Mit Waffengewalt nicht zu besiegen
Etwa ein Viertel der Soldaten in der südafrikanischen Armee sind HIV-infiziert. Truppeneinsätze weit weg von zu Hause - wie internationale Blauhelm-Missionen - tragen zur weiteren Ausbreitung der Krankheit bei. Aids untergräbt langfristig auch die innere Sicherheit. Mit Aufklärungskampagnen allein ist das Problem nicht in den Griff zu bekommen - weder im Militär noch in der Gesellschaft.
von Lindy Heinecken
Aids forderte in den letzten zwanzig Jahren in Afrika südlich der Sahara zehn Mal so viele Opfer wie die Folgen der verschiedenen Kriege. Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Krankheit fördern keineswegs das friedliche Miteinander, sondern stellen eine Gefahr für Ruhe und Stabilität in der Region dar. Die am stärksten betroffenen Länder liegen im südlichen Afrika und gehörten bisher sogar zu den wohlhabendsten und stabilsten des Kontinents. In Botswana, dem afrikanischen Wirtschaftswunderland, soll nach neuesten Schätzungen ein Drittel der Bevölkerung HIV-infiziert sein. Im Nachbarland Simbabwe, wo die Infektionsrate bei fast 34 Prozent liegt, verschärft die Krankheit die durch die Hungersnot ohnehin schon schlimme Lage. Für Südafrika, der Wirtschafts-Großmacht der Region, geht man von einer HIV-Rate von 25 Prozent aus. Auch in anderen Nachbarländern wie Lesotho und Swasiland sieht es mit Infektionsraten von 31 und 33 Prozent nicht besser aus.
Noch alarmierender sind die Statistiken für die Angehörigen der Streitkräfte. In vielen Ländern des südlichen Afrikas liegen die Schätzungen der HIV-Infektionsraten in den Armeen zwischen 20 und 60 Prozent. Sie sind damit doppelt bis fünfmal so hoch wie der jeweilige nationale Durchschnitt. Aids ist heute die häufigste Todesursache im Militär, noch vor Malaria und jeder anderen Art zu sterben. Selbst in der südafrikanischen Armee (South African National Defence Force, SANDF), in der es seit über einem Jahrzehnt ein umfangreiches Vorbeugungs- und Informationsprogramm gegen HIV und Aids gibt, machen HIV-Infektionen 40 Prozent aller gemeldeten chronischen Krankheiten aus.
Im übrigen Afrika geben höhere Offiziere schon einmal hinter vorgehaltener Hand zu, dass ihre Armeen nicht mehr auf die Schnelle einsatzfähig sind, weil sie zu viele ausgebildete Leute infolge von Aids verloren haben. Die Krankheit hat die meisten kampfunfähig gemacht.
Weltweit zählen Militärangehörige zu den Hochrisikogruppen für eine HIV-Infektion. Das liegt nicht nur an der Art ihrer Tätigkeit, sondern auch an ihrer spezifischen Altersgruppe und den Lebensbedingungen. Die meisten von ihnen sind jung, männlich und sexuell aktiv. Ihr Dienst verpflichtet sie zu langen Aufenthalten weit weg von zuhause. Sie unterliegen einem starken Gruppendruck, sind anfällig für risikoreiches Verhalten und unverbindliche sexuelle Kontakte. Außerdem treffen sie in ihrer Umgebung häufig auf Prostituierte. Viele junge Männer, die zur Armee kommen, fühlen sich zum ersten Mal frei von der sozialen Kontrolle ihrer Familie und Gemeinschaft. Das Junggesellenleben, Alkoholmissbrauch und regelmäßige Entlohnung gelten als Faktoren, die vor allem in Armutsgebieten zur Ausbreitung der Infektion in den Streitkräften beitragen. Hinzu kommt, dass Soldaten meist in Gegenden stationiert sind, in denen hohe Mobilität, soziale Entwurzelung und gewaltsame Konflikte vorherrschen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und die Verbreitung der Krankheit erhöht.
Das Militär gilt folglich als eine der Haupt-Überträgergruppen innerhalb der Gesellschaft. Einige Wissenschaftler führen sogar den gegenwärtigen schnellen Anstieg der Infektionsrate in Südafrika auf die Soldaten der früheren South African Defence Force zurück, die in Namibia und Angola stationiert waren, außerdem auf die Mitglieder der Befreiungsbewegungen, die aus dem Exil in den Nachbarstaaten zurückgekehrt sind. Bei der Gründung der neuen SANDF im Jahr 1994 wurde die politische Entscheidung getroffen, niemanden auf HIV/Aids zu testen. Wie schlimm die Verbreitung von HIV bereits ist, wurde nur deutlich, weil 1999 im Rahmen der Vorbereitung für eine Friedensmission HIV-Tests durchgeführt wurden. Erst zu diesem Zeitpunkt wurden HIV und Aids als hochrangiges Problem und reale Gefahr für die Einsatzfähigkeit der SANDF erkannt.
Auf alles, was die Einsatzfähigkeit der Truppe gewährleistet, wirkt sich die Krankheit aus. Wenn man sich vor Augen hält, dass schätzungsweise 25 Prozent aller Südafrikaner infiziert sind, wird das Ausmaß des Problems deutlich. Es mangelt ohnehin an gut ausgebildeten Arbeitskräften. Passende Kandidaten für eine militärische Laufbahn zu finden, wird deshalb immer schwieriger, vor allem wenn ein negativer HIV-Test Einstellungsbedingung ist. Allerdings machen neu Rekrutierte nur einen geringen Teil der Streitkräfte aus. Besorgniserregend ist die große Anzahl derer, die bereits Armeeangehörige sind und deren Krankheit in den kommenden Jahren große Lücken reißen wird. Durch die zunehmenden Abwesenheitszeiten dieser Menschen wird die Einsatzfähigkeit der SANDF erheblich gefährdet werden.
Gegenwärtig bewegen sich die Zahlen, die SANDF für die Infektionsrate ihrer Mitglieder angibt, um den nationalen Durchschnitt von 25 Prozent, mit Unterschieden nach Region und Truppengattung. Fast die Hälfte der Infizierten findet sich in der Altersgruppe der 23- bis 32-Jährigen. Diese Gruppe stellt den größten Anteil der für militärische Einsätze verwendeten Soldaten. Offiziere und Unteroffiziere diesen Alters sind meist gut ausgebildet und üben Aufsichts- und Managementfunktionen aus. In den nächsten Jahren wird die SANDF mit einem Mangel an qualifizierten und erfahrenen Soldaten dieser mittleren Ränge zu kämpfen haben.
Bisher sind die Auswirkungen der Aids-Epidemie noch nicht wirklich fühlbar geworden, weil sich die Krankheit noch im Infektionsstadium befindet. Wenn zunehmend Angehörige der Streitkräfte erkranken oder sterben, kann nicht einfach auf dem zivilen Arbeitsmarkt Ersatz rekrutiert werden. Bis jetzt hat auch noch keine Lageeinschätzung für die gesamten Streitkräfte stattgefunden, um festzustellen, welche Sektoren der Truppe am stärksten gefährdet sind, welche Funktionen am ehesten ausfallen werden und was getan werden kann, um künftige Ausfälle zu vermeiden.
Zu den bisherigen Maßnahmen der SANDF gegen die Bedrohung durch HIV und Aids gehören, dass die Einstellung neuer Bewerber von einem HIV-Test abhängig gemacht wird. Außerdem werden Zeitverträge abgeschlossen und die bisherige Länge der Zeitverträge einer sberprüfung unterzogen. Gegenwärtig werden alle uniformierten (nicht die zivilen) Kräfte im Rahmen ihrer regelmäßigen medizinischen Untersuchungen auf HIV getestet. Ein HIV-negativ-Testergebnis ist die Bedingung für die Beschäftigung. Das gilt als "positive Diskriminierung", die sicherstellen soll, dass die Verteidigungskräfte ihr Verfassungsmandat erfüllen können. Falls das Testergebnis für eine Person HIV-positiv ausfällt, wird diese darüber informiert, erhält eine psychologische Beratung und wird zu weiteren Beratungs- und Behandlungsmaßnahmen an die jeweils zuständigen Stellen überwiesen. Wer sich weigert, sich auf HIV untersuchen zu lassen, bekommt nur ein unvollständiges medizinisches Profil, was zur Nichteinstellung führt.
Menschen, die sich bereits im Dienst befinden und HIV-positiv befunden werden, erhalten die gleiche Behandlung wie bei jeder anderen chronischen, zur Einschränkung der Leistungsfähigkeit führenden Krankheit. Jede Änderung im Status der Anstellung geschieht nach den bestehenden Kriterien wie Gleichstellungsgrundsatz, erworbene Verdienste und Fähigkeit, die Arbeit zufriedenstellend zu erledigen. Kein SANDF-Mitglied darf wegen seines HIV-Status entlassen, oder im Falle von Stellenabbau oder beim Zugang zu medizinischer Versorgung und Genesungsurlaub benachteiligt werden. Wenn die Pflichten der gegenwärtigen Position nicht mehr ausgeführt werden können, besteht ein Recht auf alternative Beschäftigung, welche die Betreffenden finanziell nicht schlechter stellen darf. Wenn der Dienst beendet werden muss, gelten die gleichen Verfahrensweisen wie bei vergleichbaren lebensbedrohenden Krankheiten.
Die SANDF stellen jedoch keine lebensverlängernden, anti-retroviralen Medikamente für Aids-Kranke zur Verfügung, ausgenommen bei Berufsunfällen, Vergewaltigung oder um die Mutter-Kind-Übertragung zu verhindern. Trotzdem genießen Armeemitglieder und ihre Angehörigen eine umfassende medizinische Betreuung. Alle Militärhospitäler verfügen über voll arbeitsfähige, auf HIV spezialisierte Abteilungen, wo Mitglieder der Streitkräfte und ihre Angehörige bei HIV-Infektion oder Aids-Erkrankung weitreichende Behandlung und Unterstützung erhalten. Dazu gehören beispielsweise die vorbeugende Gabe von Medikamenten bei einem berufsbedingt erhöhten Infektionsrisiko, die intensive Behandlung von HIV-bedingten Krankheiten, allgemeine Gesundheitsvorsorge sowie psychosoziale, diätetische und geistliche Unterstützung. Zusätzlich bezahlt die Krankenversicherung SANDF Medical Continuation Fund den Armeeangehörigen auch nach dem Verlassen des Dienstes die medizinische Behandlungskosten und übernimmt auch die Kosten für die Folgeerkrankungen der HIV-Infektion.
Gegenwärtig kann die SANDF im Kampf gegen HIV/Aids nur mit Information und Aufklärung vorgehen. Seit 1995 führt die Armee eine intensive Kampagne gegen die Ausbreitung der Krankheit. Sie verteilt unter anderem Poster und Flugblätter an die Einheiten, veröffentlicht Aufklärungsartikel in den Zeitschriften des Militärs, macht Sexualerziehung, verbreitet Informationen über Safer Sex, gibt kostenlose Kondome aus, gibt Ratschläge, wie man eine Infektion vermeiden kann, und lässt entsprechende Vorträge in allen Truppenteilen halten. In jüngster Zeit wurde eine Spezialeinheit für Aufklärungsarbeit gegen HIV und Aids geschaffen und ein Trainingshandbuch erarbeitet, das in der gesamten SANDF Standards für vorbeugende Maßnahmen setzen soll. Es ist geplant, dass alle zu einer Beförderung führenden Weiterbildungskurse einen Themenblock zu HIV/Aids und über Gesundheitserziehung enthalten sollen.
Jede Truppeneinheit hat einen Sozialarbeiter, der Beratungsdienste anbietet, sowie einen Bildungsbeauftragten, der speziell für HIV und Aids zuständig ist. Diese HIV-Beauftragten sind verantwortlich für die Aufklärungsmaßnahmen in der Truppe und für die Auswahl und Ausbildung von Gleichrangigen, die als Multiplikatoren in ihrer Gruppe eingesetzt werden (peer educators). Auf regionaler und Hauptquartiersebene gibt es zahlreiche Einrichtungen, die die verschiedenen HIV/Aids-Initiativen koordinieren. Zusätzliche Schlagkraft im Kampf gegen die Krankheit brachte die Masibambisane-Kampagne ("über bloßes Wissen hinaus"), die speziell für einen militärischen Kontext entwickelt wurde und dessen besondere Risikofaktoren miteinbezieht. Die Kampagne besteht aus drei wesentlichen Schwerpunkten: Einem Massenaufklärungsprogramm, spezielleren Aufklärungsprojekten und dem Training von Aids-Beratern und peer educators in den Einheiten. Ziel ist es, Verhalten, Einstellungen und Wahrnehmung gegenüber HIV und Aids zu verändern. Die Wirkung der Kampagne wird alle sechs Monate durch eine sogenannte KAP-Untersuchung über Wissen, Einstellung und Praktiken geprüft.
Erste Ergebnisse dieser KAP-Studien zeigen, dass die Bildungs- und Vorbeugungsmaßnahmen zu einem hohen Informationsniveau über die Krankheit in der Truppe geführt haben. Sie belegt aber auch, dass trotz des guten Wissensstands immer noch in über 80 Prozent aller Antworten über flüchtige Sexualkontakte bei Einsätzen oder Ausbildungskursen berichtet wird. Die Armeeangehörigen sind sich vollständig im Klaren über die Konsequenzen riskanten sexuellen Verhaltens. Die notwendigen Änderungen des Verhaltens sind aber offenbar von den Aufklärungskampagnen nicht erreicht worden. Die Gründe dafür sind noch nicht hinreichend untersucht worden. Eine mögliche Erklärung ist, dass die konkreten Auswirkungen der Krankheit bisher noch zu wenig spürbar sind. Aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung haben sich bisher erst wenige SANDF-Mitglieder zu ihrer HIV-Infektion bekannt. Die Erfahrungen aus dem übrigen Afrika zeigen aber, dass eine Verhaltensänderung erst einsetzt, wenn Führungspersonen offen über ihre Infektion sprechen und die Menschen den Tod von Kameraden, Freunden und Familienmitgliedern erleben.
Ein weiterer Grund besteht darin, dass bei den unteren Offiziersrängen das Engagement fehlt, um die Weiterverbreitung der Krankheit zu stoppen. Bis heute ist HIV/Aids in der SANDF hauptsächlich eine Angelegenheit der South African Military Health Services (SAMHS). Es wird nach wie vor als reines Gesundheitsthema behandelt, das die einzelnen Abteilungen der Streitkräfte nicht zu ihren Aufgaben zählen. Folglich sind die Gegenmaßnahmen eher von oben verordnet als durch gemeinsame Konsultationen beschlossen worden. Das verlangsamt die Umsetzung vor Ort und behindert die Identifikation mit der Strategie. Ebenso erschwerend wirkt sich aus, dass sowohl im Militär wie in der Gesamtgesellschaft keine Bereitschaft vorhanden ist, den kulturellen und politischen Dimensionen von HIV/Aids wirklich ins Auge zu sehen. Das hat die Bemühungen um Aufklärung und gegen Stigmatisierung von Infizierten zum Teil durchkreuzt.
Da die Epidemie sich überwiegend noch im Infektionsstadium befindet, hat sie sich bisher noch nicht negativ auf die Einsatzfähigkeit der SANDF ausgewirkt. Klar ist aber, dass in den kommenden Jahren diese Fähigkeit durch HIV/Aids unterminiert werden wird. Das stellt ein nationales Sicherheitsrisiko dar, vor allem wenn eine Regierung sich des Militärs bedient, um Katastrophenhilfe zu leisten oder interne Bedrohungen zu bekämpfen. Wenn ein Staat durch die Aids-Epidemie geschwächt ist, können zunehmende Rechtlosigkeit und interne Konflikte die Folge sein. Sind die Sicherheitskräfte auch betroffen, bedeutet das eine Bedrohung für die staatliche Funktionsfähigkeit und nationale Identität. Vor allem Gesellschaften mit schwachem sozialen Zusammenhalt sind gefährdet, in verschiedene Fraktionen zu zerfallen. HIV/Aids bietet so fruchtbaren Boden für die Formierung gesellschaftsgefährdender Organisationen oder Rebellengruppen. Solche Staaten können auch von ausländischen Mächten manipuliert werden, weil die politische Führung zunehmend auf ausländische Hilfe angewiesen ist, um den Bedarf der eigenen Bevölkerung zu sichern.
Südafrika wird allgemein als Lokomotive für Wirtschaftswachstum und Entwicklung im südlichen Afrika angesehen. Deshalb haben die Auswirkungen von HIV und Aids im Land auch beträchtliche Folgen für die gesamte Region. Wegen der eng miteinander verflochtenen Volkswirtschaften und der zentralen Funktion Südafrikas als Arbeitsmarkt der Region sind bereits jetzt Belastungen der diplomatischen Beziehungen zu beobachten. Es wird berichtet, dass südafrikanische Bergbauunternehmen HIV- infizierte ausländische Arbeiter in ihre Heimatländer zurückgeschickt haben, was die Regierung Mosambiks verärgert hat, da das Land auf die Einkommen der Bergarbeiter angewiesen ist.
Eine der Hauptfunktionen der SANDF ist es, die Grenzen zur Abwehr der illegalen Einwanderung zu patrouillieren sowie die Polizei im Kampf gegen die zunehmende Kriminalität zu unterstützen. Eine Öffnung der Grenzen im südlichen Afrika, die vergleichbar mit Europa den Menschen innerhalb der Region Bewegungsfreiheit brächte, scheint aber kaum möglich. Denn bereits jetzt ist Südafrika mit einer großen Zahl illegaler Einwanderer konfrontiert, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind, sich zum großen Teil aber in der wachsenden Menge der Arbeitslosen wiederfinden.
Ob Südafrikas künftig noch genügend Kapazität für humanitäre Unterstützung der Nachbarländer in Krisensituationen und für eine etwaige Führungsrolle bei Friedensmissionen hat, ist fraglich. Das Land bekennt sich zwar - wie die meisten anderen in der Region - zu der Empfehlung der Vereinten Nationen (UN), keine HIV-positiven Soldaten auf Friedensmissionen zu entsenden. Man befürchtet aber, dass man dann schon jetzt nicht mehr genügend Kräfte für solche Einsätze hat und dass die Infektionsraten innerhalb der Streitkräfte gerade durch solche Missionen weiter steigen wird. Auf lange Sicht könnte Südafrika wegen der Auswirkungen von HIV/Aids in seiner Armee nicht mehr in der Lage sein, seine Führungsrolle im südlichen Afrika auch auszufüllen. Der schnelle Einsatz eines ausreichenden Kontingents an Blauhelmen durch die SANDF könnte in Zukunft schwierig werden.
Bis jetzt sind die Gefahren der Entsendung von Friedenstruppen in Länder mit hohen HIV-Raten noch nicht ernsthaft berücksichtigt worden, obwohl die Zunahme von Infektionen durch Truppeneinsätze sowohl bei den Soldaten wie auch bei der Bevölkerung des Gastlandes unbestreitbar ist. Die Erfahrungen der SANDF in Lesotho sowie kürzlich in Burundi haben gezeigt, dass es praktisch unmöglich ist, Kontakte zwischen den Truppen und der Zivilbevölkerung zu verhindern. Bei einer Entsendung in stark infizierte Gebiete wird das zum Problem. Es wird berichtet, dass in Konfliktgebieten häufig Marketenderinnen und Prostituierte schon vor den Soldaten ihr Lager aufgeschlagen haben. Die Frage ist: Was wird Staaten und deren Armeen, einschließlich der SANDF, in Zukunft motivieren, sich an humanitären und Friedensmissionen zu beteiligen, wenn bekannt ist, dass sowohl die Truppen als auch die Zivilbevölkerung, der geholfen oder die geschützt werden soll, hohe Infektionsraten haben?
Das Dilemma von Aids ist, dass zwar kaum jemand in den am stärksten betroffenen Ländern die Bedrohung durch die Krankheit bestreitet. Aber niemand weiß, was dagegen zu tun wäre. Eine Wolke von Heimlichtuerei verbirgt die Gefahr. Die Konsequenzen entziehen sich der Vorstellungskraft. Wir haben bisher nichts mit dieser globalen Pandemie Vergleichbares erlebt, und nichts kann uns auf das vorbereiten, womit uns diese Krankheit noch konfrontieren wird. Wir haben keine statistische Basis für Vorausberechnungen. Wir wissen allerdings, dass Aids große Teile der produktiven gesellschaftlichen Gruppen töten wird. Für die Staaten, die bis zu einem Viertel ihrer Bevölkerung verlieren werden, bedeutet das eine nationale Katastrophe.
Würde es sich um einen Aufstand oder um eine militärische Bedrohung handeln, hätte der Staat den Ausnahmezustand erklärt und alle Ressourcen mobilisiert, um der Gefahr zu begegnen. Im Falle von HIV und Aids aber haben das Schweigen, das Stigma und die Verleugnung der Krankheit ein täuschendes Gefühl von Stabilität geschaffen. Die angemessene Antwort wird erst kommen, wenn die Opfer bereits tot sind. Dass das Militär die Infektionsrate in seinen Reihen niedrig hält, ist eine notwendige Maßnahme neben anderen Initiativen in Südafrika, um mit der Bedrohung der nationalen Sicherheit fertig zu werden. Doch HIV/Aids ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, und der Kampf gegen die Krankheit muss bei dem einzelnen beginnen, dessen wirtschaftliche und soziale Sicherheit durch Aids gefährdet wird. Durch breiter ansetzende Initiativen könnte das Elend abgewendet werden, da letztendlich die Gefährdung der politischen Stabilität und nationalen Sicherheit nur eine Folge der gesamtgesellschaftlichen Schwächung durch HIV/Aids ist.
Unglücklicherweise haben nur wenige afrikanische Staaten die Mittel, ihre eigene Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten und die Behandlung und Pflege der an Aids Erkrankten zu bezahlen. Hier kann die Internationale Gemeinschaft beim Kampf gegen HIV/Aids eine entscheidende Rolle spielen und dabei helfen, die verheerenden Auswirkungen dieses unsichtbaren Krieges einzudämmen.
aus: der überblick 01/2003, Seite 74
AUTOR(EN):
Lindy Heinecken:
Lindy Heinecken ist stellvertretende Direktorin des militärwissenschaftlichen Instituts der Universität Stellenbosch in Südafrika.