Wanderarbeiter sind oft der Willkür afrikanischer Herrscher ausgesetzt
Innerhalb Afrikas gibt es eine lange Tradition der Arbeitsmigration. So selbstverständlich die Suche nach Arbeit in einem anderen Land ist, so schwierig ist es, eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezession werden Gastarbeiter zu Sündenböcken gemacht und zur Rückkehr gezwungen. In ihrem alten Heimatland müssen sich die Zurückgekehrten ein neues Leben aufbauen. Oft fällt es ihnen schwer, wieder Fuß zu fassen.
von Thomas Veser
Der Ghanaer Joseph Koomson gehört zu jenen Talenten, die allen Aufgaben gewachsen sind. Er beherrscht das Maurerhandwerk, kann Autos reparieren und Möbel schreinern. Da er in seinem Heimatland nur mühsam Arbeit finden konnte, war er Anfang der neunziger Jahre wie viele seiner Landsleute in die benachbarte Côte d'Ivoire ausgewandert. Allerdings musste er seine Hoffnungen auf eine dauerhafte Existenz schon nach drei Jahren aufgeben. Die Behörden teilten ihm 1993 mit, dass seine Aufenthaltserlaubnis wegen zunehmender Wirtschaftsprobleme des Gastlandes nicht verlängert werden könne. Wohl oder übel musste Koomson mit Tausenden seiner Landsleute, die sich als Arbeitsmigranten ebenfalls an der Côte d'Ivoire niedergelassen hatten, die Rückreise nach Ghana antreten.
Joseph Koomson gehörte zu den wenigen Zurückgekehrten, die auch in Ghana Arbeit fanden. Schnell bekam er eine Stelle in einer Genossenschaft am Rand von Kumasi, Ghanas zweitgrößter Stadt. Dort fertigt er Sofas, Stühle und Tische aus Peddigrohr, den dünnen Stängeln der Schilfpalme. Seine Einkünfte sind wesentlich bescheidener als während seines Aufenthalts in der Côte d'Ivoire. Immerhin ist Koomson der einzige Genossenschaftsmitarbeiter, der Auslandserfahrungen gesammelt hat und Französisch beherrscht. Dass er daraus eines Tages beruflich Nutzen ziehen kann, glaubt Koomson inzwischen selbst nicht mehr.
Von wenigen Ländern abgesehen ist die innerafrikanische Arbeitsmigration in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Wenn qualifizierte Arbeitskräfte aus einem afrikanischen Land auswandern, dann vorzugsweise in die Industrieländer. Zwar haben sich die afrikanischen Staatengemeinschaften in Erklärungen und Protokollen nach dem Vorbild der Europäischen Union auf die Freizügigkeit im zwischenstaatlichen Personenverkehr verständigt. Allerdings verzichteten sie wohlweislich darauf, verbindliche Bestimmungen zum Recht auf Niederlassung und Arbeit zu formulieren. Dies liegt im Ermessen der Mitgliedsstaaten. Die Staaten sind aber in der Regel nicht am Zuzug weiterer Menschen interessiert und benutzen die ausländischen Arbeitnehmer gern als Sündenböcke bei Krisen aller Art.
Dass Handwerker ihre Heimat verlassen und in anderen Teilen Afrikas ihre Dienste anbieten, war schon vor dem Beginn der Kolonialzeit gang und gäbe. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen Teilen Afrikas die großflächige Plantagenwirtschaft eingeführt wurde, nahm die Migrationsbewegung deutlich zu. Innerhalb ihres riesigen Kolonialgebietes, das die Franzosen im 19. Jahrhundert "Französisch-Westafrika" tauften, gab es praktisch kein Instrument, um Wanderbewegungen zu steuern. Es gab ja keine nationalstaatlichen Grenzen im frankophonen Einflussgebiet; so herrschte bis zum Ende der Kolonialzeit eine heute kaum noch vorstellbare Freizügigkeit bei der Niederlassung und Arbeitsaufnahme.
In der Südafrikanischen Union benötigte man für die seit 1890 florierende Bergbauindustrie eine große Zahl von fremden Arbeitskräften, die einige Monate pro Jahr in Transvaal und Witwatersrand bei der Förderung von Gold und Edelsteinen eingesetzt wurden. Es handelte sich mehrheitlich um unqualifizierte Tagelöhner aus den Nachbarländern, dem heutigen Simbabwe, Mosambik und Malawi. Sie mussten die schweren Arbeiten verrichten und kehrten in der Regel wieder in ihre Heimat zurück.
Nach dem Zweiten Weltkrieg legte Südafrika mit den Anrainerländern Quoten fest, wie viele Migranten vorübergehend einwandern und im Land arbeiten durften. Angeworbene Arbeitskräfte durften sich im Rahmen ihres Vertrags bis zu drei Jahren in Südafrika aufhalten. Um sicherzustellen, dass sie das Land wirklich verließen, vereinbarte Südafrika mit den Behörden der Herkunftsländer, dass die Löhne erst nach der Rückkehr in die Heimat ausgezahlt wurden.
In Westafrika, das bis in die 1960er Jahre unter französischer und britischer Herrschaft stand, erwies sich die Herausbildung der Nationalstaaten für die Wanderungsbewegungen von Anfang an als folgenschwer. Schon 1953 empörten sich die eingesessenen Gabuner über Händler, die aus Togo und Dahomey (heute Benin) eingewandert waren und das Marktgeschehen beherrschten. Und in der ivorischen Hauptstadt Abidjan richtete sich der Volkszorn 1958 gegen togoische und dahomeyische Beamte, mit denen die französischen Kolonialherren vorzugsweise Verwaltungsposten in der Côte d'Ivoire besetzt hatten. Ein Jahrzehnt darauf traf es die aus dem heutigen Burkina Faso eingewanderten Mossi, die wie die Ghanaer 1993 in großer Zahl das Gastland verlassen mussten.
Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, kehrten viele Migranten wieder in die Côte d'Ivoire zurück. Tatsächlich gehörte die Côte d'Ivoire lange zu den beliebtesten Zielen, erlebte das Land doch in den sechziger und siebziger Jahren ein regelrechtes afrikanisches Wirtschaftswunder, an dem bis zu drei Millionen Migranten, oft mit ihrer Familie, teilhaben wollten. Rund 46 Prozent der Bewohner Abidjans stammen aus dem Ausland.
Nach Darstellung von Marc-Antoine Pérouse de Montclos, Migrationsforscher am Pariser entwicklungspolitischen Institut de recherche pour le développement, hat die grenzüberschreitende Arbeitsmigration in den vergangenen Jahrzehnten in fast allen Teilen Afrikas bisweilen schwerwiegende Konflikte heraufbeschworen. Aus dem völlig verarmten, durch einen Bürgerkrieg erschütterten Angola mussten sich 1984 Markthändler aus dem Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, fluchtartig absetzen, um ihr Leben zu retten. Ihre Unterkünfte und Marktstände waren zerstört worden. "Schon damals drängte man die ausländischen Arbeitskräfte in die Rolle von Sündenböcken, die selbst für den anhaltenden Bürgerkrieg und die Wirtschaftsrezession verantwortlich gemacht wurden", erläutert Pérouse de Montclos. Die Polizei greife dabei nur selten ein.
Den bisher brutalsten Schlag versetzte Nigeria der innerafrikanischen Migrationsbewegung. Das Land ist mit fast 100 Millionen Einwohnern Schwarzafrikas "Riese", der dank seiner Erdölförderung seit den 1960er Jahren ausländische Arbeitskräfte anlockte. Nach der Ratifizierung eines Protokolls, in dem sich die Mitgliedstaaten der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS/CEDEAO) 1979 auf die Freizügigkeit für Personen aus diesen Ländern verständigt hatten, nahm die Einwanderung nach Nigeria sprunghaft zu. Den Bestimmungen nach durfte man maximal 90 Tage bleiben, die Aufnahme einer Arbeit war offiziell nicht erlaubt. Viele Einwanderer fanden jedoch Stellen in den verschiedensten Branchen und überzogen die Aufenthaltsfrist.
Solange der nigerianische Erdölboom anhielt, drückten die Behörden beide Augen zu. Deshalb löste 1983 die überraschende Ankündigung der Regierung unter Präsident Shehu Shagari, dass zwei Millionen Migranten das Land verlassen müssen, einen gewaltigen Schock aus. Rund die Hälfte der Betroffenen stammte nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) aus Ghana. Obgleich sich Nigeria in der Menschen-und Völkerrechts-Charta der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) zum Verzicht auf Massenausweisungen verpflichtet hatte, "wurden die meisten Opfer mit allen Mitteln dazu gedrängt, das Land innerhalb einer Woche zu verlassen", so Pérouse de Montclos.
Offiziell begründete die nigerianische Zivilregierung ihren Schritt mit einer angeblichen Zunahme der durch Ausländer begangenen Straftaten. Dies sei an der gestiegenen Anzahl der ausländischen Gefängnisinsassen abzulesen, die in der Hauptstadt 15 Prozent ausmachten. Ghanaische Banditen, so hieß es damals, hätten außerdem an einem Angriff auf den Wohnsitz des Vizepräsidenten teilgenommen. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass die zunehmende wirtschaftliche Konkurrenz zwischen einheimischen und ausländischen Arbeitnehmern ein wesentlicher Grund für die Ausweisung gewesen sei.
Der Schlag gegen die Arbeitsmigranten war sorgsam geplant worden. Nach Augenzeugenberichten hätten Polizisten die Ghanaer regelrecht zusammengetrieben, berichtet der ghanaische Rechtsanwalt Philip Ataarem, der für die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) arbeitet heute. "Einigen wurde noch nicht einmal gestattet, nach Hause zu gehen und vor der Abschiebung persönlichen Besitz mitzunehmen", fügt er hinzu. Und viele der Männer hätten sich bis auf die Unterhosen ausziehen müssen, damit die Polizei nachprüfen konnte, ob sie verbotenerweise Geld in der Landeswährung Naira außer Landes schaffen wollten. So kehrten die meisten Arbeitsmigranten völlig mittellos in ihre Heimat zurück. Einigen gelang es dennoch, Haushalts-und Elektrogeräte mitzunehmen. Andere hatten sogar das Glück, mit ihren Autos - vor allem gebrauchte VW-Käfer und Kleinbusse - über die Grenze zu gelangen, wobei ihnen die ghanaische Regierung die Importzölle erließ.
Im Mai 1985, zwei Jahre nach dem spektakulären Rausschmiss, vertrieb die nigerianische Armee, die sich an die Macht geputscht hatte, weitere 250.000 ausländische Arbeitnehmer, darunter schätzungsweise 90.000 Ghanaer. Sie kehrten nach Ghana zurück, dessen wirtschaftliche Talfahrt sich in den Jahren ihrer Abwesenheit nur noch beschleunigt hatte. Tatsächlich war die Arbeitslosigkeit in Ghana seit Mitte der siebziger Jahre auf eine Rekordhöhe angestiegen. Zahllose Familien in Ghana hatten nur mit den Überweisungen ihrer nach Nigeria emigrierten Angehörigen ihren Unterhalt bestritten. Diese Geldtransfers, die nach Schätzungen der Weltbank in den späten siebziger Jahren eine jährliche Gesamtsumme von 300 bis 500 Millionen US-Dollar erreicht hatten, gehörten von da an der Vergangenheit an.
Nach dem Verlust ihrer einträglichen Arbeitsstelle in Nigeria mussten die meisten Rückkehrer wieder bei Null anfangen. Hatten die daheim gebliebenen Arbeitskollegen mittlerweile attraktive Posten etwa in der Verwaltung oder im Erziehungswesen erhalten, mussten sich die abgeschobenen Migranten mit jenen schlecht bezahlten Stellen abfinden, die sie schon vor der Auswanderung ausgeübt hatten. Manche fanden überhaupt keine Arbeit mehr und versuchten, andere Berufe zu erlernen. Nur in den seltensten Fällen war es Rückkehrern gelungen, während ihres Auslandsaufenthalts größere Geldsummen anzusparen und in die Heimat zu bringen. Damit gründeten sie vor allem Lebensmittelgeschäfte, Farmbetriebe oder Mühlen für Getreide und Maniok.
Das 1983 eilig gebildete Notkomitee registrierte die Rückkehrer, versorgte sie mit dem Nötigsten und übernahm den Rücktransport in ihre Heimatdistrikte. Ghana appellierte an die Weltöffentlichkeit, das Land dabei zu unterstützen und erhielt im ersten Schritt von 24 Regierungen, der Europäischen Gemeinschaft, Hilfswerken und den Vereinten Nationen Geld-und Sachleistungen in Höhe von 20 Millionen US-Dollar. Weitere 90.000 US-Dollar steuerten ghanaische Organisationen und Privatspender bei. Insgesamt sagten die Vereinten Nationen der Regierung 1983 nahezu 190 Millionen US-Dollar zu, die als Teilbeträge über mehrere Jahre zur Verfügung gestellt wurden. Damit sollte die soziale und berufliche Wiedereingliederung der Rückkehrer finanziert werden. Ihre Reintegration wurde Bestandteil einer nationalen Strategie zur Wirtschaftssanierung des Landes. Das 1985 verabschiedete National Mobilisation Programme (NMP) regelte, wie diese Ziele erreicht werden konnten.
Mit besonderer Unterstützung konnten jene Rückkehrer rechnen, die sich nicht in den großen Städten, sondern im strukturschwachen ländlichen Raum niederließen. Auf Bitten der NMP-Verantwortlichen traten Dorfchefs Land ab und ermöglichten die Gründung von landwirtschaftlichen Betrieben. Zurückgekehrte, die sich zu Vereinigungen oder Genossenschaften zusammenschlossen, wurden mit Werkzeug, Ausrüstung und Lebensmitteln ausgestattet. Viele Rückkehrer fanden Beschäftigung in öffentlichen Projekten, etwa im Straßenbau oder bei der Sanierung landwirtschaftlicher Nutzflächen, die durch Buschbrände geschädigt worden waren. Dafür bezogen sie ein moderates Gehalt und Lebensmittel.
Wer sein in Nigeria erworbenes Fahrzeug überführen konnte, betätigte sich als Taxifahrer in den Städten. Ghanas Rückkehrer zeichneten sich von Anfang an durch eine überdurchschnittliche Dynamik aus, ihr unternehmerischer Erfindungsreichtum kannte keine Grenzen. Manchmal genügte bereits ein gebrauchtes Kopiergerät, um ein eigenes Geschäft aufzubauen und damit die ganze Familie zu ernähren.
Dass ihre Wiedereingliederung im Wesentlichen reibungslos stattgefunden hat, ist jedoch nicht nur dem Staat zu verdanken. Gut 30 Prozent der Rückkehrer gaben bei einer Umfrage in Zentralghana an, sie hätten bei ihrer Reintegration keine offizielle Unterstützung erhalten. Und rund 60 Prozent jener Remigranten, die eine Arbeitsstelle vorweisen konnten, teilten mit, dass sie auch ohne die Behörden fündig geworden waren.
Obgleich die ghanaischen Ministerien nicht statistisch festgehalten haben, wo die Rückkehrer während des Integrationsprogrammes eine neue Berufsperspektive fanden, schätzen Migrationsforscher, dass 1985 rund 450.000 Menschen in der Landwirtschaft, im Bildungssystem und im Gesundheitswesen eine Anstellung gefunden haben.
Erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre besserte sich der Zustand der ghanaischen Volkswirtschaft. Welcher ökonomische Stellenwert den Rückkehrern dabei zukommt, lässt sich schwer abschätzen. Als sicher gilt jedoch, dass sie sich nicht, wie zunächst befürchtet, als schwere Last erwiesen haben. Sie verhalfen der ghanaischen Landwirtschaft, die in den achtziger Jahren chronisch unter Arbeitskräftemangel litt, zu einem Blitzstart, und das wirkte sich schließlich auf die gesamten Wirtschaft positiv aus.
Hin und wieder stößt man in Ghana jedoch auch auf hoch qualifizierte Fachleute, die lange im Ausland gelebt haben und sich plötzlich zur Rückkehr entscheiden. Dazu gehört der Anästhesietechniker Felix Fonder, der nach 23 Berufsjahren an Krankenhäusern in Hamburg und Bremen an die ehemalige Goldküste zurückgekehrt ist. Heute ist er zusammen mit dem in Tübingen promovierten Malaria-Experten Kofi Asante in der größten Klinik der Hauptstadt Accra tätig. Dass sie jetzt nur noch ein Sechzehntel ihres in Deutschland üblichen Gehalts verdienen und sich dafür auch noch monatelang in Geduld üben müssen, bis das Geld endlich überwiesen ist, kann sie nicht mehr aus der Fassung bringen. Felix Fonder begründet seine Rückkehr nach Ghana in bestem hanseatischen Tonfall mit der alten Redewendung: "Wer einmal von den Wassern Afrikas getrunken hat, kehrt wieder dorthin zurück."
aus: der überblick 03/2002, Seite 15
AUTOR(EN):
Thomas Veser:
Thomas Veser ist freier Journalist und schreibt für mehrere Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er ist spezialisiert auf Afrika.