Die Zentralafrikanische Republik erhält kaum noch Hilfe
Die seit langem von Bürgerkrieg und Putschen geplagte Zentralafrikanische Republik ist eines der ärmsten Länder der Welt. Doch die meisten Hilfsorganisationen und Geberländer, darunter auch Deutschland, haben den Staat im Herzen Afrikas offenbar abgeschrieben.
von Marc Engelhardt
Frisch gestrichene Triumphbögen überspannen die Straßen, die in das Zentrum von Bangui führen. Auf ihnen stehen die vom Staat ausgegebenen Losungen für seine Bürger, etwa in der Landessprache Sangho Kwa na kwa, (Ihr sollt) "arbeiten, nichts als arbeiten". Am Kreisverkehr, über den der Weg zum Palast des Präsidenten führt, lautet der Spruch "Zentralafrikanische Republik, unser Land das nationale Interesse geht vor!". Scheinbar unbeeindruckt schieben Arbeiter in zerrissenen T-Shirts einen Handkarren über den Paradeplatz. Autos gibt es kaum in Bangui, der Hauptstadt eines der ärmsten Länder der Erde. Die Zentralafrikanische Republik ist seit langem von fast ununterbrochenem Bürgerkrieg und Militärputschen gezeichnet.
Dazu kommen die Konflikte in den Nachbarländern, die immer wieder in die Zentralafrikanische Republik (ZAR) herüberschwappen: Das Land ist eingeschlossen von einigen der größten Krisenherde Afrikas. Im Süden liegt die Demokratische Republik Kongo, im Osten Darfur, im Norden der Tschad. Rund vier Millionen Einwohner verlieren sich auf einer Fläche größer als Deutschland. Ein gutes Viertel von ihnen lebt in der Hauptstadt und ihren Armenvierteln, die nur wenige Meter abseits der stets gefegten Prachtboulevards beginnen. Die Stadtbevölkerung leidet an Armut, Hunger und Krankheit.
Doch immerhin herrscht in der Hauptstadt Bangui derzeit Frieden. Seit der damalige Armeechef François Bozizé sich im März 2003 mit Hilfe tschadischer Truppen an die Macht geputscht hat (vergl. "der überblick" 3/2003), hat er Bangui fest im Griff. Im Rest des Landes sieht es anders aus, im Norden herrscht Krieg, über die Lage im Osten weiß kaum jemand Bescheid. Doch der Satz "Der Staat endet am Schlagbaum, 12 Kilometer vom Stadtzentrum Banguis entfernt", ist in der Zentralafrikanischen Republik schon seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 ein stehender Ausdruck. Dass es in weiten Teilen des Landes keinerlei staatliche Autorität gibt, ist für die Bewohner dort Normalität. Selbst die Abgeordneten, die den Fernen Osten im Parlament vertreten sollen, sind seit den Wahlen vor mehr als einem Jahr nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt.
Ein Fall für die internationale Gemeinschaft, sollte man meinen. Nahrungsmittelhilfe, einfachste Medikamente, Hilfe beim Aufbau eines Bildungssystems oder im Kampf gegen HIV/Aids sind in der ZAR so nötig wie kaum sonst irgendwo in Afrika. Die Vereinten Nationen (UN) führen den Staat seit Jahrzehnten als einen der zehn am wenigsten entwickelten der Erde, selbst für afrikanische Verhältnisse ist das schlimm. Gerade erst haben Geberländer fast eine halbe Milliarde Euro in die Wahlen im nahen Kongo gesteckt, da sollte auch Geld nach Bangui fließen. Doch Maurizio Giuliano, der die Arbeit der unterschiedlichen UN-Organisationen im Land koordinieren soll, schüttelt ärgerlich den Kopf. "Wir haben für das vergangene Jahr 22 Millionen Euro Bedarf angemeldet, das ist nicht viel", referiert der Italiener. "Aber bekommen haben wir gerade mal ein Drittel." Für 2006 braucht die UN-Koordination für humanitäre Hilfe umgerechnet 28 Millionen Euro bis Mitte Juli war davon etwa die Hälfte zugesagt. "Die Zentralafrikanische Republik ist eben einfach ein vergessenes Land", wettert Giuliano.
Nicht nur die UN, auch die zahlreichen Hilfsorganisationen machen um den Staat im Herzen Afrikas einen großen Bogen. Die nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) von Bangui finden bei einer abendlichen Party locker im Wohnzimmer der Etagenwohnung von Giuliano Platz: Vertreter einer Handvoll Organisationen, allen voran die italienische COPI und Ärzte ohne Grenzen. "Und alle haben dasselbe Problem: wir haben kaum gesicherte Daten über die Lage im Land", erklärt Giuliano. Schätzungen zufolge leiden 1,1 Millionen Zentralafrikaner unter den Folgen von Krise und Konflikten im Land. Ein Drittel der Bevölkerung gilt als unter- oder mangelernährt. Die HIV/Aids-Rate liegt in manchen Orten bei 35 Prozent.
Um überhaupt sinnvoll Hilfsgüter verteilen zu können, hat Giuliano vor einem Jahr Freiwillige aus allen Regionen des Landes nach Bangui eingeflogen, um sie als Berichterstatter auszubilden. Die EU hatte ein Seminar finanziert. Die Teilnehmer waren begeistert und brannten darauf, die UN fortan mit Daten zu versorgen. "Leider haben wir nie die paar zehntausend Euro zusammenbekommen, um die 43 Satellitentelefone zu finanzieren deshalb kann uns keiner unserer Berichterstatter anrufen." Das Welternährungsprogramm verteilt seine Hilfe deshalb bis heute nach dem Zufallsprinzip, keiner weiß, wie viele Flüchtlinge es genau gibt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hat 50.000 gezählt, die es bis in die Lager im Tschad geschafft haben. Doch in Wirklichkeit, so Giuliano, ist die Zahl der intern Vertriebenen viel höher. "Ich schätze, es sind mindestens 800.000."
Dabei hat die Zentralafrikanische Republik eigentlich genügend Reichtümer, um ihre Bewohner satt und glücklich zu machen. Das weithin unerschlossene Land sitzt auf einem der größten Diamantenvorkommen der Welt, riesigen Holzvorräten und angeblich auch auf Ölreserven, die sich im Norden befinden sollen. Der größte Teil der Diamanten wird außer Landes geschmuggelt: In Antwerpen, dem weltweit größten Markt für Diamanten, wurden 2004 etwa zwanzig mal so viele Steine gezählt, wie offiziell in den Exportpapieren auftauchten. Die Beteiligung der Regierungsclique um Präsident François Bozizé ist wahrscheinlich. Die politische Elite, die von Experten der Bertelsmann-Stiftung im ganzen Land auf 400 geschätzt wird, streitet sich vergleichsweise offen um die Millionen aus der Ressourcenausbeute. Wer an der Macht ist, kann sich bedienen, so war es schon unter "Kaiser" Bokassa.
Auch Bernard Lala gehört zu dieser Elite. Doch wenn wirklich Geld verteilt worden ist, dann hat er zumindest nichts davon abbekommen. Der Gesundheitsminister der Zentralafrikanischen Republik fährt einen kleinen Nissan Sunny. Seine Gäste empfängt er im ersten Stock eines bröckelnden Flachbaus, in dem sich die Beamten an den wenigen Schreibtischen drängeln. "Aids ist eines unserer größten Probleme, aber eigentlich haben wir auch sonst alles: TB-Epidemien, eine hohe Kindersterblichkeit oder weit verbreitete Flussblindheit", bilanziert Lala. 37 Milliarden CFA-Francs für die Gesundheit sieht der im Parlament von Bangui verabschiedete Haushalt vor, umgerechnet mehr als 56 Millionen Euro. "Aber aus der Staatskasse ist nichts gedeckt, in Wirklichkeit können wir nur das ausgeben, was Dritte uns für unsere Arbeit überweisen." Die wenigen Hilfsorganisationen werden deshalb von Lala wie Staatsgäste empfangen. Sie sind es, die seine Arbeit ermöglichen oder auch nicht.
Die Christoffel-Blindenmission ist die letzte deutsche Hilfsorganisation, die in der Zentralafrikanischen Republik noch aktiv ist. Im umkämpften Norden des Landes versuchen ihre Mitarbeiter, die weit verbreitete Flussblindheit zu bekämpfen. Der Krankheitsüberträger, ein Fadenwurm, wird durch Mücken verbreitet. Wenn die Würmer unter der Haut ihre Eier ablegen, wandern die Larven schließlich durch den ganzen Körper unter anderem in die Augen. Als Adrian Hopkins 1993 als Arzt nach Bossangoa im Norden der ZAR kam, war er entsetzt darüber, wie schlimm die medikamentös behandelbare Krankheit in den Dörfern wütete. "Ich habe davor 18 Jahre lang im Norden Kongos gearbeitet, aber so etwas hatte ich noch nicht gesehen." Auf dem Land besuchte Hopkins Siedlungen, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung bereits das Augenlicht verloren hatte. An einem Nachmittag behandelte er 30, 40 Patienten. In den kommenden Jahren baute er ein Verteilungsprogramm für die Medikamente auf, die einmal jährlich eingenommen werden müssen. "Das klingt leichter, als es ist, schließlich sind hier immer wieder feindliche Truppen einmarschiert, ganze Dörfer flohen in den Busch oder waren nicht mehr zu erreichen." 20 Jahre dauert die Behandlung, wird sie unterbrochen, muss sie von vorne begonnen werden.
Acht Jahre blieb der heute 59-jährige Hopkins in Bossangoa. In dieser Zeit plünderten libysche Truppen im Auftrag von Ex-Präsident Ange-Félix Patassé die Stadt, später wüteten noch Kongolesen und Tschadier. Immer wieder musste Hopkins sich und seine Familie in Sicherheit bringen, bis er 2003 endgültig ausgeflogen wurde. "Da wurde es schließlich auch mir zu gefährlich." Die Weberei, in der Baumwolle von den nahen Feldern verarbeitet wurde, war da längst geschlossen. In den Wirren der 1990er Jahre hatten sich selbst die französischen Staatsunternehmen zurückgezogen, die bis dahin den öffentlichen Sektor dominierten. Niemand wollte mehr in einem Land investieren, in dem Putsche und Bürgerkriege normal geworden waren. Hopkins ehemaliges Wohnhaus ist von Gewehrkugeln durchsiebt. Niemand denkt daran, das Gebäude wieder aufzubauen. Bossangoa ist voll von solchen Häusern, zerstört und verlassen. In der Augenklinik ging die Arbeit irgendwie weiter, auch wenn es heute nur wenige Patienten schaffen, zur Behandlung zu kommen. Zu gefährlich sind die Straßen außerhalb der Stadt, wo Banditen und ehemalige Soldaten hausen. Mitarbeiter der Christoffel-Blindenmission müssen deshalb häufig selbst das Risiko eingehen und mit dem Auto zu den Patienten in der Umgebung fahren.
Für die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) macht Hajo von Hörsten das Licht aus. Der Agraringenieur ging 1999 nach Bangui. "Ende 1999 kam dann ein Brief hier an, dass die Bundesregierung ihre Entwicklungshilfe mit sofortiger Wirkung einstellt davon war ich genauso überrascht wie die Zentralafrikaner." Seitdem sorgt von Hörsten dafür, dass versprochene Restmittel ordnungsgemäß verausgabt werden: 30 Millionen D-Mark, aus einer Zusage von 1998. In den sechseinhalb Jahren, die der inzwischen 60-jährige in Bangui ist, hat er 13 Umweltminister erlebt. Doch auf die Projekte, vor allem den im fernen Südosten gelegenen Nationalpark Dzangha-Sangha, lässt er nichts kommen. "Das läuft erstklassig, gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung ist da richtig was aufgebaut worden." Allerdings fliegen die meisten Touristen von Kamerun aus in den entlegenen Park ein. Um Visa, die in der ZAR nur schwer zu bekommen sind, müssen sie sich ebenso wenig kümmern wie um die immer wieder von Straßensperren unterbrochenen Wege nach Bangui. Noch ein, zwei Jahre, so veranschlagt von Hörsten, braucht er, bis der dann zehn Jahre alte Geldsegen ausgegeben ist. Dann wird er gehen, vermutlich gleich in die Pension ins heimische Walsrode.
Verständnis dafür, dass die Bundesregierung ihre Entwicklungshilfe für die Zentralafrikanische Republik eingestellt hat, hat von Hörsten nicht. Natürlich, betont er schnell, sei das nur seine eigene, ganz private Meinung. "Aber ich verstehe diese Politik nicht wie kann man in Länder wie Kamerun, denen es richtig gut geht, Entwicklungshilfe pumpen und ein bitterarmes Land wie dieses hier aussparen?" Seine Bilanz: Deutschland, 1994 noch einer der größten Geber, habe sich vorschnell aus der ZAR verabschiedet. So seien dringend benötigte Gesundheits- und Wasserversorgungsprojekte geschlossen worden. "Aber meine Berichte, in denen ich das anprangere, werden im Ministerium eh nicht gelesen das Land ist ja schon abgewickelt, da interessiert sich keiner mehr für." Der seit drei Jahren amtierende Botschafter im kamerunischen Yaoundé, der seit der Schließung der Botschaft in Bangui Deutschland in der ZAR repräsentiert, habe es bis heute nicht einmal zu einem Antrittsbesuch nach Bangui geschafft.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Berlin verweist in Sachen ZAR auf das Engagement der Europäischen Union.
Selbst Frankreich, das früher in Notlagen dem klammen Staat immer wieder mit Barem aushalf, hat sein Engagement in den vergangenen Jahren gedrosselt. Stattdessen hilft jetzt China der Regierung bei der Begleichung ausstehender Gehälter. Auch einen Prestigebau hat Peking der Regierung Bozizé spendiert: Ein riesiges Sportstadion, das unweit der Innenstadt auf seinen ersten Einsatz wartet. "Die machen eine Entwicklungspolitik aus einem Guss: Geben Geld, unterstützen die Mächtigen und nutzen ihren Einfluss, um ihre Waren auf dem hiesigen Markt unterzubringen", so ein Diplomat, der nicht zitiert werden möchte. Auf dem Straßenmarkt am Kilometer 5 kostet ein chinesisches Transistorradio weniger als fünf Euro ein Zehntel dessen, was man für ein japanisches Konkurrenzprodukt bezahlen müsste. Auch Motorräder, Fahrräder und Haushaltsgeräte aus billiger chinesischer Produktion verkaufen sich gut in Bangui. Europäische Produkte sind dagegen kaum zu finden. Zudem ist China an den Ressourcen interessiert, die noch auf ihre Erschließung warten.
Bozizé versucht derweil, seine Kritiker zu beruhigen. Im Februar strich er 1600 Phantombeamte, deren Gehälter über Jahre in die Taschen korrupter Ministerialer flossen, von den Gehaltslisten. Dennoch sind die verbleibenden 23.000 Staatsangestellten, die im Jahr mehr als viereinhalb Millionen Euro verdienen, eine Bürde für den Staatshaushalt. Dazu kommen Rückstände aus den letzten Jahren, die sich dem Wirtschaftsministerium zufolge auf stolze 350 Millionen Euro addieren dreimal so viel wie die gesamte in 2004 geleistete Entwicklungshilfe, die zudem fast ausschließlich projektgebunden ist. Der Druck auf den vor einem Jahr demokratisch im Amt bestätigten Bozizé ist so stark gewachsen, dass die Franzosen seit einigen Wochen neue Budgethilfen zugesagt haben wenn auch vorsichtig. Als Teil eines 12,8 Millionen Euro schweren Entwicklungspakets sollen anderthalb Millionen Euro für Gehälter niedrigverdienender Beamter ausgegeben werden. Auch militärisch zeigt der neue Botschafter Frankreichs in Bangui mehr Engagement als sein Vorgänger: Im Kampf gegen die "Besatzer" (so Bozizé) im Norden hat Alain Girma, zuletzt Diplomat in Washington, eine Transall-Maschine für Truppentransporte zugesagt. Auflagen etwa zur "guten Regierungsführung" gibt es, wie bei den Chinesen, offenbar nicht.
Nachdem die Opposition im weitgehend machtlosen Parlament sich für die nächsten Wahlen neu organisieren wollte, erließ Bozizé erst im Juli ein Gesetz, das Parteiabspaltungen verbietet außer, sie werden durch die Regierung sanktioniert. Zugleich eröffnete Bozizé einen Schauprozess gegen seinen Amtsvorgänger Ange-Félix Patassé, der zur Zeit im Exil in Togo sitzt. Der Hauptvorwurf: Amtsmissbrauch. Ein weiterer Prozess gegen Patassé wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird derzeit noch geprüft. Menschenrechtler fordern, dass sich auch Bozizé wegen Kriegsverbrechen vor dem Haager Tribunal verantworten soll.
Nicht wenige Bürger sehnen sich derweil zurück in die Vergangenheit. Zu den ruhigeren Phasen im Land gehörte die, als der selbsternannte Kaiser Jean-Bedel Bokassa I. das Land von 1966 bis 1979 mit irrem Pomp und Gloria totalitär in den Ruin regierte. Jeden Nachmittag, rechtzeitig zum Kaffee, hält Bokassas Sohn Serge Hof im Grand Café. In der Patisserie empfängt der Parlamentsabgeordnete Geschäftsleute und Arbeitslose, wer immer mit ihm über die Probleme im Land reden will. Kaiser will Serge Bokassa nicht werden. Aber sollte er eines Tages als Präsident antreten, wären seine Chancen sicher nicht schlecht.
aus: der überblick 03/2006, Seite 74
AUTOR(EN):
Marc Engelhardt
Marc Engelhardt ist freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Nairobi, Kenia.