Ein Kommentar
Die ersten Immigranten aus Nordafrika hatten hierzulande keine Möglichkeit, typische Gerichte aus ihren Heimatländern zu kochen. 99 Prozent waren Männer, die nicht kochen konnten, und für einen Import exotischer Produkte aus ihrer Heimat waren es zu wenige. Heute ist das anders. Die Männer haben sich inzwischen Frauen aus der Heimat geholt, die Familien haben Kinder bekommen. Und als dann immer mehr Menschen aus Afrika da waren, hat sich auch ganz schnell ein Markt für Produkte aus Afrika entwickelt. Inzwischen sind sie sogar frisch erhältlich. Und weil mit den Frauen auch die Kochkünste aus der Heimat gekommen sind, kann sich nun die gesamte Familie um das gewohnte, gute Essen versammeln.
von Ibrahim Gueye
Doch nicht nur das Couscous erinnert an die Heimat. Man kann beim Essen auch problemlos über Satellitenempfang hören und sehen, was dort los ist und später mit den Angehörigen telefonieren. Durch die Liberalisierung der Märkte wurde das Telefonieren Jahr für Jahr billiger und ist mittlerweile über das Internet sogar fast kostenlos, sofern beide Ansprechpartner mit derselben Software kommunizieren. Wer früher aus Kostengründen nur seltener mit der Heimat telefonierte und nur das Nötigste sagte, kann nun in aller Ruhe die Tagesereignisse besprechen.
So bleibt man verbunden. Man stelle sich die Frau eines Immigranten vor, die kein Deutsch spricht und sich um ihre Kleinkinder kümmern muss, weil ihr Mann den ganzen Tag bei der Arbeit verbringt. In solchen Fällen darf man sich nicht wundern, dass diese Frau zum Telefon greift und mit ihrer Familie in der Heimat telefoniert, sobald sie ein bisschen Luft bekommt. Das nennt man Sehnsucht. Eine andere Variante dieser Sehnsucht kommt aus der Bildröhre. Früher bestellte man Videofilme aus der Heimat. Heute bekommt man alles live über die Satellitenschüssel angeboten. Da die ganze Familie abends und an Wochenenden stundenlang vor der Mattscheibe sitzt, beeinflusst das heimische Fernsehen ihr Bewusstsein stark.
Doch das hat Folgen: Einwanderer benötigen heute mehr Zeit als ihre Landsleute vor 20 Jahren, um die deutsche Sprache zu erlernen. Früher war der Druck auf die Immigranten so groß, dass sie schneller Deutsch gelernt haben. Sie lebten allein, waren gezwungen, Kontakte zu deutschen Kollegen beziehungsweise Kommilitonen zu suchen und zu pflegen, und lernten auf eine natürliche Art und Weise schnell Deutsch. Allein in den vier Wänden fiel ihnen schnell die Decke auf den Kopf. Also gingen sie aus und trafen zwangsläufig Deutsche in der Kneipe, beim Sport und in allen möglichen Freizeiteinrichtungen.
Die Immigranten von heute flitzen direkt nach Feierabend nach Hause zur Familie und haben dadurch weniger Kontakte zu ihren deutschen Kollegen. In den Familien lebt man dann im Einwanderungsland wie zuhause weiter. Die wenigsten machen sich Sorgen um die Integration. Aber über kurz oder lang kommt das Erwachen. Wenn man nicht weiß, wie lange man im Ausland leben wird, sollte man sich so schnell wie möglich Gedanken um seine Integration machen. Ein senegalesischer Frührentner sagte mir vor kurzem: "Das Visum für die Rückkehr in die Heimat ist schwieriger zu bekommen als das Einreisevisum nach Deutschland." Der Mann hat das Problem auf den Punkt gebracht, denn kein Immigrant weiß, ob und wann die Stunde der endgültigen Rückkehr schlagen wird.
Das sollten gerade junge Immigranten bedenken und für ihre schnelle Integration in Deutschland sorgen. Dies gilt vor allem für die ausländischen Studierenden, die immer mehr werden, während ihre Deutschkenntnisse immer geringer sind. Durch die zunehmende Zahl von Studenten aus bestimmten Ländern wächst ganz natürlich die Tendenz, mit Landsleuten zusammenzuleben. Man fühlt sich nicht mehr einsam und bekommt ein Gefühl der Sicherheit, die in einer fremden Umgebung sehr viel zählt. Doch sobald ausländische Studenten in Wohngemeinschaften mit Landsleuten leben, leiden die Deutschkenntnisse. Unter solchen Umständen werden die sozialen Verhältnisse der Heimat automatisch wieder hergestellt. Heute brauchen diese ausländischen Studenten mindestens ein Semester mehr als ihre Landsleute früher, um die Deutschprüfung zu bestehen, die den Zugang zu den Hochschulen garantiert. Bedenkt man, was ein Student die Steuerzahler kostet, ist das eine vermeidbare Belastung.
Und dagegen sollten auch die Vereine von Immigranten etwas tun. Der Afrikanische Dachverband Nordrhein-Westfalen e.V. prüft zur Zeit ein Projekt in Solingen: ein Deutschkurs für afrikanische Immigrantinnen mit Kleinkindern an. Während des Kurses werden die Kinder im selben Gebäude von Fachkräften betreut. Kurse durch derartige Vereine haben den Vorteil, dass sie besser angenommen werden, weil Immigranten die Nähe zu ihren Landsleuten pflegen und dort ihre Probleme besser besprechen können. Zudem lassen sich in diesen Vereinen die Vorteile von fundierten Deutschkenntnissen anhand von Beispielen in den eigenen Reihen besser erklären.
Mangelnde Deutschkenntnisse können schnell eine Ausgrenzung zur Folge haben. Noch ist die Zahl afrikanischer Mitbürger, die für einen Deutschkurs in Frage kommen, übersichtlich, auch wenn sich ihre Zahl innerhalb von 20 Jahren mehr als verzehnfacht hat. Aber wenn man zu lange wartet, können die Kosten der Integration ausufern. Man braucht kein Demograf zu sein, um abzusehen, dass in 20 Jahren bis zu einer halben Million Immigranten aus Afrika in Deutschland leben werden. Sollen sie sich nicht ausgegrenzt fühlen, müssen wir jetzt mit der Integration beginnen.
Das zeigt, nicht zuletzt, der Blick nach Frankreich. Die Ausschreitungen vom November 2005 sind nichts anderes als die Explosion des Frusts von Immigranten der zweiten und dritten Generation, die in ihrer Mehrheit kein anderes Land als Frankreich kennen. Und doch nicht dort zuhause sind. Wie kann es sein, dass Schulkinder, die in Paris geboren, aufgewachsen sind und andere Sprachen noch schlechter sprechen als Französisch, das Alter für die Einschulung ins Gymnasium erreichen, ohne richtig lesen und schreiben zu können? Dass sie die Schule abbrechen müssen und keine Ausbildungsplätze bekommen? Welche Arbeitgeber würde, auch beim besten Willen, einen solchen Bewerber einstellen wollen? Verfehlte Bildungs- und Integrationspolitik, das sollten uns, Deutschen und Afrikanern, die Bilder von den Ausschreitungen ins Bewusstsein gebrannt haben, führen zur sozialen und beruflichen Ausgrenzung. Wer keine Ausbildung hat, bekommt keine Arbeit und wer arbeitslos ist, wird in einer leistungsgeprägten Gesellschaft sozial abgehängt.
Integrationspolitik muss nicht erst mit den bereits in Deutschland geborenen Kindern anfangen. Nachdem man hier Erfahrungen mit drei Generationen von Migranten gesammelt hat, muss gesagt werden, dass es nicht akzeptabel ist, dass Immigranten nach mehr als zehn Jahren Aufenthalt in Deutschland immer noch einen Dolmetscher für ihre Behördengänge brauchen. Zur Integration gehört auch Eigeninitiative. Das können wir den Mitgliedern unserer Vereine nicht oft genug sagen. Auf deutsch.
aus: der überblick 02/2006, Seite 74
AUTOR(EN):
Ibrahim Gueye
Ibrahim Gueye ist Vorsitzender des Aufsichtsrats des Afrikanischen
Dachverbands Nordrhein-Westfalen e.V.