Lokale Schönheitsschauen als "Riten der Modernisierung"
Schönheitswettbewerbe werden überall in der Welt veranstaltet und faszinieren Menschen ungeheuer. Da die erste Schau dieser Art in den Vereinigten Staaten von Amerika stattfand, gelten sie als amerikanisch. Kritiker werfen dem Konzept gern Kulturimperialismus vor. Tatsächlich laufen diese Wahlen formal weltweit nach dem Muster des amerikanischen Urmodels ab. Trotzdem stehen in den einzelnen Ländern ganz unterschiedliche Inhalte und Werte im Vordergrund. In den Wettbewerben werden nationale oder regionale Identitäten gestärkt oder neu ausgehandelt.
von Andrea Lauser
Dramatische Nachrichten im Zusammenhang mit der Miss World-Wahl erregten im November vor zwei Jahren eine weltweite Medienöffentlichkeit. Im Norden Nigerias, in der Hauptstadt Abuja, sollte der internationale Schönheitswettbewerb 2002 stattfinden. Doch die lokale Bevölkerung wehrte sich mit gewaltsamen Protesten gegen die Veranstaltung. Mehr als hundert Tote und einige hundert Verletzte waren das Ergebnis. Schon im Vorfeld der Austragung des Wettbewerbes, so war zu erfahren, hatten muslimische Organisationen Widerstand angekündigt. Letzter Anstoß für die gewalttätigen Ausschreitungen und Plünderungen war ein Artikel in der angesehenen Tageszeitung This Day aus Lagos. Dort hielt eine junge, in England aufgewachsene und mit den heimischen Empfindlichkeiten offenbar wenig vertraute Journalistin den muslimischen Kritikern entgegen: “Was würde Mohammed, der Prophet, denken? Seien wir doch ehrlich, er hätte sich wahrscheinlich unter den Kandidatinnen eine Ehefrau ausgesucht.”
Der Schönheitswettbewerb zog aber auch Proteste aus ganz anderen Teilen der Welt auf sich: Teilnehmerinnen aus den verschiedensten Nationen boykottierten die Veranstaltung. Sie wollten nicht in einem Land auftreten, in dem Scharia-Gerichte Frauen wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs und nichtehelich geborener Kinder zum Tode durch Steinigung verurteilt hatten.
Schönheitsschauen sind seit Beginn ihres Bestehens hochgradig - ja ungeheuer - populär. Skandale, die aufschrecken lassen, fanden auch schon in früheren Zeiten weltweite Medienöffentlichkeit. So brachte zum Beispiel im Jahr 1996 der Miss-World-Wettbewerb im indischen Bangalore eine Nation in Aufruhr. Hier protestierten sowohl feministisch als auch nationalistisch motivierte Bewegungen gegen euro-amerikanische, rassistische und sexistische Hegemonie, und es gab ebenfalls Tote. Die Liste derart dramatischer Reaktionen ließe sich fortsetzen und reicht - allerdings ohne tödlichen Ausgang - bis zum Miss America Pageant, dem Urmodell der amerikanischen Schönheitskonkurrenzen, das sich im Jahr 1921 aus einem Bade-Schönheitswettbewerb auf der Promenade von Atlantic City in New Jersey entwickelt hat.
Schönheitsschauen, so lässt sich feststellen, finden überall auf der Welt statt, ziehen lokales und internationales Publikum an und verbinden alle möglichen Interessengruppen und Themen. Die internationale Verbreitung jenseits von Amerika ist bisher in der Geschichtsschreibung nicht systematisch dokumentiert. Hawaii, Kuba und die Philippinen waren jedoch frühe Enklaven einer schnellen Ausbreitung.
Spätestens ab den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts lassen sich Schönheitskonkurrenzen auch als Teil der Dekolonisierung und Nationalisierung in den so genannten Entwicklungsländern nachweisen - mit Südamerika, Südostasien und der Karibik als führende Regionen. Heute geht man davon aus, dass ein Miss Universe-Wettbewerb in 87 Nationen von über 800 Millionen Menschen via Satellitenfernsehen verfolgt wird.
Schönheitswettbewerbe als moderne Darstellungen - “modern” hier im doppelten Sinn von “in der Gegenwart” und als “Ausdruck eines Modernisierungsprozesses” - stehen zwangsläufig immer im Wechselspiel mit lokalen, nationalen und internationalen Prozessen. Sie bilden Schnittstellen, an denen unterschiedliche Themen aufeinander treffen. Studien über Schönheitskonkurrenzen in der postkolonialen Welt zeigen, dass durch sie verstärkt westliche Moden, Stile und Werte übernommen werden und gleichzeitig die Kontraste zwischen lokalen und globalisierten Maßstäben unterstrichen werden. Im Rahmen der Schauen werden hegemoniale Formen expressiver Kultur und Geschlechterkonstruktionen vorgeführt, angeeignet, aber auch umgedeutet oder verworfen.
All diese Vorgänge stehen symbolisch für den Umgang der lokalen Gesellschaft mit den Vorgaben des euro-amerikanischen Projekts der Moderne. Moderne Darstellungen können als Felder betrachtet werden, in denen Menschen ihre Erinnerungen oder den Verlust ihrer lokalen Identität in einer heutzutage nahezu unbegrenzten gewordenen Öffentlichkeit aushandeln oder bestätigen können. Deshalb betrachte ich die Schönheitskonkurrenzen als “Riten der Modernisierung”, und als cultural performances - als öffentliche kulturelle Aufführungen, die sich im Spannungsfeld von Globalisierung und Lokalisierung entfalten.
Dabei widerspreche ich der Homogenisierungsthese - oft auch salopp “Coca-colonisation” genannt -, nach der sich westliche, vor allem amerikanische Güter - in diesem Fall der Prototyp der US-amerikanischen beauty pageant - weltweit uniform ausbreiten. Die Übernahme dieses fremden Kulturgutes ist nicht als ein Überwältigtwerden oder eine passive Hinnahme zu betrachten. Sehr viel häufiger werden Modernität und ihre Einflüsse als Verlockung denn als Bedrohung wahrgenommen. Normale Menschen und nicht nur die Eliten machen sich auf den Weg, die Moderne zu treffen, sich mit ihr auseinanderzusetzen und sie sich auf eigene Weise anzueignen.
Schönheitswettbewerbe finden vor allem auf drei organisatorischen Ebenen statt, die sowohl voneinander unabhängig sein können, als auch - als Vorentscheidung für die nächste Ebene - miteinander verwoben sind. Diese drei, beziehungsweise vier, Typen von Schönheitswettbewerben entstammen unterschiedlichen Traditionen von kolonialer und postkolonialer Aneignung.
Form und Grundstruktur der Kategorisierung der Wettbewerbe - abgesehen von lokalspezifischen Variationen - unterscheiden sich nicht grundsätzlich vom US-amerikanischen Prototyp. Die Bewertung der Kandidatinnen erfolgt nach einem Punktesystem, das in verschiedene Kategorien untergliedert ist: In der Regel findet ein off-stage-interview (eine Vorbefragung) und ein “spontanes”, öffentliches Interview während des Wettbewerbs auf der Bühne statt. Häufig wird die Befragung mit einem Kurzvortrag der Kandidatin über ein selbst gewähltes Thema verbunden. Es folgt die talent competition, die Vorführung einer selbstgewählten Fertigkeit, die häufig aus der “Kultur” und “Tradition” der Bewerberin entstammt. Danach kommt die meist spektakuläre swimsuit competition, der Auftritt im Badeanzug. Dieser Teil des Schönheitswettbewerbes ruft die meisten Kontroversen hervor, da es allein um die Zurschaustellung des weiblichen Körpers geht. Obwohl es scheinbar nur auf Äußerlichkeiten ankommt, verlangt der Badeanzug-Auftritt von den Mitstreiterinnen ganz besondere Disziplin und Körperkontrolle. Den Wettbewerb schließt meist die evening gown competition, bei der die Frauen kreative Galakostüme oder Abendkleider vorführen.
Variationen gibt es bei der Bewertung des Talentes. Häufig ist eine bestimmte kulturelle Kompetenz gefragt. Dies kann zum Beispiel das Tragen einer Tracht - traditional (ethnic) attire - sein oder die Unterscheidung der Darbietungen in contemporary und traditional talent, also in aktuelle oder traditionelle Fähigkeiten. Bemerkenswert ist, dass vielerorts die Vorführung kultureller Fertigkeiten von erheblich größerer Bedeutung ist als die bei US-amerikanischen Schönheitskonkurrenzen dominierende körperliche Präsentation.
Auf lokaler Ebene finden Schönheitskonkurrenzen häufig in Zusammenhang mit ländlichen Dorffesten statt und fügen sich so in den überlieferten Festkalender ein. Teilnehmerinnen und Zuschauer solcher Schönheitsschauen verneinen bisweilen ausdrücklich, dass es eine Schönheitskonkurrenz im Sinne des amerikanischen Vorbilds sei. Statt dessen wird die besondere lokale Orientierung betont, das Zurschaustellen der eigenen und spezifischen Tradition nach außen, die sich gerade abhebt von der standardisierten internationalen Form.
Auf regionaler Ebene repräsentieren Schönheitwettbewerbe beispielsweise eine touristisch interessante Region oder eine Gegend mit spezifischer exportorientierter Landwirtschaft. Sie stehen für ein College oder eine Universität, für Unternehmen oder für politische Parteien. Häufig gehören zum Rahmenprogramm Ausstellungen und Messen von landwirtschaftlichen Produkten und lokalem Kunsthandwerk, Paraden, Jahrmärkte oder Sportveranstaltungen.
Nationale Schönheitswettbewerbe dagegen orientieren sich am stärksten an internationalen und “westlichen” Standards. Denn die Qualifizierung der Kandidatinnen ist viel ausdrücklicher als auf den anderen Ebenen für eine Beteiligung auf der internationalen Wettbewerbsebene ausgerichtet. Unterstützt wird dies durch die zunehmende Einflussnahme von privaten Sponsoren, die stark an die Interessen einer internationalen Modeindustrie geknüpft sind. Auf dieser nationalen Ebene ist auch das Publikum gemischter, aus verschiedenen Schichten und größer. Einigung über den Grad der Standardisierung kann zu öffentlichen Debatten führen. Zuweilen kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen um die Frage nach nationalen, ethnischen und lokalen Identitäten, sowie nach Moralvorstellungen und ästhetischen Bewertungen. Auch wenn diese Streitfragen oft trivial erscheinen mögen, berühren sie doch bedeutende kulturelle Aspekte.
So empörte sich beispielsweise ein Großteil des malischen Publikums im Jahr 1994 beim Bamako Missi-Preis, einem Schönheitswettbewerb, der von der regierungsnahen Radio- und Fernsehstation organisiert wurde, über die Wahl einer selbstbewussten, hellhäutigen und dünnen Kandidatin, die alles andere als die ideale Frau nationalen Stolzes verkörpere. Auslöser der Empörung war ein Kommentar der frisch gekrönten Königin, die betonte, dass sie über den Sieg alles andere als überrascht war, im Gegenteil, ihn erwartet hatte. Die nationale Öffentlichkeit war schockiert. Über Wochen diskutierten die Menschen über die selbstbewusste Aussage einer metisse, einer Mulattin, die ja gerade keine typische malische Frau repräsentiere. Weiter wurde kritisiert, dass die südlichen, der Hauptstadt nahen Regionen Malis, im Gegensatz zu den nördlichen Landesteilen überrepräsentiert waren. Letztere wurden nur von einer einzigen - dafür aber richtigen, nämlich “üppigen” Frau, vertreten. Dass diese Bewerberin auf nationaler Ebene aber als plump und als eine “Frau aus dem Busch” lächerlich gemacht wurde, spiegelte die regionalen sowie ethnischen Unterschiede und im Norden das Gefühl der politischen Benachteiligung wider.
Auch die Miss Italien-Wahlen im September 1996 führten zum Nachdenken über die nationale Identität, als Denny Mendez, eine dunkelhäutige karibische Immigrantin, inmitten heftiger Kontroversen zur Miss Italien gekrönt wurde. Kommentare in allen italienischen Zeitungen interpretierten Mendez’ Sieg als Zeichen der Toleranz und Akzeptanz einer multikulturellen Gesellschaft. Man räsonierte über die Relativität von Schönheit und die Frage, was es heißt, Italienerin zu sein. An solchen Diskursen wird deutlich, dass Weiblichkeit, Schönheit und kulturelle Identität immer an - meist undefinierte - Kategorien wie “Rasse” und Klasse gebunden sind.
Auf internationaler Ebene schließlich sind Schönheitskonkurrenzen Spektakel, die hochgradig kommerzialisiert und auf die Verbreitung durch Massenmedien ausgerichtet sind. Die Miss World-Wettbewerbe führen - wie nicht anders erwartet - die Dramen eines westlichen kulturellen Imperialismus vor, in denen die Körper nichtwestlicher Frauen auftreten, um das internationale Ansehen und die Modernisierung ihrer Länder zu repräsentieren. Dennoch dominieren auch auf dieser Ebene bei Schönheitswettbewerben nicht nur transnationale, hegemoniale Diskurse, sondern die Konkurrenzen sind auch Bühnen für lokale, ethnische und nationale Strategien.
Belize ist ein typisches Beispiel dafür. Als multiethnisches Land in Zentralamerika wird es aufgrund seiner kolonialen Geschichte zur Karibik gerechnet. Im Jahr 1981 erhielt es die vollständige Unabhängigkeit vom Britischen Empire. Während das nationale Motto mit Parolen wie “From Many Cultures, One Nation”, im Sinne von “Aus vielen unterschiedlichen Kulturen wurde eine Nation”, propagiert wird, werden die belizischen Gesellschaftsgruppen entlang ihrer ethnischen und äußerlichen (racial) Merkmale positioniert.
Der Beginn von Schönheitswettbewerben in Belize lässt sich auf das Jahr 1946 zurückverfolgen, als im Zusammenhang mit antibritischer Unzufriedenheit zwei politische Parteien entstanden: die gewerkschaftlich orientierte Peoples United Party (PUP), und die loyalistische Bewegung kolonialer Funktionäre Loyal and Patriotic Order of the Baymen (LPOB). Letztere organisierte über eine Gruppe junger Anhängerinnen die erste Wahl der Queen of the Bay. Ihre Königin sollte all die Charakteristika repräsentieren, die mit den Werten der “Respektabilität” verbunden sind: Die Siegerin sollte aus einer “angesehenen”, das heißt kleinen, religiösen Familie stammen und bescheiden, gebildet und jungfräulich sein. Entsprechend wurden die Wettbewerbskategorien “Erziehung und Herkunft” betont. Die Auftritte fanden ausschließlich in formeller Kleidung statt. Für die Darbietung marschierten die Bewerberinnen zu patriotischer Musik, führten Hoftänze vor, beantworteten historische Fragen und betonten ihre Loyalität zum Empire. Zu den Schiedsrichtern zählte der britische Gouverneur.
Im selben Jahr, 1946, organisierte die ethnische Gruppe der Garifuna, die ihr Erbe als eine Mischung aus der Kultur Afrikas und der Karibik ansehen, im Süden der Kolonie ihren eigenen Schönheitswettbewerb. Sie wählten im Zusammenhang mit ihren jährlichen Feierlichkeiten anlässlich ihrer Ankunft die Queen of the Settlement. Diese musste garifuna sprechen, die Volkskultur kennen und zu Trommelmusik tanzen. Schon von Anfang an inszenierten belizische Schönheitswettbewerbe also sowohl die Werte der Kolonisatoren, interpretiert durch eine lokale Elite, als auch die einer ausgeschlossenen lokalen Minderheit, die um Anerkennung und Identität kämpfte.
Im Jahr 1952 reagierte die nationalistische Partei PUP mit der ersten Miss British Honduras, deren Titel ab 1973 mit der Namensänderung des Landes in Miss Belize umbenannt wurde. Im Gegensatz zur Wahl der loyalistischen Queen of the Bay wurde weniger das Ansehen, sondern mehr die körperliche Schönheit der Frauen betont. Die Kandidatinnen führten Mode vor, es wurde populäre Musik gespielt, und die Interviews zielten deutlicher auf politische Themen und auf lokale und nordamerikanische Kunst und Kultur.
Die politische Rivalität zwischen den beiden Parteien spiegelte sich also auch in den beiden Schönheitsschauen wider. Bis dann die konservative Partei im Jahr 1984 die nationale Wahl gewann und beide Schönheitsschauen, Miss Belize und Miss Queen of the Bay, als nationale Ereignisse ausrichtete. Allerdings übernahm die PUP im Jahr 1989 die Regierungsmacht und die parteipolitischen Funktionäre verdrängten die politischen Gegner wieder aus den verschiedenen Komitees zur Wahl der Miss Belize. So zeigte der Schönheitswettbewerb um die Miss Belize von Beginn an die Spannung: Im Prozess der Vereinheitlichung von Ansprüchen an die Nation bewirkte die Schönheitsschau genau das Gegenteil, indem sie beharrlich Trennlinien schuf und zu Uneinigkeit führte. Das System der Schönheitskonkurrenzen breitete sich rasch bis auf die dörfliche Ebene aus und überzog das Land mit einem Netz von Schönheitsschauen, die in Konkurrenz zueinander stehen.
Regelmäßig verhandeln und bemängeln die Mitstreiterinnen, die Organisatoren und auch die Journalisten in Belize leidenschaftlich familiäre, regionale und politische Trennlinien. Wie ein beständiger Refrain werden die unterschiedlichen Standards von Schönheit zum Konflikt und die Favorisierung internationaler Maßstäbe wird beklagt. Organisatoren nationaler Schönheitskonkurrenzen quält der Umstand, dass die Bewerberin, die dem belizischen Publikum am besten gefällt, niemals bei der Wahl der Miss World gewinnen könnte. “Wir mögen hier vielleicht ein großes, schlankes Mädchen finden, das zur Miss World gewählt werden könnte”, berichtet ein Organisator dem Ethnologen Richard R. Wilk, “aber sie könnte niemals in den lokalen Wettbewerben weiter kommen ... [dort werden fülligere, kleine Mädchen bevorzugt] mit schmalem Oberkörper aber dickem Po, breiten Hüften und dickeren Oberschenkeln.”
Statt Konsens wird auf der nationalen Wettbewerbsebene der Konflikt zwischen lokalen Maßstäben, die stark mit der dort gültigen Vorstellung von Gender und Geschlecht sowie Sexualität verbunden sind, und den internationalen Standards zum zentralen Thema. Belizische Schönheitsschauen sind ausgesprochen lokal, und gleichzeitig werden sie unter genauer Kenntnis des globalen Blickes ausgeführt und beobachtet.
Den Konflikt zwischen den lokalen Vorstellungen von Gender und Sexualität und den internationalen Standards legen auch transvestitische Schönheitsschauen offen. Schönheitswettbewerbe von Transvestiten sind in Südostasien keine subkulturellen Ereignisse einer an den Rand gedrängten Minderheit, sondern öffentliche Volksfeste. Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf die Ethnographie von Marc Johnson aus dem Jahr 1997, der bei den muslimischen Tausug auf den Südphilippinen zu transvestitischen Lebenswelten und Praktiken geforscht hat. Bemerkenswert an diesem Beispiel ist, dass zwar im politischen Kampf um Autonomie der Region sehr explizit auf fundamentalistisch-islamistische Diskurse zurückgegriffen wird, bei den transvestitisch-homosexuellen Schönheitskonkurrenzen aber offenbar eine fröhliche Ausgelassenheit den Ton bestimmt.
Der Miss Gay Super Model of the World-Wettbewerb, um den es sich hier handelt, findet trotz seines internationalen kosmopolitischen Titels ausschließlich auf der Gemeindeebene (barangay) statt. Obwohl es der Titel der Schönheitskonkurrenz nahe legt, können die Teilnehmer nicht als homosexuelle Männer (gays) bezeichnet werden. Stattdessen verwende ich den indigenen Begriff bantut, denn so verweise ich auf die lokalen Beschreibungen dieser Männer. Ein bantut zu sein, bedeutet in der philippinischen Rede, weder ein Mann noch eine Frau zu sein, sondern einem so genannten dritten Geschlecht anzugehören. Bantuts definieren sich selbst als “Frauen in einem Männerkörper”.
Andererseits werden auch impotente Männer und effeminierte Männer, also solche, die wie Frauen handeln, als “nicht-wirkliche” Männer und bantut bezeichnet. “Wirkliche” Männer, die mit einem bantut verkehren, sehen sich in ihrer Virilität und Potenz nicht in Frage gestellt, eher im Gegenteil.
Südphilippinische bantut blicken auf eine lange Tradition des Transvestismus und des Transgendering (das Verwischen der eindeutigen Trennlinien zwischen den Geschlechtern) zurück. Als gesellschaftliche Randfiguren und Ritualspezialisten, wie Heiler, Musiker, Sänger und Tänzer galten Transvestiten in ganz Südostasien als Vermittler zwischen der Welt der Ahnen und der Welt der Lebenden. In den letzten zwanzig bis dreißig Jahren tritt eine zunehmende Anzahl von bantut als allseits geschätzte Experten in Sachen “Schönheit” und “Stil” auf. Im Schönheitsgewerbe dominieren sie als Friseure und Kosmetikberater, als Schneider und auch Zeremonienmeister. Sie organisieren, choreographieren und moderieren alle möglichen Festlichkeiten - von Hochzeiten bis zu den beliebten Schönheitsschauen. Während der Miss Gay Super Model of the World-Show inszenieren sich bantut schließlich selbst als Schönheiten. Dabei demonstrieren sie ihre Kompetenz durch eine schillernde, ja glamouröse Selbsttransformation.
Auf den ersten Blick, so beschreibt der Ethnologe Marc Johnson, erscheint die Schau als eine wahre Fülle an tragisch-komischer, exotischer Geziertheit, ja eigentlich als eine satirische Angelegenheit. Der Wettbewerb zum Miss Gay Super Model of the World fällt in die Festlichkeiten des Hai Raya, die das Ende des Ramadan markieren. Veranstaltungsort ist der Basketballplatz gegenüber der Moschee, der als Bühne für die Miss-Wahl hergerichtet wurde und mit Popmusik beschallt wird. Zu den Schiedsrichtern zählen neben früheren Siegern die Schulleiterin, einige lokale Geschäftsmänner sowie die Frau des Bürgermeisters. In den Stuhlreihen der notablen Zuschauer sitzt auch der Imam. Der Wettbewerb beginnt mit der Kategorie ethnic attire, dem Vorführen einer Tracht oder alternativ mit dem Motto national costume, dem Tragen nationaltypischer Kleidung. Die Bewerber defilieren in ihren nationalen Verkleidungen als Miss India oder Miss Germany, geben sich Namen berühmter Schauspielerinnen und sprechen eine englische Begrüßung ins Mikrophon.
Dem ethnic attire folgen die üblichen Kategorien der swimsuit competition, der evening gown competition und der Interviewteil question and answer. Die Fragen müssen auf Englisch beantwortet werden und umfassen politische Themen, aber auch solche, die auf Lebensweisen der bantut und Sexualität anspielen. Mit Applaus und bewundernden Rufen wie “sexy” oder “arte” honoriert das Publikum die Talente, wobei die kreativen und schlagfertigen Antworten mehr zu begeistern scheinen als die körperliche Präsentation. Gnadenlos verlachen die Zuschauer die Ungeschickten, jene die beispielsweise im Interview stottern, zu lange Pausen machen und nach den richtigen (englischen) Worten suchen. Schadenfrohes Gelächter ernten auch alle Kandidaten, deren Nylonstrümpfe nicht sitzen oder die aus Ermangelung an high heels nur auf Zehenspitzen laufen.
Nach sieben Stunden, gegen Morgengrauen, schließlich ist die Miss Gay Super Model of the World gewählt. Verlierer und Sieger umarmen sich, tauschen Küsse aus und die Gesten und Tränen aller Beteiligten erinnern an Szenen bei der Wahl zur Miss America oder Miss World. Bantut treten als Experten von Schönheit auf, die assoziiert ist mit Glanz, Glamour sowie Bildung und an ein Amerika eigener Vorstellung gebunden ist. Indem sie diese Fähigkeiten nachahmen und zur Schau stellen, greifen sie auf ein fremdes, machtvolles Wissen zu.
Schönheit, so argumentiert nun Marc Johnson für das Beispiel der Tausug überzeugend, ist ein anderes Idiom für “amerikanische” Kompetenz und Modernität, für das Wissen über koloniale Macht, die als das “globale Andere” konzeptualisiert wird. Die Formen von Schönheit, die in den Schauen zirkulieren, speisen sich aus westlichen, vorrangig amerikanischen Medienproduktionen, die fast jeder Filipino über Fernsehen, Video und Kino kennt. Schönheit und Macht hat aber auch mit Bildung zu tun, mit beruflicher Qualifikation und der Beherrschung der englischen Sprache. Dabei werden die Bilder von Glamour und die Bilder von Bildung nicht als Widerspruch wahrgenommen, im Gegenteil, sie sind wesentliche Bestandteile derselben konzeptionellen Ordnung.
Über Schönheit kann nicht objektiv geurteilt werden. Sie kann nicht präzise definiert werden. Genau deswegen führen Debatten über Schönheit zu Debatten über wesentliche Werte. Die Beurteilung von Schönheit ist daher eine Angelegenheit, die Menschen gleichzeitig trennt und zusammenbringt. Während sie in ihren Definitionen von Schönheit und Geschlecht nie vollständig übereinstimmen werden, können sie oft über die Ursachen ihrer Uneinigkeit einer Meinung sein.
Schönheitskonkurrenzen erlauben den Zuschauern das Spiel mit verschiedenen, sich verändernden Positionen entlang dichotomer Grenzlinien wie beispielsweise zwischen Stadt und Land, zwischen Norden und Süden, zwischen “authentischer” eigener Kultur und westlichen, fremden Einflüssen.
Literatur
Marc Johnson: Beauty and Power. Transgendering and Cultural Transformation in the Southern Philippines. Berg. Oxford, 1997.
Richard R. Wilk: Connections and Contradictions. From the Crooked Tree Cashew Queen to Miss World Belize. In: C. Balerino Cohen u.a. (Hrsg.): Beauty Queens on the Global Stage. Gender, Contests, and Power. Routledge. New York, 1996.
Richard R. Wilk: Miss World Belize. Globalism, Localism, and the Political Economy of Beauty. (www.indiana.edu/~wanthro/articles.htm), 1998.
aus: der überblick 04/2004, Seite 27
AUTOR(EN):
Andrea Lauser:
Dr. Andrea Lauser ist Ethnologin und Lehrbeauftragte am Institut für Vergleichende
Kulturforschung an der Universität Marburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen
Kulturen Südostasiens, besonders die Philippinen und Geschlechterverhältnisse sowie Migration.