Korruption wird durch neoliberale Reformen lediglich privatisiert
Korruption schadet der Volkswirtschaft. Darüber sind sich die Ökonomen einig. Aber an Antikorruptionsmaßnahmen scheiden sich die Geister. Den Staat als Kern des Übels zu sehen und ihn deswegen kurzerhand zu verschlanken, ist nicht immer der Weisheit letzter Schluss. Korruption wird durch neoliberale Reformen nicht beendet, sondern privatisiert.
von Michael Johnston
Der Fall des Kommunismus beendete den Kalten Krieg und mit ihm veränderte sich die geopolitische Relevanz zahlreicher korrupter Regime. In der politischen und wirtschaftlichen Transformationszeit litten die Länder unter Korruption in altem und neuem Gewand, während die Entwicklungshilfe- Organisationen unter dem Druck standen, mit weniger Mitteln mehr leisten zu müssen. Die Integration von Märkten auf regionaler und globaler Ebene rückte die unterschiedlichen Geschäftsgepflogenheiten in verschiedenen Teilen der Welt in den Blickpunkt. Im verstärkten Wettbewerb wurden Bestechungsgelder einst als akzeptable Gemeinkosten hingenommen zu einer echten Belastung.
Eine aggressive neoliberale Koalition sah in der Korruption ein Vermächtnis von Staaten, die in Umfang und Funktionen beschnitten werden müssen. Vertreter von Kredit- und Entwicklungsinstitutionen, die mit der Art der Verwendung und Fehlverwendung von Geldern nicht einverstanden waren, begannen, das "K-Wort" öffentlich auszusprechen. Bald wurde deutlich, dass Korruption in einigen Regionen mit Gewalt, mit Drogen-, Waffen- und Menschenhandel verquickt war. Aus welchen Gründen auch immer, es wuchs die Überzeugung, dass etwas gegen die Korruption unternommen werden müsse dass diese wirklich außer Kontrolle gerate.
Eine Unmenge von Reformen war die Folge. Viele basierten auf altbekannten "Patentlösungen" in der öffentlichen Verwaltung. Umfassendere Strategien zielten auf einer Verbesserung der Parteiensysteme, der Leistungen der Parlamente, der Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und der Praktiken im internationalen Bankenverkehr ab. Das journalistische Know-how im Bereich der Korruptionsbekämpfung sollte ebenfalls erweitert werden. Gleichzeitig und verstärkt durch diesen Reformschub, wuchs das Interesse an der Zivilgesellschaft, am sozialen Kapital und an der Frage, wie soziale Sanktionen und Werte korruptes Verhalten verhindern könnten. Dies waren die Leitgedanken der vom Ausland unterstützten Reformansätze in so unterschiedlichen Gesellschaften wie der Ukraine, den Philippinen und Tansania.
Neue Erkenntnisse über die marktverzerrenden Wirkungen der Korruption haben alte Debatten über ihre angebliche "Funktionalität" verstummen lassen Korruption mag in einigen Zusammenhängen weniger schädlich sein als viele Alternativen, ein inhärenter wirtschaftlicher oder politischer Nutzen ist jedoch kaum zu erkennen. Als Folge davon zeichnet sich eine Tendenz ab, Korruption in erster Linie als Auswirkung und auch als Ursache von Marktverzerrungen in ansonsten effizienten Märkten zu sehen. Diese Sichtweise wird auch durch die Tatsache verstärkt, dass das Zurückdrängen der Rolle des Staates in der Wirtschaft als der Weisheit letzter Schluss gilt.
So betrachtet kann Korruption eine sehr attraktive Erklärung für Entwicklungsschwierigkeiten aller Art abgeben. Und dann liegt das Argument nahe, der beste Weg zur Bekämpfung von Korruption sei es, den Staat und seine opportunistischen Funktionäre und Bürokraten aus dem Weg zu schaffen. Dieser Auffassung zufolge ist der reformierte Staat ein fachlich kompetenter Schiedsrichter freier Marktprozesse, der im Höchstfall eine auf ein Minimum begrenzte Steuerungsfunktion ausübt. Politik ist demnach die Quelle von korrumpierenden Eigeninteressen und von Zwist, der den Weg zu einem "vernünftigen öffentlichen Management" blockiert.
Das hat leider Folgen, die weit über ein eindimensionales Verständnis von Korruption hinausgehen: Reformen zur Bekämpfung der Korruption gehen einher mit einer Herabwürdigung von Auseinandersetzungen, die im Umfeld des Regierens unweigerlich stattfinden müssen. Die Umsetzung dieser Leitgedanken in Hilfs- und Entwicklungsstrategien hat viele Transformationsländer in die Stürme des globalen Wettbewerbs entsandt, ohne ihnen auch nur die grundlegendsten Institutionen mitzugeben, die sie bräuchten, um funktionierende Märkte zu betreiben, geschweige denn Institutionen, die für eine langfristige und gerechte Entwicklung erforderlich wären. Auch als Grundlage für die Bekämpfung der Korruption hat sich diese Auffassung wenig bewährt.
Der neoliberale Konsens spiegelt die Erfahrungen und Interessen entwickelter Gesellschaften wider, gibt ihnen vielleicht auch unverdient gute Noten im Ländervergleich. Etablierte liberale Demokratien schneiden bei den Korruptionsindizes sehr gut ab, und es scheint durchaus plausibel, dass sie weniger Probleme mit der Korruption haben als viele ihrer ärmeren und weniger demokratischen Nachbarn. Aber sind wohlhabende Marktdemokratien per se wirklich so viel "weniger korrupt", oder haben sie lediglich Rechtssysteme entwickelt, die den Interessen des Geldes entgegenkommen? Großunternehmen in den USA bestechen Kabinettsmitglieder nicht auf dieselbe Weise, wie Unternehmen in Entwicklungsländern Finanzminister bestechen, aber vielleicht ist das in einem politischen System, in dem Unterstützung durch Geld und Wirtschaft wichtige politische Währungen sind, auch gar nicht nötig. Die USA mögen bei Indizes der Regierungs- und Verwaltungsführung gut abschneiden, aber trauen die Bürger ihrem Staat zu, dass er die Interessen einer breiten Bevölkerungsbasis in einer nutzbringenden Politik zusammenführt? Meinungsumfragen zur Rolle des Geldes in der Politik lassen keineswegs auf ein klares Ja als Antwort schließen.
Etablierte Marktdemokratien hatten Generationen oder sogar Jahrhunderte Zeit, um annehmbare Beziehungen zwischen Geld und Macht auszuarbeiten. Von ärmeren Gesellschaften dagegen wird erwartet, dass sie dies aus dem Stegreif tun, oft inmitten einer Häufung von Krisen. Darüber hinaus sollen sie sofort höchstmögliche Standards der Regierungs- und Verwaltungsführung einhalten Best Practices ist der gängige Ausdruck in Reformerkreisen , anstatt wie ältere Nationen auch die Zwischenphasen der rechtlichen und politischen Entwicklung zu durchlaufen.
In England war die Zahlung einer Gegenleistung für die Dienste eines Wächters oder Polizisten einst nicht nur legal, sie wurde erwartet. Mit dieser Lösung hatte der Ordnungshüter ein Einkommen, aber auch eine gewisse Leistungs- und Rechenschaftspflicht gegenüber dem zahlenden Bürger. Wer heute in einem Entwicklungsland diesem Beispiel folgt, macht sich der Korruption schuldig.
Desgleichen ist die Zivilgesellschaft in fortgeschrittenen Gesellschaften eine wichtige Kraft gegen Korruption. Dieser Zustand hat sich aber über viele Generationen hinweg unter Menschen herausgebildet, welche die Möglichkeit hatten, ihre Interessen zu verteidigen. Wenn wir dagegen heute in Gesellschaften, die unter hoher Korruption leiden, allzu sehr auf die Zivilgesellschaft setzen, erwarten wir nichts anderes, als dass die Schwachen die Starken in Schranken halten und zwar nur um der "guten Reform" willen, und nicht, weil sie darin einen Weg zum Schutz ihrer Interessen und ihres Wohlergehens sehen. Sollte die Reform dann nicht von Erfolg gekrönt sein, können wir den Opfern der Korruption die Schuld daran geben, weil sie die Täter nicht an korrupten Handlungen gehindert haben.
Für eine angemessene Würdigung dieser komplexen Zusammenhänge bedarf es mehr als einer Unterscheidung zwischen höheren und niedrigeren Korruptionsniveaus, denen man mit vorgefertigten einheitlichen Reformen begegnet. Nach dem herrschenden Konsens wird Korruption in etwa wie das Bruttoinlandsprodukt behandelt: Manche Länder haben viel davon, andere deutlich weniger. Aber Korruption tritt in vielfältigen Formen in Erscheinung, denen unterschiedliche Probleme und Ursachen zugrunde liegen. Und Reformen zur Bekämpfung der Korruption, die in der einen Situation hilfreich sind, können in einer anderen erheblichen Schaden anrichten. Die rasante Privatisierung von Staatsvermögen in Russland Mitte der 1990er Jahre und der Wechsel zu einem Mehrparteiensystem in Kenia zu einer Zeit, als die zum Aufbau politischer Unterstützung lange üblichen Mittel und Wege gerade aus dem System verbannt wurden Best Practices auch hier , sind nur zwei Beispiele für fehlgeschlagene Reformen.
Nach meinen Untersuchungen kann man Korruption in vier qualitativ unterschiedliche Kategorien unterteilen. Jede Kategorie verlangt nach Reformen, die auf die Ursachen des Problems zugeschnitten sind und in denen die Politik eine sehr viel wichtigere Rolle spielen muss.
Auf Einflussmärkten, wie wir sie in den USA, in Deutschland und in Japan finden, versuchen Interessenverbände und wohlhabende Einzelpersonen Politik zu gestalten, häufig indem sie gewählten Amtsträgern und Parteiführern, die als Mittelspersonen zwischen Wirtschaft und Verwaltung agieren, Geld zukommen lassen.
Elitenkartelle sind große Netzwerke gebildet von Eliten aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Militär und Medien. Diese Netzwerke speisen sich aus dem gemeinsamen Lohn der Korruption und werden aufrechterhalten, um politische Konkurrenz abzuwehren. Beispiele sind Italien, Südkorea und Botsuana.
Oligarchen und Klans dominieren die sich schnell verändernde, zuweilen chaotische Politik und Wirtschaft in Gesellschaften, in denen eine weit reichende Liberalisierung stattgefunden hat und die Institutionen sehr schwach sind. In Russland, Mexiko und den Philippinen zum Beispiel konkurrieren korrupte Personen und ihre persönliche Anhängerschaft um sehr große Profite und greifen in einigen Fällen zu Gewalt um diese zu schützen.
Mogule in öffentlichen Ämtern sind politische Führungspersonen oder ihre persönlichen Günstlinge, die staatliche Macht nutzen, um die Wirtschaft zu plündern. Derartige Systeme der Korruption können stark zentralisiert sein wie in Suhartos Indonesien oder in Kenia unter Daniel arap Moi, sie können aber auch stärker fragmentiert und vernetzt sein, wie in China, wo Korruption am häufigsten auf der Provinzebene vorkommt. Wie dem auch sei, Mogule in öffentlichen Ämtern nutzen staatliche Macht, um sich persönlich zu bereichern, und gehen dabei oft straflos aus.
Der wirtschaftliche Schaden, der durch die beiden letztgenannten Korruptionsformen entsteht, kann enorm sein, aber auch Einflussmärkte geben Anlass zur Sorge, denn sie untergraben die Vitalität der Demokratie und "kontrollieren" Korruption wohl im Wesentlichen dadurch, dass sie sich der Macht des Geldes beugen. Elitenkartelle schaffen kurz- und mittelfristig Kontinuität und Berechenbarkeit und damit in manchen Fällen günstige Bedingungen für wirtschaftliches Wachstum. Aber die Systeme, die sie mittragen, sind häufig wirtschaftlich wie politisch unflexibel. Wirksame Reformen fallen je nach Korruptionssyndrom unterschiedlich aus. Was in einem Umfeld funktioniert, kann in einem anderen erheblichen Schaden anrichten. Verstärkter Wettbewerb bei Wahlen ist zum Beispiel Teil einer angemessenen Reaktion auf Einflussmärkte.
In Mexiko jedoch wurde eine solche an sich willkommene Veränderung zu Lasten der dominierenden Partei herbeigeführt, welche die stärkste politische Institution des Landes war. Dadurch konnte zwar ein Elitenkartell gekippt werden, dies schuf allerdings den Platz für eine sehr viel gefährlichere "Oligarchen und Klans-Situation". Während Privatisierung in Italien eine wünschenswerte Strategie sein mag, um gegen die zahlreichen Elitenkartelle vorzugehen, hat sie Russland, wo es weder zuverlässige Eigentumsrechte, noch einen funktionierenden Nationalstaat noch sonstige stabile Institutionen gab, in den "wilden Osten" verwandelt. Vielleicht haben wirksame Reformen unter bestimmten Bedingungen weniger mit einer Verringerung der Korruption in absoluten Zahlen zu tun wie sollten wir die auch feststellen? als vielmehr mit einem allmählichen Übergang zu weniger schädlichen Formen der Korruption.
Wichtig im Umgang mit allen Korruptionsformen sind auf lange Sicht ein glaubwürdiger, institutionell gut organisierter Staat, ein funktionierendes Gleichgewicht von politischen und wirtschaftlichen Interessen und eine langfristige, tief greifende Demokratisierung, welche die Bürger in die Lage versetzt, sich gegen politische Übergriffe zu wehren. Ob die hier vorgenommene Kategorisierung von Korruption samt der beschriebenen Gegenmaßnahmen der Weisheit letzter Schluss sind, um der Komplexität des Problems Herr zu werden, sei dahingestellt. Aber die Korruption überall als das im Wesentlichen selbe Problem zu behandeln, ist auf jeden Fall der sichere Weg zu Verharmlosung, verpassten Chancen und in einigen Fällen echtem Schaden.
Ob wir zum Thema Korruption nun die unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern oder auch die globalen Trends, soweit wir sie überhaupt erfassen können, betrachten immer steht viel auf dem Spiel. Ökonomen haben überzeugend dargestellt, dass Korruption das Wachstum von Volkswirtschaften verhindert und dass Korruptionsprobleme in einem Land ebenso wie hohe Steuern dazu führen können, dass Investitionen in andere Länder umgeleitet werden. Irgendjemand profitiert aber immer von der Korruption. Die Profite fließen einigen wenigen mit guten Beziehungen zu, auf Kosten von vielen Menschen und vielen Anliegen der Gesellschaft. Solche Profite können weder reguliert noch besteuert werden und werden vor allem dort, wo die Institutionen schwach sind, der Volkswirtschaft entzogen und nicht re-investiert.
So gesehen ist Korruption eine undurchsichtige und besonders schädliche Form von Superprivatisierung, die Reichtum nicht nur in private Hände lenkt, sondern oft auch dem Wirkungsbereich wirtschaftlicher Regeln und rechtmäßiger Institutionen gänzlich entzieht. Sie stellt politische Verantwortungsträger vor ein Wissensproblem, denn ein Teil jeder Volkswirtschaft, in manchen Fällen der größte Teil, ist dann faktisch unsichtbar. Das sollte auch neoliberalen Politikern eine Warnung sein, soweit sie immer noch glauben, Deregulierung, Privatisierung und ein weit gehender Rückzug des Staates würden die Korruption irgendwie bändigen und eine sich selbst regulierende, transparente Wirtschaftstätigkeit und Politik herbeiführen.
Es wäre falsch und unfair zu behaupten, die gesamte Antikorruptionsbewegung sei gescheitert oder habe lediglich als Deckmantel für neuerliche Einmischungen in die Angelegenheiten der Entwicklungsländer gedient. Seit einiger Zeit widmet sie sich stärker den Problemen und der Rolle des Westens im Zusammenhang mit der Korruption: Aufgrund der Erkenntnis, dass Banken, Unternehmen und Regierungspolitiken der Industrieländer in die Korruption anderer Länder verstrickt sind, wurden seit Ende der 1990er Jahre mehrere internationale Antikorruptionsabkommen geschlossen. Initiativen zur Bekämpfung der internationalen Geldwäsche wurden ergriffen. Es wurden häufiger Versuche unternommen, durch Korruption entzogene Vermögenswerte an die Ursprungsländer zurückzuführen. Politische Vorgaben, die internationale Korruption nicht nur duldeten, sondern förderten die Zahlung von Bestechungsgeldern im Ausland war Unternehmen in einigen europäischen Ländern nicht nur erlaubt, sondern auch von der Steuer absetzbar , wurden abgeschafft oder verboten.
Vielen übereilten oder kontraproduktiven Reformen lagen keine finsteren Pläne zugrunde, sondern ein Mangel an Wissen, wie geeignete Gegenmaßnahmen ausgewählt und in welcher Reihenfolge sie durchgeführt werden sollten. So führten die Bemühungen, in einigen ehemals kommunistischen Ländern eine Zivilgesellschaft aufzubauen, zu einer Zeit, als bürgerliche Freiheiten und Eigentumsrechte alles andere als zuverlässig waren und es für die Bürger nach wie vor riskant war, ihre Interessen und Beschwerden offen zu äußern, zur Bildung kurzlebiger Bürgerinitiativen mit wenig Bezug zu den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen und noch weniger Beharrungsvermögen.
Indes konzentrieren sich die meisten Reformen zur Bekämpfung der Korruption eher auf das, was in Gesellschaften mit hohem Korruptionsniveau im Vergleich zu wohlhabenden Marktdemokratien zu fehlen scheint, als auf die Kräfte, die in diesen Gesellschaften tatsächlich wirken. Was als eklatanteste Mängel gesehen wird Schwächen der Zivilgesellschaft, der Privatwirtschaft, der politischen Parteien zum Beispiel , sagt oft mehr über die Werte und Erfahrungen der fortgeschrittenen Gesellschaften aus als über die realistischen Alternativen, die Entwicklungsländern zur Verfügung stehen. Zur Behebung dieser Mängel werden häufig weit reichende Privatisierungen und minimale staatliche Steuerung verordnet. Aber während Privatisierung und Märkte in Gesellschaften mit starken wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Basisinstitutionen praktikabel, sogar willkommen sind, hieße es Öl ins Feuer gießen solche Strategien in Abwesenheit eines rechtmäßigen, glaubwürdigen Staates durchzusetzen.
Hinter diesen Strategien stehen starke Interessen und Nutzenerwägungen. Sie können relativ schnell eingeführt werden, was den kurzen Zeithorizonten entgegenkommt, in denen Hilfs- und Reformgruppen allzu oft Ergebnisse vorweisen sollen. Aber das heißt nicht, dass Korruption mit ihnen effektiv bekämpft werden kann. Versäumt wird unterdessen, in der Gesellschaft verwurzelte Gruppen in ihren Fähigkeiten zum Aufbau rechtmäßiger Institutionen zu stärken ein langer und schwieriger Prozess, der oft von ausgedehnten politischen Auseinandersetzungen begleitet wird und dessen Wert überall dort unterschätzt wird, wo Marktwirtschaften und marktähnliche Politik als selbstregulierend gelten.
Korruption wird durch neoliberale Reformen nicht beendet, sondern privatisiert. Illegale Geschäfte der öffentlichen Hand werden zu legalen Privatgeschäften. Unrechtmäßige wie rechtmäßige Verbindungen zwischen Geld und Macht verlagern sich weg vom öffentlichen Sektor mit seiner restriktiven Gesetzlichkeit, Verwaltungsverfahren und öffentlichen Prüfungen und hin zu einem sehr viel weniger rechenschaftspflichtigen privaten Sektor. Wenn Mitarbeiter einer staatlichen Telefon- oder Stromgesellschaft Leistungen oder Lieferungen verweigern, bis Bestechungsgelder gezahlt werden, besteht wenig Zweifel, dass Korruption stattgefunden hat. Wenn der private US-amerikanische Stromerzeuger Enron Stromengpässe herbeiführt, um sich zu bereichern, und wenn seine Führungskräfte den Wert eines privaten Rentensystems des Unternehmens vernichten, anstatt die öffentliche Sozialversicherung zu berauben, dann haben ebenfalls Machtmissbräuche stattgefunden aber es ist sehr viel schwieriger, das nachzuweisen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen zumal das Unternehmen im Jahr 2001 betrügerisch in Insolvenz ging. Wenn in einem armen Land Privatisierung darin besteht, dass die Freunde des politisch starken Mannes das Land, auf dem ein beliebter öffentlicher Markt stattfindet, oder große Teile eines Staatswaldes in Besitz nehmen wie dies in Kenia geschehen ist , kann dagegen wohl niemand viel ausrichten.
Korruption mag nach einer bestimmten Lesart verringert werden, wenn öffentliche Rollen, Gesetze und Ressourcen gemeinsam mit den Konzepten von öffentlicher Rechenschaftspflicht und öffentlichem Wohl vom Tisch gefegt werden. Aber grundsätzliche Fragen, wie Geld und Macht erworben, eingesetzt und gehandelt werden sollten, bleiben offen, auch wenn sie der öffentlichen Überprüfung entzogen und privaten Interessen und Prozessen anheim gegeben werden.
Viele Länder, die heute ein niedriges Korruptionsniveau haben, brachten das Problem nicht durch Reformkampagnen unter Kontrolle, sondern in ihrer Auseinandersetzung um grundsätzlichere Fragen etwa wer wen beherrschen, besteuern und wer in wessen Namen Entscheidungen treffen konnte. Die freien politischen und wirtschaftlichen Prozesse wohlhabender Marktdemokratien entstanden nicht über Nacht und waren auch nicht Bestandteile von Good-Governance-Programmen. Sie sind Ergebnisse komplexer und nach wie vor andauernder Auseinandersetzungen zwischen Gruppen, die sich vor der Macht anderer schützen wollen. Im Lauf der Zeit wurden politische Abmachungen zwischen konkurrierenden Gruppen institutionalisiert, großenteils weil sie langfristige Interessen einbinden.
Das bedeutet, wie der Politologe Dankwart Rustow
vor Jahren feststellte, dass die Gesetze und Verfahren,
auf die sich das demokratische Leben stützt
und die Korruption so gering wie möglich halten
sollen, in einigen Ländern nicht zwangsläufig dieselben
sind, die diese Länder so weit brachten. So
gesehen geht es bei der Korruptionsbekämpfung
weniger um die Wahl der richtigen institutionellen
Formen und die Liberalisierung der Märkte als
vielmehr um die Unterstützung beim notwendigen
sozialen Engagement, damit politische Lösungen
erarbeitet werden können, die eine Kontrolle von
Verstößen im öffentlichen wie auch im privaten
Bereich ermöglichen. Kurzum, es ist eine Frage
tief greifender Demokratisierung, die nicht schnell
und nicht nach einem bestimmten Schema abzuwickeln
ist, sondern Grundfragen von Recht und
Gerechtigkeit berührt und damit überhaupt erst
die Voraussetzung dafür schafft, dass es sich lohnt,
über Korruption nachzudenken.
Transparency International (TI) 1993 als weltweites Bündnis gegen die Korruption gegründet hat das Interesse der Öffentlichkeit an dem Thema wach gehalten, auch wenn in vielen Fällen die politische Führung nachlassende Aufmerksamkeit gewünscht hätte. TI, die Weltbank, private Stiftungen und nationale Entwicklungsbehörden haben unzählige Studien finanziert und Empfehlungen formuliert, und eine hochkarätige Antikorruptionskonferenz jagt die nächste. Auch die Forschung - an den Hochschulen ebenso wie in den internationalen Organisationen - floriert: Eine Flut neuer Datenquellen, Indizes und Fallstudien hat eine kollektive Wissensbasis geschaffen, die alles Dagewesene bei weitem übertrifft.
Gibt es nun heute in der Weltwirtschaft mehr, weniger oder andere Formen der Korruption? Die Antwort lautet kurz und bündig: Wir können es nicht wissen. Korruption ist schwer zu definieren. Sie präzise zu messen, ist unter anderem deswegen unmöglich, weil die Mitwisser einer korrupten Handlung in der Regel daran interessiert sind, diese geheim zu halten. Auf der Suche nach Entwicklungstendenzen ist man geneigt, die weit verbreiteten Korruptionsindizes etwa den Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perception Index) von TI und die Governance-Indikatoren des Weltbankinstituts heranzuziehen. Aber diese Ranglisten haben bestenfalls als vage Augenblicksaufnahmen eines bestimmten Jahres eine gewisse Aussagekraft, über längerfristige Trends sagen sie uns sehr wenig.
Abgesehen von den grundlegenden Definitionsproblemen und der allseitigen Verschwiegenheit im Umfeld von Korruption, sollten wir nicht vergessen, dass gemessene Wahrnehmungen und Stellvertreterindikatoren nicht dasselbe sind wie Korruption selbst. Umfrageteilnehmer reagieren vielleicht stärker, wenn bestimmte korrupte Handlungen sehr offen praktiziert werden, als auf das tatsächliche Ausmaß des Problems. Für die Einschätzung, wie korrupt ein Land ist, sind immer auch kulturelle Faktoren mitbestimmend, welche die Sichtweise der Befragten beeinflussen. Korruption etwa in Nord- und Süditalien, in Moskau, Ekaterinburg und Magadan (oder auch in New Jersey, Alabama und Minnesota) mit dem selben Maßstäben beschreiben zu wollen, ist daher ein zweifelhaftes Unterfangen.
Die Fähigkeit eines Landes, Korruption aufzudecken, und die Freiheit, darüber zu berichten, kann sich von Jahr zu Jahr ändern. Demokratische Entwicklungen können ebenso wie Militärcoups, die häufig ausgerechnet mit dem Argument der Korruptionsbekämpfung öffentlich gerechtfertigt werden, der einen oder anderen Gruppe als Anlass dienen, vergangenes echtes oder frei erfundenes Fehlverhalten der gegnerischen Parteien zu enthüllen. Und scheinbare Trends sagen vielleicht mehr über politisches Kalkül aus als über das Ausmaß der Korruption selbst. In der langen Zeitspanne, in der die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) in Mexiko den Präsidenten stellte, wurde das fünfte Jahr der sechsjährigen Amtsperiode eines Präsidenten, häufig nach einer mexikanischen Goldmünze "Hidalgo-Jahr" genannt. Also das Jahr, wo Geld für Korruption reichlich fließt. Dem folgte in der Regel eine Zeit gemäßigterer Korruption, in der sich die Partei darauf vorbereitete, eine weitere Wahl zu gewinnen. Aber, so schreibt Stephen Morris in Corruption and Politics in Contemporary Mexico (University Alabama Press 1991), nachfolgende Präsidenten zeigten sich immer über die Maßen schockiert, wenn Amtsmissbräuche ihrer Vorgänger ans Licht kamen.
Wir wissen einfach nicht, ob Korruption zuoder abnimmt. Eine bessere Überwachung, strengere Gesetze und häufigere Strafverfolgungen können durchaus dazu führen, dass mehr Korruptionsfälle bekannt werden, wobei die Auswirkungen auf die Korruptionswahrnehmungsindizes schwer abzuschätzen sind.
Mit einiger Sicherheit lässt sich festhalten, dass in manchen Ländern die Vorschriften strenger geworden und die Erwartungen gestiegen sind. Die Kontrollen der politischen Spenden nehmen zu, die Standards zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zur Offenlegung finanzieller Informationen in Politik und Verwaltung werden höher gesetzt, und relativ geringfügige Fälle von Diebstahl oder Begünstigung im Amt können Schlagzeilen machen und einen öffentlichen Skandal verursachen. In anderen Fällen jedoch und vor allem in Ländern nach Transformations- , Konflikt- oder Krisenphasen, liegen uns zu wenig zuverlässige Informationen vor, um die Situation zu beurteilen.
Subtil wirkende Befangenheiten machen das Bild noch komplizierter. Die gängigen Indizes basieren in der Regel auf einem Konsens darüber, was unter Korruption zu verstehen ist. Dieser Konsens bildete sich erst nach dem Ende des Kalten Krieges heraus, und eine Reihe von Standpunkten einen "Konsens" zu nennen, ist riskant. Aber wir können mit Sicherheit sagen: In den damaligen Korruptionsdebatten und Reformbemühungen kamen die Auffassung der Aktiven in der Entwicklungszusammenarbeit und im internationalen Handel und Weltwirtschaft zum Tragen, die das Thema wieder ganz oben auf die Agenda der Weltgemeinschaft gesetzt haben.
Michael Johnston
aus: der überblick 02/2006, Seite 32
AUTOR(EN):
Michael Johnston
Michael Johnston ist Professor für Politikwissenschaft an der Colgate
University in New York.
Sein Buch Syndromes of
Corruption: Wealth, Power, and Democracy ist
2005 bei Cambridge University Press erschienen.