Der schwarze Kontinent durchläuft eine politische Neuordnung, deren Ausgang ungewiss ist
Zu Beginn der neunziger Jahre schien es, als würden viele Länder Afrikas den Weg in Richtung Demokratie einschlagen. Inzwischen hat sich die tiefgreifende politische Neuordnung Afrikas, die damals eingesetzt hat, als zwiespältig und vielschichtig erwiesen. Neben mehr oder weniger erfolgreichen Prozessen der Demokratisierung ist ein Trend zum Zerfall staatlicher Institutionen festzustellen. Zudem intervenieren mehr Staaten Afrikas auf dem Territorium ihrer Nachbarn als früher, während zugleich mehr Initiativen für eine engere Zusammenarbeit in der Region zu verzeichnen sind. In der Afrika- und Entwicklungspolitik sind daher Vorsicht und Realismus geboten.
von Stefan Mair
Seit einigen Monaten wird in der deutschen Afrikapolitik und -wissenschaft eine ungewöhnlich heftige Auseinandersetzung über die Entwicklungsperspektiven Afrikas und den möglichen Beitrag der deutschen Politik hierzu geführt -auch mit zum Teil recht zweifelhaften Mitteln. So werden jene, die die Chancen für nachholende Entwicklung in den meisten afrikanischen Staaten auf absehbare Zeit als gering erachten und auch vor einer Überschätzung der äußeren Eingriffsmöglichkeiten warnen, gerne disqualifiziert, indem ihnen das Etikett der Afropessimisten angeheftet wird. Mit diesem Griff in den Zettelkasten politischer Kampfbegriffe wird eine inhaltliche Auseinandersetzung verweigert. Afropessimismus und auch -optimismus sind analytisch völlig unbrauchbare Kategorien. Stattdessen sollte sich jede seriöse Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Lage in Afrika und den Entwicklungsperspektiven der Region südlich der Sahara zum Ziel setzen, ein möglichst realistisches Bild zu zeichnen.
Unzweifelhaft ist, dass Afrika südlich der Sahara seit Beginn der neunziger Jahre eine umfassende politische Neuordnung erfahren hat. Sie spielt sich auf der innerstaatlichen und der zwischenstaatlichen Ebene ab und weist dabei je zwei gegenläufige Tendenzen auf. Auf der innerstaatlichen Ebene sind einerseits Demokratisierung, andererseits fortschreitender Staatszerfall zu beobachten; auf der zwischenstaatlichen Ebene gibt es einerseits verstärkte Bemühungen zu friedlicher, grenzüberschreitender Kooperation, andererseits die wachsende Neigung militärisch aufgerüsteter Staaten, in Nachbarstaaten gewaltsam zu interventieren.
Für viele Afrikawissenschaftler – einschließlich des Autors dieses Beitrags – schienen die neunziger Jahre zu Beginn vor allem das Jahrzehnt der Demokratisierung in Afrika zu sein. Innerhalb kürzester Zeit waren nach dem Ende des Kalten Krieges fast alle autoritären Regime Afrikas gezwungen, Mehrparteiensysteme zuzulassen und Wahlen abzuhalten. Ursächlich hierfür waren vor allem drei Faktoren: die Unzufriedenheit der Bevölkerung – insbesondere der städtischen Mittelschichten – mit der Entwicklungsbilanz der autoritären Regime, die Bindung westlicher Entwicklungshilfe an politische Auflagen und die wachsende Unfähigkeit afrikanischer Führer, die politische Loyalität ihrer Gefolgschaft durch Postenvergabe und Mitteltransfer zu entlohnen. Ausgelöst wurde die Demokratisierungswelle durch das Vorbild der Erfolgreichen bürgerlichen Proteste in den Diktaturen Osteuropas.
Schon wenige Jahre nach Beginn der Demokratisierungswelle wurde die Euphorie über die zweite Befreiung Afrikas jedoch von Ernüchterung verdrängt. Einige autoritäre Führer hatten sich als äußerst geschickt bei der Manipulation des demokratischen Prozesses erwiesen, sodass es ihnen trotz Wahlen gelang, an der Macht zu bleiben. Demokratische Hoffnungsträger bewiesen in kurzer Zeit, dass sie – einmal in Amt und Würden – kaum weniger korrupt, machtbesessen und unfähig waren als ihre Vorgänger. Einige hoffnungsvoll gestartete Demokratien versanken im Bürgerkriegschaos.
Zehn Jahre nach der ersten demokratischen Revolution Afrikas in Benin zeichnet sich folgendes Bild ab: Nur zwei Staaten Afrikas, Botswana und Mauritius, können wohl als gefestigte Demokratien bezeichnet werden. Vier bis fünf Staaten – allen voran Südafrika – haben relativ gute Aussichten, die Demokratisierungserfolge zu konsolidieren. Eine ähnlich große Gruppe, die unter anderem Nigeria umfasst, verzeichnet zwar erhebliche demokratische Fortschritte. Diese stehen allerdings auf äußerst brüchigem Grund. Die Schwäche der Zivilgesellschaft und der politischen Parteien, tiefe Friktionen zwischen ethnischen und religiösen Gruppen, geringe Aussichten auf eine die sozialen Konflikte mildernde wirtschaftliche Entwicklung und ein potenziell destabilisierendes regionales Umfeld machen eine Rückkehr zu autoritärer Regierung mindestens ebenso wahrscheinlich wie eine Fortsetzung des Übergangs zur Demokratie. Die meisten Staaten Afrikas lassen sich der Kategorie hybrider Regime zuordnen, die Gero Erdmann treffend als neopatrimoniale Mehrparteiensysteme bezeichnet. Dies sind Staaten wie Kenia, in denen es erhebliche Fortschritte in Bezug auf bürgerliche Freiheiten und formale politische Beteiligungsrechte gibt, die aber auf Grund manipulierter Wahlen, der Gängelung der Opposition und des Missbrauchs von Staatsmitteln zur Aufrechterhaltung des Klientelsystems den politischen Wettbewerb ad absurdum führen.
In einer weiteren Gruppe finden sich Staaten, wo zusätzlich zu diesen Einschränkungen des politischen Wettbewerbs auch die bürgerlichen Freiheiten sehr stark zurückgedrängt wurden, wie beispielsweise in Togo. Diese Systeme, die entweder auf eine lange Phase der autokratischen Herrschaft oder auf eine autoritäre Restauration in jüngster Zeit zurückgehen, befinden sich allerdings in einer äußerst instabilen Lage. Jederzeit kann auf Grund inneren oder äußeren Drucks Demokratisierung und Liberalisierung »ausbrechen«. Die Ereignisse der vergangenen 18 Monate in Simbabwe weisen allerdings darauf hin, dass eine Verfestigung autoritärer Machtverhältnisse ebenso möglich ist -hin zu einer repressiven, jegliche Normen missachtenden Diktatur, wie sie beispielsweise den Sudan und Äquatorialguinea auszeichnet. Im Unterschied zu diesen aufgesetzten, allein mittels Repression seitens der Sicherheitskräfte herrschenden Diktaturen könnte die gegenwärtige Entwicklung in Simbabwe allerdings ihren Endpunkt in einem System finden, das als erstes Exempel eines faschistischen afrikanischen Staates in die Geschichte eingehen würde. Der britische Economist hat bereits auf die Parallelen zwischen den Vorgängen in Simbabwe und jenen im Italien Mussolinis und im Lateinamerika der siebziger und achtziger Jahre hingewiesen.
Eine solche Entwicklung ist in Simbabwe vor allem deshalb möglich, weil sich dort der Trend des autoritären Rückschritts mit einer in Afrika nicht allzu häufigen Bedingung verbindet: der Existenz eines halbwegs funktionsfähigen Staates. Alle anderen brüchigen Autokratien oder etablierten Diktaturen befinden sich in einem mehr oder weniger dynamischen Prozess des Staatszerfalls. Dies oder vielleicht besser: der Verfall staatlicher Strukturen ist in Afrika keineswegs ein neues Phänomen. Nach der Unabhängigkeit waren die ehemaligen Kolonien fast durchweg schwache Staaten, deren Steuerungsfähigkeit kaum ausreichte, um im gesamten Territorium staatlichen Vorgaben Geltung zu verschaffen, das Gewaltmonopol durchzusetzen, eine Grundversorgung mit Bildungs-und Gesundheitseinrichtungen zu gewährleisten und ein Minimum an physischer Infrastruktur bereitzustellen. Nur wenige afrikanische Staaten konnten in den mehr als 40 Jahren seitdem diese Bedingungen verbessern; eher trat eine kontinuierliche Verschlechterung ein.
Dennoch markieren die neunziger Jahre in Bezug auf Staatsverfall eine qualitative Veränderung. Somalia war das erste Beispiel des totalen Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung im nachkolonialen Afrika. Mittlerweile können Staaten wie die Demokratische Republik (DR) Kongo, Sierra Leone, Angola und Burundi dieser Kategorie zugeordnet werden. In ihnen war bzw. ist der Kollaps des Staates von schweren Gewaltausbrüchen bis hin zum offenen Bürgerkrieg begleitet. In den meisten vom Staatszerfall betroffenen Staaten verläuft dieser Prozess jedoch schleichend. Er beginnt an den geografischen, wirtschaftlichen und sozialen Rändern, bis der Staat schließlich als Steuerungs-und Dienstleistungsorgan nur noch in der Hauptstadt anzutreffen ist. Die Zentralafrikanische Republik ist sicherlich das Paradebeispiel für einen Prozess, in dem sich schleichender in akuten Staatszerfall verwandelte.
Die Beschleunigung dieser Entwicklung im Afrika der neunziger Jahre hat ähnliche Ursachen wie der Demokratisierungsprozess: Der Rückgang von Entwicklungshilfe und ihre Bindung an ökonomische Auflagen, staatliche Deregulierung und Wirtschaftskrisen verminderten die Fähigkeit des Staates, seinen Aufgaben nachzukommen, die Schlagkraft seiner Sicherheitskräfte aufrechtzuerhalten und sich politische Gefolgschaft durch Transferleistungen zu sichern. Das Ende des Ost-West-Konflikts bedeutete, dass außerafrikanische Mächte immer weniger bereit waren, die territoriale Integrität und Staatlichkeit afrikanischer Länder aufrechtzuerhalten – wenn nötig auch mit Gewalt.
Staatszerfall hinterlässt keineswegs ein politisches Vakuum. Stattdessen versuchen traditionelle Führer, soziale Bewegungen, aber auch Kriegsherren und Söldner, von der nominellen Regierung aufgegebene Landstriche und Märkte unter Kontrolle zu bringen. Kriegsherren und Söldner treten vor allem dann auf, wenn die staatsfreien Räume wertvolle und leicht ausbeutbare Ressourcen bergen: Diamanten, Gold, Bauholz, neuerdings auch Koltan (eine Zusammenziehung aus Kolumbit und Tantalit, zwei Mineralien, die meist in Mischform auftreten; Tantalit hat hochleitende Eigenschaften, die es zum begehrten Rohstoff bei der Herstellung von Mobiltelefonen und Hochtechnologie-Waffen machen), sowie internationale Nothilfe. Die Herrschaft von Kriegsherren ist für die Menschen oft mit unermesslichem Leid verbunden, wie die Beispiele Sierra Leones und der DR Kongo zeigen.
Diese Tatsache sollte jedoch nicht dazu verleiten, im Zerfall des künstlichen, nachkolonialen Staates in Afrika einen rein zerstörerischen, barbarischen Prozess zu sehen. Vielmehr bietet er durchaus die Chance, dass an der Stelle des Alten, Aufgesetzten etwas Neues, Authentisches entsteht. Friedlicher Staatsaufbau von unten, bei dem eine Mischung von Traditionen, gesellschaftlichem Engagement und Unternehmertum die Lücken füllt, die der Rückzug des Staates hinterlassen hat, ist in Teilen Somalias und der Zentralafrikanischen Republik seit geraumer Zeit zu beobachten. Dabei ist der Glaube, diese mehr oder weniger informellen Strukturen könnten den Staat auf Dauer ersetzen, irrig. Langfristig muss dieser Prozess in der Errichtung übergreifender gefestigter Institutionen münden, die das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben organisieren, wenn er nicht scheitern soll.
Prekär ist, dass der Zerfall staatlicher Strukturen auf Nachbarländer destabilisierend ausstrahlt. Zum einen bedeutet der Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols, der üblicherweise in den Grenzregionen anfängt, dass Rebellengruppen eines Nachbarstaates diese Grenzgebiete als Operationsbasen für ihre Übergriffe nutzen können. Dies ist in der Region der Großen Seen, aber auch in den Grenzgebieten zwischen Sudan und Uganda und zwischen Angola und dem ehemaligen Zaire besonders deutlich geworden. Zum anderen respektieren Kriegsherren auf der Suche nach attraktiven Ressourcen und ausbeutbaren Märkten selten bestehende Grenzen. Hierfür liefert die Lage im Dreiländereck Liberia, Sierra Leone und Guinea zahlreiche Belege. Das Beispiel des liberianischen Präsidenten Charles Taylor zeigt hierbei auch, wie fließend die Übergänge zwischen formaldemokratisch legitimierten Präsidenten und Kriegsherren sind.
Die destabilisierenden Wirkungen des Staatszerfalls bieten den Nachbarstaaten gute Argumente, militärisch zu intervenieren – ein bis vor wenigen Jahren in Afrika noch weitgehend unbekanntes Phänomen. Ist eine Interventionstruppe erst einmal im Land, dann wecken die dort vorhandenen Ressourcen sehr schnell private Bereicherungsgelüste. Ein Bericht für den UN-Sicherheitsrat hat erst unlängst belegt, in welchem Maße Uganda, Ruanda und Simbabwe die von ihnen im Kongo besetzten Gebiete wirtschaftlich ausbeuten. Damit beteiligen sich zwei Staaten, die von der Regierung Clinton als leuchtende Beispiele für afrikanische Führungsqualitäten präsentiert wurden, oder genauer: wesentliche Teile der militärischen und politischen Elite dieser Länder an postmodernem Raubrittertum. Nach wie vor sind Uganda und Ruanda nicht nur bevorzugte Empfänger US-amerikanischer Zuwendungen, sondern auch Hauptpartner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Aber die Tendenz zu grenzüberschreitenden militärischen Interventionen, die in der DR Kongo solche Ausmaße erreicht hat, dass einige Beobachter vom ersten afrikanischen Weltkrieg sprechen, weist einen gegenläufigen Trend auf der Ebene der zwischenstaatlichen Beziehungen auf: Dies sind verstärkte Anstrengungen, in wesentlichen Politikbereichen grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten in einigen Fällen sogar größere regionale Märkte nach dem Muster der EU zu schaffen. Hierfür sind gegenwärtig die Southern African Development Community (SADC) im südlichen Afrika, die East African Community (EAC) in Ostafrika sowie die Economic Community of West African States (ECOWAS) und die Union Économique et Monétaire Ouest-Africaine (UEMOA) in Westafrika die wichtigsten Beispiele.
So notwendig und wichtig diese Kooperations-und Integrationsprozesse sind, so sehr ist es geboten zu unterstreichen, dass sie sehr langfristige und mühselige Anstrengungen erfordern, um erfolgreich zu sein. Bisher steht die Rhetorik der Zusammenarbeit in keinem Verhältnis zum tatsächlich Erreichten. Stattdessen dominieren nationale Eifersüchteleien, Animositäten zwischen den politischen Führern sowie Sorgen um die möglichen wirtschaftlichen Kosten der Integration und um die eigene Konkurrenzfähigkeit in einem regionalen Markt. Eine Reihe von Staaten gehören zwei oder mehreren Regionalorganisationen an, die die gleichen, nicht kompatiblen Integrationsziele verfolgen. Dies allein ist Anlass genug, die Ernsthaftigkeit einiger Bekenntnisse zur wirtschaftlichen und politischen Integration in Zweifel zu ziehen.
Noch größere Skepsis ist gegenüber noch ehrgeizigeren, kontinentalen Projekten der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Integration angebracht – gegenüber der von Libyen initiierten Afrikanischen Union und gegenüber der Afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft. Weitreichende Deklarationen und Verträge werden von afrikanischen Staats-und Regierungschefs oft mit leichter Hand unterzeichnet, ihre Umsetzung aber selten ernsthaft angestrebt. Auch der von Algerien, Nigeria und Südafrika entwickelte Millennium African Renaissance Plan, der die Entwicklung Afrikas in Eigenverantwortung vorantreiben soll, enthält bisher kaum mehr als Allgemeinplätze und Unverbindliches. Einer der Initiatoren dieses Plans, der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki, vertritt auf internationalen Foren hehre Ziele wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als Grundlage einer afrikanischen Renaissance, verweigert aber nicht nur Druck auf das Regime eines Nachbarstaates, das diese Ziele grob verletzt, sondern unterstützt dieses sogar noch mit Energielieferungen und preist dessen Präsidenten öffentlich. Vor diesem Hintergrund fällt es schwer zu glauben, dass in diesen hochfliegenden Plänen das Heil Afrikas liegen könnte.
Afrika südlich der Sahara befindet sich gegenwärtig in einem komplexen Prozess sozialer Modernisierung und politischer Neuordnung. Dessen Ausgang ist ungewiss. Die Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland, diesen Prozess mit den begrenzten personellen und materiellen Mitteln zu gestalten, die ihr für Afrika-und Entwicklungspolitik zur Verfügung stehen, sollten nicht überschätzt werden. Diese Politik muss sich im Verein mit der der EU darauf beschränken, günstige Tendenzen zu verstärken und ungünstigen entgegenzutreten. Ziel des Engagements in Afrika muss bei realistischer Einschätzung der Möglichkeiten Deutschlands und Europas sein, die sich im Umbruch befindenden Strukturen zu stabilisieren und Bedingungen zu schaffen, in denen die Afrikaner die mit politischem Wandel und sozialer Modernisierung verbundenen Interessenkonflikte gewaltfrei austragen können.
Dabei muss der Differenzierung der Region Rechnung getragen werden. Die Bedürfnisse und Möglichkeiten einer sich konsolidierenden Demokratie unterscheiden sich grundlegend von jenen eines zerfallenden autoritären Systems. Staaten, in denen sich eine Festigung der Demokratie abzeichnet und die vom Zerfallsprozess kaum erfasst werden, benötigen Unterstützung, um effiziente und leistungsfähige staatliche Institutionen zu schaffen. Bei Hybridregimen, die einem halbwegs funktionsfähigen Staatswesen vorstehen, sollte der Schwerpunkt auf dem Vorantreiben des Demokratisierungsprozesses liegen. Dazu sollten oppositionelle gesellschaftliche und politische Kräfte unterstützt und mittels politischer Konditionalität die Beseitigung von Demokratieblockaden gefördert werden. Instabile Demokratien, Hybridregime und brüchige Autokratien, die in einem sich beschleunigenden staatlichen Zerfallsprozess stecken, erfordern eine Mischung aus Demokratieförderung und Hilfe für staatliche Institutionen. Hier gilt die Faustregel: Je demokratischer die Träger der Staatsgewalt sind, desto stärker kann die Balance zwischen beiden Förderansätzen zu Gunsten der Institutionenbildung verschoben werden.
Schließlich bleibt eine Gruppe autoritärer und diktatorischer Staaten, in welchen der Zerfallsprozess weit fortgeschritten oder bereits vollzogen ist. Hier scheidet der Staat als Partner der Zusammenarbeit weitgehend aus. Stattdessen muss das Augenmerk auf Bemühungen gesellschaftlicher Kräfte gerichtet werden, die zur Stabilisierung der Situation und möglicherweise zum Staatsaufbau von unten beitragen können. Darüber hinaus gilt es jene zu schwächen, die unter Einsatz von Gewalt Profit aus dem Fehlen eines Staates zu schlagen versuchen: Kriegsherren und Söldner. Kontrollen über den internationalen Handel mit bestimmten Rohstoffen sind zu verschärfen, Sanktionen müssen speziell zugeschnitten und der Missbrauch von Not-und Entwicklungshilfe zur Konfliktfinanzierung nach Kräften verhindert werden.
Dies gilt nicht nur für Kriegsherren, sondern auch für international anerkannte Präsidenten, die in ähnliche Geschäfte verwickelt sind. Entwicklungshilfe verliert jede Glaubwürdigkeit, wenn sie die Lücken im Staatshaushalt füllt, die Regierungen durch die Aufrüstung und Bezahlung von Interventionskräften gerissen haben, deren vordringliches Ziel wiederum nicht die Wahrung irgendwelcher Sicherheitsinteressen ist, sondern die Ausbeutung von Rohstoffen.
Die Stabilisierung der im Wandel befindlichen Strukturen erfordert auch Unterstützung für Projekte grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Dabei ist allerdings gegenüber überzogenen Integrationsplänen Vorsicht angebracht. Die Hoffnung, suprastaatliche regionale Organisationseinheiten würden nach anderen Mechanismen funktionieren, wären effizienter und leistungsfähiger als die sie ausmachenden Mitgliedsstaaten, ist reine Illusion. Statt unrealistische Integrationsvorhaben zu unterstützen, sollte der Schwerpunkt auf konkrete Projekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gelegt werden. Vor allem muss den um Unterstützung werbenden Regionalorganisationen abverlangt werden, dass sie die Ernsthaftigkeit ihrer Bemühungen nachweisen -etwa dadurch, dass sie die selbst gesteckten Ziele praktisch umsetzen und den Selbstfinanzierungsanteil erhöhen. Ein ähnliches Vorgehen ist auch gegenüber den treibenden Kräften hochfliegender kontinentaler Entwicklungspläne angebracht.
Literatur
Gero Erdmann, Neopatrimoniale Herrschaft - oder: Warum es in Afrika so viele Hybridregime gibt; in: Petra Bendel / Aurel Croissant / Friedbert Rüb (Hrsg.): Hybride Regime. Zur Konzeption und Empirie demokratischer Grauzonen, Opladen 2001.
aus: der überblick 02/2001, Seite 84
AUTOR(EN):
Stefan Mair:
Dr. Stefan Mair ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und und Mitautor des "Memorandum zur Neubegründung der deutschen Afrikapolitik", das sechs Wissenschaftler im Oktober 2000 vorgelegt haben.