Das andere Gesicht der Liebe
In Afrika, Asien und Lateinamerika ist der Hörfunk nach wie vor das wichtigste Medium. Wer möglichst viele Menschen erreichen will, muss attraktive Programmformate für das Radio entwickeln. Besonders beliebt sind Seifenopern. Deshalb nutzen nun auch Entwicklungsorganisationen die populären Serien, um Gefühl und Verstand ihrer Zuhörer anzusprechen.
von Bettina Lutterbeck
Mexikaner, die in den USA arbeiten oder arbeiten wollen, bekommen über Hörfunk und Fernsehen wertvolle Informationen. Das mexikanische Außenministerium schaltet schon seit Jahren einschlägige Spots. Um noch mehr Menschen vor das Radio oder den Bildschirm zu locken, hat das Ministerium nun eine Radionovela (spanisch für Hörfunk-Seifenoper) produziert. Sie zeigt, wie der Alltag der Migranten aussieht, wie schwierig es ist, ohne Arbeitsgenehmigung einen Job zu ergattern, und dass die soziale Isolation viele dazu verführt, den hart verdienten Tageslohn abends in der Bar zu versaufen, anstatt wie ursprünglich geplant zu sparen und die Familie nachzuholen. Und sie informiert ganz nebenbei darüber, welche Rechte und Pflichten man im Gastland hat. Damit wolle man "verhindern, dass die Migranten straffällig werden", so die Sprecher von Radio Educación und des mexikanischen Außenministeriums bei der Premiere.
Auch in anderen Ländern werden informative Botschaften inzwischen in Radionovelas verpackt. In Tansania, Uganda, Jamaika, St. Lucia, Kenia und Mexiko geht es darum, wie man sich vor HIV/Aids schützen kann, in Mittelamerika werden Vorsorgemaßnahmen gegen Naturkatastrophen vermittelt, in Kolumbien wird Zahnpflege propagiert und in Nepal, Indien und Ägypten über Verhütungsmittel informiert. Auftraggeber dieser Kampagnen sind große Sonderorganisationen der Vereinten Nationen (UN) wie UNDP, UN-AIDS, UNESCO oder staatliche Entwicklungsagenturen, meist im Verbund mit lokalen Ministerien oder großen nichtstaatlichen Organisationen (NGOs).
Die Radionovelas haben ihre Rückkehr einer neuen Ausrichtung der Kommunikationsstrategie verschiedener Geberorganisationen zu verdanken. Die Auswertung zahlreicher breit angelegter Programme zur "reproduktiven Gesundheit" und zur Aids-Prävention in den achtziger Jahren hatte ergeben, dass die Zielgruppen infolge der projektbegleitenden Informationskampagnen zwar mehr Wissen zu den betreffenden Themen ansammelten, deshalb aber nicht automatisch ihr Verhalten änderten und die empfohlenen Verhaltensweisen nicht in ihr tägliches Leben aufnahmen. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass die Konzentration auf nur eine Ebene des Lernprozesses, nämlich auf die kognitiv orientierte Wissensvermittlung, zu kurz greife.
Deshalb bemüht man sich, Verhaltensweisen zu ändern, indem man Gefühle anspricht. Federführend bei der Entwicklung solcher Strategien war change project, das mit Mitteln von der offiziellen US-amerikanischen Entwicklungsorganisation AID gefördert wird und eng mit Kommunikationswissenschaftlern der in Baltimore angesiedelten Johns Hopkins Universität zusammenarbeitet. "Das change project hilft, Programme wirkungsvoller zu machen", heißt es einleitend auf der Website des Projektes, "indem es praktische Lösungen dafür entwickelt und anwendet, wie man vorgeht, wenn es Probleme gibt, eine Verhaltensänderung bei Fragen der Gesundheit und Ernährung zu erreichen." Dazu entwickelte das change project zielgruppenorientierte Verfahrensweisen, wie man insbesondere mit Massenmedien Herz und Hirn ansprechen kann.
Den theoretischen Hintergrund für die Strategie, eine auf spezielle Zielgruppen zugeschnittene Mischung aus Information und Unterhaltung zu nutzen, lieferten neue Erkenntnisse aus der sozialen Lerntheorie, der Verhaltensforschung und der Werbepsychologie. Die Werbepsychologie geht davon aus, dass emotionale Appelle, die positive Gefühle hervorrufen, stärker beachtet werden als rationale. Rationale Appelle bleiben indessen länger im Gedächtnis verhaftet. Ein emotionaler Appell, der von einer als glaubwürdig und mächtig erlebten Person, etwa einer bekannten, sympathischen Schauspielerin ausgesprochen wird, hat die Funktion eines Türöffners. Die Botschaft, die vermittelt werden soll, kann so auch für das Publikum Vorrang bekommen. Rationale Appelle können dann diese Botschaft verstärken.
Die soziale Lerntheorie sagt, dass es nicht nur auf die Motivation der Einzelperson ankommt, die durch unterhaltende emotionsgeladene Geschichten verstärkt wird, sondern auch auf die Selbstwahrnehmung im sozialen Umfeld. Individuen seien dann bereit, bestimmte Verhaltensweisen zu übernehmen, wenn in ihrem Umfeld sozial anerkannte Personen mit dem neuen Verhalten gute Erfahrungen gemacht haben und als Vorbild dienen. Ob die neuen Verhaltensweisen beibehalten werden, hängt maßgeblich davon ab, wie die sozialen Bezugsgruppen darauf reagieren.
Die Hauptdarsteller gut gestrickter Unterhaltungsformate in den Medien, so die Kommunikationsstrategen, bieten Identifikationsmöglichkeiten für ein Massenpublikum, indem ihr Lebensstil, ihre Werte und Vorstellungen als Referenz für das eigene Leben herangezogen werden. Die "Theorie der parasozialen Aktion" geht sogar noch einen Schritt weiter: Sie behauptet, dass Darsteller dramatischer Genres wie Seifenopern, Spielfilme, Hörspiele psychologisch gesehen den Zuschauern und Zuhörern nicht nur als Identifikationsfiguren dienen, sondern dass insbesondere bei Serien die dargestellten Personen die Rolle von sozialen Netzwerken einnähmen. Die Serienhelden begleiteten das Publikum mit ihren positiven wie auch negativen Rollenmodellen in ähnlicher Weise durch den Alltag wie Familienangehörige oder Arbeitskollegen. Als Nachweis dafür wird angeführt, dass die Charaktere von populären Unterhaltungssendungen Stellenangebote bekämen, wenn sie in einem Kapitel der Seifenoper arbeitslos würden oder handgestrickte Babykleidung beim Sender einträfe, wenn die Heldin schwanger würde.
Vor allem in den neunziger Jahren begannen mehr und mehr Kommunikatoren in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa, die sinnstiftende und identitätsbildende Funktion der Massenunterhaltung in ihrem Sinne zu nutzen. Eine Studie, die auf der dritten internationalen Konferenz "Edutainment und sozialer Wandel" präsentiert wurde, zählte im Jahr 1996 weltweit 40 Edutainment-Projekte (Edutainment wird die Verknüpfung von Erziehung und Unterhaltung genannt), während es 1999 bereits 163 waren. 26 Prozent der Projekte verbreiteten Botschaften für die "reproduktive Gesundheit", 20 Prozent für die HIV/Aids-Prävention, 7 Prozent widmeten sich dem Thema Friedenserhaltung und Gewaltprävention, 8 Prozent dem Thema Umwelt.
Je nach Zielgruppe und Budget wählten die Kommunikationsstrategen unterschiedliche Vehikel, um die Botschaften zu transportieren: Rundfunk- oder Fernseh-Dramen, Fotogeschichten, Spiele auf CD-Rom, bekannte Musikstars, Straßentheater oder Talk-Shows. Die meisten Edutainment-Projekte benutzen mehrere Kanäle, sie arbeiten also mit mehr als einem Unterhaltungs- und Bildungsformat.
Vor allem in Asien und Lateinamerika ist der Hörfunk das weitaus meist genutzte Medium und die Radionovela das beliebteste Genre. "Der Rundfunk knüpft an die oralen Traditionen vieler alteingesessener Kulturen an und ist vor allem in ländlichen Regionen das einzige Medium, das generationsübergreifend arme, breite Publikumsschichten anspricht", argumentiert eine Studie der mexikanischen Buendía-Stiftung zur Gesundheitskommunikation.
Das Drama der Radionovela funktioniert immer nach dem gleichen Schema: Zwei Hauptpersonen und gegebenenfalls weitere in Nebenrollen lieben sich innig, müssen aber unzählige Widrigkeiten überwinden, bis sie sich schließlich am Ende der Geschichte wieder glücklich vereinen dürfen. Jedes Kapitel endet mit einem Auf in der Spannungskurve, damit die Zuhörer gespannt am nächsten Tag auf die Folge warten. Wie die Telenovelas, die Fernsehserien, können auch Radionovelas ein breites Publikum binden, sind aber wesentlich preiswerter. Die Produktionskosten für eine Radionovela liegen pro Kapitel im Vergleich zum Fernsehen ungefähr bei eins zu zehn.
"Der wichtigste Faktor für den Erfolg der Edutainment-Kommunikationsstrategie ist, dass die Auswahl des Mediums mit den Erwartungen, Bedürfnissen und Konsumgewohnheiten der Zielgruppe übereinstimmt", heißt es in einem Auswertungsbericht von Soul City, einem der erfolgreichsten Edutainment-Programme überhaupt.
Das Soul City Institute for Health and Development Communication in Johannesburg, Südafrika, versucht seit 1992, "die Macht der Massenmedien für Gesundheit und Entwicklung in Südafrika zu nutzen". Anlass für das Projekt Soul City war ein Berg von Gesundheits- und Entwicklungsproblemen, die größtenteils noch aus der Apartheidzeit herrührten. Annähernd 20 Prozent der Südafrikaner sind HIV-positiv. Die häufigste Todesursache für Kinder im Alter von unter fünf Jahren ist Durchfall.
Die Macher von Soul City setzten sich zum Ziel, das gut ausgebaute System von Massenmedien im Sinne des Edutainment Ansatzes zu nutzen. Edutainment wird von Soul City definiert als "ein Prozess, bei dem Medienbotschaften so konzipiert und implementiert werden, dass sie sowohl unterhalten als auch Bildungsinhalte zu einer breiten Zielgruppe transportieren, um deren thematisches Wissen zu erhöhen, eine positive Haltung zum Thema zu bewirken, soziale Normen zu verändern und das Verhalten von Individuen und sozialen Gruppen zu ändern." Soul City pflegt einen intensiven Erfahrungsaustausch mit den Kommunikationsexperten des change projects und produzierte eine Radionovela mit 60 Kapiteln, die zur besten Sendezeit in einem der größten landesweiten Rundfunksender in neun südafrikanischen Sprachen ausgestrahlt wurde. Parallel lief die Story als 13-teilige Seifenoper im Fernsehen. Gleichzeitig wurden in Zusammenarbeit mit verschiedenen zum Thema arbeitenden Organisationen Broschüren erstellt, die in einer Auflage von 2,5 Millionen Exemplaren als Beileger in Tageszeitungen sowie über NGOs, Schulen und Ministerien direkt verteilt wurden. Die Broschüren nahmen Bezug auf die populären Serienheldinnen und lieferten Zusatzinformationen zum Thema HIV/Aids. Die Radionovela und Fernseh-Seifenoper erreichten eine ungeheure Popularität in Südafrika. Die Fernsehproduktion bekam Preise auf Festivals, das Konzept wurde in mehrere afrikanische Länder wie Uganda, Nigeria und Lesotho exportiert.
Die Auswertung des Soul City Projekts ergab, dass das Publikum die Botschaften in den meisten Fällen "richtig" verstanden hatte. Die Kommunikationsexperten hatten mehrere explizite Botschaften formuliert, die beim Publikum mittels Seifenopern ankommen sollten, etwa: "Menschen mit Aids brauchen Unterstützung und Pflege", "Es ist ungesetzlich, HIV- positive Arbeitskräfte zu entlassen", "HIV-positive Frauen haben das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen oder fortführen wollen" oder "Sowohl Männer als auch Frauen können den HIV-Virus übertragen."
Eine erste repräsentative Befragung, die überwiegend in städtischen Regionen durchgeführt wurde, ergab signifikante Unterschiede in der Einstellung und beim Wissenstand zwischen Personen, welche die Seifenoperserie gehört oder gesehen hatten, und solchen, die nicht zum Publikum gehört hatten. Nach der Ausstrahlung von Soul City stimmten 64 Prozent der Befragten nicht der Aussage zu "HIV-positive Menschen sollten von der Gesellschaft fern gehalten werden, um die Verbreitung von Aids zu stoppen". Vor der Ausstrahlung lehnten nur 43 Prozent der Befragten diese Einstellung ab. Die Zuschauerbefragung ergab aber auch, dass das Publikum der Soul-City-Produktionen kein besseres Detailwissen bezüglich der Übertragungswege von Aids hatte als die Vergleichsgruppen. Dies ließ Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Broschüre zu, in der diese Informationen detailliert aufgeführt waren.
Zehn Jahre später sind die Kommunikationsplaner von Soul City bereits bei der vierten Staffel von Seifenopern in Rundfunk und Fernsehen. Thema ist "häusliche Gewalt und sexuelle Selbstbestimmung", das in den vorhergehenden Produktionen bereits als Nebenthema aufgegriffen wurde.
Soul City nennt drei Kernelemente, die ihren Erfolg in Südafrika begründen. Erstens geht der Konzeption der Edutainment-Programme eine gründliche Forschungs- und Konsultationsphase mit Zielgruppen, Expertinnen und Experten voraus. Zweitens werden die Botschaften in ein spannendes Drama gepackt, das den beliebten moralischen Zeigefinger nur im Verborgenen hebt. Nur so können die Seifenopern auf einem guten Sendeplatz zum Publikumserfolg werden. Drittens arbeitet Soul City eng mit Organisationen zusammen, die zu diesem Thema Bildungsarbeit leisten und entsprechende Methoden entwickelt haben. So werden die Edutainment-Projekte in einen größeren Zusammenhang eingebettet und wichtige Hauptthemen und Unterthemen vertieft.
Individuelle Verhaltensänderungen sind Prozesse, die in komplexere Änderungen von gesellschaftlichen Normen und Wertsystemen eingebunden sind und nur über die Jahre oder die Jahrzehnte messbar werden. Aus diesem Grund sind die Evaluierungen der Edutainment-Projekte eher prozess- als ergebnisorientiert. Inwieweit dauerhafte Verhaltensänderungen also direkt auf ein Edutainment-Projekt zurückgeführt werden können, kann nur vermutet werden. Auch das Soul City Projekt in Südafrika bleibt diesen Beweis bisher schuldig.
Edutainment-Strategien wie auch das soziale Marketing nutzen die Techniken des kommerziellen Marketings und der Werbung für soziale Zwecke. Ebenso wie der Zigarettenkonzern Phillip Morris Fernsehsendungen sponserte, in denen sportliche Supermachos wie Schlote rauchten, sponsert nun beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) Seifenopern, deren Hauptdarstellerinnen mit dem Kondom verhüten, nie außerehelichen Sex haben und maximal zwei wohlbehütete Kinder großziehen. Werbung, egal ob für ein Produkt oder eine Idee, baut auf die Wirkung emotiver Botschaften.
Diskutiert wird dieser Aspekt von Edutainment-Projekten aber nicht. Im Zentrum der Kritik von Edutainment-Projekten steht vielmehr die befürchtete Amerikanisierung der Lebenswelt. "Hollywood ist inzwischen überall", klagt Sonja de Leeuw, Kommunikatorin aus den Niederlanden auf der letzten internationalen Edutainment-Konferenz in Amsterdam. "Die in den Unterhaltungssendungen enthaltenen Deutungsmuster von kulturspezifischen Wertesystemen, Interaktionsmodellen und Verhaltensweisen werden nicht genügend auf ethische und kulturelle Wirkungen innerhalb der Zielgruppe untersucht." Ihr Kollege William Brown fügt hinzu: "Ob bewusst oder unbewusst: die Kultur des Sponsors macht sich immer auch bei der Ausgestaltung des Produkts bemerkbar".
Literatur:
Johns Hopkins University Center for Communication Programs (Hrsg): Radio Serial Drama - How to write a Radio Serial Drama for Social Development, www.jhuccp.org/pubs/
Edutainment-Education Around the World (1989-2000): A Preliminary Report to the Third International Conference on Entertainment-Education and Social Change
Sript einer RadionovelaHarte TortillasRegie: Im Transistorradio plärren die Tigres del Norte, belebte Kreuzung in Los Angeles, Autos halten periodisch und fahren wieder an, Menschenmenge spanisch, Murmeln. Coras: Ach, da bist Du ja, Tururú, was war denn mit Dir los? Ich dachte schon die Migra (Migrationspolizei) hat dich geschnappt. Tururú: Zum Glück nicht. Aber gestern war ich im Zentrum in dem Gebäude, wo die Migra die Leute vor der Abschiebung hinbringt. Wir haben Pedro besucht, der aus Michoacán. Erinnert Ihr Euch? Coras: Ach der. Der war doch auch meistens hier. In letzter Zeit sah er aber ziemlich fertig aus, immer so abwesend . Tururú: Heute haben sie ihn nach Hause zurückgeschickt. Hoffentlich geht's ihm da besser wie hier. Coras: Wer hat ihn denn denunziert? Salavadorianer: .Vielleicht die aus dem Supermarkt gegenüber .? Tururú: Dem Supermarkt? Glaub ich nicht. Alle, die da arbeiten sind doch Mexikaner . Warum sollten die die Migra anrufen .? Salvadorianer: Weil wir ihnen die Kundschaft verscheuchen. Sie sagen, die Kundenbleiben weg, seit so viele Mexikaner vor dem Laden rumstehen. Außerdem stinkt's denen, weil viele auf dem Parkplatz hier um die Ecke pinkeln ... Tururú: Stimmt, hier stinkt's, da haben sie recht. Trotzdem glaub' ich nicht, dass die das waren. Das wär doch gemein, gegen die eigenen Landsleute . (Auszug aus dem Funkskript der Radionovela Tortillas duras . ni para frijoles alcanza. (Harte Tortillas . nicht mal für Bohnen reicht's). Die Hauptpersonen der Radionovela Tortillas duras sind mexikanische Migranten im Süden der USA, die als Tagelöhner arbeiten. Etwa Coras, der sich ausschließlich mit "Geborgtem" über Wasser hält. Oder der Psychologe Tururú, der sich als Arbeiter ausgibt aus Angst, dass er sonst keinen Job kriegt. Oder "Yes Yes", dessen Spitzname gleichzeitig die einzigen Worte sind, die er auf Englisch beherrscht. Die Radionovela basiert auf dem gleichnamigen Roman von Enrique Romero, der seine Kindheit selbst als Migrantenkind in den USA verbracht hat. Die Tortillas duras wurde ab November 2002 von verschiedenen Rundfunksendern in den Gebieten mit den höchsten Migrationsraten ausgestrahlt, etwa Tabasco, Zacatecas und Guerrero auf der mexikanischen Seite, San Francisco, Fresno und Sacramento auf der US-amerikanischen. Finanziert wurde die Radionovela vom mexikanischen Außenministerium, die Produktion wurde beim staatlichen Rundfunksender Educación in Auftrag gegeben. Ziel der Radionovela ist, "aufzuzeigen, dass der Traum derjenigen, die in die USA aufbrechen, in keiner Weise mit der Realität übereinstimmt." Bettina Lutterbeck |
Radionovelas in Costa RicaZeit der WirbelstürmeDas Kommunikationszentrum Voces Nuestras mit Sitz in Costa Ricas Hauptstadt San José produziert seit sieben Jahren Radionovelas. Die Themen sind so unterschiedlich wie die Auftraggeber: Die Radionovela Rosa - El coraje de vivir (Rosa - der Mut zum Leben) setzt sich mit dem Themen "Dialog zwischen den Generationen, Behinderung und Migration" auseinander und wurde von der niederländischen Entwicklungsagentur HIVOS finanziert. La otra cara del amor (Das andere Gesicht der Liebe) handelt von häuslicher Gewalt und der Selbstbestimmung von Frauen. Es wurde vom nationalen Frauenministerium INAMU und dem Woman's Club, einer Vereinigung von Diplomatenfrauen und Gattinnen Industrieller finanziert. "Das andere Gesicht der Liebe" erhielt auf dem Moondance- Festival in den USA den Hauptpreis in der Kategorie Hörspiel und wurde in zahlreiche lateinamerikanische Länder verkauft, unter anderem nach Mexiko. Alle Radionovelas von Voces Nuestras liefen in Costa Rica in einem landesweiten Kommerzsender und waren in Kampagnen zu den betreffenden Themen eingebunden, die von verschiedenen Organisationen und Institutionen getragen wurden. "Gut gemachte Radionovelas, so viel ist inzwischen klar, werden von einem breiten, meist weiblichen Publikum sehr geschätzt. Didaktische Spots haben eine kurze Halbwertzeit, während die Radionovelas langfristig wirkende Reflexionsprozesse auslösen", sagt Fresia Camacho, Drehbuchschreiberin und Produzentin im Team von Voces Nuestras. "Wichtig ist aber, dass der Plot wirklich an die Erfahrungen und die Lebenswelt der Menschen anknüpft". Ihre jüngste Produktion, Tiempo de Huracanes (Zeit der Wirbelstürme), eine Radionovela zur Prävention von Schäden durch Naturkatastrophen, wird im Rahmen einer mittelamerikanischen Kampagne derzeit zum zweiten Mal von rund 50 Kommunalrundfunksendern in Mittelamerika ausgestrahlt. Daneben gibt es Broschüren mit didaktischen Tipps für Gruppenarbeit, Vorschläge für Livesendungen und Pressekonferenzen. Die erste Wirbelsturm-Kampagne wurde von mehreren Organisationen, unter anderem dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und der panamerikanischen Gesundheitsorganisation bezuschusst. Hauptanliegen der Kampagne von Sponsorenseite war und ist, dass sich die Bewohner von gefährdeten Zonen auf den Ernstfall einstellen und Präventivmaßnahmen ergreifen, indem sie sich auf kommunaler Ebene organisieren, etwa Dämme reparieren oder einen Evakuierungsplan erarbeiten. "Die Wirkungsanalyse, an der sieben Rundfunksender aus fünf mittelamerikanischen Ländern mitgewirkt haben, zeigte uns, dass zahlreiche Zuhörerinnen aus ganz Mittelamerika sich mit dem Schicksal der Protagonisten identifizieren konnten und Rückschlüsse auf ihre eigene Situation ziehen", sagt Fresia Camacho, die auch dem Vorstand des Verbands der lateinamerikanischen Kommunalrundfunksender, ALER, angehört. "Der wichtigste Effekt für uns als Kommunikatorinnen war aber, dass sich mit dieser Kampagne gezeigt hat, dass die Kommunalradios in Mittelamerika, wenn sie sich wachrütteln lassen und zusammenschließen, ein Thema auf die Agenda setzen können, das für die soziale Entwicklung in Mittelamerika relevant ist." Bettina Lutterbeck |
aus: der überblick 04/2003, Seite 10
AUTOR(EN):
Bettina Lutterbeck:
Bettina Lutterbeck ist Politologin und Journalistin und arbeitet seit Anfang 2001 im Bereich Kommunikationsstrategien bei "Voces Nuestras" in San José, Costa Rica.