Interview mit Weltbank-Direktor Jamal Saghir
Ein wichtiges Element der Armutsbekämpfung ist, den Armen Zugang zu moderner Energie zu verschaffen. Doch die Elektrifizierung mit Hilfe eines zentral geplanten Stromnetzes ist gescheitert - insbesondere in Afrika. Daher, so Jamal Saghir, vergibt die Weltbank jetzt zunehmend Kredite für den Aufbau dezentraler Stromwerke und fördert erneuerbare Energien. Saghir ist Direktor für Energie und Wasser im Private Sector Development and Infrastructure Vice Presidency der Weltbank und koordiniert die Arbeit der Weltbank auf den Gebieten Energie- und Wasserversorgung
von Bernd Ludermann
Die Weltbank stellt heraus, dass ihre Arbeit der Armutsbekämpfung dient, und gibt Kredite für die Verbesserung der Energieversorgung in armen Ländern. Inwiefern ist Energiemangel ein Grund für Armut?
Energie verbessert den Lebensstandard, weil sie Arbeitsplätze schafft und die Produktivität erhöht. Zum Beispiel verringern saubere Brennstoffe zum Kochen die gesundheitsschädlichen Abgase im Haus - und zwei Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen solcher Abgase. Auch besseres Licht ist für die Entwicklung wichtig. In manchen Dörfern haben wir das beobachtet: Wenn man einem Haushalt elektrisches Licht verschafft, dann kann die Frau abends wenigstens ein paar Seiten lesen, bevor alle zu Bett gehen, und die Kinder erhalten eine bessere Ausbildung. Die Produktivität dieser Familie wird dann im Vergleich zu anderen im selben Dorf in Zukunft höher sein. Das verbessert auch die Lebensqualität. Heute haben etwa 55 Prozent der Menschen Zugang zu Elektrizität, aber in Afrika südlich der Sahara - Südafrika ausgenommen - sind es nur 10 Prozent. Und wo es keine Elektrizität gibt, ist die Bevölkerung zum Beispiel abgeschnitten von modernen Kommunikationsmitteln und von Bildung. Die Frauen müssen beispielsweise mehr Zeit für die Beschaffung von Wasser aufwenden, weil die Pumpen nicht funktionieren. Zugang zu moderner Energie fördert daher mit Sicherheit die Entwicklung, verbessert die Gesundheit und erhöht die Lebenserwartung.
Dennoch sprechen Entwicklungsexperten viel über Mikrokredite oder Zugang zu sauberem Wasser, aber wenig über Energie. Ist das ein vernachlässigtes Thema in der Entwicklungspoltitik?
Für die Weltbank war Energie früher ein sehr wichtiger Arbeitsbereich. 15 Prozent unserer Kredite gingen bis vor einigen Jahren in diesen Sektor. Das ist jetzt auf etwa 5 Prozent zurückgegangen. Der Grund dafür ist, dass zunehmend Privatunternehmen im Rahmen der Beteiligung von Privaten an der Infrastruktur (PPI, Private Participation in Infrastructure) die Aufgabe der Energieerzeugung und auch der Verteilung übernommen haben, vor allem in Lateinamerika infolge der Privatisierungen. Der Privatsektor übernimmt heute eine bedeutende Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung - einschließlich der Armen - mit Energie. Dennoch haben Sie Recht: Wenn wir über Entwicklung reden, hören wir nicht viel über Energie. Darüber sollten wir öfter sprechen, denn es besteht ohne Zweifel ein Zusammenhang zwischen Energieversorgung und Armutsbekämpfung sowie zwischen Energieversorgung und Wirtschaftswachstum. Die Weltbank versucht das auch. Wir haben vor kurzem eine neue Strategie ausgearbeitet und den Direktoren vorgelegt, die auf diese Zusammenhänge hinweist.
Helfen andere Geber beim Aufbau der Energieversorgung in armen Ländern?
Einige tun hier viel, andere gar nichts mehr. Zum Aufbau der Energieversorgung in armen Ländern sollten multilaterale Geber wie die Weltbank, einzelne Geberstaaten sowie private Firmen beitragen. Einige Geberstaaten stellen dafür leider gar nichts mehr bereit. Der Zusammenhang zwischen Energieversorgung und Armutsbekämpfung war lange nicht geklärt. Aber jetzt liegen genug Studien vor, die ihn nachweisen.
Sie sagen, der Privatsektor spielt eine wachsende Rolle für die Erzeugung und Verteilung von Energie. Ist es für arme Staaten wie die meisten afrikanischen tatsächlich ein gangbarer Weg, darauf zu setzen?
In Afrika muss man alle Arten der Bereitstellung von Energie gleichzeitig bedenken. Man darf nicht dogmatisch sein und etwa behaupten, dass öffentliche Einrichtungen der Königsweg sind, um der Bevölkerung Energie zugänglich zu machen. Das alte Modell der öffentlichen Energieversorgung war, Hochspannungsleitungen durch das ganze Land zu legen - so wie in Nigeria, das ein sehr großes Land ist. Es dauerte dann 15 Jahre, bis tatsächlich Energie bei den Menschen ankam. Denn das muss zentral geplant werden, man muss die Hochspannungsnetze und das örtliche Verteilsystem aufbauen, bis endlich der Strom den Verbraucher erreicht. Dieses Modell der Elektrifizierung von oben nach unten hat die Erwartungen nicht erfüllt. Deshalb wird mehr und mehr auf dezentrale, sogenannte verteilte Stromproduktion gesetzt. Man muss vom nationalen Stromnetz unabhängiger werden. Ländliche Gemeinden müssen selbst kleine Unternehmen schaffen, die entscheiden können, wie sie Energie erzeugen. In abgelegenen Gebieten sind erneuerbare Energien die preisgünstigste Lösung - günstiger als die Investition in das lange Leitungsnetz.
Preisgünstig heißt allerdings nicht, dass die Armen sich das leisten können. Die Preise für Erneuerbare sinken, aber sie sind noch nicht niedrig genug, als dass Wind und Solarstrom die Lösung für arme Länder wären. Wir müssen noch daran arbeiten, dass die technische Entwicklung den Preis weiter senkt.
Heißt das die Weltbank fördert dezentrale Lösungen und erneuerbare Energien?
Allerdings. Auf diesem Gebiet tun wir eine Menge. Besonders in Afrika folgen wir diesem Ansatz mehr und mehr - ländliche Elektrifizierung statt von oben geplante, von der Hauptstadt ausgehende Versorgung.
Kritiker der Weltbank halten ihr aber vor, dass sie immer noch vorwiegend in Großprojekte investiert wie Staudämme und Großkraftwerke.
Das stimmt nicht. In den vergangenen Jahren ist weniger als ein Prozent der Kredite der Weltbank in den Bau großer Dämme geflossen. Wir investieren auch immer weniger in die Stromerzeugung. Dafür tun wir mehr dafür, die Verteilungssysteme zu verbessern, geben technische Hilfe und fördern erneuerbare Energien. Allerdings: Diese sind auch nicht die Patentlösung. Selbst die Europäische Union will in zehn Jahren nicht mehr als zehn Prozent des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Energieträgern gewinnen. In armen Ländern muss das Ziel sein, dass diese zur Energieversorgung beitragen, aber sie können nicht die einizige Lösung sein. Herkömmliche Energieträger, Wasserkraft eingeschlossen, werden weiter von Bedeutung sein - besonders wenn man bedenkt, dass in Afrika der Bedarf so riesig ist.
Sie sagen, die Weltbank fördert dezentrale Lösungen. Das sind meist kleine Investitionen. Ist die Weltbank als Großorganisation geeignet und in der Lage, diese Strategie zu verfolgen?
Aber wir tun das ja. Wenn Sie sich ansehen, welche Projekte ausgearbeitet sind und vor der Umsetzung stehen und welche das Direktorium genehmigt hat, dann werden Sie feststellen, dass wir mehr und mehr vom nationalen Stromnetz unabhängig vorgehen und die Gemeinden direkt einbeziehen - besonders in Lateinamerika. Damit wir sie beteiligen können, benötigen die Gemeinden allerdings geeignete Rahmenbedingungen im Land.
Wo finden Sie die Partner unter Regierungen und Unternehmen, um diese dezentrale Strategie umzusetzen?
Oft schaffen wir kleine Unternehmen, deren Eigentümer die Gemeinden sind. Sehr wichtig ist allerdings, die richtigen Leute zu finden, die diese Unternehmen leiten. In einigen Ländern wie in Südafrika oder Tansania finden wir einige solche Partner. Wenn man die Menschen ausbildet und ihnen die nötigen Chancen gibt, dann reagieren sie. Das ist die Grundsatzfrage bei der Entwicklung: Wir sollten aufhören vorzugeben, dass wir die Patentlösung kennen und sie von oben durchsetzen können. Das funktioniert nicht - seit zwanzig Jahren scheitert das. Wir arbeiten mit nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), mit Privatunternehmen und anderen Betroffenen, so dass die Energielösungen wirklich auf Partnerschaft beruhen.
Und wie ist das Verhältnis zu transnationalen Unternehmen? Die entwickeln ja die Technologie, auf die Sie setzen.
Da sind zunächst die Lieferanten von Ausrüstungsgütern. Hier ist es meiner Meinung nach wichtig, dass alle Länder die Chance erhalten, zwischen mehr als einem oder zwei großen Lieferanten zu wählen. Die meisten Staaten sind beim Kauf ihrer Investitionsgüter für den Energiesektor auf ein oder zwei Lieferfirmen beschränkt. Das gleiche gilt für die Betreiberfirmen - etwa Hydro Quebec aus Kanada, Électricité de France aus Frankreich oder andere aus den USA oder Großbritannien. Viele sind in der Dritten Welt tätig und verfügen über großes Know-how und Managementfertigkeiten. Wir haben festgestellt, dass sie zum Beispiel dabei helfen, die technischen Energieverluste im Stromnetz zu verringern. Diese Verluste liegen in der Regel zwischen 20 und 30 Prozent, und weitere 20 Prozent entfallen auf Stromdiebstahl. Das Wissen und das Kapital dieser Strombetreiberfirmen ist für den Süden wichtig.
Aber sind sie auch interessiert an dezentralen Lösungen?
Ja. Gerade Ende November hatten wir ein Treffen mit einem großen Betreiber. Zu dessen Programm gehören inzwischen dezentrale Ansätze. Er ist sogar interessiert, Kapital einzusetzen, solange die Investition einen vernünftigen Gewinn abwirft. Dazu muss Energie freilich kostendeckend abgegeben werden. Erneuerbare Energien und die Elektrifizierung auf dem Land müssen zwar überall subventioniert werden - sogar in Europa und bis heute. In abgelegenen Gebieten können die Verbraucher das allein nicht bezahlen. Aber wenn wir Subventionen zahlen, müssen wir wissen, was wir subventionieren. Die Betreiberfirmen wollen keine endlose Abhängigkeit von Subventionen, so dass ihre Investition nie wirklich profitabel wird.
aus: der überblick 04/2001, Seite 54
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".