Die Ausschaltung des Islamisten al-Turabi bedeutete keineswegs, dass die Regierung in Khartoum Frieden sucht
Die Regierung des Sudan hat nach außen eine Charme-Offensive gestartet. Sie wird dadurch erleichtert, dass Präsident Bashir im Dezember 1999 Hassan al-Turabi, den führenden Kopf hinter der Islamisierung des Landes, als Parlamentspräsidenten abgesetzt hat; im Mai hat er dann den Vorstand der regierenden Partei suspendiert, zu dem Turabi gehört. Der Eindruck, die Chancen für ein Ende des Bürgerkriegs seien damit gestiegen, ist aber verfehlt. Nach innen tragen die Offensiven der Regierung weiter militärischen Charakter - begünstigt neuerdings durch die Öleinnahmen des Sudan.
von Peter Verney
Der Sudan verändert sich - so sagen die Auguren. Sie erkennen einen Silberstreif am Horizont. Das aggressive islamistische Militärregime, das im größten Land Afrikas im Juni 1989 die Macht ergriffen und seitdem den Bürgerkrieg weitergeführt hat, habe eine Wandlung durchgemacht: keine Verbindungen mehr zum internationalen Terrorismus und keine schweren Menschenrechtsverletzungen mehr, um sich an der Macht zu halten. Ein Mehrparteiensystem und Frieden zeichnen sich am Horizont ab. Das wollen uns zumindest die Public-Relations-Manager des Regimes weismachen. Diese Sicht ist verführerisch. In vielen Medien sowie in europäischen Regierungen und der EU, die sich im Sudan gerne "konstruktiv engagieren" würden, scheint man den Köder geschluckt zu haben.
Alles, was in Wirklichkeit geschehen ist, ist jedoch eine Umbildung innerhalb der ultrarechten Gruppe, die das Land kontrolliert: Dr. Hassan al-Turabi, einer der Anführer des Militärputsches von 1989, ist von seinem ehemaligen Mitstreiter, dem Präsidenten General Bashir, aus dem Amt entfernt worden. Dr. Turabi, der Chefideologe des Regimes der Nationalen Islamischen Front (NIF), hatte in einem langwierigen Machtkampf versucht, Bashir auszumanövrieren.
Turabi, ein politischer Entfesselungskünstler mit theologischem Anspruch, hat an der Sorbonne in Paris studiert und war international als das Gesicht der sudanesischen Junta bekannt – bekannter als Präsident Bashir selbst. Jetzt, im Alter von 70 Jahren, ist er kaltgestellt worden, und zwar nicht nur vom Präsidenten, sondern auch von einem Dutzend seiner eigenen früheren Zöglinge in der NIF, die sich auf Bashirs Seite geschlagen haben. Bashirs Weg an die politische Macht im Nordsudan hatte über den bewaffneten Arm der NIF geführt (diese Partei hat sich inzwischen in Nationale Kongresspartei umbenannt). Für seine Palastrevolution gegen Turabi hatte er jedoch auch die Unterstützung der tonangebenden Männer des zivilen Flügels der NIF. Der Coup erlaubte ihm, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die ständigen Intrigen Turabis und den internationalen Paria-Status des Regimes zu beenden. Die Verantwortlichen für die systematischen Gräueltaten des letzten Jahrzehnts sind jedoch am Ruder geblieben.
Nach innen betont das Regime nun wieder, dass es den Zielen der islamistischen "Errettungsrevolution" treu bleiben will. Damit zeigt es sich weiterhin entschlossen, sein Monopol über die wirklichen Hebel der Macht zu behalten: die Wirtschaft und den Sicherheitsapparat. Das Regime hat in Rebellengebieten weiterhin zivile Ziele wie Schulen und Krankenhäuser bombardiert und überfallen. Es sperrt weiterhin politische Gegner ein und macht die Presse mundtot. Aber nach außen ist sein Image aufpoliert worden. Die Entfernung Turabis hat der Junta ein Täuschungsmanöver ermöglicht, denn sie löst sich dadurch scheinbar von ihrer Vergangenheit als islamistischer Hardliner. Das erlaubt es offenbar dem Westen – oder mindestens Europa -, das Regime als bloß eine weitere Militärregierung anzusehen.
Ist es Schwarzmalerei, die Aufmerksamkeit auf den Gestank von Öl und verbranntem menschlichem Fleisch zu lenken, der über dieser Morgenröte hängt? Einige Beobachter haben den Verdacht, dass die Aussicht, am neu entdeckten Ölreichtum des Sudan teilhaben zu können, die magische Verwandlung im internationalen Image des Landes bewirkt hat; den Verdacht, dass diese Aussicht die Welt für den Krieg und den Völkermord blind gemacht hat, der die Ausbeutung des Öls begleitet. Um ernsthaft Lösungen anstreben zu können, ist ein klareres Bild davon nötig, was tatsächlich vorgeht.
Der Sudan wird beinahe seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien und Ägypten im Jahre 1956 immer wieder von Kämpfen zerrissen. Ein Großteil des Südens, der ein Drittel des Landes ausmacht, wird heute von der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung SPLM bzw. ihrer Armee SPLA (Sudan People’s Liberation Movement bzw. Army) kontrolliert, die auch Landstriche im Osten und im Zentrum des Landes hält – im Nordsudan an der Grenze zum Süden. Eine wichtige Veränderung auf der politischen Bühne im Sudan war, dass 1997 eine vorwiegend aus dem Nordsudan stammende Koalition, die Nationale Demokratische Allianz (NDA), sich mit der SPLA verbündete und den bewaffneten Kampf gegen die Diktatur der NIF und Bashirs bis hinauf an das Rote Meer ausdehnte.
Die Öffentlichkeit im Westen – zumindest viele der Medien – neigt dazu, den Krieg im Sudan als Konflikt zwischen Arabern und Afrikanern, Muslimen und Christen, Norden und Süden zu sehen. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Reihe miteinander verknüpfter Konflikte innerhalb des Nord- wie des Südsudan. Viele davon haben mit Streit um Ressourcen wie Land, Wasser und Öl zu tun; ethnische und religiöse Bindungen sind für politische Zwecke angefacht worden. Auch Umweltschäden, Dürren und eine äußerst unausgewogene Entwicklung zum Nachteil des Südens haben eine Rolle gespielt. Und die Zentralregierungen in Khartoum haben Strategien des "Teile und Herrsche" verfolgt und damit über die Jahre die ohnehin uneinheitliche Gesellschaft zusätzlich fragmentiert. Im Sudan, einem armen Land mit großen wirtschaftlichen Problemen, wirken diese Faktoren auf sehr komplizierte Weise zusammen und sind oft nicht leicht auseinander zu halten.
Während der ganzen Geschichte des Sudan, der in seinen heutigen Grenzen von türkischen Eroberern vereinigt worden ist, haben Fragen der Religion und der ethnischen Identität stets den Gegensatz zwischen dem arabisierten islamischen Norden und dem rein afrikanischen Rest des Landes zum Ausdruck gebracht. Die verschiedenen Völker des Nordsudan sind getrennt durch Volks- und Stammeszugehörigkeiten, wirtschaftliche Gegensätze, den Wettbewerb um Ressourcen sowie durch die Rolle der traditionellen Eliten. Was sie einigen kann, ist der Islam und ihr Bestreben, von ihren arabischen Nachbarn als ebenbürtig angesehen zu werden.
In den letzten zehn Jahren ist die derzeitige Regierung des Sudan gegen religiöse und ethnische Minderheiten mit Maßnahmen vorgegangen, die dem Völkermord gleichkommen. Sie ist laut der US-Regierungskommission für Internationale Religionsfreiheit "weltweit der gewalttätigste Missachter des Rechts auf Freiheit der Religionsausübung und des Glaubens". Doch die Religionszugehörigkeit ist, obwohl sie von Bedeutung ist, für die Gewalt nur zweitrangig – nach der rassischen Herkunft und der politischen Loyalität. Auch Muslime, die nicht die extremistische Interpretation des Islam billigen, werden verfolgt. Neben dem Krieg im Süden läuft eine militärische Offensive der Regierung gegen die Bewohner der Nuba-Region im Zentralsudan, von denen viele Muslime sind. Im Westsudan eskalieren das Banditenwesen, lokale Konflikte und der Landraub in der gesamten Region Darfur. Und an der östlichen Grenze bekämpft das Regime die NDA, die vorwiegend aus islamischen Parteien des Nordens besteht, welche die Regierung aus dem Parlament verjagt hat.
1993 sorgte die Regierung des Sudan für ein religiöses Edikt, das alle, die gegen das Regime opponieren, zu "Abtrünnigen vom Glauben" erklärt. Die Regierungstruppen wurden ermächtigt, Muslime in den Nuba-Bergen und aus anderen Regionen willkürlich anzugreifen. Daraufhin haben Regierungskräfte zahlreiche Moscheen und islamische Einrichtungen entweiht oder zerstört. Angriffe auf Muslime in den Nuba-Bergen mit der Luftwaffe, der Armee und Milizen sind so üblich geworden, dass viele Führer der Nuba glauben, die Regierung habe mehr Moscheen als Kirchen angegriffen.
Die sudanesische Regierung hat zudem islamische Gruppen und "Sekten" im Norden im Visier, die sie als Teil der militärischen und politischen Opposition ansieht. Insbesondere hat sie die Khayimiyya und Ansar angegriffen, die der verbotenen Demokratischen Einheitspartei (DUP) beziehungsweise der Umma-Partei nahe stehen. Diese sind traditionell die beiden größten islamischen Parteien und haben bei den letzten freien Wahlen im April und Mai 1986 zusammen 60 bis 70 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können; beide haben die NDA mit begründet. (Der Führer der Umma, Sadiq al Mahdi, wurde danach Premierminister. 1989 wurde er vom Militär, das von der NIF unterstützt wurde, abgesetzt; Anm. d. Red.)
Darüber hinaus hat das Regime versucht, den Diskurs über den Islam zu monopolisieren und alle anderen Ansichten auszuschließen. Obwohl der Koran "Zwang in der Religion" ablehnt, hat die Regierung viele normale, persönliche religiöse Bräuche wie die täglichen Gebete und die Fastenregeln zur Pflicht gemacht. Regierungsangestellte müssen zum Beispiel an gemeinschaftlichen Gebeten teilnehmen, und Frauen sind verpflichtet, das islamische Kopftuch (hijab) zu tragen. Die Freitagspredigten in den Moscheen müssen vorab von einem Regierungskomitee gebilligt werden. Die Junta setzt islamische Prediger unter Druck, Loyalität zum Regime zu predigen; sie können abgesetzt, schikaniert oder drangsaliert werden, wenn sie sich weigern.
Trotz der Bemühungen der NIF, in den letzten zehn Jahren die Debatte zu lenken und die Bevölkerung zu indoktrinieren, ist aber das Spektrum der politischen und religiösen Philosophie unter Muslimen im nördlichen Sudan breit. Von der Geschichte des Landes her sind die mitfühlenden und toleranten Auffassungen der Sufis, der Vertreter mystischer Richtungen des Islam, weiter verbreitet und tiefer verwurzelt als die Engstirnigkeit der NIF. Zudem wird leicht vergessen, dass die NIF bei den letzten freien Wahlen 1986 weniger als zehn Prozent der Stimmen erhalten hat (die NIF spricht von zwanzig Prozent, weil manche Wähler doppelt abstimmen) und wegen ihres Missbrauchs der islamischen Religion im Sudan weithin verachtet wird.
Muslime aus dem Norden spielen eine entscheidende Rolle bei den Versuchen, die Demokratie wiederherzustellen – genauso wie in den Jahren 1964 und 1985, als Volksaufstände in Khartoum und anderen Städten im Norden früheren Diktaturen ein Ende setzten. In politischen Parteien und Gewerkschaften machen sie das Gros der Anhänger der NDA aus. 1995 erreichte diese ein wichtiges Abkommen mit der überwiegend aus Südsudanesen bestehenden Rebellengruppe SPLA, gemeinsam den Sturz der NIF sowie ein Friedensprogramm anzustreben.
Doch diese typischen, gemäßigten Muslime werden von der Außenwelt übersehen. Dagegen wird der Disput zwischen Bashir und Turabi als Chance für einen Frieden präsentiert, obwohl der Disput im Regime und zwischen zwei Hardlinern stattfindet, die nur einen schmalen Ausschnitt im politischen Spektrum des Sudan vertreten. Die Strategie der NIF besteht darin, sich mit jedem zeitweilig zu verbünden, den sie auf ihre Seite zeihen kann, dabei aber niemals die Macht zu teilen. Für den Frieden im Sudan geht es jedoch genau darum, die Macht zu teilen. Auch die Trennung von Staat und Religion, die eines der grundlegenden Erfordernisse für die derzeitigen Friedensgespräche ist, wird das Regime nicht akzeptieren. Zudem: Obwohl einige Regierungsmitglieder in der Vergangenheit dazu neigten, dem Süden die Sezession zu gestatten, um sich dann auf den Machterhalt im Norden zu konzentrieren, hat das Öl im Süden sich hier als Gegenargument durchgesetzt. Solange das Regime aber an beiden Zielen festhält – der Islamisierung und der "Erhaltung der Einheit des Landes" –, wird es in Hinsicht auf entscheidende Voraussetzungen für Frieden, nämlich eine säkulare Verfassung und echte regionale Selbstbestimmung, unnachgiebig bleiben.
Jüngst hat die Regierung eine getrennte Verständigung mit den konservativeren islamischen Elementen in der NDA gesucht. Besonders war sie an einer Vereinbarung mit dem ehemaligen Premierminister Sadiq al-Mahdi und seiner Umma-Partei interessiert, die der Regierung ein Feigenblatt religiöser und politischer Legitimation verschaffen würde. Als Ergebnis dieser Offerten aus Khartoum hat die Umma-Partei Anfang 2000 die NDA verlassen, obwohl ihre exilierten Führer nicht alle sofort in den Sudan zurückgekehrt sind. Einigen Berichten zufolge sind die im Sudan lebenden Umma-Mitglieder unzufrieden mit der Annäherung, weil ihre Anhänger im Sudan immer noch verfolgt werden.
Die NIF würde auch die DUP gerne zurück locken, aber das ist bisher nicht gelungen. Auch Prognosen, dass die NDA aufgrund des Austritts der Umma zerfallen könnte, haben sich bisher als unbegründet herausgestellt. Einige Quellen in der NDA erklären, dass die Umma von Anfang an Zwietracht gesät habe und ein Hindernis für Aktionen der NDA gewesen sei – ein Teil des Problems statt der Lösung. Tatsächlich hat die NDA nach dem Rückzug der Umma ihre Angriffe im östlichen Sudan verstärkt. Die Öl-Pipeline, die sich über 1610 Kilometer von der Kriegszone im Südsudan bis zum Roten Meer erstreckt, wurde in den letzten sechs Monaten drei Mal gesprengt, jedes Mal im östlichen Sudan. Eine zweite Pipeline, die das Regime jetzt bauen will, muss nun so weit von der östlichen Grenze entfernt verlaufen wie nur möglich, um weiteren Sabotageakten von Mitgliedern der Oppositionsallianz vorzubeugen.
In der nordwestlichen Ecke der sudanesischen Halbwüste, an der Grenze zu Eritrea und am Roten Meer, ist die jüngste Front im Bürgerkrieg eröffnet worden, der Jahrzehnte vorwiegend im Süden ausgetragen worden war. Aufgrund der Bedeutung der Region könnte sich dort der Krieg entscheiden. Denn dort sind die lebenswichtigen Straßen- und Eisenbahnverbindungen des Landes zur Küste sowie die neue Öl-Pipeline und andere wirtschaftliche Schlüsselinvestitionen bedroht.
Die bedeutsamen Friedensverhandlungen zwischen der NIF-Regierung und der SPLA haben bisher im Rahmen der Inter-Governmental Authority on Development (Intergouvernementale Entwicklungsagentur, IGAD) der Staaten am Horn von Afrika stattgefunden. Doch Ende 1999 begannen unabhängig davon Ägypten und Libyen, die vorwiegend nordsudanesischen Parteien aus der NDA zu Gesprächen mit der Regierung zu drängen (diese Parteien sind bisher nicht neben der SPLA an den Gesprächen im Rahmen der IGAD vertreten). Die NDA, die zu dieser Zeit wegen der anscheinenden Versöhnung zwischen der Umma-Partei und der NIF nervös war, veröffentlichte eine Erklärung, die als die Tripoli-Deklaration bekannt wurde. Die dort festgehaltenen Bedingungen wurden mangels klarerer Aussagen als Basis der sogenannten libysch-ägyptischen Initiative akzeptiert.
Die Aussichten, dass diese Initiative allein weit kommt, sind aber gering. Zweifellos ist die sudanesische Regierung froh, dass es verschiedene Friedensinitiativen gibt, unter denen sie wählen kann – sie kann sich je nach den Umständen darin engagieren oder daraus zurückziehen. Aber die SPLA bildet immer noch das militärische Rückgrat der Oppositionskräfte und muss deshalb an Verhandlungen beteiligt sein. Der Führer der SPLA, John Garang, der gleichzeitig militärischer Chef der NDA ist, versucht Ägypten dahingehend zu beruhigen, dass vom Südsudan keine Gefahr für das Nilwasser ausgehen wird – das ist immer Ägyptens oberste Sorge. Und Garang hat die Gelegenheit klug genutzt, um zu fordern, dass die Parteien aus dem Norden an den IGAD-Friedensverhandlungen beteiligt werden.
Dass sich europäische Regierungen in letzter Zeit zunehmend für das sudanesische Regime erwärmt haben, liegt nach Meinung von Zynikern daran, dass die Beziehungen mit sudanesischem Öl geheizt werden. Österreichs größter Energiekonzern OMV und die Firma Lundin Oil aus Schweden sind im südsudanesischen Kriegsgebiet tätig, ebenso die kanadische Firma Talisman Energy, Chinas nationale Ölgesellschaft und die malaysische Petronas. Weir Pumps aus Großbritannien und die deutsche Mannesmann AG haben wichtige Pipeline-Ausrüstung geliefert.
Die erste Pipeline im Sudan, die im August 1999 eröffnet wurde, bringt dem Regime in Khartoum jährlich schätzungsweise 300 bis 400 Millionen US-Dollar Verkaufserlöse aus der Förderung im zentralen Südsudan ein. Das verschafft der Regierung das Geld für militärische und sicherheitstechnische Ausrüstungsgüter. Die oppositionelle NDA hat im Gegenzug die gesamte mit der Ölförderung verbundene Infrastruktur zum militärischen Ziel erklärt, weil sie nicht will, dass Öl-Einnahmen die Junta an der Macht halten.
Zwischen der Ölförderung und den Menschenrechtsverletzungen im Sudan besteht ein klarer Zusammenhang. Die Regierung hat Dörfer in der Nähe der Ölfelder zerstört, um die Einwohner dort los zu werden. Während ihres letzten Angriffs im Gebiet der Ölfelder im Westen der Region Oberer Nil (Upper Nile) haben Regierungstruppen nach verlässlichen Informationen Frauen und Kinder an Bäume genagelt und ihnen dann die Kehlen durchgeschnitten. Die kanadische Regierung hat eine Untersuchung anfertigen lassen, den Harker Report, der im März 2000 vorgelegt worden ist. Darin heißt es, dass die Ölförderung möglicherweise zu "Zwangsumsiedlungen" der Zivilbevölkerung in der Nähe der Ölfelder beiträgt; der Bericht schloss, dass "es schwierig sei, sich einen Waffenstillstand vorzustellen, wenn die Förderung weiter geht". Im Kriegsgebiet benutzen die Bomber und Kampfhubschrauber dieselben Landepisten wie die Ölfirmen und greifen auf Kerosin zurück, das am Ort raffiniert wird.
Der größte Teil des südlichen Sudan ist ein potenzielles Ölfeld. Und auf dem Papier ist er bereits in Konzessionen für andere, größere Ölfirmen aufgeteilt; die französisch-belgische Total-Fina hält einen großen Teil davon. Daher ist kein Ende des Massakers in Sicht, das die Ölförderung begleitet. Die großen Anwärter warten nur darauf, ob Talisman, OMV, Lundin und anderen "Frontschweine" Erfolg haben. Es wird dann nicht lange dauern, bis auch sie einsteigen.
Die SchariaIslamisches Recht für den Sudan?Der Bürgerkrieg im Sudan hat sich nicht in erster Linie an Fragen der Religion entzündet. Aber im September 1983 wurde er in einen Konflikt verwandelt, in dem die Religion das wichtigste Problem ist. Damals führte der Diktator General Nimeiri im Bündnis mit al Turabis Nationaler Islamischer Front (NIF) die Scharia als geltendes Recht im Sudan ein. Seitdem hat jeder Versöhnungsversuch am Felsen der Religion Schiffbruch erlitten. Sudan in einen islamischen Staat zu verwandeln, ist für all jene eine Versuchung, die ihre Auffassung von religiösen Pflichten für die Lehren aus 40 Jahren Krieg blind gemacht hat. "Friedensbotschafter" des Regimes in Khartoum beharren seit Jahren darauf, dass eine offizielle Anwendung der Scharia mit gleichen Rechten und gleichem Status für alle Bürger vereinbart werden kann. Die Taktiker unter ihnen sagen, dass sie lediglich verlangen, die islamischen Rechtsquellen zusammen mit nicht islamischen als Quellen der staatlichen Rechtsprechung anzuerkennen. Die abweisenderen Hardliner sagen, die Scharia solle die alleinige Basis der Gesetze sein. Wenn sie gefragt würden, würden die meisten Muslime im Nordsudan sicher sagen, dass sie sich den Islam als Grundlage ihrer Gesetze wünschen. Die Mehrheit der Bürger sind Muslime, und die können keinen Säkularismus akzeptieren. Aber wenn man fragte, ob sie die Scharia in der intoleranten, grausamen Form akzeptieren, in der sie von der NIF vertreten wird, dann würden die meisten nein sagen – zumindest im privaten Gespräch. Ein Argument, das zum Beispiel 1985 Sadiq al-Mahdi im Namen der Umma-Partei angeführt hat, lautet, dass eine gemeinsame Religion für die Bildung eines Nationalstaates wesentlich ist. Die NIF hat sogar behauptet, dass die Scharia dem kulturellen Erbe Afrikas näher stehe als irgendein anderes Rechtssystem. Diese Behauptung ignoriert die Tatsache, dass die Scharia zum Beispiel völlig unvereinbar mit dem traditionellen Recht der Dinka im Südsudan ist, der größten einzelnen ethnischen Gruppe im Sudan. Einige weit verbreitete Interpretationen der Scharia stehen im Widerspruch zu modernen Konzepten von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten. Den Frauen werden eine ganze Reihe von Restriktionen auferlegt. Vor islamischen Gerichten ist ihr Status und der von nicht muslimischen Männern geringer als der von muslimischen Männern – zum Beispiel beim Gewicht, das ihren Aussagen beigemessen wird. Nur Muslime dürfen sich an der Politik in einem islamischen Staat beteiligen oder eine Position bekleiden, die Macht über auch nur einen Muslim verleiht. Christen und Juden wird gegen eine spezielle Steuer offizielle Duldung gewährt. Menschen anderer Religionszugehörigkeit sind nicht einmal dafür qualifiziert. Inzwischen haben die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung SPLM und ihre Armee SPLA mehrfach betont, dass sie eine offizielle Rolle der Scharia in der sudanesischen Gesetzgebung nicht akzeptieren können. Ihre Partner in der Nationalen Demokratischen Allianz (NDA), die größtenteils aus dem Norden kommen und die Demokratische Einheitspartei (DUP) einschließen, sowie Gewerkschaften und die Kommunistische Partei streben ebenfalls an, die Religion und ethnische Fragen aus der Politik herauszuhalten. Im Sudan leben mehr als 500 ethnische Gruppen, die den Islam, das Christentum und ein breites Spektrum traditioneller Religionen praktizieren. Und es sollte nicht vergessen werden, das die Muslime, die sich 1985 in Khartoum erhoben, um Nimeiri zu stürzen, Parolen gegen die Scharia sangen. Peter Verney |
aus: der überblick 02/2000, Seite 81
AUTOR(EN):
Peter Verney:
Peter Verney ist Redakteur von Sudan Update in London, einem zweiwöchentlichen Dienst, der Nachrichten über den Sudan aus internationalen Medien zusammenstellt. Er hat im Frühjahr die Broschüre Oil and Conflict in Sudan veröffentlicht.