Gegen den Wind gesegelt
Westafrika ist derzeit eher bekannt als umkämpfte Region, in der ein bewaffneter Konflikt in den nächsten übergeht und die Grenzen durchlässig sind für Waffen und Milizen. Aber es gibt auch die Hoffnung auf friedlicheres Zusammenleben und Demokratisierung.
von Christopher Fomunyoh
Der Irakkrieg hat im Jahr 2003 auch ein frankophones Land in die Schlagzeilen gebracht, von dem man sonst selten hört: Niger. Die Diskussion über Massenvernichtungswaffen im Irak und angebliche Urankäufe in Afrika durch Saddam Hussein haben Niger ins Rampenlicht gerückt, wenngleich für die Bürger dieses Landes der Sahelzone eher die flügge gewordene Demokratie und der tägliche Überlebenskampf alle Aufmerksamkeit beanspruchten.
Nigers Demokratie bleibt verwundbar, weil es noch keine starke demokratische Kultur ausgebildet hat und der Lebensstandard sehr niedrig ist. Aber dadurch, dass die Bürger des Landes 1993 zum ersten Mal und erneut im Jahr 2000, nachdem wiederum eine Militärjunta den demokratischen Kurs torpediert hatte, die Militärherrschaft abgeschüttelt haben, zeigten sie, dass sie demokratisch regiert und Rechte und Freiheiten genießen wollen.
Mit Beginn der neuen demokratischen Ordnung und der Wahl von Präsident Mamadou Tandja im Jahr 2000 hat sich der politische Spielraum erweitert und es gilt, einen Dezentralisierungsplan umzusetzen, der den Bürgern auf der lokalen Ebene mehr Entscheidungsbefugnisse und - hoffentlich - auch mehr Haushaltsmittel zugesteht (siehe auch den Artikel von Sandra van Edig). Die noch im Frühjahr 2004 vorgesehenen Kommunalwahlen und die Präsidentschaftswahlen gegen Jahresende werden zeigen, ob die Demokratie in Niger lebensfähig ist und im Club der funktionierenden Demokratien im frankophonen Afrika aufgenommen wird.
Noch haben längst nicht alle der 20 Staaten des frankophonen Afrikas mit ihren rund 194 Millionen Einwohnern Eingang in diesen Club gefunden. Man könnte sie eher in vier Gruppen unterteilen: Erstens die Staaten, die sich auf dem Pfad einer demokratischen Konsolidierung befinden; zweitens die, in denen die Demokratisierung zögernd Fortschritte macht; drittens Länder, in denen eine demokratische Zukunft ungewiss bleibt; und viertens Staaten, wo die demokratischen Fortschritte der neunziger Jahre bereits wieder ausgehöhlt werden.
Senegal und Mauritius gehören zu den Ländern der ersten Gruppe: Breit verankerte demokratische Teilhabe und Mobilisierung haben zu glaubwürdigen Wahlergebnissen geführt, die eine friedliche Machtübergabe in beiden Ländern ermöglichte. Auch Benin gilt immer noch als eine der Erfolgsgeschichten im frankophonen Afrika - trotz der chaotischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2001. In den frühen neunziger Jahren war es ein Vorbote für den Übergang von einer Militärdiktatur und einem Ein-Parteien-Staat zur Demokratie. Mit Hilfe einer Nationalkonferenz gelang es 1991, reibungslos von der Militärherrschaft unter Mathieu Kérékous marxistisch-leninistischem Regime zu einer funktionierenden Demokratie unter dem früheren geschäftsführenden Weltbankdirektor Nicéphore Soglo überzugehen. Soglos Wahlsieg über Kérékou war ein Wendepunkt für das frankophone Afrika. Es war das erste Mal, dass ein amtierender Präsident eine Wahl verloren und die Macht friedlich an seinen Rivalen übertragen hat.
In der vergangenen Dekade hat Benin neue Institutionen geschaffen, um die Basis der Demokratie zu festigen, einschließlich eines sehr respektierten Verfassungsgerichts und einer autonomen Wahlkommission. 1996 hielt das Land die zweiten Präsidentschaftswahlen ab, in denen Soglo seinem Vorgänger Kérékou unterlag und dann wiederum friedlich die Macht übergab. Drei erfolgreiche Wahlen zur Nationalversammlung fanden in den neunziger Jahren statt, mit jeweils einer anderen Mehrheit in diesem gesetzgebenden Gremium. Das Ansehen der Wahlkommission und des Verfassungsgerichts wuchsen und die Ansicht, dass die Demokratie nun Wurzeln geschlagen hatte, war verbreitet.
Dann aber kam wie ein Schlagloch auf dem Weg in diesem “frankophonen Labor für Demokratie” die von der Opposition boykottierte und nicht anerkannte Präsidentschaftswahl von 2001 mit der Wiederwahl von Kérékou. Die Lage beruhigte und normalisierte sich, weil in den folgenden Kommunalwahlen der zum Bürgermeister der Hauptstadt Cotonou gewählte frühere Staatschef Soglo von allen anerkannt wurde. Diese Wahl bestärkte das Gefühl, dass die Bürger und die politischen Führer nun insgesamt demokratisch gereift sind.
Die Erfahrungen in Benin und Niger spiegeln in vieler Hinsicht die noch nicht stabile Entwicklung der Demokratie im frankophonen Afrika wider. Die Lage hat sich in einigen Ländern in der letzten Zeit verbessert - wie auch in Senegal und Mali. In Mali hat es bereits eine friedliche Übergabe der Macht von einem demokratisch gewählten Präsidenten zu einem anderen gegeben; dabei ist der frühere Präsident Alpha Omar Konaré - so wie es die Verfassung vorsieht - nach Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2002 abgetreten und hat dem neu gewählten Präsidenten Amadou Toumani Touré das Amt übergeben.
Aber es gab auch größere Rückschläge, etwa in Côte d'Ivoire und der Republik Kongo (Brazzaville). Neue Verfassungszusätze geben langjährigen Machthabern in Togo, Guinea und Gabun mehr Befugnisse zum Machterhalt, und die übel gefälschten Präsidentschaftswahlen in den beiden erstgenannten Ländern sind nicht das beste Anzeichen für die Unterstützung und Förderung der Demokratisierung im frankophonen Afrika in den kommenden Jahren.
Zur zweiten Kategorie gehören die Länder, in denen der politische Wille zur Demokratisierung vorhanden ist, aber sozio-ökonomische Beschränkungen und das Vermächtnis vergangener autoritärer Herrschaft ernsthafte Hindernisse für eine Demokratisierung bedeuten. Zu dieser Gruppe gehören die Zentralafrikanische Republik, Gabun, Madagaskar und bislang immer noch Niger.
Zur dritten Gruppe gehören Länder, in denen jeder politische Wille zur Demokratisierung fehlt oder in denen versucht wird, mit der geringst möglichen demokratischen Öffnung davonzukommen. In diesen Ländern - Burkina Faso, Tschad, Äquatorial Guinea, Mauretanien und Togo - gibt es eine weite Kluft zwischen den Erwartungen der Bürger und den Machenschaften der politischen Führung. Weil der nationale Konsens hinsichtlich des Ziels der Demokratisierung fehlt, ist ein friedlicher Wandel zu wahrer Demokratie auch auf längere Sicht fraglich.
Auch Côte d'Ivoire gehört in diese Gruppe: Den Prozess der nationalen Versöhnung gemäß dem im Januar 2003 von Paris vermittelten “Abkommen von Marcoussis” hat sich die politische Führung des Landes noch nicht zu eigen gemacht, geschweige denn umgesetzt (siehe auch den Artikel von Ruth Marshall-Fratani). Für 2004 sind ein Referendum angesetzt und für 2005 nationale Wahlen geplant, doch scheint eine echte Demokratisierung als Ergebnis nationaler Versöhnung und ein glaubwürdigerer Wahlprozess für die Ivorer noch nicht in Reichweite zu sein.
Für die vierte Gruppe sind Länder charakteristisch, die “zurückfallen”, in denen Fortschritte der neunziger Jahre durch einen fehlgeschlagenen politischen Prozess, durch überbordende Gewalt oder eine Rückkehr zur Militärherrschaft zunichte gemacht worden sind. Dazu gehören Burundi, wo es immer noch Gewaltakte und sogar Gefechte gibt, die Republik Guinea, in der die angeschlagene Gesundheit des Präsidenten Lansana Conté und eine manipulierte Wahl eine ungewisse Zukunft für das Land befürchten lassen, die Republik Kongo (Brazzaville), die von Kämpfen und Gewaltausbrüchen heimgesucht wird, und schließlich Mauretanien, wo ein Putschversuch Wunden hinterlassen hat, deren Heilung Zeit braucht.
Die vergangene Dekade begann mit Optimismus und großen Hoffnungen für die Demokratie. Der Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989, das Ende der Sowjetunion und des Kalten Krieges hatten die internationale politische Landschaft verändert. Die führenden Weltmächte legten jetzt mehr Gewicht auf die Förderung von Demokratie und Menschenrechten und machten beides auch zum Maßstab in ihren Beziehungen zu anderen Ländern. Aber das Ende des Kalten Krieges fiel auch zusammen mit dem Siechtum oder Zerfall des Staates in vielen afrikanischen Ländern. All das führte zu unerwarteten Ergebnissen im frankophonen Afrika: Länder, die zuvor dem Ostblock nahe standen - Benin, Kongo (Brazzaville), Mali und Madagaskar - beeilten sich, die Demokratie zur eigenen Sache zu erklären. Dagegen versuchten die alten Eliten aus den Staaten, die mit westlichen Demokratien liiert (aber nicht sehr demokratischen) waren - Côte d'Ivoire, Kamerun, Togo und Zaire (jetzt Demokratische Republik Kongo) -, den demokratischen Prozess zu unterlaufen oder dagegen Widerstand zu leisten.
Benin war damals Schrittmacher für einen Großteil des frankophonen Afrikas, indem es als erstes eine Nationalkonferenz für den Übergang vom Ein-Parteien-Staat und Militärherrschaft zur Demokratie einberief. Modell dafür war die Nationalversammlung in Frankreich nach der Französischen Revolution von 1789.
Die Teilnehmer solcher Konferenzen beanspruchten zumeist die souveräne Macht, eine neue Verfassung und Wahlgesetze zu formulieren, um politischen Pluralismus auf den Weg zu bringen sowie Menschenrechte und politischen Freiheiten besser zu schützen. Mit den Ausnahmen von Togo und Zaire verliefen diese Konferenzen friedlich und trugen dazu bei, Versöhnungsprozesse in Gang zu setzen.
Eine bedeutende Leistung der meisten Nationalkonferenzen war es, das entsprechend der Verfassung Frankreichs von 1958 geerbte äußerst zentralisierte Präsidentialsystem zu einem ausgewogeneren System zu verändern - halb präsidential, halb parlamentarisch, mit einem von einer legislativen Mehrheit kontrollierten Premierminister. Zwischen 1991 und 1993 haben Benin, die Zentralafrikanische Republik, Kongo (Brazzaville), Madagaskar, Mali und Niger Nationalkonferenzen einberufen und friedliche Wahlen abgehalten. In Gabun, Guinea und Togo haben die Politiker zwar Nationale Versammlungen zugelassen, sie aber schnell untergraben oder ihre Ergebnisse verwässert, um an der Macht zu bleiben.
Präsident Félix Houphouët-Boigny von Côte d'Ivoire und Paul Biya von Kamerun weigerten sich, Nationale Konferenzen einzuberufen. Nach Massendemonstrationen hat Houphouët-Boigny jedoch Mitte 1990 eiligst gesetzliche Grundlagen für die Zulassung politischer Parteien geschaffen und dann sofort Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abhalten lassen, die er und seine Regierungspartei mit beträchtlicher Mehrheit gewannen. Biya erlaubte widerstrebend andere politische Parteien und ließ vorzeitige Wahlen abhalten - die Opposition und internationale Wahlbeobachter kritisierten sie als gefälscht, ermöglichten Biya aber den Machterhalt.
Als der Graben zwischen den Erwartungen der afrikanischen Bürger und den Manövern der Amtsinhaber wuchs, erhielt die Demokratisierung Unterstützung von unerwarteter Seite: Beim Frankophoniegipfel 1990 in La Baule, Frankreich, verknüpfte Frankreichs Präsident François Mitterrand Wirtschaftshilfe mit Demokratieförderung und machte deutlich, dass er eine gewaltsame Unterdrückung von politischer Kritik und Opposition nicht länger tolerieren wolle.
Neun Jahre später beim Gipfel der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) in Algier verabschiedeten die afrikanischen Staatschefs eine von führenden Politikern wie Algeriens Abdelaziz Bouteflika, Malis Alpha Konaré, Nigerias Olusegun Obasanjo und Südafrikas Thabo Mbeki angestoßene Resolution, die mit militärischer Gewalt ins Amt gekommene Machthaber von der Zulassung zur OAU und Teilnahme an ihren Gipfeltreffen ausschloss. So an die Macht gekommenen Staatschefs wurde eine Frist von drei Jahren eingeräumt, wieder ein ziviles demokratisches System zu schaffen. Die ersten Betroffenen dieser neuen Politik der OAU waren Major Daouda Wanke, der im April 1999 in Niger gewaltsam die Macht ergriffen hatte, und General Robert Guéï, der im Dezember 1999 in Côte d'Ivoire geputscht hatte.
Beim nächsten OAU-Gipfel im Juli 2000 im togoischen Lomé waren in Niger die Militärs bereits in ihre Kasernen zurückgekehrt und Wanke hatte die Macht an eine gewählte Zivilregierung übertragen. In der Côte d'Ivoire jedoch hatte Guéï nach einer massiv gefälschten Wahl im Oktober 2000 die Wahlkommission aufgelöst und sich zum Wahlsieger erklärt. Doch dann gingen Zehntausende in Abidjan auf die Straßen und jagten Guéï aus dem Amt und der Oppositionsführer und Präsidentschaftskandidat Laurent Gbagbo kam an die Macht. Allerdings haftet auch dessen Herrschaft ein Ruch von Illegitimität an.
Derartige Rückschläge bei gleichzeitig wachsendem Druck seitens der Bevölkerung hatten die Staatsführer bereits im November 2000 beim Frankophonie-Symposium in Bamako, Mali, veranlasst, die so genannte Bamako-Deklaration zu verabschieden, die bekräftigte, dass sie fest zu den grundlegenden Prinzipien demokratischer Regierung stehen: “Demokratie, als ein politischer Rahmen für Herrschaft des Rechts und des Schutzes der Menschenrechte, ist ein Regierungssystem, das am besten langfristige Stabilität und Rechtssicherheit fördert ... Demokratie und Entwicklung sind untrennbar verbunden: Das sind die Faktoren, um einen dauerhaften Frieden zu fördern.”
Immerhin war die Bamako-Deklaration eine Bekräftigung auf höchster Ebene für demokratisches Regieren im frankophonen Afrika. Aber es sind die Basisinitativen, die in der letzten Dekade im Kampf für Demokratisierung Reformen von Verfassung und Institutionen hervorgebracht haben. Unzählige nichtstaatliche Organisationen (NGOs) haben eine wesentliche Rolle dabei gespielt, politische Teilhabe und gute Regierungsführung voranzutreiben. Sie wirken als Watchdogs, als Hüter der neu gewonnenen Rechte und Freiheiten - und Motor der Demokratisierung.
Mehrparteienwahlen waren ein wichtiger Katalysator für das Aufkommen und die Stärkung von Organisationen der Zivilgesellschaft, die oft als aktive Wahlbeobachter geprüft haben, ob die Wahlen frei und fair waren. Solche einheimischen Beobachter haben nicht nur zu mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit des Wahlverfahrens beigetragen, sondern auch die Arbeit der NGOs professionalisiert. Aktive Bürgerrechtsvertreter haben sich dabei zu Experten im Verfassungs- und Wahlrecht entwickelt und gelernt, die Relevanz internationaler Standards wie die “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte” zu würdigen. Ihre Fähigkeiten und Hartnäckigkeit haben es undemokratischen Regierungen schwer gemacht, sie von der Akkreditierung als Wahlbeobachter auszuschließen.
Die Resonanz der Zivilgesellschaft ist zu einem akkuraten Barometer für den Stand der Demokratie im frankophonen Afrika geworden. In Ländern wie Benin, Mali und Senegal, wo die politischen Führer sich zu ernsthafter Demokratisierung bekannt haben, findet die Zivilgesellschaft den nötigen Freiraum, um als Anwalt für bestimmte Interessen aufzutreten und sie auf die politische Tagesordnung zu setzen. In Ländern wie Kamerun, Kongo (Brazzaville), Guinea und Togo dagegen, wo die Demokratisierung zum Stillstand gekommen ist, gibt es nur wenige glaubwürdige Organisationen der Zivilgesellschaft, und ihre Beziehungen zur Regierung und Verwaltung sind typischerweise antagonistisch.
Das Wechselspiel zwischen Zivilgesellschaft und Regierung hat sich auch auf die Entwicklung der Organisation und Verwaltung von Wahlverfahren ausgewirkt. Vor den neunziger Jahren lag die Durchführung einer Wahl zumeist vollständig beim Innenminister oder der regionalen Verwaltung. Inzwischen haben die meisten frankophonen Staaten Afrikas dem Innenministerium diese Aufgabe entzogen und - bis auf drei Ausnahmen - unabhängige Wahlkommissionen geschaffen. Zwar gibt es noch keinen Konsens, was die geeignetste Form der Organisation und Verwaltung von Wahlen ist, aber man hält es überwiegend für richtig, dass einheimische und internationale NGOs, unabhängige Medien und die Justiz in den Wahlprozess einbezogen werden.
Die Rolle der Justiz als unabhängiger Schiedsrichter im politischen Wettbewerb wurde im Verlauf der vergangenen Dekade ebenfalls anerkannt. In dieser Zeit haben die meisten frankophonen Staaten Afrikas eigenständige Verfassungsgerichte geschaffen, die für Streitigkeiten über Wahlverfahren und Wählbarkeit zuständig sind. Auch der Kreis derjenigen, die dieses Gericht anrufen können, wurde stark ausgeweitet. In vielen Ländern können sich heute normale Bürger im wahlfähigen Alter an das Verfassungsgericht wenden, wodurch die Gefahr der Manipulation von Wahlen weiter eingeschränkt wird.
Um die Zusammenarbeit in Verfassungsfragen und wechselseitige Unterstützung hinsichtlich der Menschrechte und Herrschaft des Rechts zu stärken, haben im Jahr 1997 die Verfassungsgerichte der frankophonen Länder die Vereinigung französisch sprechender Verfassungsgerichte ACCPUF gegründet. Die meisten Verfassungsgerichte kuschten auch nicht vor den obersten Machthabern. Im Jahr 1994 hatte das Verfassungsgericht von Benin in einem hitzigen Streit zwischen Präsident Soglo und der Nationalversammlung über Zuständigkeiten für den Haushalt zu entscheiden. 1996 ordnete dasselbe Gericht an, dass Präsident Kérékou seinen Amtseid noch einmal leisten müsse, weil er einen Passus weggelassen hatte, den er als Verstoß gegen seine religiöse Auffassung als Wiedergeborenen Christen ansah. In Madagaskar urteilte das Verfassungsgericht 1995, dass Präsident Albert Zafy wegen Verstoßes gegen die Verfassung seines Amtes enthoben werden konnte. Und in Mali ordnete 1997 das Verfassungsgericht, einer Petition von Oppositionsparteien folgend, an, dass der erste Wahlgang zur Legislative wiederholt werden müsse. Im Jahr 2001 hat das Verfassungsgericht von Gabun ein Dekret des Präsidenten für nichtig erklärt, dem zufolge alle Mitglieder des Wirtschafts- und Sozialrats ernannt werden, und entschied, dass 85 Prozent gewählt werden müssen.
Infolge der Mehrparteienwahlen repräsentieren die legislativen Versammlungen im frankophonen Afrika jetzt weit besser das breite Spektrum unterschiedlicher politischer Sichtweisen. In einer Reihe von Ländern wurde das Wahlrecht sogar dahingehend geöffnet, dass nicht mehr nur einzelne Wahlkreiskandidaten oder geschlossene Parteienlisten zur Wahl stehen, sondern Wähler auch die Reihenfolge auf den Listen ändern oder Kandidaten hinzufügen können. Damit fühlen sich die gewählten Repräsentanten ihren Wählern mehr verantwortlich und nicht mehr so stark an die Hierarchien ihrer Parteien gebunden.
Trotz dieser deutlichen Fortschritte gibt es noch bedeutende Herausforderungen. Manipulierte Wahlen, schlechte Beziehungen zwischen Militär und ziviler Regierung, schwache politische Parteien, korrupter Verwaltungen und Missverständnisse zwischen afrikanischen Demokraten und ihren potenziellen westlichen Partnern behindern weiterhin Fortschritte in der Demokratisierung. Manipulierte, schlecht organisierte oder heftig umstrittene Wahlen haben den politischen Diskurs polarisiert: etwa in Kamerun 1992, 1997 und 2003, in Togo 1993, 1998 und 2003 sowie auf Madagaskar 2002.
Die schlechten zivil-militärischen Beziehungen in einer Reihe von Ländern bleiben eine Bedrohung für die Demokratie. Die meisten Staaten haben ihr Militär aus der französischen Kolonialzeit geerbt und für traditionelle Aufgabe gehegt: den Schutz des Staates gegen einen Aggressor von außen. So findet man oft aufgeblähte ressourcenfressende Militärapparate, deren Aufgabe in einer friedlicheren Welt obsolet geworden ist. Das hat insbesondere Regierungen, deren Legitimität durch korrekte Wahlen bezweifelt wird, dazu verleitet, sich auf das Militär zu stützen und es für polizeiliche Aufgaben einzusetzen. Das wiederum führte oftmals zu Menschenrechtsverletzungen und innenpolitischer Destabilisierung. Mit der bemerkenswerten Ausnahme von Senegal (siehe auch den Artikel von A. L. Coulibaly), hat es in jedem frankophonen afrikanischen Land mindestens ein Militärregime, eine Meuterei, einen Militärputsch oder -putschversuch gegeben. Zu Anfang der neunziger Jahre haben in einer Reihe von Ländern die Militärs lediglich ihre Uniform in Zivilkleidung umgetauscht und für politische Posten kandidiert, die sie fast unweigerlich gewannen. Oder demokratische Regierungen haben es versäumt, das Offizierskorps, dessen führende Militärs ihre Ausbildung häufig noch unter Militärdiktaturen erfahren haben, zu erneuern und zu verjüngen.
Ein großes Handikap für die Demokratie ist ferner, dass strukturbedingt im frankophonen Afrika die politischen Parteien schwach und zersplittert sind und dem unangemessenen politischen Einfluss der Militärs kein Gewicht entgegen setzen können. Weder die Regierungsparteien noch die Oppositionsparteien werden ihrer Aufgabe gerecht, die Bürger politisch zu bilden, zu mobilisieren und Interessen zu bündeln. Oftmals stützen sich die Parteien stark auf eine regionale ethnische Basis oder Militärs. Fast alle Parteien sind streng hierarchisch, folgen eher einem charismatischen Führer als einem Parteiprogramm.
Und viele Parteien lösen sich zwischen den Wahlen in Nichts auf - auch aus Geldmangel. Glücklicherweise haben Gabun, Mali, Côte d'Ivoire, Kamerun und Marokko mittlerweile Gesetze erlassen, die eine öffentliche Parteienfinanzierung entsprechend der letzten Wahlergebnisse gewähren. Es ist noch nicht sicher, dass solche Regeln auch auf alle gleichermaßen angewendet werden. Solange das nicht der Fall ist, werden sich Parteien im Umkreis einiger Einzelpersonen bilden, die es sich leisten können, eine Partei und Wahlkämpfe zu finanzieren. Und solange die Regierungsparteien gönnerhaft Leistungen und Gelder verteilen kann, wird es das Phänomen des Parteibuchwechsels geben, werden viele Parteimitglieder nach einer Wahlniederlage zur siegreichen Partei übertreten. Dieses Verhalten ist so verbreitet, dass Benin und Niger Gesetze verkündet haben, die Parlamentsabgeordneten während einer Legislaturperiode den Parteiwechsel verbieten. Auch die zumeist konservative zivile Verwaltung denkt weithin noch in Kategorien des alten Patronagesystems, das in vielen afrikanischen Ländern blüht und gedeiht. Gouverneure, Präfekten und Sub-Präfekten sind selten geneigt, das Aufkommen oppositioneller Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft zu tolerieren. Leider ist bislang wenig Demokratisierungshilfe dafür ausgegeben worden, das Verhalten der zivilen Verwaltung zu ändern.
Schließlich war auch der Mangel an Zusammenhalt und Koordinierung in der Internationalen Gemeinschaft ein Hemmnis für Veränderungen im frankophonen Afrika. In den frühen neunziger Jahren haben Frankreich und die USA gegeneinander gearbeitet. In einigen Ländern hat der US-Botschafter sich regelmäßig mit Pro-Demokratie-Aktivisten getroffen und Menschenrechtsverletzungen verurteilt, während sein französischer Kollege sich von solchen Leuten fern hielt und nach seiner Pensionierung den Machthaber beraten hat. Als in Frankreich die sozialistische Partei ans Ruder kam, gab es mehr Gemeinsamkeiten mit den USA hinsichtlich einer Politik für Demokratisierung. Diese erfuhr noch mehr Unterstützung durch die britisch-französische Initiative von 1998 zur Koordinierung ihrer demokratiefördernden Aktivitäten in Afrika. Ob die Afrikapolitik von US-Präsident George Bush sich ebenso sehr auf die Demokratisierung konzentrieren wird wie auf handelspolitische Fragen und ob sie nicht ins Hintertreffen gerät, weil der Blick sich jetzt nach Nahost und Asien richtet, ist noch offen. Es bleiben die Fragen, wie eng sich die Zusammenarbeit die USA und Frankreich in Afrika angesichts ihres Streites über den Irak-Krieg gestalten und wie sich der innenpolitisch bestimmte Wahlkampf in den USA auf die Afrikapolitik des Landes auswirken werden.
So ist noch nicht klar, ob die weitgehenden Gemeinsamkeiten des Westens beim Eintreten für gute Regierungsführung, Demokratie und Menschenrechte im frankophonen Afrika von Dauer sein werden. Immerhin hat die Zahl der Autokraten in der Region abgenommen und es sind fortschrittliche und visionäre Führer aufgetaucht. In einigen dieser Länder hat es echte Fortschritte zur Konsolidierung der Demokratie gegeben. In anderen zwar Rückschläge, aber insgesamt scheinen die Menschen im frankophonen Afrika sich jetzt der Demokratie verschrieben zu haben. Die schwierige Aufgabe bleibt, die Eliten in diesen Ländern zu überzeugen, auf ihre Bevölkerung zu hören.
aus: der überblick 01/2004, Seite 43
AUTOR(EN):
Christopher Fomunyoh:
Dr. Christopher Fomunyoh arbeitet am »Nationalen Demokratischen Institut für Internationale Beziehungen« in Washington und lehrt als Assistenzprofessor für afrikanische Politik und Regierungen an der »Georgetown University« in Washington D.C., USA.