Vorschläge zur Reform der UN-Friedenseinsätze
Die Fähigkeit der Vereinten Nationen, erfolgreich Friedensmissionen durchzuführen, steht erneut zur Debatte. Um weitere Fehlschläge zu vermeiden, hat UN-Generalsekretär Kofi Annan im März 2000 eine achtköpfige Kommission eingesetzt. Noch bevor ihr Bericht vorliegt, haben die Reformbemühungen des Generalsekretärs vom US-Botschafter Richard Holbrooke unerwartete Schützenhilfe bekommen. Um Friedensmissionen besser unterstützen zu können, hat aber auch Deutschland noch Hausaufgaben zu erledigen, insbesondere im Bereich der Kooperation von zivilen Gruppen und militärischen Verbänden.
von Winrich Kühne
Die Geiselnahme von fast 500 Blauhelmen in Sierra Leone im Mai dieses Jahres hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Erinnerungen an das Debakel der US-Truppen in Somalia, an den Völkermord in Ruanda und die Tragödie in Srebrenica Mitte der neunziger Jahre wurden wach. In Bosnien mussten die UN-Soldaten dem Mord an tausenden, in Ruanda an hunderttausenden Zivilisten hilflos zuschauen. Sie waren für ihre Aufgabe völlig unzureichend ausgestattet, hatten weder das nötige Mandat noch die notwendige Ausrüstung. Die UN mussten in der Öffentlichkeit ein weiteres Mal als Sündenbock herhalten. Bemerkenswerte Erfolge dagegen, die sie durchaus auch zu verzeichnen hatte, wie in Namibia, Mosambik, Kambodscha, Zentralamerika, Guatemala und jüngst der Zentralafrikanischen Republik, machen wenig Schlagzeilen. Good news is no news!
Kofi Annan, der Generalsekretär der Weltorganisation, ist mit der wechselhaften Geschichte der Friedenseinsätze bestens vertraut. Mehrere Jahre leitete er die für die Blauhelmeinsätze zuständige Abteilung, das Department of Peacekeeping Operations (DPKO). Bereits im April 1995 richtete er dort eine Lessons-Learned-Unit ein. Begleitet von einer Gruppe internationaler Experten machte sie sich daran, die Friedensmissionen der neunziger Jahre zu untersuchen und Lehren für künftige Einsätze zu ziehen. Erste Erkenntnisse wurden bei der Organisation der nächsten Missionen, insbesondere von UNTAES in Ostslawonien in Kroatien, sogleich berücksichtigt. Der Erfolg blieb nicht aus. Der Einsatz in Ostslawonien wurde zu einem der erfolgreichsten der UN. In anderen Fällen aber scheint man nichts gelernt zu haben. Die im Sicherheitsrat vertretenen Mächte scheinen nur bedingt fähig und willens, in Hinblick auf Mandat und Ausrüstung Lehren aus den bisherigen Fehlern zu ziehen.
Die Ereignisse in Sierra Leone sind dafür das jüngste, aber keineswegs einmalige Beispiel. Die Geiselnahme der Blauhelme war der Endpunkt eines Prozesses, bei dem von Anfang an grundlegende Fehler gemacht wurden, im Sicherheitsrat ebenso wie im Sekretariat und bei der Führung vor Ort. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, insbesondere die USA und Großbritannien, hatten die UN gezwungen, einen Friedensvertrag zu akzeptieren, in dem die Revolutionary United Front (RUF) und ihr Anführer Sankoh (vgl. "der überblick" 2/2000 ) nicht nur straffrei ausgingen, sondern auch als ernst zu nehmende Friedenspartei akzeptiert wurden. Dazu bestand nach allem, was man über sie wusste, keine Veranlassung. Die Vorstellung, dass Sankoh durch die Einräumung des direkten Zugriffs auf die Diamantenreichtümer des Landes zu einer Person werden würde, der man vertrauen kann, war nicht weniger absonderlich. Das UN-Sekretariat und die Führung der UNAMSIL- Mission setzten diesen Irrtum fort, indem sie – nach den guten alten Maßstäben des traditionellen Peacekeeping – von zuverlässigen Vertragsparteien ausgingen anstatt von einer worst case-Planung, in der das, was später passierte, als ein möglicher Notfall vorgesehen war. Die Äußerungen der beiden obersten Führer der Mission, des Sonderbeauftragten Adeniji aus Nigeria und des Kommandeurs General Jetley aus Indien, während und nach der Geiselnahme kann man entnehmen, dass sie ihrer Aufgabe, der Führung des UNAMSIL- Einsatzes, in einem so schwierigen Umfeld ebenfalls nicht gewachsen waren. (Die Qualität des Führungspersonals ist natürlich nicht nur bei dem Einsatz in Sierra Leone ein Thema.) Offensichtlich war der vertrauliche Bericht der von Kofi Annan nach Sierra Leone entsandten Kommission in dieser Hinsicht so katastrophal, dass er die Ablösung von General Jetley anstrebt. Indien ebenso wie Nigeria haben allerdings schon klar gemacht, dass sie die Vorwürfe für grundlos halten und deswegen strikt gegen die Ablösung ihrer Landsleute sind. So sehen die Alltagsprobleme eines UN- Generalsekretärs aus.
Schließlich litt auch diese Mission an einem weiteren, aus anderen UN-Einsätzen bekannten Übel. Die Truppen Nigerias und anderer Länder verweigerten Jetley im entscheidenden Moment den Befehl und folgten allein den Anordnungen ihrer nationalen Kommandozentralen, ähnlich wie seinerzweit westliche Truppen bei UNPROFOR in Bosnien. Von Unity of Command, eine – so der eindeutige Befund des Lessons-Learned-Prozesses – unverzichtbare Voraussetzung funktionierender Friedenseinsätze, konnte in Sierra Leone keine Rede sein.
Kofi Annan war es auch, der eine gründliche Untersuchung der Ereignisse in Ruanda und Srebrenica anordnete, obwohl vorauszusehen war, dass deren Ergebnisse für die UN und ihn selbst nicht angenehm sein würden. Beide Berichte sind inzwischen erschienen und haben Schlagzeilen gemacht. Denn einmal mehr wurde offenbar, dass das Konzept des traditionellen Peacekeeping – es stammt aus der Zeit des Kalten Krieges – völlig unzureichend ist für die Konflikte, mit denen wir es heute vornehmlich zu tun haben, nämlich Staatszerfall, Bürgerkrieg, Sezession und ethnische Konflikte bis hin zum Völkermord. Somalia, Sierra Leone und der Kongo sind hier ebenso Stichworte wie der Balkan und Afghanistan.
Die internationale Gemeinschaft muss sich dringend der Reform und Weiterentwicklung der Friedenseinsätze annehmen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, hat Kofi Annan kürzlich eine internationale Kommission eingesetzt – nach ihrem Vorsitzenden, dem früheren algerischen Außenminister Brahimi, benannt – die Verbesserungsvorschläge ausarbeiten soll. Der Bericht der Kommission soll vor dem Beginn der Generalversammlung im Herbst 2000 vorliegen. Vor seiner Veröffentlichung jedoch soll er den Mitgliedstaaten zur Stellungnahme vorgelegt werden. Dann kommt die Stunde der Wahrheit. Wenn die Vorschläge der Kommission wirklich zur Sache gehen, werden sie bei einer Reihe von UN-Mitgliedstaaten, nicht zuletzt den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, wenig Gefallen finden. Werden die Kommission und Kofi Annan dem Druck, ihren Bericht entsprechend zu korrigieren, um nicht zu sagen zu verwässern, widerstehen können?
Einen Verbündeten hat die Kommission jedoch bereits: Richard Holbrooke, den gegenwärtigen US-amerikanischen Botschafter bei den Vereinten Nationen. Er hofft, unter Al Gore der nächste Außenminister der USA zu werden. Aufgeschreckt durch Erfahrungen unter anderem auf seinen Reisen nach Afrika, hat er der für das Peacekeeping zuständigen Kommission der UN Verbesserungsvorschläge vorgelegt, die Aufsehen erregt haben. Drei Punkte sind ihm besonders wichtig.
Erstens muss nach seiner Meinung die Peacekeeping-Abteilung der UN kräftig ausgebaut werden. Dem kann man nur zustimmen. Mit 400 Personen, alle Schreib- und Bürokräfte mitgezählt, ist es völlig unmöglich, mehr als ein Dutzend komplizierte Friedensmissionen in allen Teilen der Welt zu führen. Die NATO verfügt über ein vielfaches dieses Personalbestandes zur Führung ihrer Friedenseinsätze, von der viel besseren technischen Ausstattung gar nicht zu reden. Der Ausbau der Peacekeeping-Abteilung ist ein altes und schwieriges Thema. Am besten wäre es natürlich, die Zahl der ständigen Mitarbeiter beträchtlich aufzustocken. Das gegenwärtige Budget der UN lässt das jedoch nicht zu. Eine zweitbeste Lösung wäre jedoch möglich. Die Mitgliedstaaten müssten sich bereit erklären, der Abteilung Fachpersonal auf begrenzte Zeit umsonst zur Verfügung zu stellen, Militärs ebenso wie Polizei und Zivilisten. In Ansätzen wurde das bereits praktiziert. Bis Ende 1999 waren 130 Mitarbeiter, vor allem Offiziere, als Gratispersonal im DPKO tätig. Sie kamen notgedrungen vor allem aus den wohlhabenden Ländern des Nordens. Das Misstrauen der Länder des Südens, ließ nicht lange auf sich warten. Sie setzten in der Generalversammlung einen Abzug dieses Personals durch.
Dennoch muss ein Weg gefunden werden, dieses Problem zu lösen. Die Länder des Südens, vor allem Afrikas, müssen einsehen, dass sie nicht beides gleichzeitig haben können: Eine UN, die einerseits im Kongo, in Sierra Leone, am Horn von Afrika, in Ost-Timor und anderswo mit effektiven Friedenseinsätzen herbeieilt und eine UN, der sie die Stärkung der dafür notwendigen Abteilung verbietet. Ihrer Angst vor einseitiger Einflussnahme muss jedoch Rechnung getragen werden. Ein möglicher Weg wäre, dass die Industrieländer Personal aus den Ländern des Südens im Sinne von Patenschaften mitfinanzieren. Auch das wurde in der Vergangenheit schon praktiziert. So finanzierte Deutschland zwei Offiziere aus Ländern des Südens. Noch besser allerdings wäre es, wenn der Etat des Sekretariats aufgestockt und Fachpersonal in der notwendigen Zahl aus dem regulären Haushalt bezahlt würde. Diese Lösung wird zwar den Ländern des Südens gefallen, denen des Nordens, insbesondere den USA jedoch wenig behagen. Denn sie müssten die Rechnung dafür begleichen, und zwar auf lange Zeit.
Das führt sogleich zu einem zweiten Reformpunkt von Richard Holbrooke. Die UN und ihre Friedenseinsätze müssen endlich auf ein solides finanzielles Fundament gestellt werden. Die Führer der Friedenseinsätze und ihre Mitarbeiter arbeiten, was die ihnen bei Treffen von Regierungschefs und Außenministern vollmundig zugesagten Geldmittel betrifft, unter unvorstellbaren Haushaltsbedingungen. Sie können, vor allem in der Anfangsphase, häufig nicht die einfachsten Dinge finanzieren. Die Glaubwürdigkeit des Friedenseinsatzes ist dann bei der Bevölkerung schnell verspielt. Holbrooke verlangt deswegen richtigerweise, dass diejenigen Staaten, die in ihren Beitragssätzen trotz beträchtlichem Wirtschaftswachstum noch immer wie arme Länder eingestuft werden, in Zukunft mehr zahlen. Fünf Staaten, Zypern, Estland, Israel, Ungarn und die Philippinen, haben bereits positiv reagiert. Weitere müssten folgen. Zugleich aber hat natürlich Michael Powles, der UN-Botschafter Neuseelands, Recht, wenn er Holbrooke daran erinnert, dass die Zahlung der Beitragsrückstände der USA von mehr als 1 Mrd. US-Dollar die UN am schnellsten aus ihren finanziellen Kalamitäten befreien würde.
Die dritte Forderung schließlich steht im direkten Zusammenhang mit der Geiselnahme in Sierra Leone. Geiselnahmen, Hinterhalte, Heckenschützen sind heute bei Friedenseinsätzen leider kein Einzelfall. Man erinnere sich nur an die Blauhelme, die die Serben in Bosnien Mitte der neunziger Jahre zum Schutz vor NATO-Luftangriffen an öffentliche Einrichtungen anketteten. Geiselnahmen gab es auch in Liberia und Georgien. Bei dem gegenwärtig relevanten Konflikttypus müssen Blauhelme und ziviles Friedenspersonal jederzeit damit rechnen, in Situationen eskalierender Gewalt oder gar der Geiselnahme verwickelt zu werden, denen sie mit den traditionellen Mitteln des Peacekeeping nicht gewachsen sind. Die genaue Analyse des Debakels in Sierra Leone, von einer von Kofi Annan eilig entsandten Kommission inzwischen abgeschlossen, hat das einmal mehr auf dramatische Weise belegt.
Die UN-Friedenstruppen müssen deswegen, so die richtige Forderung Holbrookes, durch eine schnelle Eingreiftruppe (Rapid Reaction Force) abgesichert werden. Sie soll unter der Führung des UN-Hauptquartiers aufgebaut werden und jederzeit abrufbar sein. In Haiti und Ostslawonien wurde ein derartiges Konzept bereits mit Erfolg praktiziert. Auch in Bosnien-Herzegowina konnte seinerzeit die Lage erst durch die Entsendung einer über 10.000 Mann starken schnellen Eingreiftruppe stabilisiert werden. Die Entsendung der britischen Fallschirmjäger nach Sierra Leone hatte ganz offensichtlich den gleichen Effekt.
Der Vorschlag Holbrookes für eine bessere Reaktionsfähigkeit der UN ist natürlich nicht neu. Kanada, erschüttert durch die Tragödie in Ruanda – der Einsatz wurde von einem kanadischen General befehligt -, ließ von internationalen Experten bereits Mitte der neunziger Jahre einen umfassenden Vorschlag zur "Verbesserung der schnellen Reaktionsfähigkeit" der UN ausarbeiten. Vor allem die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat, nicht zuletzt die USA, standen einer Umsetzung dieses Vorschlages im Wege. Das muss sich ändern!
Die drei Vorschläge Holbrookes sind nur erste Schritte, um Friedenseinsätze zu einem schlagkräftigen Instrument der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik auszubauen. Weitere müssen folgen. Es geht nicht an, dass nach Abschluss eines Waffenstillstands oder Friedensvertrages Monate vergehen, bis Truppen, Polizeikräfte und ziviles Personal in der Region eintreffen. In Ruanda zum Beispiel hatten die Blauhelme im April 1994, als der Völkermord begann, immer noch nicht ihre Sollstärke erreicht, obwohl seit dem Abschluss des Friedensabkommens acht Monate vergangen waren. In Sierra Leone war es ähnlich. Anders als es in den Medien häufig dargestellt wird, sind es jedoch nicht in erster Linie die UN, die für die schleppende Entsendung verantwortlich ist.
In seinem Bericht "Wir die Völker" für das UN-Millenniumtreffen in New York im Herbst beschreibt Annan die Lage der UN zutreffend. Sie befindet sich in der Situation einer Freiwilligen Feuerwehr, die – wenn sie zum Löscheinsatz alarmiert wird – die Gemeinde erst einmal um Löschfahrzeuge und Schläuche bitten muss. Bittet der Generalsekretär um Truppen, muss er oft lange darauf warten. Die Mühlen der Politik und Bürokratie in vielen Hauptstädten, einschließlich der westlichen, arbeiten außerordentlich langsam. Die Kriegswilligen und Gewalttätigen jedoch warten nicht. Ihre in der Regel wankelmütige Bereitschaft zum Frieden muss durch eine sofortige Präsenz der internationalen Gemeinschaft vor Ort stabilisiert werden. Das ist ein Imperativ, der schon zum Zeitpunkt der ersten Blauhelmeinsätze galt. 1956, als die erste Blauhelmtruppe mit mehreren tausend Mann auf den Sinai entsandt wurde, war sie innerhalb von zehn Tagen vor Ort. Wo ein politischer Wille ist, da ist ein Weg!
Seit Mitte der neunziger Jahre hat das UN-Sekretariat Anstrengungen unternommen, diesen Missstand abzustellen. Ein Stand-by-Register wurde aufgebaut. Zweck dieses Registers ist es, dass möglichst viele Mitgliedstaaten der UN im Voraus Auskunft geben, wie viele Truppen, Polizei und Fachpersonal sie mit welcher Ausrüstung, Ausbildung und in welchen Zeiträumen im Ernstfall zur Verfügung stellen können. Fast neunzig Staaten sind dieser Aufforderung inzwischen nachgekommen. Insgesamt wurde Personal, vor allem militärisches, in Höhe von 150 000 gemeldet. Diese Zahlen sind beeindruckend. Sie täuschen jedoch. Abgesehen davon, dass es sich häufig um Einheiten ohne die notwendige Ausrüstung und Ausbildung handelt, ist die Reaktion der Mitgliedstaaten zumeist hinhaltend oder ablehnend, wenn der Generalsekretär sie konkret um die Entsendung von Personal bittet. Denn die Meldung zum Register verpflichtet zu nichts, weder rechtlich noch politisch.
Es wird nicht einfach sein, hier Abhilfe zu schaffen. Denn die Regierungen und Parlamente in den meisten Staaten wachen eifersüchtig über ihre Souveränität bei der Entsendung von Truppen und Polizei im Ernstfall. Deutschland selbst hat in dieser Hinsicht ja strikte Anforderungen, gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es ist nun einmal so, dass die nationalen Regierungen und Parlamentarier ihre Augen in erster Linie bei denjenigen haben, die sie wieder wählen sollen – und nicht bei den Opfern von Konflikten in fernen Ländern. Die Kluft ist groß, ja riesig, zwischen dem, was die internationale Öffentlichkeit von den UN auf dem Gebiet der internationalen Friedenssicherung erwartet und dem, was dieselbe Öffentlichkeit bereit ist, den UN über ihre Regierungen an Instrumenten und Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Die UN jedoch kann nur das leisten, wozu sie von uns in die Lage versetzt wird.
Dringend ist schließlich auch die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Militär, Polizei und zivilen Fachkräften. Diese Zusammenarbeit hat für den Erfolg von Friedenseinsätzen strategische Bedeutung und ist gerade in Deutschland von Politik und Wissenschaft nur langsam erkannt worden. Alte Feindbilder und idealistische Vorstellungen von ausschließlich ziviler Konfliktbearbeitung und zivilem Friedensdienst, teilweise basierend auf einem historisch zwar verständlichen, dann aber ideologisch verdrehten, realitätsblinden Anti-Militarismus, dominierten. Sowohl die mit Blauhelmeinsätzen erfahrenen skandinavischen Länder als auch die angelsächsischen Staaten vollzogen den Sprung in eine konstruktive Zusammenarbeit von Soldaten und Zivilisten leichter und haben hier wesentliche Pionierarbeit geleistet.
Es bleibt aber noch viel zu tun. Hunderte nichtstaatliche Organisationen (NGOs) sind in der Regel vor Ort zu koordinieren. Im Hinblick auf Größe, Zielsetzung, Selbstverständnis und Professionalität sind sie ein buntes, nur schwer zu koordinierendes Gemisch. Außerdem haben sie, was ihr Verhältnis zum Militär betrifft, eine völlig andere operational culture. Bei den NGOs haben Freiwilligkeit, Idealismus und möglichst wenig Hierarchie einen hohen ideologischen Stellenwert. Bei den Militärs dagegen stehen Disziplin, Befehlshierarchie und funktionierende Organisation ganz oben.
Es liegt auf der Hand, dass diese Unterschiede sowohl organisatorisch als auch menschlich vor Ort zu großen Problemen führen. "Langhaarige Affen" und "sture Kommissköppe" sind zumindestens am Anfang der Zusammenarbeit schwer zu überwindende Stereotypen. Die Praxis vor Ort lehrt alle Beteiligten dann allerdings in der Regel, dass Kooperation und Überwindung dieser Vorurteile absolut notwendig sind. Die Akteure einer Friedensmission sitzen im Hinblick auf den Erfolg in einem Boot. Nur ein integriertes, gut abgestimmtes Vorgehen führt weiter, so schwierig das im Einzelfall auch sein mag. Ohne die Militärs und die Polizei gibt es kein sicheres Umfeld, in dem das zivile Personal seine Aufgaben erfolgreich erledigen kann. Umgekehrt haben letztere bei der Wiederaufbauarbeit eine Reihe von komparativen Vorteilen gegenüber den Militärs.
Die Verbesserung der zivil-militärischen Kooperation ist inzwischen ein Thema, an dem an zahlreichen Stellen gearbeitet wird. Gestützt auf ihre Erfahrungen erst in Bosnien und dann im Kosovo hat zum Beispiel die NATO nicht nur bei IFOR/SFOR und bei KFOR Civil-Military Co-operation (CIMIC) zu einer wichtigen Aufgabe gemacht, sondern auch bei ihrem Hauptquartier in Brüssel ein CIMIC-Center mit einem Personal von weit über einhundert Mitarbeitern eingerichtet. In der UN wurde die grundsätzliche Bedeutung von zivil-militärischer Kooperation schon in den Friedenseinsätzen Ende der achtziger Jahre erkannt und dann – Lessons Learned! – systematisch verbessert.
In Deutschland hat die Debatte inzwischen erfreulicherweise an Realismus gewonnen. Die Notwendigkeit, ziviles Personal besser auszubilden, ist erkannt und in Angriff genommen worden. Idealismus ist zwar ein gutes Motiv für die Arbeit in Friedenseinsätzen. Vor Ort aber ist vor allem Professionalität gefragt. Weiteres ist zu tun auf dem Gebiet der Ausbildung und Einsatzvorbereitung, insbesondere was die Zusammenarbeit mit Militärs und Polizei nicht nur aus Deutschland, sondern aus den Dutzenden von Staaten betrifft, die sich an Einsätzen beteiligen.
Ein besonders harter Brocken wird für die deutsche Politik die Verbesserung ihrer Fähigkeit zur Entsendung von Polizei sein. Denn die Polizei ist im wesentlichen Sache der Länder, und die haben naturgemäß für internationale Aufgaben wenig übrig. Allein, es ist Eingeweihten schleierhaft, woher der deutsche Anteil an den 5000 Polizisten kommen soll, die als Stand-by-Truppe aufzustellen auf dem EU-Gipfeltreffen in Lissabon kürzlich beschlossen wurde.
Die intensive Diskussion über den "zivilen Friedensdienst" war sicher nützlich. Nun aber brauchen wir eine Diskussion, wo Deutschland die für die modernen Friedenseinsätze so wichtigen Polizisten her bekommt.
aus: der überblick 03/2000, Seite 96
AUTOR(EN):
Winrich Kühne:
Dr. Winrich Kühne ist Mitglied der Leitung der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München und begleitet als internationaler Experte die Bemühungen des "Lessons-Learned"-Arbeitsstabes in der UN-Abteilung für friedenssichernde Einsätze.