden können, ob sie sich dem Königreich Marokko anschließen oder einen eigenen unabhängigen Staat bilden wollen.
von Walter Haubrich
Die Westsahara hat nie zur französischen Kolonie Marokko gehört, sondern war Teil des spanischen Kolonialreichs. 1975, kurz vor dem Tod des Diktators Franco, übertrug die spanische Regierung im Vertrag von Madrid die Verwaltung der Westsahara, nicht aber deren Souveränität an Marokko und Mauretanien. Beide sagten zu, die Bevölkerung der Westsahara oder ihre Vertreter über die politische Zukunft des Landes zu befragen.
Aber die marokkanischen Militärs zogen im Februar 1976 in die Westsahara ein; ein großer Teil der Bevölkerung flüchtete nach Algerien. Die algerische Regierung stellte den Flüchtlingen ein großes Stück Land in der Nähe von Tindouf zur Verfügung. Dort bildete die Befreiungsfront Polisario eine Exilregierung, die von über 60 Staaten der Welt diplomatisch anerkannt ist. Die Polisario führte einen zunächst recht erfolgreichen Krieg gegen Marokko und Mauretanien. Mauretanien verzichtete in einem Friedensabkommen 1979 auf territoriale Ansprüche in der Westsahara. Marokko jedoch errichtete in den achtziger Jahren einen Schutzwall um einen großen Teil der früheren Kolonie, die sogenannte "nützliche Sahara", in die dann die Polisaro-Krieger kaum noch vordringen konnten.
Als Marokkos König Hassan II. einem von den Vereinten Nationen organisierten Referendum zustimmte, kam es im Sommer 1991 zu einem Waffenstillstand zwischen Marokko und der Polisario-Front. Die Exilregierung der Westsahara beharrt auf der Respektierung der Kolonialgrenzen, eine Norm, die bei der Entkolonialisierung Afrikas allgemein befolgt wurde. Noch aber muß die Bevölkerung der Westsahara auf die Volksabstimmung über ihre politische Zukunft warten - sie wurde immer wieder verschoben.
Die Westsahara-Mission der Vereinten Nationen (Minurso) hat in jahrelanger Arbeit rund 85.000 Personen, die nachweisen konnten, daß sie vor der Besetzung der Westsahara durch Marokko dort gelebt hatten, als Wahlberechtigte registriert. 71.420 weitere, deren Teilnahme an dem Referendum abgelehnt worden war, haben jedoch Berufung gegen die Entscheidungen der UN-Mission eingelegt. Sie behaupten, zumindest zeitweise früher in der spanischen Kolonie gelebt zu haben. Doch für die Beauftragten der Vereinten Nationen sind die Abgelehnten Marokkaner, die zum größten Teil erst später in die Westsahara umgesiedelt wurden oder früher als Nomaden mit ihren Viehherden nur hin und wieder durch grenznahe Gebiete der Westsahara gezogen waren; jedenfalls lebten sie nicht unter der spanischen Herrschaft dort und sind auch nicht in der letzten spanischen Volkszählung, dem Zensus von 1974, registriert.
Die marokkanische Regierung hatte zunächst gehofft, daß die Mehrheit der in ihrer Heimat gebliebenen Saharaui - fast die Hälfte der Bevölkerung - für den Anschluß stimmen würde, weil Marokko viel Geld in die Westsahara investiert hat. Doch die saharauische Bevölkerung bevorzugt offenbar die Unabhängigkeit. Das Verhältnis zwischen der einheimischen Bevölkerung und den nach der Besetzung zugewanderten Marokkanern ist sehr gespannt, die marokkanische Polizei geht häufig mit großer Härte gegen protestierende Saharaui vor. So kann Marokko das Referendum wahrscheinlich nur gewinnen, wenn die abgelehnten, von der UN-Mission für Marokkaner gehaltenen Bewerber teilnehmen dürfen.
Der langjährige marokkanische Innenminister Driss Basri hatte - offenbar ohne Einwilligung des Königs - kurz vor seiner Entlassung Anfang November gesagt, das Referendum werde erneut um zwei bis drei Jahre verschoben. Basri war der wichtigste Vertreter des autoritären Flügels in der marokkanischen Regierung. Allerdings glauben auch die Demokraten in Marokko, wie etwa der Premierminister Youssoufi, daß die Westsahara zu Marokko gehören solle.
aus: der überblick 04/1999, Seite 68