Land in Sicht?
Nach monatelangem Bürgerkrieg gibt es eine leichte Entspannung in Côte d'Ivoire. Maßgeblich beteiligt daran ist auch Frankreich mit seiner militärischen Intervention und seinen politischen Vermittlungsbemühungen. Bisher ist aber noch unklar, welche treibenden Kräfte hinter der Rebellion stehen. Welche Rolle spielt Frankreich und was sind die Handlungsmotive des Präsidenten Gbagbo, der Rebellen und des Nachbarlandes Burkina Faso in diesem für ganz Westafrika so brisanten Regionalkonflikt?
von Thomas Scheen
Sechzehn Monate nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Côte d'Ivoire scheint das Land vor einem Frieden zu stehen. Zumindest häufen sich in den letzten Wochen die Zeichen dafür. Die neun aus der Rebellion stammenden Minister der ivorischen Übergangsregierung haben nach einer vorübergehenden Niederlegung ihrer Amtsgeschäfte die Arbeit im Kabinett wieder aufgenommen. Es gibt signifikante Fortschritte bei der Entwaffnung der Rebellen auf der einen Seite und der teilweise von Ethnien gebildeten Milizen innerhalb der Regierungsarmee auf der anderen. Zahlreiche Lehrer waren in den vergangenen Wochen in den von Rebellen besetzten Norden gereist, um dortigen Schülern die Abschlussprüfungen abzunehmen, damit sie nicht ein ganzes Jahr verlieren. Die französische Armee, die bislang als Puffer zwischen den Konfliktparteien Stellung bezogen hatte, ist mittlerweile bis in die nördliche Metropole Korhogo vorgerückt, um den Transitweg aus den nördlichen Sahelstaaten in den Hafen von Abidjan zu sichern. Und die Vereinten Nationen (UN) erwägen, 6000 Blauhelmsoldaten zur Unterstützung der Entwaffnung in das westafrikanische Land zu schicken.
Sollte dieser Krieg tatsächlich bald vorüber sein, wird er wahrscheinlich als einer der seltsamsten der postkolonialen Geschichte Afrikas bezeichnet werden dürfen. Denn nach wie vor ist nicht geklärt, wer hinter dieser Rebellion steckt, die zunächst von ehemaligen, desertierten ivorischen Soldaten getragen wurde und sich im weiteren Verlauf mit Hilfstruppen aus Liberia verstärkte. Immerhin hatte diese Schattenarmee am 19. September 2002 nahezu 90 Ziele im ganzen Land gleichzeitig angegriffen - eine logistische Leistung, die allgemein nur zwei afrikanischen Armeen zugetraut wird: der südafrikanischen und der ruandischen, nie und nimmer aber einer westafrikanischen Rebellentruppe. Die Unterstützung eines oder mehrerer ausländischer Staaten war offensichtlich, und der Verdacht fiel schnell auf Burkina Fasos Präsidenten Blaise Compaoré, der nicht nur exzellente Verbindungen zum libyschen Revolutionsführer Gaddafi unterhält, sondern auch ein alter Weggefährte des ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor ist.
Unbestreitbar genossen die Aufständischen zu Beginn der Rebellion im muslimischen Norden des Landes große Sympathien, was wiederum mit der innenpolitischen Haltung der Regierung von Präsident Laurent Gbagbo zu tun hat, die als national-chauvinistisch bezeichnet werden kann und die als Ivoirité mittlerweile traurige Berühmtheit erlangt hat. Die Ivoirité, die Kritiker als “Ariernachweis auf afrikanisch” bezeichnen, war 1995 vom damaligen Präsidenten Bédié erfunden worden, um im Vorfeld der damaligen Präsidentschaftswahlen seinen ärgsten Widersacher, den ehemaligen Ministerpräsidenten Alassane Dramane Ouattara, kaltzustellen. Ouattaras Biographie und seine “ivorische Identität” waren umstritten, weil er beim “Internationalen Währungsfonds” (IWF) für Burkina Faso tätig gewesen war. Das reichte aus, ihn als Burkiner und damit als Nicht-Ivorer zu bezeichnen.
Nach dem Sturz Bédiés durch General Robert Guéï beim so genannten Weihnachtsputsch 1999 verstärkte sich das Konzept der Ivoirité erneut in geradezu ansteckender Weise, als die “zweite Republik” sich eine Verfassung gab, in der die Voraussetzungen für die Wählbarkeit eines Präsidentschaftskandidaten festgelegt wurden. Demnach durfte nur derjenige kandidieren, der nachweislich von einem ivorischen Vater und einer ivorischen Mutter abstammte. In einem Land, das erst seit 40 Jahren als Nation existiert und zudem einen Ausländeranteil beherbergt, der zu den höchsten der Welt zählt, konnte eine solche Regelung nur Ärger provozieren. Eine abgeschwächte Variante, der zufolge ein ivorisches Elternteil für eine Zulassung ausreichte, konnte sich damals unter Druck der an der Übergangsregierung der Militärjunta beteiligten Gbagbo-Partei Front populaire ivoirien (FPI) nicht durchsetzen. Dass bei gleicher Gelegenheit die kulturell wie familiär eng mit den Nachbarländern Burkina Faso und Mali verwobenen muslimischen Ethnien im Norden Côte d'Ivoires zu Bürgern zweiter Klasse degradiert wurden, schien im Abidjaner Machtpoker billigend in Kauf genommen zu werden.
Die offensichtliche Straflosigkeit für Sicherheitskräfte und ihre fortgesetzten Schikanen gegen Ausländer und solche, die sie dafür hielten, weil sie dem Namen nach aus Burkina Faso stammen könnten (in Wahrheit aber Ivorer aus den Nordregionen waren), hatte im Norden zu einer Distanzierung von der Regierung Gbagbo geführt, die nicht als eine “einigende”, sondern als eine “polarisierende” empfunden wird. Die Aufständischen bedienten sich in den von ihnen besetzten Nordregionen geschickt dieses Gefühls der Marginalisierung. Die Bevölkerung in Korhogo beispielsweise stellte staunend fest, dass sie es nunmehr mit einer Rebellen-Armee zu tun hatte, die entgegen üblicher Erfahrungen mit Uniformierten zunächst nicht plünderte. Entsprechend wohlwollend wurde deshalb auch die Forderung der Aufständischen aufgenommen, Gbagbo solle zurücktreten, damit sich “alle Ivorer wieder miteinander versöhnen”.
Allerdings bekam der schöne Schein mit der Dauer des Konfliktes große Risse, als den Rebellen, die zu Beginn mit Geld nur so um sich geworfen und Wert darauf gelegt hatten, selbst ihre Benzinrechnungen zu zahlen, ebenjenes Geld ausging. Heute hat die Rebellion Mühe, die Verselbständigung einzelner Warlord-Gruppen zu unterdrücken. Und von den vielbeschworenen Köpfen der Rebellion, die im Anschluss an den in Frankreich ausgehandelten “Friedensvertrag von Marcoussis” im Januar 2003 Einzug in die Regierung der nationalen Aussöhnung halten sollten, ist nach wie vor nichts zu sehen. Stattdessen wurden ehemalige Unteroffiziere zu Ministern, denen man zuerst in Crash-Kursen den Unterschied zwischen einem Gesetz und einem Dekret erklären musste.
Trotz dieser offensichtlichen Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Rebellen war es die Regierung Gbagbo, die von Anfang an auf die Rolle des Schurken in diesem Stück abonniert war, was wiederum mit der Einmischung - oder besser gesagt: anfänglichen Nichteinmischung - der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und der zugegeben radikalen Reaktion Gbagbos darauf zu tun hatte. Nach den Attacken vom 19. September 2002 erklärte die französische Verteidigungsministerin MichPle Alliot-Marie die Auseinandersetzungen zu einer “inner-ivorischen Angelegenheit” und verweigerte die Aktivierung des Verteidigungsabkommens zwischen Frankreich und Côte d'Ivoire. Die knapp 700 Marineinfanteristen der französischen Militärbasis nahe Abidjan blieben zunächst in ihren Kasernen.
Von Abidjan aus betrachtet erschien dies wie Verrat, schließlich waren die Rebellen aus Burkina Faso gekommen, womit nach ivorischer Argumentation der Verteidigungsfall gegeben war. Gbagbo reagierte mit der Gründung von Jugendbanden als “Unterstützungskomitees”, den “Jeunes Patriotes”, deren teilweise gewalttätigen Proteste sich zunächst gegen französische Militäreinrichtungen, später gegen französische Zivilisten richteten. Dabei wurde geflissentlich übersehen, dass nur die Stationierung französischer Soldaten an der Frontlinie bei Tiebissou die Rebellen am Vormarsch auf Abidjan hinderte.
Gleichwohl muss die anfängliche Haltung Frankreichs als der Versuch gewertet werden, einen unbequemen Präsidenten bei gleicher Gelegenheit kaltzustellen. Gbagbo, der im Dunstkreis der französischen sozialistischen Partei und der Gewerkschaften sein politisches Handwerk erlernt hatte, war für die neue rechte Regierung in Frankreich ein Provokateur. Er hatte die monopolartige Stellung französischer Unternehmen in Côte d'Ivoire in Frage gestellt und versucht, das Land für neue Investoren zu öffnen. Zu dieser schwelenden Verstimmung kam erschwerend hinzu, dass die neue Mannschaft um den französischen Außenminister de Villepin sich nie mit der Person Gbagbo auseinandergesetzt und dessen notorische Streitlust ebenso unterschätzt hatte wie sein Faible für feingesponnene Intrigen.
Der Bruch zwischen der ivorischen und der französischen Regierung wurde nach dem Friedensabkommen von Marcoussis, das Gbagbo als Zumutung empfand, überdeutlich, weil die vereinbarte Übergangsregierung mit einem neuen Ministerpräsidenten geeignet war, ihn seiner verfassungsmäßigen Machtbefugnisse zu berauben. Zudem schlug Gbagbos gestörtes Verhältnis zu de Villepin von gegenseitiger Animosität in ebenso gegenseitige Feindschaft um - ein Zustand, an dem Gbagbos Ehefrau Simone, Vorsitzende der Parlamentsfraktion der Regierungspartei FPI und personifizierte Scharfmacherin, maßgeblichen Anteil hatte. Die Folge waren massive antifranzösische Ausschreitungen der Jugendbanden, die im Januar und Februar 2003 zu einem regelrechten Exodus der bis dahin etwa 25.000 Personen zählenden französischen Gemeinde aus Côte d'Ivoire führte. Eine Zeitlang war die Situation sogar so, dass im Vergleich zu der von Rebellen besetzten Industriestadt Bouaké Abidjan der gefährlichere Ort war.
Dass dieser Konfrontationskurs im Herbst 2003 endete, hatte vor allem mit der französischen Desillusionierung über die politischen Kapazitäten der Rebellen-Minister zu tun und der vom neuen französischen Botschafter in Abidjan beförderten Einsicht, dass es ohne Gbagbo ohnehin nicht geht. Der goss daraufhin artig Wasser in seinen Wein und traf sich mit de Villepin in Gabun, wo ihm ein Staatsbesuch in Paris in Aussicht gestellt wurde. Immerhin war es den Franzosen bereits im November 2002 gelungen, die eigentlichen Kampfhandlungen zu beenden. Dafür sorgte ein zum Schluss zwischen 4000 und 5500 Mann starkes Kontingent, das an der ehemaligen Frontlinie Stellung bezogen hatte und als Puffer zwischen den Konfliktparteien diente. Die französische Armee half beiden. Die Regierungstruppen erhielten Ausrüstung bis hin zu Artillerie, die Rebellen wurden durch die Fremdenlegion unterstützt, als es darum ging, im Westen des Landes die liberianischen Söldner wieder loszuwerden, die dabei waren, die Region in ein Schlachthaus zu verwandeln.
Insgesamt stellt das französische Militärengagement in Côte d'Ivoire die größte Auslandsaktion Frankreichs in den letzten 20 Jahren dar. Diese massive Intervention erklärt sich indes nicht nur mit wirtschaftlichen Interessen. In der ehemaligen und stets als “Schaufenster” dargestellten Kolonie Côte d'Ivoire geht es für Frankreich vor allem um Prestige und um seine Rolle als selbsterklärte Mittelmacht. Was den Briten der Commonwealth bedeutet, ist für die Franzosen die Frankophonie, insbesondere die Gruppe der frankophonen afrikanischen Staaten. Wäre Frankreich nicht mehr in der Lage, in einem so von französischer Kultur und Lebensart durchdrungenen Land wie Côte d'Ivoire für Ruhe zu sorgen, wäre sein Stellenwert als Ordnungsmacht im frankophonen Afrika Geschichte.
Welch delikaten Spagat die Franzosen dabei hinlegen, lässt sich an den vermeintlichen Hintermännern der ivorischen Rebellion ablesen. Es steht mittlerweile außer Zweifel, dass Burkina Faso eine mehr als nur passive Rolle als Aufmarschgebiet für die ivorischen Rebellen spielte. Gleichwohl bleibt der für seine riskante Außenpolitik bekannte burkinische Präsident Blaise Compaoré weitgehend unbehelligt. Der Grund dafür ist die potentielle Sprengkraft des ivorischen Konfliktes für die gesamte Region. Wenn es auch eine sträfliche Vereinfachung wäre, den Bürgerkrieg in Côte d'Ivoire auf einen Konflikt zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden, zwischen Sahel und Küstenregion zu verengen, so ist dies doch eine nicht zu unterschätzende Komponente in einer nicht zuletzt wirtschaftlich motivierten Auseinandersetzung.
Der Norden will Teilhabe an der politischen Macht, die sich im Süden konzentriert, und er weiß dabei um sein wirtschaftliches Potenzial. Die erfolgreichsten Farmbesitzer, die bedeutendsten Transportunternehmer, die größten Händler der Côte d'Ivoire stammen nahezu alle aus dem Norden. Aber Präsident wird immer jemand aus dem Süden, wie der Ausschluss des “Nordisten” Ouattara von den letzten Wahlen einmal mehr gezeigt hat. Würde sich Frankreich vor diesem Hintergrund vollends gegen die aus dem Norden kommende Rebellion stellen, wären Verstimmungen mit den Sahelstaaten von Senegal bis nach Niger vorprogrammiert und damit ein gewichtiges Stimmenkontingent im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gefährdet.
Dass dieser vom Ausland unterstützte Konflikt keine “innere Angelegenheit” ist, zeigt sich auch daran, dass offiziell 28 Prozent der ivorischen Bevölkerung (nach Schätzungen sogar 40 Prozent) Ausländer sind. Die mit dem Konzept der Ivoirité einhergehende Fremdenfeindlichkeit und die Behauptung, Ouattara sei ein “Mossi” (abfällige Bezeichnung für Burkiner), hat die auf drei Millionen Menschen geschätzte Gruppe der burkinischen Immigranten zum klassischen Sündenbock gemacht. Gewiss ließe sich zugunsten der Regierung einwenden, dass sich das Land mit so hohem Ausländeranteil ein Einwanderungsgesetz geben muss. Und der Versuch, über die neue Passgesetzgebung zumindest herauszufinden, wie viele Ausländer tatsächlich im Land leben, ist legitim. Das rechtfertigt aber nicht die von den Sicherheitskräften verübten tagtäglichen Übergriffe auf Ausländer.
Dabei ist die innerhalb der Sicherheitskräfte gepflegte Kultur der Straflosigkeit eine direkte Folge des Putsches von 1999, bei dem schlecht bezahlte Soldaten feststellten, dass sie mit Gewalt die Dinge zu ihren Gunsten verändern können. Auf der anderen Seite verhält es sich so, dass die Gendarmerie, die Gbagbo unterstützte und maßgeblichen Anteil an der Vertreibung des Putschgenerals Guéï im Oktober 2000 hatte, aus diesem Schulterschluss mit der FPI eine Verpflichtung der Regierung ableitet, ihren Angehörigen alle Fehler nachzusehen. Gegen solch ein Ansinnen nicht ernsthaft eingeschritten zu sein, zeigt, wie schwach die Regierung tatsächlich ist.
Wenn auch der nunmehr von beiden Seiten bekundete Willen zum Frieden als ernsthaft betrachtet werden kann, ist keines der grundsätzlichen Probleme Côte d'Ivoires gelöst: etwa die Frage nach dem Bodenrecht, das heißt die Frage nach der Existenzsicherheit der zahlreichen Immigranten, die teilweise in der vierten Generation Kakaoplantagen bewirtschaften, aber weder für den Boden einen Rechtstitel besitzen, noch die Ivoirité oder das Wählbarkeitsrecht. Gbagbo möchte diese Fragen mittels Referendum klären lassen, wohingegen die nunmehr Forces nouvelles genannten Ex-Rebellen auf eine parlamentarische Abstimmung abzielen.
Die Idee eines Referendums scheint allerdings verwegen: In Côte d'Ivoire gibt es kein Bevölkerungsregister, das diesen Namen verdient. Insofern dürfte es ausgesprochen schwerfallen, die zu einem Referendum Zugelassenen überhaupt zu identifizieren. Die nationale Identifizierungskampagne, die kurz vor Ausbruch des Krieges lanciert worden war, musste abgebrochen werden. Angesichts der grassierenden Korruption ist es mittlerweile ein Leichtes, sich eine Identitätskarte zu besorgen, womit das Problem wieder bei den Einwanderern angelangt wäre.
Es ist richtig, wenn argumentiert wird, Côte d'Ivoire brauche die Arbeitskräfte aus dem Norden, speziell aus Burkina Faso. Diese Gleichung geht allerdings auch umgekehrt auf. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Hysterie, die vor allem westliche Beobachter regelmäßig befällt, wenn es um rassistisch motivierte Übergriffe geht: Kommt es im so genannten Kakaogürtel zu Auseinandersetzungen zwischen lokalen Ethnien und Einwanderern aus Burkina Faso oder Mali, wird Côte d'Ivoire gerne eine allgemeine Fremdenfeindlichkeit unterstellt, was objektiv falsch ist. Die im Verlauf des Krieges immer wieder beschworenen Rückkehrwellen burkinischer Migranten haben in dem befürchteten Maß nicht stattgefunden. Knapp 25.000 von geschätzt 3 Millionen Menschen sind nach Burkina zurückgekehrt, weil sie rassistische Übergriffe befürchteten: Mehr als die Hälfte von ihnen flohen vor den liberianischen Hilfstruppen der Rebellen in der Region um die Stadt Man im Westen des Landes.
Trotzdem wird sich die Frage nach der Einwanderung, dem mittlerweile legendären Spruch Gbagbos: qui est qui et qui veut quoi (“Wer ist wer und wer will was”) folgend, bei den für 2005 geplanten Präsidentschaftswahlen erneut stellen. Erst recht, wenn die Frage der Wählbarkeit von Ouattara und die damit einhergehende Ausgrenzung der nördlichen Ethnien bis dahin nicht geklärt sein sollte. Dabei scheiden sich an diesem Mann längst die Geister. Es ist nicht bewiesen, dass Ouattara in irgendeinem Zusammenhang mit der Rebellion steht. In der Wirtschaftsmetropole Abidjan aber wird dieser Zusammenhang längst hergestellt, und damit sind Krawalle im Falle einer Kandidatur von “Ado” - wie Ouattara genannt wird - vorprogrammiert.
Der Rebellenführer Soro Guillaume seinerseits sucht nach wie vor eine politische Heimat, die ihn unabhängig macht von seinen Kämpfern, und wird dabei nicht fündig. Der ehemalige Parteigänger von Gbagbo, der dann zur Ouattara-Partei Rassemblement des républicains (RDR) wechselte, bevor er als Rebellenführer wiederauftauchte, weiß um die Fragilität seiner Bewegung, die es bislang nicht vermochte, sich in eine politische Partei zu wandeln. Ohne Waffen wird diese Rebellion mitsamt ihrer Protagonisten in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Und Gbagbo? Aus seiner ursprünglichen Haltung, den Friedensvertrag von Marcoussis schon deshalb nicht zu mögen, weil er die Verfassung des Landes aushebelt, kann man ihm schwerlich einen Vorwurf machen. Und dass er sich dagegen wehrt, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die sich regelrecht ins Kabinett geschossen haben, macht ihn auch nicht unsympathisch. Umso kritischer aber müssen seine Methoden beurteilt werden: Gbagbos extrem agrressiver Ton gegenüber Andersdenkenden, die Gründung von bewaffneten Jugendbanden, die bei Bedarf wie Kettenhunde losgelassen werden, eine sich nach wie vor ausbreitende Kultur der Straflosigkeit unter den Sicherheitskräften - das alles macht den Präsidenten zu genau der Sorte klassenkämpferischer Politiker, die das zerrissene Land nicht braucht. Doch Ersatz ist leider nicht in Sicht.
aus: der überblick 01/2004, Seite 34
AUTOR(EN):
Thomas Scheen:
Thomas Scheen ist Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Abidjan, Côte d'Ivoire.