Gespräch mit Wilfried Steen, Mitglied des Vorstandes des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED)
Welche Erwartungen haben Sie gegenwärtig an den Evangelischen Entwicklungsdienst EED?
Als Vorstand erwarten wir vom EED, dass er neue Impulse setzt im Blick auf entwicklungspolitische und Nord-Süd-Fragen. Außerdem erwarten wir, dass der EED als Nord-Süd-Werk in einer finanziell sehr sparsamen Form arbeitet, dass wir öffentlichkeitswirksamer werden und dass wir mehr Power entwickeln bei der Verankerung dieser Arbeit in der Kirche. Damit bin ich bei meinem zweiten Punkt. Ein "Herzensanliegen" von mir persönlich ist, dass die seit Jahrzehnten erfolgreiche Projektförderung stärker als bisher unterfüttert wird durch ein profiliertes entwicklungspolitisches Engagement des neuen Werkes.
Interview mit Wilfried Steen
Das Gespräch führte Frank Kürschner-Pelkmann
Wenn man den EED aus der Perspektive der Partner im Süden betrachtet, was wird sich für sie verändern und welche Erwartungen können sie an den EED haben?
Mir ist wichtig, dass sich die Intensität der Zusammenarbeit mit den Partnern im Süden eher verstärkt als verringert. Aber wir brauchen in der Zusammenarbeit neue Impulse. Das eingeschliffene System der Projektförderung von Partnern im Süden bedarf immer wieder der Prüfung und Neujustierung. Wir erhoffen uns, dass wir die entwicklungs-politischen Dimensionen unserer Arbeit besser erkennen und die anwaltliche Vertretung unserer Partner in Übersee besser leisten können. Das ist übrigens auch ausdrücklicher Wunsch mancher Partner im Süden.
Wie soll die Lobby- und Advocacy-Arbeit des EED konkret aussehen, soweit man dies heute schon sagen kann?
Wir können diese Arbeit nicht am grünen Tisch entwerfen. Wir können – so glaube ich – mit Stolz sagen, dass die bisherigen Ansätze dieser Arbeit ins Schwarze getroffen haben. Die Erlassjahrkampagne, manche Nord-Süd-Dialoge mit der Industrie und Kampagnen wie die gegen die Kinderprostitution sind auch auf Initiative der bisherigen Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst erfolgt. Diese Initiativen wollen wir in Zukunft stärken und institutionell besser verklammern. Sie standen bisher eher am Rande und wurden erst dann aufgegriffen, wenn viele Leute Druck gemacht haben. Erst dann gelang die Übersetzung in eine größere Öffentlichkeit. Diese Instrumente lassen sich im EED – so ist meine Hoffnung - gezielter einsetzen.
Welche Rolle wird die Inlandsarbeit, wie sie bisher vom Ausschuss für entwicklungsbezogene Bildungsarbeit und Publizistik (ABP) gefördert worden ist, im EED spielen?
Wir hoffen darauf, dass das Potential der Inlandsarbeit in Zukunft besser mit dem der anderen Schwerpunkte verklammert werden kann. Wir wünschen uns eine offene Architektur des neuen Werkes, offen auf jeden Fall in Richtung auf Sensoren und Impulsgeber, wie sie bisher vom ABP gefördert worden sind. Die Zusammenarbeit mit Gruppen, Initiativen und Gemeinden soll fortgeführt und intensiviert werden.
Sie sind gegenwärtig neben ihrer Funktion als EED-Vorstandsmitglied auch Geschäftsführer des Kirchlichen Entwicklungsdienstes (KED). Welche Auswirkungen hat der Gründungsprozess des EED auf KED?
KED wird sich als – kleine – Organisation auflösen in den großen EED. Das ist von KED auch immer betrieben worden, wir hoffen aber, dass das Erbe von KED sinnvoll vom EED aufgenommen wird: die Gemeinschaftsaufgabe der Kirchen, die nicht nur in den finanziellen Leistungen zum Ausdruck kommt, sondern auch in der Zusammenarbeit mit Gemeinden, Kirchenkreisen und kirchlichen Gruppen.
Wie haben die Landeskirchen im Blick auf KED auf die Gründung des EED reagiert?
In den Landeskirchen gibt es eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der Bewertung des Zusammenführungsprozesses im EED. Man wartet die Ergebnisse ab. Ich bin aber positiv überrascht, dass die Anmeldungen für die KED-Beiträge für das Jahr 2000 keine nennenswerten Einbrüche aufweisen, sondern im Großen und Ganzen einen Gleichstand zum Jahre 1999 bringen. Das Jahr 1999 hat uns 6 Prozent mehr KED-Beiträge
gebracht als uns angekündigt worden waren. Darüber sind wir sehr erfreut und hoffen, dass dies im Jahre 2000 ähnlich sein wird.
Der zweite Partner innerhalb des EED ist Dienste in Übersee. Wie weit sind die Verhandlungen im Blick auf die Integration von DÜ in den EED und den Umzug nach Bonn?
DÜ versteht sich als Personalaustauschorganisation, und wir haben innerhalb des kirchlichen Entwicklungsdienstes immer wieder betont, wie wichtig uns die personelle Förderung der Vorhaben unserer Partner in Übersee ist. Der EED will nicht nur finanzielle Förderung von Partnern, sondern auch mit Menschen etwas bewegen können. Das Motto von Dienste in Übersee "Menschen bewegen" ist nicht auf den Umzug nach Bonn gemünzt, sondern auf die Arbeit mit den Partnern in Übersee.
Was die Integration von DÜ in den EED angeht, so ist noch manches offen und bedarf der Klärung. Erkennbar ist aber, dass die Mitarbeitenden von Dienste in Übersee mittlerweile die Situation realistisch sehen und auch wissen, dass ein Umzug nach Bonn unumgänglich ist. Welche Konsequenzen die einzelnen Mitarbeitenden bei DÜ daraus ziehen, ist noch offen. Erst bei der Ankündigung der Überleitungen wird dies deutlich werden. Die Betroffenheit unter den Mitarbeitenden ist für mich verständlich, denn wer wird schon gern zum Umzug gezwungen?
Ein weiterer Partner im EED ist das Evangelische Missionswerk in Deutschland (EMW). Es hat in letzter Zeit immer wieder Verhandlungen über die Beziehungen zwischen den beiden Werken gegeben. Wie ist der gegenwärtige Stand der Diskussion?
Es hat einen bemerkenswerten Vorstoß des EMW gegeben im Blick auf die Frage, ob nicht das EMW als Ganzes Teil des EED werden sollte. Diese Initiative hat bei der EKD nicht gerade Begeisterung ausgelöst, denn im Kirchenamt wird die Zusammenführung der Hauptabteilung III des Kirchenamtes und des EMW in Hannover als zukunftsträchtige Lösung gesehen. Im Augenblick ist man dabei zu sondieren, welche Kooperationsform die beste ist. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Das EMW hat erklärt, es wolle erst einmal selbstständig und in Hamburg bleiben. Davon unberührt ist die Eingliederung des Arbeitsbereiches Ökumenisch-Missionarischer Weltdienst des EMW in den EED. Auch wenn wir noch keine detaillierten Pläne für einen Übergang haben, ist völlig klar, dass das Erbe des ÖMW in keinem Falle im EED untergehen darf. Gerade die Förderung kirchlicher Partner, wie sie in den Referaten Gesellschaftsbezogene Dienste, Kommunikation und Folgekosten erfolgt ist, soll auch im EED fortgesetzt werden.
Als ein Manko innerhalb des EED wird angesehen, dass es nicht gelungen ist, Brot für die Welt in das neue Werk zu integrieren. Es gibt einerseits die mehr pragmatischen Überlegungen, wie das neue Werk und Brot für die Welt zusammenarbeiten können, es bleibt aber auch die Frage, ob es längerfristig zu einer Fusion kommen kann. Wie ist der Stand der Diskussion in beiden Fragen?
Der EED ist gegenwärtig in Kooperationsverhandlungen mit Brot für die Welt. Zwei rechtlich selbstständige Einrichtungen, das Diakonische Werk der EKD und der EED, werden einen Vertrag schließen. Darin werden noch keine Vereinbarungen über eine eventuelle Fusion enthalten sein. Nach wie vor wird es aber den Mitgliedskirchen schwer zu vermitteln sein, dass es zwei evangelische Entwicklungswerke gibt. Es wird schwierig sein, in den Synoden dafür eine Begründung zu geben. Deshalb tendiere ich zu der Meinung, dass es über kurz oder lang zwischen EED und Brot für die Welt zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit kommen wird, bis hin zu einer Fusion. Das wird wahrscheinlich durch den Druck der Mitgliedskirchen, unter Umständen auch durch die Finanzknappheit der kommenden Jahre erzwungen.
Eine der Errungenschaften in der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (AG KED) war in den letzten Jahren die verstärkte Frauenförderung. Wie wird dieses Anliegen im EED aufgenommen?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht einfach beantworten. Wir behaupten immer, dass die Frage der Frauenförderung ein Querschnittsthema ist und durch alle Arbeitsbereiche des neuen EED wahrgenommen werden muss. Die Frauen haben uns aber schon vorgehalten, dass dieses Argument eine Ausrede darstellt. Ich bin sicher, dass die Frauen im EED genauso wie in der AG KED Druck machen werden. Der EED-Vorstand wird nicht umhinkommen, diesem Thema einen hohen Stellenwert einzuräumen.
In Stellungnahmen von Mitgliedern von Aufsichtsrat und Vorstand des EED wird häufiger der theologischen Arbeit des EED ein hoher Stellenwert eingeräumt. Lässt sich das konkretisieren?
In der Vergangenheit ist es in den Werken der AG KED nicht in ausreichendem Maße gelungen, die wichtige Förderungstätigkeit in Übersee und die Inlandsarbeit mit den kirchlichen Aktivitäten auf Gemeinde-, Kirchenkreis- und Landeskirchenebene zu verzahnen. Diese Vernetzung wird von vielen Beteiligten als unabdingbar erachtet, denn zum Beispiel in der Partnerschaftsarbeit ist ein bisher nicht recht beachtetes Potential vorhanden. Dies wollen wir für die Gesamtarbeit, für unseren Gesamtauftrag der Überwindung von Armut und ihrer Ursachen fruchtbar machen.
Deshalb legen wir Wert darauf, dass der EED nicht nur eine säkulare Fachorganisation für Entwicklungsarbeit ist. Der Auftrag dieses Werkes ist theologisch begründet. Der Zusammenhang von Zeugnis und Dienst in unserer Satzung wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas aufgesetzt, ist es aber nicht, denn hier zeigt sich das zentrale Element unserer Arbeit und soll es auch bleiben.
In welcher Form wird diese Aufgabe im EED verwirklicht werden?
Unser größtes Defizit besteht nicht darin, dass der EED keine theologische Abteilung hat. Ich wünsche mir, dass in allen Arbeitsbereichen des neuen Werkes die Auseinandersetzung mit theologischen Fragen geführt wird. Theologische Arbeit im EED kann doch nur heißen, dass wir unseren Dienst nach dem Maßstab der biblischen Botschaft prüfen und einen sinnvollen Beitrag im Rahmen der ökumenischen Bewegung leisten, damit Menschen nicht mehr in ihrer Menschenwürde verletzt werden.
Wie sieht der Zeitplan der nächsten Monate für den Aufbau des EED aus?
Wir haben die erste Phase der Strategiebildung im Organisationsentwicklungsprozess abgeschlossen und gehen jetzt in die zweite Phase, in der Konsequenzen für die Organisation des EED herausgearbeitet werden sollen. Die erste Phase konnte sehr rasch abgeschlossen werden – dank des vorbildlichen Einsatzes der Mitarbeitenden, die manche Zweifel zurückgestellt haben. So wird es hoffentlich bald mehr Klarheit über die Gestalt der Aufbauorganisation des EED geben.
aus: der überblick 02/2000, Seite 108