Wo der Staat nicht hinreicht und Entwicklungshilfe nicht greift, stabilisieren Pfingstgemeinden
Aktive Mitglieder kirchlicher Gemeinschaften bewältigen ihren Alltag besser als andere Menschen in ihrer Umgebung. Das ergab eine Studie im südafrikanischen Hout Bay. Sie beweisen größere moralische Stärke und bekommen dadurch ihr Leben und ihr Schicksal besser in den Griff als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das gilt besonders für Mitglieder der Pfingstkirchen, deren Glauben sie zu Selbsthilfe und damit zu einem Minimum von Entwicklung befähigt.
von Prof. Dr. Lawrence Schlemmer und Monica Bot
Aus Südafrika kommen wertvolle neue Denkanstöße zu der Frage, welche Zugkraft die Kirche und andere religiöse Gemeinschaften für eine Entwicklung haben können, die auf Eigeninitiative der Menschen beruht. Das Centre for Development and Enterprise (CDE, Zentrum für Entwicklung und Unternehmungsgeist), eine der führenden politischen Ideenschmieden des Landes, hat sich intensiv damit beschäftigt, welche Rolle die Kirchen bei der Neuorientierung kommunaler Entwicklungskonzepte spielen könnten.
Die Forschungen wurden angeregt durch eine Debatte zwischen dem renommierten und international gut bekannten Soziologen Peter Berger von der Universität Boston und Vertretern des CDE über den Einfluss von Pfingstbewegungen in Lateinamerika und in anderen Entwicklungsländern. Berger hat beobachtet, dass in Teilen Lateinamerikas, in Südkorea und anderswo die Pfingstkirchen am ehesten in der Lage sind, aktive Antworten auf ökonomische Probleme zu stimulieren. Auch andere Forschungsarbeiten des CDE bestätigen die Bedeutung von Religion für Entwicklung.
So hat beispielsweise die Koautorin dieses Artikels im Jahr 2003 im Auftrag des CDE eine Studie über die aufstrebende schwarze Mittelschicht und meinungsbildende Gesellschaftsgruppen durchgeführt. Die Studie befasste sich nicht in erster Linie mit Religion, förderte aber dennoch Überraschendes zu Tage: Mitglieder von Pfingstkirchen waren sehr viel aktiver dabei, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern als Nichtkirchgänger oder auch Mitglieder der etablierten Kirchen.
Sie bekannten sich etwa dazu, Geld zu sparen (die Pfingstler legten im Durchschnitt 75 Prozent mehr auf die hohe Kante als die Befragtengruppe insgesamt) und schrieben der Privatwirtschaft wie auch dem Marktwettbewerb eine wichtige Rolle im Entwicklungsprozess zu. Ihr Glaube habe ihnen zu mehr Selbstvertrauen verholfen. Sie sind davon überzeugt, dass Vertrauen in die eigene Kraft (self-reliance), Rechenschaft gegenüber moralischen Autoritäten und Selbstdisziplin für ihre persönliche Entwicklung und den sozialen Fortschritt von großer Bedeutung sind. Von staatlichen Leistungen, öffentlicher Wohlfahrt und Almosen dürfe man nicht zu stark abhängig werden. Der Umfrage nach befürworteten sie außerdem, in Netzwerken in der Gemeinde zu arbeiten und Selbsthilfe anzuregen. Andere Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass sich dieses Engagement im Wesentlichen auf die eigene Religionsgemeinschaft beschränkt.
Diese Unterschiede im Wertesystem haben sehr konkrete Auswirkungen. Aus den so genannten Amps Surveys, den landesweiten Erhebungen zum Thema Medienkontakte und sozioökonomische Verhältnisse, welche die südafrikanische Advertising Research Foundation (Stiftung Werbeforschung) in regelmäßigen Abständen durchführt, geht hervor, dass nicht nur Pfingstler, sondern auch aktive Mitglieder anderer Glaubensgemeinschaften erheblich schneller soziale und wirtschaftliche Fortschritte machen als nicht religiöse Menschen mit ähnlichem Bildungs- und Einkommensniveau. Mitglieder der Pfingstgemeinden liefern jedoch die eindrucksvollsten Beispiele dafür, wobei allerdings offen bleibt, ob das daran liegt, welche Art Menschen die Pfingstkirchen rekrutieren oder ob es die direkte Folge des Einflusses ihrer Religion ist.
In der Literatur zur Religionssoziologie finden sich zahlreiche Hinweise, dass religiöser Glaube und die Teilnahme an einschlägigen Aktivitäten, Einfluss darauf haben, ob und wie bestimmte Gruppen wirtschaftliche Chancen ergreifen und wie dies die Wirtschaftsethik ganzer Gesellschaften prägen kann. Max Weber hat in seiner berühmten Analyse die besondere Neigung der Anhänger reformierter Glaubensrichtungen, insbesondere der puritanischen Spielarten des Calvinismus, zu unternehmerischer Betätigung beschrieben ein Zusammenhang, der bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, aber im religiösen Klima der Gegenwart in den westlichen Ländern nicht mehr ins Auge springt. Weber argumentierte, wesentliche Elemente calvinistischer Askese seien Taten, die erst später belohnt werden, und Sparsamkeit beides Voraussetzungen für kapitalistisches Unternehmertum.
Die calvinistische Prädestinationslehre unterstützte bei ihren Anhängern etwas, was man »kreative Besorgnis« nennen könnte: Sie verlangten nach der Gewissheit, dass sie zu den 'Auserwählten' gehörten, die in einem künftigen Leben für ihr irdisches Verhalten belohnt würden. Auf der Suche nach Beweisen für diesen gesegneten Zustand bemühten sich die Gläubigen um die Anhäufung materiellen Wohlstands, Eigentum und Erwerb von Ansehen als Symbole für ihr Auserwähltsein. So sei eine religiöse Kultur entstanden, die wirtschaftliche Ambitionen und ein engagiertes Unternehmertum stärke, das sich auf mehr als nur kurzfristigen Gewinn gründe.
Diese und ähnliche Thesen werden in der Soziologie kritisch hinterfragt, aber die Annahme, dass sich die Art des Glaubens auf wirtschaftliche Einstellungen auswirkt, wird allgemein akzeptiert. Die französische Religionssoziologin Danièle Hervieu-Léger und die britische Religionssoziologin Eileen Barker etwa klassifizieren nicht nur die wesentlichen Auswirkungen, sondern benennen auch die individuellen Vorteile des religiösen Glaubens. Die potenziellen Wechselbeziehungen zwischen Religionsausübung und Wirtschaftsverhalten, die wir im Folgenden aufzählen, sind alle eine nähere Betrachtung wert.
Moralische Umkehr: Wenn Menschen ihren Lebenswandel aufgrund einer moralischen Neuorientierung ändern, kann es ihnen leichter fallen, zu sparen, sich um bessere Chancen im Leben zu bemühen, im Beruf härter zu arbeiten und mehr für ihre körperliche Gesundheit zu tun. Religiöse Institutionen haben sich immer schon der Gefühle von Unsicherheit, Schuld, Scham und Furcht bedient, um ihre Anhänger moralisch unter Druck zu setzen, damit diese ihren Lebenswandel, ihre Werte und ihr Verhalten ändern.
Persönlicher und familiärer Erfolg werden als Zeichen von Glauben und Rechtschaffenheit betrachtet. Das wäre die von Max Weber vorgebrachte Wirkung im weiteren Sinn, eine Wirkung, die nicht allein auf puritanische calvinistische Kirchen beschränkt bleibt.
Die Unterstützung und der Zuspruch der religiösen Gruppe führt zu einer Stärkung der Moral und des 'Sozialkapitals'. Dazu tragen auch ihre Netzwerke konfessioneller Solidarität und 'Gemeinschaft' bei.
Optimismus und Zuversicht werden als Gaben des Heiligen Geistes betrachtet. Dies ist ein potenzielles Merkmal pfingstlichen und charismatischen Christentums, in dem Freudenbekundungen und positive Zukunftserwartungen Ausdruck und Folge von intensivem spirituellem Erleben sind.
Selbst auferlegte Entbehrungen und Opfer, die über die religiösen Gebote hinausgehen, festigen die persönliche Glaubenshaltung und Entschlossenheit. Menschen, die Verzicht üben oder Opfer bringen, erwerben damit in ihren Religionsgemeinden Ansehen und Teilhaberechte. Das stärkt ihre Selbstachtung und Entschlossenheit und schafft Solidarität innerhalb der Gruppe.
Wohltätigkeit, die Abgabe des Zehnten oder Nachbarschaftshilfe innerhalb der Religionsgemeinde wirken als Quelle der Fürsorge und Unterstützung. Vor allem in modernen progressiven oder liberalen Volkskirchen kann die starke Betonung der sozialen und nachbarschaftlichen Verantwortung, die als Grundpflicht christlichen Lebens betrachtet wird, den Armen im Umfeld der Gemeinden erhebliche Vorteile bringen.
Die biblische Verheißung schließlich, dass ernten wird, wer sät, hat bei den Gläubigen wohl immer schon Optimismus und eine positive Lebenseinstellung hervorgerufen.
Welche dieser Verhaltensweisen in heutigen Glaubensgemeinschaften lebendig sind, hängt nicht nur von Lehre und Ritual ab, sondern auch von den ungeplanten und zufälligen Nebeneffekten der Religionsausübung. Für sich allein genommen, mag jeder dieser Zusammenhänge etwas simpel erscheinen , aber in ihrem Zusammenspiel haben sie enormes Wirkungspotenzial. Das Studienteam des CDE jedenfalls hielt sie für relevant genug, um sie näher untersuchen zu lassen.
Vor diesem gedanklichen Hintergrund hatte das CDE die Autoren beauftragt, die soziale Situation in Hout Bay unter die Lupe zu nehmen. Hout Bay ist eine relativ dicht besiedelte Hafenortschaft in der Nähe von Kapstadt, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe leben. Leitfrage der Studie war, welche Formen religiöser Organisation und Mobilisation am ehesten geeignet sind, ein zerrüttetes soziales Gefüge wieder aufzubauen oder Schutz vor dessen Zerfallserscheinungen zu bieten und in Armut und Abhängigkeit lebenden Menschen zu mehr Eigenständigkeit zu verhelfen. Mit anderen Worten: Wir wollten herausfinden, ob religiöse Bindungen unterschiedlicher Ausprägung Menschen in ihrer Fähigkeit stärken können, in sehr schwierigen sozialen Verhältnissen zu überleben und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern.
Die Studie wurde bei aktiven Angehörigen verschiedener Konfessionen durchgeführt. Ausgewählt wurde ein sehr armer, mehr oder weniger wild entstandener Stadtteil mit überwiegend schwarzen Einwohnern und ein weniger armes, aber von der Wirtschaftskrise stark betroffenes Viertel farbiger (coloured, vgl. »der überblick 3/2004) Arbeiter und Fischer.
Hout Bay wurde als Untersuchungsgebiet ausgewählt, weil es ein Mikrokosmos von Südafrika ist. Die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung lebt in selbstgezimmerten Behausungen und ist sehr arm, nur besser gestellte Schwarze beginnen sich in das Gemeinwesen zu integrieren. Die farbige Bevölkerung genießt im Vergleich einen etwas höheren sozioökonomischen Status, doch ist auch sie in der Regel eher einkommensschwach. Sie lebt mehrheitlich in den preisgünstigen, hafennahen Häusern des ursprünglichen Fischerdorfs. Mit seinem Nebeneinander verschiedener Gesellschaftsgruppen hat Hout Bay für die Untersuchung den Vorteil, dass das religiöse Leben innerhalb relativ geschlossener und geografisch begrenzter Gemeinschaften stattfindet, was ihre Wirkungen verstärken kann.
Sowohl in dem Wohngebiet, in dem überwiegend Farbige leben als auch im von Schwarzen bewohnten Stadtteil Imizamu Yethu leiden die Menschen unter Arbeitslosigkeit, Armut, Alkoholismus, Drogenmissbrauch und körperlicher Gewalt. Und das, obwohl die Bewohner versuchen, ein ordentliches und »ehrbares« Leben zu führen, wie man das in allen derartigen Siedlungen beobachten kann. Vielleicht nimmt gerade deshalb die religiöse Aktivität im Leben der Menschen eine so wichtige Stellung ein.
In Hout Bay scheinen sich die Pfingstkirchen besonderen Zulaufs zu erfreuen, es wurden nicht weniger als 17 gezählt. Offenbar wachsen alle anderen Kirchen ebenfalls, einzige Ausnahme sind die schon seit Jahrzehnten großen Gemeinden der afrikanischen unabhängigen oder Zion-Kirchen. Diese Kirchen vermischen Aspekte traditionellen Glaubens vor allem die Ahnenverehrung mit evangelikalen Glaubenslehren und haben mit ihrer soziokulturellen Ausrichtung bisher Schwarze angesprochen, die vom Land ins urbane Milieu gekommen sind.
Das steigende Bildungsniveau in städtischen Gebieten wie Hout Bay scheint jedoch jetzt die besondere Anziehungskraft dieser Kulturgrenzen überwindenden Kirchen zu schmälern.
Im Allgemeinen scheinen die aktiven Mitglieder aller untersuchten Kirchengemeinden ohne weiteres in der Lage zu sein, ihre Familien von den abträglichen Einflüssen der Lebensgewohnheiten und von sozialen Problemen ihrer Umgebung abzuschotten. Generell beweisen die aktiven Gemeindemitglieder größere moralische Stärke, wodurch sie ihr Leben und ihr Schicksal besser in den Griff bekommen als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.
Zumeist grenzen sich die Mitglieder der Pfingstgemeinden vom übrigen sozialen Gefüge ab, indem sie »moralische Enklaven« bilden. Ihre Antworten lassen sogar darauf schließen, dass sie Menschen ablehnen, die Erlösung und geistliche Wiedergeburt nicht erfahren haben. So ist die gesellschaftliche Isolierung gleichzeitig eine Bestätigung der Solidarität und der geistlichen Einheit der Gläubigen.
Insbesondere in den Pfingstgemeinden ist der innere Zusammenhalt zum Teil Ergebnis der Selbstaufopferung, die für die Aufnahme und die Teilhaberechte in der Kirchengemeinde erforderlich ist. Diese Hürden, die zunächst eine Demonstration von Glauben und Tugendhaftigkeit verlangen, scheinen letzten Endes auch den Stolz auf das Erreichte und somit das Selbstbewusstsein, die persönliche Selbstachtung und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten zu stärken.
Die Pfingstkirchen, in gewissem Maß auch die stärker hierarchisch organisierten apostolischen Kirchen, entwickeln strikte Regeln für die persönliche Lebensführung, verlangen aber keine Askese und keinen Puritanismus im Sinne von Weltabgewandtheit. Im praktischen Leben sind ihre Mitglieder zupackende Fischer, kleine Geschäftsleute, Werksaufseher, Handwerker, Krankenpflege- und Lehrkräfte, die sich sehr erfolgreich den schwierigen Erfordernissen ihrer Umwelt angepasst haben. Auch wenn sie das Benehmen und die Lebensweise ihrer Umgebung nicht billigen, so scheinen sie doch der gesellschaftlichen Welt überraschend unverkrampft gegenüber zu stehen. Sie wahren einen moralischen und spirituellen Abstand, vermeiden aber kultähnliche Erscheinung oder weltabgewandte Lebensweisen. Ebenso wenig sind sie im ursprünglichen calvinistischen Sinn weltverbunden. Ihre Daseinsform kann eher als 'die Welt transzendierend' beschrieben werden.
Ein wesentliches Ergebnis unserer Untersuchungen ist, dass die Vorstellung, Religion sei vom weltlichen Leben getrennt und würde mit diesem lediglich interagieren, gerade auf die Pfingstler überhaupt nicht zutrifft. Für sie gibt es da keine Trennung. Die Religion erfasst alle Bereiche des Lebens, und für fromme Pfingstler scheint es nichts als Religion zu geben. Ihr Glaube mit seinen Pflichten und Belohnungen ist eine ganzheitliche Erfahrung, die alles, was sie tun erfüllt und formt. Diese Einverleibung des Weltlichen in ihren Glauben ist ein sehr wirksames Mittel, um die Umwelt, die sie erleben, zu verändern.
Das hat den unschätzbaren Vorteil, Stress zu vermindern. Die Herausforderungen des Lebens werden als Prüfungen des Glaubens verstanden oder als Gelegenheit, Frömmigkeit zum Ausdruck zu bringen. In jedem Fall werden die allgemeinen Belastungen des Daseins von einer weit größeren Herausforderung völlig in den Schatten gestellt, vielleicht sogar neutralisiert: die Sünde, die Versuchung und das unheilvolle Wirken des Antichrist auszumerzen. Im Vergleich dazu ist die Auseinandersetzung mit den weltlichen Anforderungen des Lebens geradezu ein Kinderspiel.
Die Antworten der Gläubigen lassen den Schluss zu, dass alle Kirchen einige Vorteile von »Gemeinschaft« bieten. Nach den vorliegenden Ergebnissen treten diese Vorteile bei den Pfingstlern aber am deutlichsten hervor. Für sie wird die Gemeinschaft zur durch ein spirituelles Band verbundenen »Familie«, wobei oft charismatische religiöse Rituale im Mittelpunkt stehen, in denen die Identität der einzelnen Menschen verändert wird.
Die großen Kirchen transzendieren die Welt in der Regel nicht so leicht. Das liegt daran, dass sie Armut und Not in ihrer Umgebung in eine wohltätige Ausweitung ihres Glaubens einbeziehen. Dafür gibt es sowohl sehr gute als auch weniger überzeugende Argumente. Für alle großen Kirchen jedoch ist die Wohltätigkeit eine Mischung aus biblischem Gebot, ehrlichem Anliegen und aktuellem Schuldbewusstsein. Diese Motive sind vielschichtig und entfalten nicht gerade eine lebens- und gesellschaftsverändernde Kraft. Nicht einmal für die zunehmend liberalen Reformierten Kirchen scheint die Interaktion mit der Umwelt und ihren Bedürfnissen noch im ursprünglich rigorosen calvinistischen Sinne als Ausdruck der persönlichen Verantwortung vor Gott zu erfolgen. Die katholische Kirche in den Vorstädten wird den großen protestantischen Kirchen ebenfalls immer ähnlicher. Auch sie entwickelt semisäkulare und rationale Antworten auf die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umstände und zählt nicht mehr auf die aufopferungsvollen Dienste der Nonnen in den Klöstern, die eine intensive und engagierte Glaubenspraxis vorleben.
Das offenbar deutlich geringere Interesse der Pfingstler, 'soziale Verantwortung' in der Gesellschaft zu übernehmen, schält sich als ein Unterscheidungsmerkmal heraus. Ihre Antworten vermitteln den Eindruck, dass es für sie einen Widerspruch zu wesentlichen Grundsätzen für Erlösung und Wiedergeburt bedeutet, wenn man die Schwäche, die in Armut und Abweichung von der sozialen Norm zum Ausdruck kommt, unterstützt. Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass einige farbige Pfingstler aus der Mittelschicht durchaus Mitleid mit den Armen zu haben scheinen und Gesten in Richtung karitativer Tätigkeit über die eigene Glaubensgemeinschaft hinaus machen. In der Regel jedoch beginnt und endet die Nächstenliebe besonders bei den schwarzen Pfingstlern in der Familie der Wiedergeborenen.
In einem größeren Kontext werden diese Vergleiche den kollektiven Anstrengungen der praktizierenden Gläubigen aber nicht wirklich gerecht. Wie bereits angedeutet, legen die Ergebnisse unserer Studie recht überzeugend dar, dass die Gemeinschaften der ernsthaft Gläubigen jedweder Konfession oder Glaubensrichtung über den Belastungen zu stehen scheinen, unter denen die passiven Kirchenmitglieder oder die nichtreligiösen Bürger von Hout Bay leiden. Nicht ein einziger Teilnehmer unserer Befragung alle stark engagierte Mitglieder von Kirchengemeinden klagte etwa darüber, dass er infolge der Apartheid benachteiligt sei, nicht ansatzweise war von politischen »Anrechten« die Rede, niemand beklagte sich über habgierige Fremde, die in Hout Bay Land aufkaufen, oder Ähnliches. Radikale oder reaktionäre Gedanken wurden nicht geäußert.
Weltlichem Aktivismus, wie er bei progressiven christlichen, jüdischen oder muslimischen Intellektuellen gelegentlich anzutreffen ist, begegneten wir kaum. Die Befragten schienen ideologische Debatten, die in den Medien mit großem Eifer ausgetragen werden, kaum wahrzunehmen. Sie scheinen nach der Maxime vorzugehen, dass sie sich nur mit Themen auseinandersetzen müssen, die innerhalb der Reichweite ihrer geistlichen Energie liegen. In gewissem Sinn ist das angemessen. Die Kirchen in Hout Bay sind nicht annähernd in der Lage, die massiven sozialen und wirtschaftlichen Probleme in ihrem Umfeld zu lösen, und wenn sie es versuchen würden, wären das nur Tropfen auf den heißen Stein. Die Pfingstgemeinden befürchten vielleicht mit Recht , dass bei einem Vorstoß in die Sümpfe gesellschaftlichen Verfalls ihre eigenen Stärken und Grundsätze untergehen würden.
Bei der Auswertung der Umfrageergebnisse haben wir besonderes Augenmerk auf Eigenschaften der Pfingstbewegung gerichtet, aus denen sich der vergleichsweise gute wirtschaftliche Erfolg ihrer Mitglieder erklären könnte. Wir haben diesbezüglich nur sehr wenige direkt relevante Merkmale entdecken können. Die Vernetzung innerhalb der Gemeinden ist anscheinend nicht auf strategische und wirtschaftliche Unterstützung ausgerichtet, und in ihrer Einstellung waren sie generell antimaterialistisch. Sie erwarteten und wünschten keine Hilfe voneinander. Sie kümmerten sich ausschließlich um ihr eigenes Seelenheil. Und doch waren sie als Teilgruppe unserer Umfrage wirtschaftlich und beruflich erfolgreicher als die Gesamtgruppe.
Wir sind deshalb zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die stärkste Triebkraft für erfolgreiche wirtschaftliche Anpassung in den indirekten Wirkungen der spirituellen Erfahrung auf die Psychologie der typischen Mitglieder liegt, in dem Vertrauen und der Fähigkeit, mit ihrem Innen- und Außenleben zurecht zu kommen, die aus der spirituellen Erfahrung erwachsen.
Es gibt theologische Erklärungen für diesen Sachverhalt, die wir nicht liefern können. Lassen wir es bei der Feststellung bewenden, dass im Pfingstglauben die 'Gaben des Heiligen Geistes' eine besondere Rolle spielen. Paulus zählt neun solche Gaben auf, wobei deren Merkmale im Einzelnen wohl nicht so wichtig sind wie das allgemeine Gefühl, von einem allgegenwärtigen Geist bereichert und unterstützt zu werden. Zumindest wirken die Pfingstler entspannt, positiv und zuversichtlich, dass sie mit jeder Herausforderung fertig werden können. Diese Besonderheit unterscheidet die religiöse Kultur der Pfingstgemeinden von der eher formalen Mitgliedschaft in den großen Kirchen, die weniger Bedingungen und Anforderungen an ihre Mitglieder stellen.
Unsere Befragung der praktizierenden Christen in den armen Gemeinden von Hout Bay zeigte eines mehr als deutlich: Ein Aufpfropfen der üblichen Strukturen von karitativer Arbeit, von Stärkung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, von Gemeinwesenorganisation mit den damit verbundenen Komponenten von Zielformulierungen und Erfolgsmessungen anhand von sozioökonomischen Kriterien wäre ein Missbrauch des sehr viel authentischeren Beitrags, den die praktische Ausübung des Glaubens leisten kann. Die Kirchen in Armenvierteln haben weder die Strukturen noch die Motivation, um derartige Programme durchzuführen. Kirchengemeinden der Mittelschicht könnten das besser und tun es teilweise auch.
Nach weltlichen und politischen Maßstäben besteht der Beitrag aktiver Glaubensgemeinschaften in armen und benachteiligten Regionen darin, dass sie Teile der Bevölkerung aus Abhängigkeit und gesellschaftlicher Entwurzelung herausholen und in die stabilisierende und die Moral stärkende Erfahrung von gemeinsamem Glauben und gemeinsamer Bindung hineinführen. In Südafrika wie in vielen anderen Ländern mit hohen sozialen und wirtschaftlichen Belastungen ist das zentrale Problem jeglicher Entwicklungsanstrengung die 'Überlastung' die verfügbaren Mittel stehen in keinem Verhältnis zu so grundlegenden und so viele Menschen betreffenden Bedürfnissen. Vielleicht liegt der größte Wert der örtlichen religiösen Aktivitäten für Regierungen in der Verminderung dieser Überlastung durch die alternativen Bewältigungsansätze, die der religiöse Glaube anbietet. Die Pfingstkirchen sind das beste Beispiel dafür, aber alle aktiven Gemeindemitglieder in unserer Befragung stellten die relative Unabhängigkeit engagierter Kirchengemeinden unter Beweis.
Die Machenschaften einiger Religionsanbieter sind bekannt, und die Gefahr der spirituellen Ausbeutung durch materialistische Pastoren ist in vielen Ländern durchaus gegeben, auch in Südafrika. In unserer Studie fanden wir aber keinen Hinweis in diese Richtung. Es handelt sich wohl eher um Ausnahmefälle.
Es gibt Möglichkeiten für Regierungen und natürlich auch für private Unternehmen, eine von der lokalen Gemeinschaft getragene Entwicklung und damit ein positives Klima für Selbständigkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu fördern. Und selbstverständlich würden wir solche Projekte befürworten. In der Praxis jedoch sind sie schwer durchzuführen und teuer. Sie sind mit hohem fachlichem Koordinierungsaufwand verbunden, den nicht alle Regierungen in Entwicklungsländern erbringen können. Die südafrikanische Regierung wird sich diesen Herausforderungen mit Unterstützung der Privatwirtschaft und professioneller Entwicklungsagenturen stellen müssen. Wie gewöhnlich werden sich Fortschritte jedoch nur langsam einstellen. Bis dahin sollten sich staatliche Sozialeinrichtungen und Entwicklungsdienste glücklich schätzen, wenn ihre 'Kundschaft' ihrer Wege geht und ihre Probleme selbst löst. Das ist der größte Vorteil, den erfolgreiche Glaubenspraxis in armen Gemeinden bieten kann.
Entwicklung in Südafrika:Der Staat allein kann's nicht richtenDie formale Wirtschaft Südafrikas ist nicht nur robust, sondern wird von Tag zu Tag stärker. Folglich wachsen die Gruppe der wirtschaftlichen Elite und die Mittelschicht sehr schnell. Die Regierung ist aber nicht minder besorgt um das Vorankommen der Menschen, die außerhalb der formellen Wirtschaft leben. Gleichwohl war der Fortschritt in »Entwicklung« unter den ärmsten Gruppen in der südafrikanischen Bevölkerung enttäuschend. Die Kluft zwischen Arm und Reich die nicht länger durch die Hautfarbe begründet ist - hat sich in der letzten Dekade dramatisch vertieft. Südafrika hat eine der höchsten registrierten Arbeitslosenraten der Welt. Ländliche Familienbetriebe sind weit weniger entwickelt als die in den meisten Volkswirtschaften Latein Amerikas oder Asiens. In städtischen Gebieten sind Betteln und Plünderungen zu einem so großen Problem geworden, dass größere Städte wie Johannesburg planen, Bettler von den Straßen zu verbannen. Ein großer Teil der Stadtbewohner ist nicht in der Lage oder nicht willens, die Gebühren für Strom, Wasser oder Müllabfuhr zu bezahlen, und sehr viele Eltern können sich die Schulgebühren für ihre Kinder nicht leisten. Die Regierung kann die Armen nicht verhungern lassen. Ihre Antwort war, die Sozialhilfe auszuweiten. Bald wird ein Drittel der erwachsenen Südafrikaner in der einen oder anderen Form Sozialhilfe empfangen. Die Regierung hat Ausbildungsprogramme für Arbeitslose eingeführt, die nur zum Teil wirksam sind. Es gibt mehr schlecht als recht funktionierende Entwicklungsprogramme für Kleinbetriebe. Und arbeitsintensive öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen werden Menschen bestenfalls kurzfristig in Arbeit bringen. All diese Maßnahmen zeigen nur sehr langsam Erfolge, und die Abhängigkeit davon hat riesige Ausmaße erreicht. Die Regierung verfolgt zudem eine Politik der affirmative action, der besonderen Förderung von Schwarzen, und sie besteht darauf, dass bei Einstellungen in der Privatwirtschaft eine repräsentative Quote für die einzelnen Hautfarben erfüllt wird. Damit steht sie jetzt aber vor dem Problem, dass die staatliche Verwaltung auf lokaler und regionaler Ebene sowie viele Schulen für die Masse der Bevölkerung nur gering qualifizierte Beschäftigte haben. Die Regierung ist sich bewusst, dass die Armen mehr auf die eigenen Kräfte setzen müssen, hat aber weder die Manager noch qualifiziertes Personal noch Verfahren oder politische Anleitungen, wie dieses geschehen könnte. Vor dem Hintergrund ihrer sozialistischen Ideologie tendiert sie eher zu einer anderen Verteilung von Geldern, Chancen und der Bereitstellung von Infrastruktur für die Entwicklung als auf Freiwilligkeit zu setzen und die Menschen dafür zu mobilisieren, dass sie ihre Gemeinde selbst entwickeln und auf die eigene Kraft vertrauen. Die Verwaltung weiß nichts anderes zu tun als die verschiedensten Wohlfahrtprogramme und Subventionen auszuweiten. Die von der Regierung geweckten Hoffnungen, die von einer ineffektiven Verwaltung insbesondere in kleineren Städten nicht erfüllt werden können, haben in den vergangenen Monaten dazu geführt, dass in den Städten erneut Missfallens- und Protestkundgebungen stattfanden, genauso wie in der späten Phase der Apartheid. Die Regierung hat jedoch offensichtlich weder den politischen Willen noch die administrative Fähigkeit, die grundsätzlichen Probleme zu bekämpfen. Man könnte eine Vision beschreiben, in der Südafrika aus einem Kern von Privilegien und Wohlstand besteht, umgeben von einem diesen Kern unterspülenden Meer von Armut und Abhängigkeit. Eine solche Zukunft muss auf jeden Fall vermieden werden. Aber Institutionen außerhalb der Regierung werden helfen müssen, eine Änderung der Entwicklungsmuster in Gang zu setzen. Die so genannte Zivilgesellschaft wird also eine größere Rolle spielen müssen. Aber viele Organisationen der Zivilgesellschaft neigen noch mehr zu sozialistischen Ideen als die Regierung selbst und ermuntern zu einer Mentalität, auf vieles »ein Recht zu haben«, die in großen Teilen der Bevölkerung bereits vorhanden ist. L. Schlemmer und M. Bot |
aus: der überblick 01/2005, Seite 6
AUTOR(EN):
Prof. Dr. Lawrence Schlemmer:
Professor Dr. Lawrence Schlemmer ist Senior Consultant des Centre for Development and Enterprise und Direktor der Helen Suzman Foundation in Johannesburg.
Monica Bot:
Monica Bot ist als Bildungsberaterin für verschiedene Organisationen tätig.