Ohne Kaffee keine Schulen
Evangelische Schulen in Kamerun kämpfen ums Überleben. Eine Reportage.
von Thomas Moesch
Laut und deutlich spricht die Lehrerin das Wort Le triangle vor und zeichnet gleichzeitig ein Dreieck an die Tafel. "Le triangle!", schallt es aus 57 Kehlen zurück. Die sieben-bis neunjährigen Mädchen und Jungen der Grundschuljahrgänge eins und zwei haben Geometrieunterricht. Dicht gedrängt sitzen sie auf ihren Schulbänken und versuchen, das Dreieck auf der Wandtafel auf ihre kleinen Schiefertafeln zu übertragen. Wer fertig ist, hält seine Tafel hoch. Entdeckt die Lehrerin einen Fehler, leckt der Schüler schnell den falschen Kreidestrich ab und zeichnet einen neuen.
Laut und deutlich spricht die Lehrerin das Wort Le triangle vor und zeichnet gleichzeitig ein Dreieck an die Tafel. "Le triangle!", schallt es aus 57 Kehlen zurück. Die sieben-bis neunjährigen Mädchen und Jungen der Grundschuljahrgänge eins und zwei haben Geometrieunterricht. Dicht gedrängt sitzen sie auf ihren Schulbänken und versuchen, das Dreieck auf der Wandtafel auf ihre kleinen Schiefertafeln zu übertragen. Wer fertig ist, hält seine Tafel hoch. Entdeckt die Lehrerin einen Fehler, leckt der Schüler schnell den falschen Kreidestrich ab und zeichnet einen neuen.
Der Klassenraum ist denkbar einfach eingerichtet: Schulbänke und Wandtafel sind die einzigen Möbel. Von den Wänden bröselt der Putz, unter der löchrigen Strohmatten-Decke blinzelt das Wellblechdach durch. In den beiden Nachbarräumen sieht es genauso aus. Die evangelische Grundschule in Foumban im Westen Kameruns kann jeweils nur zwei Jahrgänge gemeinsam unterrichten, da es an Räumen fehlt. In der Klasse der Stufe drei und vier drängen sich deshalb 95 Kinder. Reiner Frontalunterricht ist wie fast überall in Kamerun eher die Regel als die Ausnahme.
Schon seit zehn Jahren reichen unsere Einnahmen nicht mehr , begründet Emmanuel Mbououmbouo diesen Zustand. Als Schulinspektor ist er für alle evangelischen und baptistischen Schulen im Bezirk Noun zuständig, dessen Hauptstadt Foumban ist. über 3000 Kinder besuchen die Grund- und Oberschulen. Es könnten mehr sein, meint Mbououmbouo, doch die oft schlechte Bausubstanz der Klassenräume schrecke ab. Schließlich müssen die Eltern Schulgeld zahlen: Für die Grundschule sind es pro Jahr knapp 10.000 zentralafrikanische CFA-Franc (15 Euro) in der Stadt, knapp 7000 CFA-Franc (10 Euro) auf dem Land. Da jede Familie vier bis fünf Kinder habe, könnten sich das nur wenige leisten, beschreibt Mbououmbouo das Problem. Eigentlich hätten seine Schulen im letzten Schuljahr 21 Millionen CFA-Francs an Schulgeld einnehmen müssen, doch kurz vor Schluss war es erst die Hälfte, klagt der Inspektor.
Die Folgen sind auch in der Oberschule Josué Mouiché gleich neben der Grundschule in Foumban sichtbar. Hier verteilen sich 618 Schüler auf 13 Klassenräume, die in einem etwas besseren Zustand sind als die der Grundschule. Christen und Muslime lernen gemeinsam. Foumban, die Hauptstadt des Königreichs Bamum, ist eine islamisch geprägte Stadt. Mit den Gehältern für die 34 Lehrer liegen wir über fünf Monate im Rückstand , klagt der noch junge Schulleiter. Ein Vollzeitlehrer verdient hier im Monat je nach Ausbildungsstand offiziell zwischen 60.000 und 90.000 CFA-Franc (90 bis 135 Euro), eine Honorarkraft 1,50 Euro pro Stunde.
Die Menschen im Westen Kameruns leben zumeist direkt oder indirekt vom Kaffeeanbau. Seitdem die Weltmarktpreise für Kaffee in den Keller gefallen sind, müssen sie sparen, wo es nur geht. Dies und die seit 15 Jahren andauernde Wirtschaftskrise des an Holz, Erdöl und landwirtschaftlichen Rohstoffen reichen Landes graben auch den nicht-staatlichen Schulen das Wasser ab. Das Collège Josué Mouiché verliert im Laufe eines Schuljahres rund ein Sechstel seiner Schüler, weil die Eltern das Schulgeld nicht aufbringen können. "Wenn ein Kind nach zwei, drei Monaten Schulbesuch in die Familie zurückkehrt, landet es im informellen Sektor und muss für sich selbst sorgen", fasst der Schulinspektor Mbououmbouo die Entwicklung zusammen. Viele Kinder werden zu Banditen, einige schlafen sogar auf der Straße. Nach UNESCO-und Weltbankstatistiken besuchen zwar nach wie vor rund 90 Prozent der Fünf-bis Zwölfjährigen eine Schule. Andere Experten halten diese Zahlen aber nur für die Großstädte im Süden des Landes für realistisch und registrieren außerdem seit Jahren eine Abnahme des Schulbesuchs. Immer noch gehen deutlich weniger Mädchen als Jungen in eine Schule. Die Analphabetenquote liegt in Kamerun laut UNESCO bei unter 30 Prozent. Auch diese Zahl ist unter Experten umstritten.
Die Schwierigkeiten, mit denen die evangelischen Schulen ebenso zu kämpfen haben wie die katholischen, betreffen in Kamerun nicht nur eine Minderheit. Kirchen, islamische Gemeinden und zu einem geringen Teil andere private Institutionen tragen fast die Hälfte aller Schulen und versorgen so rund ein Drittel der Schüler des Landes. Diese haben deutlich höhere Chancen, einen Abschluss zu bekommen als ihre Altersgenossen in den kostenlosen staatlichen Schulen. Deshalb versuchen viele Familien auch unter schwierigen Umständen, das Schulgeld zusammenzukratzen.
Doch wer vom Hügel der einst von Deutschen gegründeten evangelischen Mission hinunter in die Stadt Foumban fährt, sieht, dass die Kirchen sich nicht auf ihrem Image-Vorsprung ausruhen können. Entwicklungshilfegelder fließen in den letzten Jahren verstärkt in den staatlichen Bildungssektor. Bisher sind die Klassen in den staatlichen Schulen eher noch größer als in den konfessionellen. Selbst in Gymnasialklassen drängen sich bis zu 100 Schüler. Die Lehrer sind schlecht ausgebildet und lassen sich oft für gute Zeugnisse bezahlen. Doch das staatliche Gymnasium strahlt schon in neuem Glanz.
Noch schlechter als in Foumban geht es den evangelischen Schulen auf dem Land. Der Besuch im Dorf Mouanguel in der Nähe der Stadt Nkongsamba, 140 Kilometer nördlich der Hafenmetropole Douala zeigt den Mangel. Hier an der Grenze zum englisch-sprachigen Teil Kameruns muss die evangelische Grundschule mit zwei katholischen, zwei staatlichen und einer zweisprachigen Schule konkurrieren. Zusammen mit vier Kollegen und drei Honorarkräften unterrichtet Schulleiter Christian Ndobo 62 Schüler. Das einzige Schulgebäude mit seinen bröckeligen Lehmwänden und dem geflickten Wellblechdach ähnelt einer Baracke. Kurz vor Ende des Schuljahres habe die Hälfte seiner Schüler noch kein Schulgeld bezahlt, erzählt Ndobo. In den letzten drei Jahren sei es besonders schlimm geworden. Die vielen Kaffeeplantagen in der Umgebung lassen die Gründe ahnen.
Er selbst bekomme nur drei bis vier Monatsgehälter im Jahr ausgezahlt. Trotzdem macht Ndobo einen engagierten Eindruck. Sein Hauptproblem sei das noch aus dem Gründungsjahr 1956 stammende Schulgebäude, klagt Ndobo: "Wenn wir für dessen Erneuerung einen Sponsor fänden, könnte es uns gut gehen, denn unser Unterricht genießt einen guten Ruf."
Auf dem Weg in die Stadt Nkongsamba machen wir noch Halt an einer anderen Grundschule. Hier hat ein Sturm das Wellblechdach von einem Teil des Gebäudes geweht. Seit Monaten ist ein Klassenraum unbenutzbar, ein anderer nur halb überdacht. Der Schulleiter weiß keinen Rat. In der Kirche nebenan betreut eine junge Frau 18 kleine Kinder. Über ihren zerschlissenen Hemden und Hosen tragen sie lätzchenartige rosa Umhänge. Spielzeug ist nicht zu sehen. "Das ist die gemeindeeigene Vorschule", erläutert der Pastor. Die Eltern zahlen dafür umgerechnet 12 Euro im Jahr. Die Lehrerin erhält 7,50 Euro im Monat. "Das heißt sie arbeitet praktisch ehrenamtlich", fügt der Pastor hinzu.
Die 150.000-Einwohner-Stadt Nkongsamba unterscheidet sich kaum von den Dörfern im Umland. Die meisten Straßen sind Staub-und bei Regen Schlammpisten. Asphaltstraßen sind rar und bestehen vor allem aus Schlaglöchern - selbst im Vergleich zu anderen Großstädten Kameruns ist der äußere Eindruck desolat. Dabei ist die Stadt ein Zentrum des Kaffee-und Bananenanbaus.
Entsprechend sehen auch die evangelischen Schulen aus: löchrige Lehmwände, gestampfte Fußböden, überfüllte Räume; die Schulhöfe sind in der Regenzeit verschlammt, in der Trockenzeit Staubbüchsen. Immerhin, die 45 Kinder der Vorschulklasse im Stadtzentrum haben intakte Möbel und ein paar Bauklötze zum Spielen. In einem Regal liegen ihre kleinen Rucksäcke. Die Wand daneben dominiert das Bild eines großen Weihnachtsmanns mit einer Mütze in den kamerunischen Nationalfarben grün, gelb und rot. Betreut von drei Lehrerinnen verbringen die Drei-bis Fünfjährigen hier die Vormittage.
Seit ein paar Jahren versuchen die evangelischen Schulen, die Eltern stärker mit in den Schulalltag einzubeziehen. In Nkongsamba und Umgebung haben sich zahlreiche Elternvereine gegründet. Wir helfen bei kleineren Arbeiten in den Schulen , berichtet Moisé Nzemgué vom Dachverband des Bezirks. Die Eltern zahlen 500 CFA-Franc (0,75 Euro) Mitgliedsbeitrag im Jahr. Selbst diese geringe Summe macht es den Vereinen schwer, Mitglieder zu finden. "Ein Sack Kaffee bringt heute 6000 CFA-Franc, der Sack Saatgut hat aber 8000 bis 9000 Franc gekostet", beschreibt Nzemguâ die finanzielle Lage vieler Eltern. Deshalb könnten sich auch in Nkongsamba immer weniger Familien das Schulgeld leisten. Bisher stehen die Eltern dieser Situation noch ratlos gegenüber. Hilfsangebote für Familien mit Zahlungsschwierigkeiten gebe es nicht.
Angesichts vieler Villen und großer Autos vor allem in der Hauptstadt Yaundé und in der Wirtschaftsmetropole Douala fragt sich der unbedarfte Beobachter, warum sich diese reichen Kameruner, insbesondere die ehemaligen Absolventen der Schulen, nicht mehr für das private Bildungssystem engagieren. "Ich war zwölf Jahre Schatzmeister der evangelischen Kirche und weiß, wie schwer es ist, Reiche zum Spenden zu bewegen", antwortet Samuel Kondji, der die kirchlichen Einrichtungen des Bezirks koordiniert. "Die meisten sind misstrauisch und fürchten, dass sich die Schuldirektoren bereichern wollen." Früher habe es auch nicht so strikte Kontrollen gegeben, ergänzt er und lässt damit durchblicken, dass tatsächlich Geld in undurchsichtigen Kanälen verschwunden sein dürfte. Außerdem sei in der Kolonialzeit alles von den Europäern bezahlt worden. Die Kameruner würden sich nur schwer daran gewöhnen, dass sie selbst die Verantwortung tragen müssen.
Eigenverantwortung steht auch für Michel Moukouri ganz oben, wenn es darum geht die Schulen der protestantischen Kirchen aus der Misere zu führen. Er ist der oberste Chef der 239 evangelischen Vor- und Grundschulen in Kamerun und zugleich als Sekretär für das Privatschulwesen im Bildungsministerium die Schnittstelle zur staatlichen Bildungspolitik. Moukouri bemüht sich seit einigen Jahren um die Reform des evangelischen Schulwesens. "Natürlich sind die Einkommensverluste vieler Familien eine Ursache für die Probleme", sagt er. Die Preise für Kaffee, Kakao und Baumwolle unterliegen starken Schwankungen mit fallender Tendenz. Beamte verdienen wegen der prekären Haushaltslage heute weniger als die Hälfte dessen, was sie Mitte der achtziger Jahre bekamen. 1994 wurde außerdem der an den Französischen Franc gebundene CFA-Franc um 50 Prozent abgewertet.
Seit Mitte der achtziger Jahre hat die Regierung auch die Bildungsausgaben stark zurückgefahren. Innerhalb von nur vier Jahren verloren die Primarschulen 25 Prozent, die Sekundarschulen sogar 40 Prozent ihres Budgets. Entsprechend kürzte die Regierung die Subventionen für das Privatschulwesen, die sie seit 1976 Konfessionsschulen zugestanden hatte, und setzten sie zeitweise sogar ganz aus. Die Schulen reagierten auf den Verlust der Zuschüsse, indem sie ihrerseits die Zahlungen an den Staat einstellten. Sie führten keine Lohnsteuern und Sozialabgaben mehr ab und häuften so einen riesigen Schuldenberg an. Die Kirchenleitung verschloss davor lange die Augen. "Die Schulden bei der Sozialversicherung haben nicht nur die Glaubwürdigkeit der Kirche gegenüber dieser Institution zerstört, sondern auch die Leistungsansprüche unserer Mitarbeiter verwirkt", analysiert Charles Tcheyep vom Bildungsreferat der Föderation der evangelischen Kirchen und Missionswerke (FEMEC) die Lage.
Vor fünf Jahren schließlich begann Michel Moukouri zusammen mit der damaligen Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE), die heute zum Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) gehört, systematisch nach Lösungen für die Entschuldung der kirchlichen Einrichtungen zu suchen. Dazu gehört nicht nur der intensive Dialog mit dem Staat und ausländischen Partnern. Mit rund 500.000 Euro pro Jahr fördert der EED gezielt die Weiterbildung des Verwaltungspersonals sowie der Lehrer und beteiligt sich an pädagogischen Reformprojekten wie der vom Hamburger Erziehungswissenschaftler Rainer Kokemohr initiierten Pilot-Schule in Mbô im Westen Kameruns. "Unser Ziel ist eine Pädagogik, die die Schülerinnen und Schüler mehr in den Mittelpunkt stellt und sie stärker in die Gestaltung des Unterrichts einbezieht", beschreibt Rudolf Heinrichs-Drinhaus vom EED-Afrika-Referat die Grundsätze des Engagements.
Mit der katholischen Kirche arbeiten die protestantischen Kirchen im Bildungsbereich eng zusammen. Für Paul Samangassou ist das selbstverständlich, denn die Probleme seien fast identisch. Samangassou arbeitet für die katholische Bischofskonferenz. Auch die katholischen Schulen können ihre Lehrer kaum noch bezahlen, seitdem der Staat die Subventionen zusammengestrichen hat und immer weniger Eltern das Schulgeld bezahlen können. Die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche ist auch deshalb wichtig, weil es in Kamerun doppelt so viele Katholiken wie Protestanten gibt. Etwas mehr als ein Drittel der rund 15 Millionen Kameruner bekennt sich zum Katholizismus, ein knappes Fünftel ist Mitglied in einer protestantischen Kirche. Entsprechend größer ist die Zahl der katholischen Schulen.
Inzwischen sieht Samuel Kondji aus Nkongsamba schon erste Erfolge der Reformbemühungen: "Es gab eine Zeit, in der wir alle entmutigt waren. Aber mit dem neuen seit 1999 amtierenden Kirchenvorstand geht es besser. Es werden Seminare organisiert, die Mitarbeiter nehmen an Fortbildungen teil." Kondji, der selbst die evangelische Druckerei in Nkongsamba leitet, fühlt sich dadurch ermutigt, wieder an der Zukunft seines Unternehmens zu planen und nach Partnern zu suchen. "Wir zeigen dem Staat, dass die Einrichtungen der Kirche zum Nutzen des Landes arbeiten wollen."
aus: der überblick 04/2002, Seite 39
AUTOR(EN):
Thomas Moesch:
Thomas Mösch ist freier Journalist und lebt in Hamburg.