Christian Kionka erklärt, dass die Interessen der europäischen Zuckererzeuger bei der Reform der Marktordnung weitgehend mit denen der armen Länder übereinstimmen. Kionka ist verantwortlich für das Rübenmanagement in fünf Zuckerfabriken des Unternehmens Nordzucker, dessen Aktien in der Hand von Rübenbauern sind. Er hat Landwirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaft studiert und im Juli an einer vom EED organisierten Reise nach Uganda teilgenommen.
Gespräch mit Christian Kionka
Die EU-Kommission will die Zuckerproduktion in Europa durch eine starke Senkung der Erzeugerpreise verringern. Halten Sie das für eine gute Idee?
Die EU hat den ärmsten Ländern der Welt freien Marktzugang für "Alles außer Waffen" zugesagt. Daher können diese LDC-Länder ab 2009 Zucker unbegrenzt in die EU liefern. Als Folge fürchtet die EU-Kommission, dass der Markt in Europa zusammenbricht. Deshalb hat sie vorgeschlagen, die Menge des in Europa produzierten Zuckers mit Hilfe von Preissenkungen zu reduzieren. Das trifft zum einen die Produktion an nicht wettbewerbsfähigen Standorten in Europa. Es trifft aber auch die Staaten, denen es angeblich nutzen soll, nämlich die ärmsten. Denn die können auch nicht alle zu dem niedrigeren Preis anbieten. Hier stimmen die Interessen der europäischen Erzeuger am Erhalt einer funktionierenden Zuckerindustrie und die Interessen der Entwicklungsländer überein. An starken Preissenkungen haben beide im Prinzip kein Interesse.
Der Grund für die Reform der Zuckermarktordnung ist "Alles außer Waffen"?
Einen anderen Grund sehe ich nicht. Die Zuckermarktordnung hat keine Steuermittel gekostet ausgenommen für den Reexport des Zuckers, den einige Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik, sogenannte AKP-Staaten, für den in der EU geltenden Preis nach Europa verkaufen dürfen. Dafür haben sie besondere Quoten erhalten. Da die EU ihren Eigenbedarf selbst deckt, muss dieser Zucker mit Exportsubventionen wieder auf den Weltmarkt gebracht werden.
Das Urteil der Welthandelsorganisation WTO von 2004, dass die EU mehr subventionierten Zucker exportiert als zulässig, erzwingt keine Reform der Zuckermarktordnung?
Das WTO-Verfahren richtete sich gegen den Export von sogenanntem C-Zucker, das heißt Zucker, der nicht den Produktionsquoten unterliegt. Das System, das die Produktionsmenge für den restlichen Zucker in der EU begrenzt und die Preise regelt, muss man davon getrennt betrachten. Die WTO hat lediglich entschieden, dass wir keinen C-Zucker mehr exportieren dürfen. Der wird ohne Subvention auf dem Weltmarkt abgesetzt.
Aber die Betriebe gleichen die Verluste aus diesem Export mit Hilfe der Subventionen für Zucker aus, der den Quoten unterliegt.
Ich störe mich an dem Wort "Subventionen", weil wir keine Steuermittel in Anspruch nehmen. Die Marktordnung legt den Zuckerpreis fest, und den zahlt der Verbraucher. Die Exporterstattungen für Zucker, der im Rahmen der Quoten produziert wird und in der EU nicht abgesetzt werden kann, also den B-Zucker, tragen die Rübenbauern und die Zuckerfabriken selbst.
Sie sagen, der Vorschlag der EU-Kommission läuft den Interessen der europäischen Erzeuger wie der ärmsten Länder zuwider. Welche Alternative würde beiden gerechter?
Die Alternative ist, dass man die LDC-Länder in das Quotensystem der EU mit einbindet und ihnen erlaubt, festgelegte Mengen zu liefern wohlgemerkt aus eigener Erzeugung. Unser Problem mit "Alles außer Waffen" sind die sogenannten SWAP-Geschäfte: Die Länder könnten ihre eigene Produktion vollständig nach Europa verkaufen und für ihren Eigenbedarf dann auf dem Weltmarkt einkaufen. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Wir sollten uns die Produktion und den Verbrauch der zuckerproduzierenden ärmsten Länder ansehen und feststellen, wie viel sie aus eigener Kraft exportieren können. Diese Menge sollte man festschreiben und zu den in der EU garantierten Preisen abnehmen.
Preisen, die etwa so hoch bleiben sollen wie jetzt?
Ja. Das bedeutet natürlich, dass die Produktion in der EU sinken muss. Aber es hat für die Erzeuger in der EU wie in den LDC-Staaten den Vorteil fester Planungsgrößen.
Die deutsche Zuckerwirtschaft einschließlich der Rübenbauern möchte lieber zugunsten der LDC-Staaten ihre eigene Quote reduziert sehen als den Preis gesenkt?
Ja, wobei es bei einer Verringerung der Absatzmenge natürlich auf die Größenordnung der Kürzungen ankommt. Darüber muss man sich unterhalten.
Dann würde eine entwicklungspolitische Fördermaßnahme aus den Taschen der Zuckerverbraucher bezahlt, oder?
Sicher. Wenn die LDC-Länder Quoten für garantierte Exporte in die EU bekommen, ist das Entwicklungshilfe mit dem Geld der Verbraucher. Aber für die fällt das kaum ins Gewicht. Das Kilo Zucker kostet seit Ewigkeiten 1,80 Mark bzw., seit wir den Euro haben, 85 Cent.
Was würde aus Brasilien importierter Zucker kosten?
Ich schätze, vielleicht 82 Cent das Kilo. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass der Handel den niedrigeren Einkaufspreis weitergeben würde. Und selbst wenn der Preis um 20 Cent sinkt: Man kauft vielleicht 10 Kilo Zucker im Jahr. Die meisten Leute leben heute in Ein- oder Zwei-Personen-Haushalten und kochen nicht mehr ein. Und was Süßigkeiten angeht: In Schokolade sind rund 50 Prozent Zucker enthalten, der kostet pro 100-Gramm-Tafel etwas über 3 Cent. Selbst wenn Sie das um 40 Prozent senken, ist das für den Preis der Schokolade unerheblich.
Soll die Regelung, die Sie vorschlagen, auf Dauer gelten oder für eine Übergangszeit?
Wir haben die Marktordnung seit 1968 und meinen, dass sie gut funktioniert und nur wegen "Alles außer Waffen" reformiert werden muss. Nach unserer Ansicht kann die Lösung, die wir vorschlagen, auf Dauer so bleiben.
Wäre das mit den Regeln der WTO vereinbar?
Das müsste es natürlich. Aber da gibt es Möglichkeiten. In der WTO läuft schließlich in der Regel alles auf einen Kompromiss hinaus.
Es bedeutet aber, einen geschützten Markt zu schaffen.
Natürlich. Doch es gibt viele geschützte Märkte, die mit den Regeln der WTO vereinbar sind. Kein Land überlässt seinen Zuckermarkt wirklich dem freien Spiel der Kräfte. Selbst Brasilien nicht, der größte Zuckerproduzent. Je nachdem wie die Ernte ausfällt, wird dort Zucker in die Erzeugung von Bio-Ethanol umgeleitet, der dem Treibstoff beigemischt wird. Das ist auch eine staatliche Stützung. Zucker wird überall in der Welt als geschütztes Produkt angesehen, weil hohe Investitionen und damit eine gewisse Planungssicherheit nötig sind, um es zu erzeugen.
Einige Entwicklungsorganisationen wie Oxfam sagen, dass Freihandel den Entwicklungsländern am meisten nützt. Das sehen sie anders?
Ich glaube das nicht. Nehmen wir das Beispiel Uganda: Freihandel für Zucker würde dort die Produktion zusammenbrechen lassen. Uganda produziert für etwa 350 US-Dollar pro Tonne, und der Weltmarktpreis liegt derzeit bei 230 bis 250 Dollar. Da wären die einheimischen Produzenten nicht mehr wettbewerbsfähig. Wir haben während der Reise mit dem EED gelernt, dass in Uganda etwa 300.000 Menschen von der Zuckerindustrie leben. Deren Schulen und Gesundheitseinrichtungen tragen zur ländlichen Entwicklung dabei. Das wäre mit dem Freihandel vorbei.
Die Zuckerfabriken unterhalten Schulen und Gesundheitseinrichtungen?
Ja. Wir haben einige besichtigt. Die Unternehmen übernehmen so soziale Verantwortung.
Das Zuckerrohr liefern Kleinbauern?
Im Moment liegt der Anbau zu etwa 70 Prozent in den Händen der Fabriken, die besitzen große Flächen. Mit der Ausweitung der Produktion soll der Anteil von Kleinbauern zunehmen. Und in der Ernte mit der Hand sind Tausende Menschen beschäftigt.
Wie sind die Verhältnisse in den Fabriken?
Sehr verschieden. In einer Zuckerfabrik war ich beeindruckt von der Arbeitssicherheitsmaßnahmen; die Leute haben Helme getragen, es gab Lärm- und Augenschutz. In einer anderen Fabrik sind die Arbeiter im Zuckerlager barfuß herumgelaufen.
Welche Erwartungen an die europäische Politik hat die ugandische Seite geäußert?
Uganda möchte Zucker nach Europa liefern. Die Lieferquote, die sie als AKP-Staat ursprünglich hatten, haben sie unter der Diktatur Idi Amins verloren. Aber der Vertreter des Wirtschaftsministeriums hat auch ganz realistisch erklärt: Wir können nicht einmal allen Zucker erzeugen, den wir selbst verbrauchen, und der nächste Hafen ist tausend Kilometer entfernt, deshalb sind die Transportkosten hoch.
Uganda könnte gar nicht zu Weltmarktpreisen exportieren?
Das sehe ich so. Im Vordergrund steht die Versorgung des Marktes im Inland und in den Nachbarländern. Man rechnet damit, dass der Zuckerverbrauch in Uganda sich in zehn Jahren verdoppelt. Uganda ist mit Kenia, Tansania und Ruanda in einer Zollunion verbunden; die erhebt einen Einfuhrzoll für Zucker, um die Entwicklung der eigenen Zuckerindustrie zu schützen. Einige der ärmsten Länder könnten allerdings zu niedrigeren Preisen exportieren, als jetzt in der EU gelten zum Beispiel Malawi, Äthiopien oder der Sudan.
Überlegen Sie, in Brasilien zu investieren, wenn der Preis in der EU gesenkt wird?
Wir beschäftigen uns natürlich mit der Frage, wo der Zucker in Zukunft herkommen kann. Dafür kommen nicht nur Länder wie Brasilien in Frage, sondern auch LDC-Länder. Den Brasilianern geht es aber gar nicht in erster Linie um Zugang zum europäischen Markt. Europa exportiert Zucker; auch Nordzucker hat Kunden auf dem Weltmarkt. Brasiliens Versuch, einen Teil dieser Exporte von der WTO verbieten zu lassen, zielt auf die wachsenden Märkte in Südostasien und im arabischen Raum, die Brasilien beliefern will.
Welche Folgen hätte die von der EU-Kommission vorgeschlagene Reform für Ihr Unternehmen?
Wir sind davon überzeugt, dass wir an wettbewerbsfähigen Standorten sind. Wir müssten uns zusammen mit den Rübenbauern sehr anstrengen, um zu den vorgeschlagenen niedrigeren Preisen zu produzieren, aber wir denken, dass wir das schaffen können.
aus: der überblick 03/2005, Seite 74
AUTOR(EN):
die Fragen stellte Bernd Ludermann