In Hamburg sagt man "tschüß"
Mit diesem Heft verabschieden sich "überblick"-Redaktion und -Vertrieb, das Büro in der Hamburger Dammtorstraße wird zum Jahresende geschlossen.
Aufgeschlossen hat jeden Morgen Heinke Stökl. Aufgewachsen in Hermannstadt, mit Dritte-Welt-Erfahrung als Au-pair in Venezuela, war sie über ihre Tätigkeit als Sekretärin für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und für das Evangelische Missionswerk (EMW) zum "überblick" gekommen. Neben dem allgemeinen Redaktionsbetrieb hat sie auch noch die Finanzen bearbeitet, Honorare ins In- und Ausland geschickt und den Eingang der Abonnementsgebühren überwacht. Mich hat das Engagement aller hier in der Redaktion sehr beeindruckt.
Kaum waren die Geräte angeschaltet und der Kaffee gekocht, bekam sie Gesellschaft von Bärbel Navab-Pour. Auch sie mit der weiten Welt gut vertraut, hat sie doch mit ihrer Familie einige Jahre in Teheran und später in Washington gelebt. Ihre Aufgabe war die Abonnentenbetreuung, beim "überblick" schon immer als Leser-Service verstanden. Und noch eine Menge mehr, denn von Haus aus ist sie Grafikerin. Und Bilder malt sie auch, die zeitweise in der Redaktion hingen. Zwölf Jahre war ich beim überblick, und es hat mich immer wieder erstaunt und gefreut, wenn Leser anriefen, die unsere Zeitschrift bereits zwei- bis dreimal so lange abonniert haben. Ich hätte sie gern noch weiter betreut.
Für eine Journalistin früh im Dienst war auch Odile Jolys aus Paris und ebenfalls mit viel Welterfahrung zum "überblick" gekommen. Wenn der Rest der Redaktion mal wieder dabei war, zu diskutieren, was Entwicklungshilfe leisten und ob und wie man sich an Militäreinsätzen beteiligen sollte, dann hat sie immer wieder erfrischend deutlich gemacht, dass am deutschen Wesen die Welt nicht genesen muss, dass wir doch bitte endlich normal sein sollten. Beim überblick habe ich gelernt, dass ein guter Artikel nicht einer ist, der die eigene Meinung bestätigt, sondern einer, der gründlich argumentiert und gut geschrieben ist. "der überblick" pflegte einen intellektuellen Anspruch und knüpfte an internationale Debatten an; das hat die Arbeit so interessant gemacht. Liebe Leser, liebe Frau Wilke-Launer, vielen Dank. Sie ist sich ganz sicher, dass eines Tages jemand anders das Format und die besondere Mischung der Zeitschrift aufgreifen und ihr Erbe antreten wird (odile.jolys@web.de).
Nur Jürgen Duenbostel konnte für sich in Anspruch nehmen, als Auslandskorrespondent gearbeitet zu haben. Viele Jahre hat er von Botswana aus über Afrika berichtet, und wenn es gar zu prinzipiell wurde im "überblick", hat er mit einer Anekdote aus dieser Zeit deutlich gemacht, dass am Ende doch alles etwas widersprüchlicher und pragmatischer zugeht. Wie alle anderen hatte er beim "überblick" auch noch einen ehrenamtlichen Zweitjob: Webmaster mit unendlicher Geduld für nach technischer Hilfe schreiende Kollegen. Nach einem langen journalistischen Berufsleben lässt sich sagen, dass ich nirgendwo eine so sorgfältige Bearbeitung der Texte erlebt habe wie beim "überblick". Weil das immer seltener geschieht, wurde diese Zeitschrift immer wichtiger.
Nicht immer, aber immer öfter als letzte erschien Renate Wilke-Launer, mit einem Stapel Zeitungsausschnitten unter dem Arm. Deshalb fanden Angebote oder Artikel, die mit einer Medienbeschimpfung begannen, in der Regel keine Gnade vor ihren Augen und meist auch nicht den Weg in den "überblick". Wozu aber angesichts dieser Vielfalt und Qualität dann noch eine eigene Zeitschrift machen? Um den Spagat zu versuchen, in der Kirche verankert und mit Wissenschaft und Journalismus verbunden, ein Blatt für neugierige Menschen zu machen. Wie Odile Jolys ist sie sicher, dass die besondere publizistische Mischung von der überblick irgendwo anders weiter gepflegt werden wird. Und hoffentlich eines Tages auch wieder unter dem Dach ihrer Kirche (Renate.Wilke-Launer@t-online.de).
Spät am Abend kamen die freundlichen Menschen, die das Büro gereinigt haben. Das Kopfschütteln über das viele Papier haben sie wohl nie aufgegeben; dass da zu dieser Stunde noch Redakteure saßen, wohl auch nicht gut geheißen. Dass die Zeitschrift eines Tages für entbehrlich gehalten wurde, haben sie wohl am ehesten verstanden, aber sich dann doch gewundert, wie lange sich so eine Entscheidung hinzieht und wie viele Jahre sie noch Staub wischen konnten.
aus: der überblick 04/2007, Seite 138