Verhandlungssache Bildung
Annähernd zwei Millionen Studenten, Hochschulabsolventen und Nachwuchswissenschaftler absolvieren ihre Aus- und Weiterbildung im Ausland. In den Industrieländern des Nordens sind die Auslandsstudenten sehr begehrt und Ziel ausgeklügelten Bildungsmarketings. Umworben werden sie als kulturelle und wissenschaftliche Bereicherung, als Indikatoren für das internationale Ansehen der Hochschule oder als nützliche internationale Kontakte in spe.
von Gitta Grashorn
Wirtschaftlich gesehen sind sie als Verbraucher der Dienstleistung "Bildung" interessant. Denn als solche steigern sie das Bildungsexportvolumen eines Landes (nach der Formel: durchschnittliche Studiengebühren plus Lebenshaltungskosten mal Anzahl ausländischer Studenten = Bildungsexport). Für die USA, die die meisten ausländischen Bildungsanwärter anziehen, ist Bildung die fünftwichtigste Export-Dienstleistung.
Die Nachfrage nach einem Studium im Ausland steigt, da zum Beispiel die Länder Afrikas nicht genügend Studienplätze bereitstellen können. In Südostasien förderte der Aufstieg einiger Staaten vom Entwicklungs- zum Schwellenland, in Osteuropa die Entstehung neuer Schwellenländer den Bedarf an einer Ausbildung in Industrieländern. Obendrein verändern technologische Erneuerungen beständig die Arbeitswelt. Daher ist Lifelong Learning, die permanente Weiterbildung, angesagt.
Im April dieses Jahres überprüfen die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) ihr "Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen" (General Agreement on Trade in Services, GATS) aus dem Jahr 1995. Neben elf weiteren Bereichen stehen internationale Bildungsdienstleistungen auf dem Programm. Die WTO will diesen Markt - vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung - liberalisieren und handelshemmende Regulierungen abbauen.
Neben dem klassischen Gebiet des Auslandsstudiums geht GATS auch auf drei neue Formen international erbrachter Bildungsdienstleistungen ein: auf die Entsendung von Lehrkräften ins Ausland, auf die kommerzielle Niederlassung von Bildungsinstitutionen im Ausland und auf grenzüberschreitende Dienstleistungen wie E-Learning oder Fernstudiengänge. Diese Formen des Bildungsexports entstanden in den achtziger Jahren und verbreiten sich zunehmend. Ihre Pioniere sind - auf der Seite der Anbieter - Großbritannien und Australien und - auf der Nachfrageseite - die Länder des Südostasiatischen Raums. Auch China, Indien, Südafrika, der Nahe Osten, Südamerika und Osteuropa sind erfahrende Bildungsimporteure.
Diese Formen des Bildungsimports bringen einige Vorteile. Für den Einzelnen bedeuten sie die Möglichkeit zu studieren, ein größeres Angebot oder eine attraktive Alternative zum Studium im Ausland. Neue Anbieter und Vermittlungsmethoden verheißen eine Innovation des heimischen Universitätssystems und internationale Standards.
Die Bildungsexporteure in den Industrieländern können nicht nur überschüssige Bildungskapazitäten sinnvoll einsetzen und ihre Stellung im Binnenwettbewerb verteidigen. Sie können vor allem einen großen Markt erobern. Jährlich werden weltweit schätzungsweise zwei Billionen US-Dollar für Bildungsdienstleistungen ausgegeben.
Es spricht also einiges für das Bestreben von GATS, Handelshindernisse abzubauen und transparentere Regeln für diesen Dienstleistungsverkehr aufzustellen. Doch gibt es auch Bedenken gegen eine zunehmende Liberalisierung. Kritiker sehen die Souveränität von Staaten in diesem Sektor gefährdet, etwa in ihrem Recht oder der Pflicht Schulen und Unis zu lizensieren, Kurse zu akreditieren oder Kursinhalte zu regeln. Sie befürchten eine immer stärkere Ausrichtung von Bildungsinhalten auf die Bedürfnisse der Arbeitswelt. GATS-Gegner prophezeien zudem eine Schwächung der nationalen öffentlichen Bildungseinrichtungen. Denn das Abkommen schreibt die Gleichbehandlung von inländischen und ausländischen Institutionen vor - insbesondere bei Subventionen. Damit einher geht die Sorge, dass Bildung zur Ware verkommt. Dann hätte nur noch eine eng begrenzte Elite Bildungschancen.
GATS ist für die einzelnen WTO-Mitglieder allerdings nur in den Bereichen bindend, in denen sie sich verhandlungsbereit erklärt haben. Im Sektor Bildung streben die wenigsten Mitglieder eine Öffnung an. Nur 44 der 144 Staaten verpflichteten sich 1994 zu einer Liberalisierung bei Bildungsdienstleistungen. Sie konnten individuell festlegen, welche der fünf Bildungsebenen zur Disposition stehen und Ausnahmen formulieren, bei denen die GATS-Regeln nicht greifen. Bis zum Abschluss der Verhandlungsrunde Ende 2004 könnten jedoch einige der Ausnahmeregelungen aufgehoben werden.
aus: der überblick 01/2003, Seite 37
AUTOR(EN):
Gitta Grashorn:
Gitta Grashorn ist Volontärin beim "überblick".