Die Zustände in den Gefängnissen Südafrikas sind seit dem Ende der Apartheid eher schlimmer geworden. Und darunter leiden die Untersuchungshäftlinge am meisten, klagt Helen Suzman, die nach 1994 Mitglied der südafrikanischen Menschenrechtskommission war und weiter einzelne Häftlinge betreut.
Interview mit Helen Suzman
Die Fragen stellte STEPHEN LAUFER
Südafrika und die politischen Veränderungen im Land werden international allgemein günstig beurteilt. Trifft dieses Bild auch für die aus der Apartheidszeit berüchtigten Gefängnisse des Landes zu?
Leider nicht. Dort ist es, wenn überhaupt, seitdem schlimmer geworden. Ich kenne die Gefängnisse natürlich aus meiner Zeit als Parlamentarierin, als ich politische Gefangene besucht habe, unter ihnen Nelson Mandela. Ich habe sie auch bis vor zwei Jahren in meiner Eigenschaft als Mitglied der Menschenrechtskommission inspiziert, und heute noch betreue ich im Leeuwkop- Gefängnis bei Johannesburg den berühmten Volksdichter Mzwake Mbuli.
Wie kommen Sie dazu, Mbuli, der wegen Bankraubs einsitzt, zu betreuen?
Er wird von der gleichen Künstleragentur betreut wie meine Nichte Janet, und als er festgenommen wurde, haben sie mich um Unterstützung gebeten. Abgesehen von den meiner Meinung nach berechtigten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit seiner Verurteilung habe ich seit seiner Inhaftierung verheerende Dinge in den Haftanstalten gesehen.
Was sind die auffälligsten Probleme?
Zunächst die Dauer der Untersuchungshaft. Mbuli saß 18 Monate hinter Gittern, bevor es überhaupt zu einem Prozess gekommen ist. Und er ist bei weitem kein Einzelfall. Neulich ist eine Frau, die verdächtigt wird, diverse Betrugs- und Raubfälle begangen zu haben, nach fast sechs Jahren Untersuchungshaft auf Kaution freigelassen worden - und es ist immer noch nicht zum Prozess gekommen. Das Problem liegt zunächst in der schlechten Zusammenarbeit der Polizei-, Justiz-und Gefängnisbehörden begründet. Die Dinge sind im Moment wirklich chaotisch. Akten gehen verloren, Gefangene erscheinen nicht zum Termin oder werden zur falschen Zeit am falschen Tag ins Gericht transportiert, Zeugen werden nicht benachrichtigt. Das Justizsystem - die Polizei, die Anklagebehörden und die Gefängnisse - kommt einfach mit der Kriminalität nicht zu Rande. Es gibt nicht genügend Richter, die Polizei ist schlecht ausgebildet, um nur einige Beispiele zu nennen.
Was sind die Folgen dieser Desorganisation?
Die habe ich bei meinem ersten Besuch bei Mbuli vor mehr als zwei Jahren gesehen. Damals war ich noch Mitglied der Menschenrechtskommission, und ich bin vom Direktor des Gefängnisses in Pretoria sehr freundlich empfangen worden. Man hat mich in Mbulis Zelle geführt, und es war wirklich entsetzlich. Sie war für 25 Personen gebaut worden. Ich fand 50 Menschen dort vor, alle Untersuchungshäftlinge. Heute sind es sogar 69! Es gab schon damals, als Mbuli dort einsaß, keine Betten, zu wenige Decken, die Gefangenen mussten sich beim Schlafen abwechseln. Die Toilette funktionierte wegen Überbeanspruchung nicht mehr, es gab kein Warmwasser, obwohl es Winter war. Die Gefängnisse sind alt, sie werden nicht in Stand gehalten. Mbuli war schon seit einigen Monaten da, und ich habe seine Zellengenossen gefragt, wie viele schon länger als sechs Monate einsaßen. Es gab eine Menge erhobener Hände. Dann fragte ich, wie vielen Kaution gewährt worden war - wieder eine Menge Handzeichen. Aber sie hatten das Geld für die Kautionszahlung nicht.
Wie unterscheiden sich die Haftbedingungen der Untersuchungsgefangenen von denen der Verurteilten?
Sie sind erheblich schlechter. Wenn man erst einmal verurteilt ist, kann man arbeiten oder studieren, falls Kurse angeboten werden. Aber die Untersuchungshäftlinge werden einfach 23 Stunden am Tag eingesperrt. Sie haben eine Stunde Freigang, ansonsten sitzen sie nur.
Wie viele Untersuchungshäftlinge gibt es in Südafrikas Gefängnissen?
Ein Drittel aller Gefängnisinsassen, mehr als je zuvor. Man hat unter dem Druck der Öffentlichkeit eine strengere Kautionsregelung eingeführt, aber trotzdem bleiben oft die Falschen sitzen. Ich bin dafür, allen Kaution zu gewähren, denen Delikte vorgeworfen werden, bei denen Gewalt keine Rolle gespielt hat. Zur Zeit sitzen Menschen wegen Lappalien ein, während Gewalttäter, die Zugang zu Geld und guten Anwälten haben, frei herumlaufen.
Welche Rolle spielt die öffentliche Debatte darüber, dass man die Täter härter bestrafen und die Bedingungen in den Anstalten verschärfen sollte?
Man hört einen öffentlichen Aufschrei, vor allem über die gestiegene Gewaltbereitschaft der Täter. Wenn man heute die Bevölkerung über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen ließe, bin ich sicher, dass 95 Prozent dafür wären - Schwarze und Weiße. Das Ergebnis dieser Stimmung war ein Staatssekretär für das Gefängniswesen, der wirklich abstruse Ideen verbreitet hat, bevor er wegen anderer Sachen seinen Hut nehmen musste. Er hat beispielsweise vorgeschlagen, verurteilte Täter 2500 Meter unter der Erde in ausgedienten Bergwerken unterzubringen.
Sind verschärfte Haftbedingungen, beispielsweise im neuen Hochsicherheits-Trakt, die richtige Antwort auf Südafrikas Probleme mit steigender Kriminalität?
Ich glaube nicht. Die Arbeitslosigkeit und der Mangel an Ausbildung treiben doch so viele junge Menschen in die Kriminalität. Ich gehöre noch zu denen, die für eine ordentliche Rehabilitierung plädieren - und dafür, dass junge Leute von den Gefängnissen fern gehalten werden, indem man ihnen eine andere Perspektive bietet. Man hat in den Gefängnissen neulich diverse Privilegien abgeschafft - beispielsweise individuelle Fernsehgeräte in den Zellen. Ich glaube, nicht weil dadurch bessere Menschen erzogen werden oder besser Disziplin zu halten ist, sondern weil die Behörden sich von Rache leiten lassen. Es ist wirklich selbst in den besseren Anstalten wie Leeuwkop, wo Mbuli mittlerweile eine Einzelzelle und Arbeit auf der Gefängnisfarm hat, nicht so, dass die Häftlinge im Fünfsternehotel untergebracht wären.
Hat dieser Wunsch nach Rache etwas spezifisch Südafrikanisches? Oder hat es mit dem regierenden ANC zu tun? Der Minister für den Strafvollzug, ist allerdings ein führendes Mitglied von Mangosuthu Buthelezis Inkatha Freedom Party, dem Koalitionspartner des ANC.
Mit dem ANC hat das eher nicht zu tun. Vielleicht wird der Minister vom Ehrgeiz eines jeden Politikers getrieben, die Dinge anders zu machen. Außerdem war Südafrikas Gefängnissystem im internationalen Vergleich schon immer besonders hart. Es hat schon immer die Einstellung gegeben, dass Straffällige irgendwo verrotten sollten. Diese Haltung hat sich angesichts der gestiegenen Kriminalität höchstens verstärkt.
Kennen Sie C-Max, den neuen Hochsicherheitstrakt?
Ich habe die Einrichtung in Pretoria besucht, als sie in Dienst genommen wurde. Man bekommt es dort mit der Angst zu tun. An beiden Seiten eines langen Korridors stehen vielleicht 200 enge Einzelzellen ohne direktes Tageslicht. Das Licht kommt von oben, das Essen wird durch eine Schleuse hineingegeben, die Gefangenen sind 23 Stunden am Tag strikt isoliert. Ich glaube nicht, dass dort studiert werden darf. Es ist wirklich inhuman. Ich bin sicher, dass es gegen internationale Normen verstößt.
Hat sich die Menschenrechtskommission gegen C-Max ausgesprochen?
Sie hat eine von mir formulierte Erklärung abgegeben, aber wir haben bei weitem nicht genug opponiert. Wir hätten richtig Stunk machen müssen. Nicht dass ich unbedingt dafür bin, Kriminelle mit Samthandschuhen anzufassen. Aber die Wirkung eines Hochsicherheitstraktes ist bestenfalls höchst fragwürdig. Die Menschenrechtskommission hat meiner Meinung nach die falschen Prioritäten gesetzt. Wir hätten viel mehr die schwierigen Themen wie Polizei und Gefängnisse anpacken müssen.
Die Behörden versuchen durch Privatisierung der Gefängnisse und den Neubau von Haftanstalten die Bedingungen zu verbessern. Was halten Sie davon?
Es sind drei Gefängnisse im Bau, und sie werden dringend benötigt. Aber wir zäumen das Pferd vom falschen Ende auf. Wenn wir mehr Arbeit schaffen und dafür sorgen könnten, dass die Kriminalität zurück geht, wären weniger Gefängnisplätze nötig. Stattdessen ist die Situation genau umgekehrt.
Was könnten die Südafrikaner kurzfristig tun, um die Situation in den Gefängnissen zu entspannen?
Ich habe es häufig genug in der Öffentlichkeit gesagt, und ich sage es noch einmal: Man sollte das Rauchen und den bloßen Besitz von Marihuana legalisieren. Es sitzen viel zu viele wegen solcher Delikte ein. Und in den Gefängnissen ist Marihuana die illegale Währung. Außerdem ist Alkohol eine viel größere Ursache von Gewalt. Marihuana ist ja ein Sedativ.
Ist die Situation im ganzen Land so schlimm, wie Sie sie in Pretoria erlebt haben?
Nein. Viel hängt von den einzelnen Anstaltsleitern ab. Es gibt natürlich Gefängnisse, in denen die Leitung sich um Studien-oder Arbeitsmöglichkeiten bemüht. Außerdem versucht die Regierung, das System in den Griff zu bekommen.
Helen Suzman war jahrzehntelang eine der renommiertesten Verfechterinnen der Menschenrechte in Südafrika. Sie ist 1917 als Tochter litauischer Einwanderer geboren. 1953 schloss sie sich der United Party an, die damals die Opposition im ausschließlich weißen Parlament stellte. Als diese Partei sich Ende der fünfziger Jahre zerstritt, wie entschieden sie einzelnen Aspekten der Apartheidpolitik entgegentreten sollte, beteiligte sich Suzman an der Gründung der liberalen Progressive Party. Von 1959 bis 1973 war sie deren einzige Abgeordnete im Parlament und trat dort allein als scharfe Kritikerin der Apartheid auf; mehrfach kam die einzige Gegenstimme gegen Gesetze der Apartheid von ihr. Erst 1974 zogen sechs weitere Abgeordnete der Progressive Party ins Parlament ein; aus der Partei ging infolge von Parteiübertritten, Abspaltungen und Zusammenschlüssen schließlich die Democratic Party hervor, die heute im Parlament die stärkste Oppositionspartei ist. Suzman zog sich vor zehn Jahren aus dem Parlament zurück. Nach den ersten freien Wahlen 1994 wurde sie zunächst Mitglied der neu gegründeten Menschenrechtskommission. Heute lebt sie in Johannesburg als Pensionärin. bl
aus: der überblick 01/2000, Seite 61