Der Putsch in der Elfenbeinküste hat gezeigt, dass das Land nicht so stabil ist wie gedacht
Der Militärputsch in der Elfenbeinküste hat Ende 1999 eine unterschwellige politische Dauerkrise vorerst beendet. Ihre Wurzeln liegen in der Erschöpfung des auf dem Kakaoexport beruhenden Entwicklungswegs und einem allein auf den ehemaligen Präsidenten Houphouët-Boigny zugeschnittenen politischen System. Reformen des Staatsapparats scheiterten jedoch. Als Präsident Bedié 1994 das Staatsbürgerschaftsrecht manipulierte, um seinen Konkurrenten Ouattara von den Wahlen auszuschließen, löste er ethnische Spannungen aus, die den sozialen Frieden und die Stabilität im Land untergruben. Nach dem Putsch weint ihm daher kaum ein Ivorer eine Träne nach.
von Christof Hartmann
Am Weihnachtsabend 1999 beendete ein weitgehend unblutiger Militärputsch in der Republik Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire) eines der vermeintlich stabilsten zivilen Regime Afrikas. Das westafrikanische Land hatte nicht nur seit jeher als Modell für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik gegolten, sondern war auch Kernland des politischen und wirtschaftlichen Einflusses von Frankreich in der Region gewesen. Der Putsch traf alle Beobachter inner-und außerhalb des Landes unvorbereitet. Die Bevölkerung der großen Städte reagierte überwiegend positiv auf den Umsturz; in der Hauptstadt Abidjan erhielt der Putschführer und neue Staatschef Robert Gueï den Spitznamen Père Noël (Weihnachtsmann).
Die neue Militärregierung setzte die Verfassung und die politischen Institutionen außer Kraft und ließ den bisherigen Präsidenten Henri Konan Bedié ins Exil ziehen. Obwohl die bisherigen Oppositionsparteien und Vertreter der Zivilgesellschaft in die Regierung und die Beratungen über eine neue Verfassungsordnung einbezogen wurden und der personelle Wechsel in Ministerien und Behörden beträchtlich ist, bleiben die mittelfristigen Perspektiven für einen durchgreifenden Wandel in der Elfenbeinküste wenige Wochen nach dem Putsch unklar. So schwer es zum gegenwärtigen Zeitpunkt fällt, Prognosen abzugeben, so klar erscheinen jedoch im Rückblick die Gründe, die zu dem Putsch geführt haben.
Die Republik Elfenbeinküste galt in den sechziger und siebziger Jahren als eine der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten in Afrika. Das Geheimnis dieses Erfolgs war ein effizienter kleinbäuerlicher Kaffee-und Kakaosektor. Die Regierung hatte früh einen speziellen Ausgleichsfonds zur Stabilisierung der Erzeugerpreise Caistab (Caisse de stabilisation et de soutien des prix et des productions agricoles) eingerichtet und ein relativ komplexes, staatlich reguliertes, aber privat organisiertes System für Aufkauf, Transport und Handel der Agrarprodukte aufgebaut, in dem beschränkter Wettbewerb möglich blieb. Dieses System führte zu stabilen und - vor allem im Vergleich zu den benachbarten Ländern - hohen Erzeugerpreisen und ermöglichte den Aufstieg der Elfenbeinküste zum größten Kakaoexporteur der Welt. Zugleich wurde gezielt um Investitionen geworben, und zu einem Zeitpunkt, als die "Afrikanisierung" der Bürokratien in vielen afrikanischen Ländern vehement durchgesetzt wurde, wurden ausländische, insbesondere französische Kräfte in der Verwaltung eingesetzt. Die Zahl französischer Fachkräfte im Land stieg nach Erreichen der Unabhängigkeit (1960) stark an. Wirtschaftliche Abhängigkeit wurde bewusst gesucht, da für den langjährigen Präsidenten Félix Houphouët-Boigny nur auf diesem Wege Ressourcen und Entwicklung zu garantieren waren.
Die marxistischen Theoretiker betrachteten daher die Elfenbeinküste als Musterbeispiel eines neokolonialen, abhängigen Kapitalismus. Richtig daran war, dass die forcierte Integration in die internationale Arbeitsteilung an der Struktur des Außenhandels nichts änderte und ausländische Investitionen hauptsächlich ausländischen Interessen dienten. Doch die Rechnung ging zunächst einmal auf. Die Caistab erwirtschaftete einen beträchtlichen Gewinn, mit dessen Hilfe ein ungewöhnlich effizienter Staatsapparat, öffentliche Investitionen und die Diversifikation des Agrarsektors finanziert werden konnten.
Mit der wirtschaftlichen Strategie verfolgte Houphouët-Boigny zugleich politische Interessen: Soziale und politische Stabilität sollte durch von außen induziertes Wirtschaftswachstum erreicht werden. Denn der wirtschaftliche Erfolg erlaubte nicht nur die Kooptation von Oppositionellen, sondern auch die schrittweise Einbindung neuer sozialer Schichten in das klientelistische Herrschaftssystem und den Ausbau der Infrastruktur, um benachteiligte Regionen anzubinden. Nicht politische Partizipation oder der populistische Appell an Tradition oder "Authentizität" führten zum Aufstieg des ivorischen Staates, sondern eine funktionierende Verwaltung und die Wohlstandsmehrung unter der geschickten Führung Houphouët-Boignys.
Die erste Krise dieses Systems setzte Ende der siebziger Jahre ein, als sich trotz des Baus von Autobahnen durch den Regenwald die Grenzen des Wachstums und der Kooptationspolitik abzeichneten. Angesichts der extremen Außenorientierung der Wirtschaft war die Elfenbeinküste nun auch besonders anfällig für Veränderungen der internationalen Rahmenbedingungen. Mehr als andere Staaten hatte man mit Überschuldung und Handelsbilanzdefiziten zu kämpfen. Zu den sinkenden Weltmarktpreisen hatte freilich ursächlich auch die gigantische Ausweitung des eigenen Kakaosektors beigetragen. Neue Konkurrenten wie Malaysia und Indonesien hatten die Elfenbeinküste hinsichtlich der Produktivität des Kakaoanbaus abgehängt. Durch extensive Nutzung waren zudem große Teile des Regenwalds zerstört worden, und das Land hielt den traurigen Rekord der weltweit höchsten Entwaldungsrate.
Als die Regierung das Ausmaß der wirtschaftlichen Krise erkannte, traten die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) bereits 1981 mit einem ersten Strukturanpassungsprogramm auf den Plan. Eine zwischenzeitliche Erholung der Preise und ein Aufschwung bei den Exporteinnahmen Mitte der achtziger Jahre nutzten die Verantwortlichen jedoch nicht zur Korrektur der bisherigen Politik. Erneut nachlassende Rohstoffpreise zwangen die Regierung dann im Mai 1987, gegenüber bilateralen und privaten Gläubigern die Zahlungsunfähigkeit zu erklären. Mit Auslandsschulden in Höhe von insgesamt 13,6 Milliarden US-Dollar war die Elfenbeinküste Ende 1987 das nach Nigeria am höchsten verschuldete Land Afrikas. Die nachholende Entwicklung war damit endgültig abgebrochen.
Bereits während der achtziger Jahre hatte die wirtschaftliche Krise zum schrittweisen Verfall der staatlichen Administration geführt, die zum Beispiel aus der Subventionierung des Agrarsektors völlig ausstieg. Ende der achtziger Jahre schien das staatliche Wirtschaftssystem vor dem Bankrott. Die Regierung konnte die garantierten Fixpreise für die Kakaobauern nur noch unter Inkaufnahme wachsender Defizite bei der Caistab garantieren. Statt Reformen einzuleiten, ließ der greise Präsident eine gewaltige Kathedrale aus Marmor in den tropischen Regenwald stellen.
Die einstmals für ihre kapitalistische Orientierung gelobte Regierung vollzog eine radikale Kehrtwendung und erklärte der "internationalen Rohstoffspekulation" den Kampf. Der Entschluss, den Weltmarkt zu boykottieren, machte die Lage jedoch nur noch schlimmer. Auf starken Druck der französischen Regierung entschloss sich Präsident Houphouët-Boigny im Oktober 1989, ein Sparpaket der Bretton-Woods Institutionen zu akzeptieren, das Einsparungen im Haushalt und eine Herabsetzung der Produzentenpreise vorsah. Trotz zwischenzeitlicher Unruhen in den Städten gelang es der Regierung innerhalb eines Jahres, die Kontrolle über den politischen und wirtschaftlichen Prozess zurückzugewinnen. Mit Alassane Ouattara wurde erstmals ein parteiloser, technokratischer Premier ernannt, der früher für den IWF gearbeitet hatte und durchgreifende Reformen ankündigte.
Im politischen Bereich wurde der städtische Aufruhr durch das wohldosierte Zugeständnis eines Mehrparteiensystems aufgefangen. Die Opposition erwies sich als völlig machtlos im Kampf um die Einführung neuer Spielregeln, die das politische und ökonomische Monopol der bisher regierenden Einheitspartei PDCI (Parti Démocratique de la Côte d'Ivoire) und des Staatschefs Houphouët-Boigny aufgebrochen hätten. Die "freien" Wahlen im Oktober und November 1990 endeten mit dem vorhersehbaren Kantersieg des Präsidenten und der ehemaligen Einheitspartei.
Houphouët-Boigny starb im Dezember 1993, und Parlamentspräsident Bedié, der die Verfassung auf seiner Seite hatte, gewann den Machtkampf mit Premier Ouattara um die Nachfolge im höchsten Staatsamt. Bedié, wie Houphouët-Boigny aus der Ethnie der Baoulé, hatte im ivorischen Wirtschaftswunder der siebziger Jahre als jüngster Finanzminister in der Geschichte der Elfenbeinküste zur Top-Elite des Regimes gezählt. Er war dann aber als einer der Hauptverantwortlichen für den ersten öffentlich gewordenen Korruptionsskandal aus seinem Amt gejagt worden. In den achtziger Jahren begann er im Schatten Houphouëts mit einem erneuten, langsamen und eher unauffälligen Marsch durch die Institutionen. Ihm fehlte der relativ unbestrittene Führungsanspruch und das Charisma seines Vorgängers; im Gegensatz zu Ouattara war er ganz der klassische Repräsentant der bisherigen Elite. Kaum einer traute ihm den Willen und die notwendigen Fähigkeiten zu, um das schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bringen.
Bedié stimmte 1994 der Abwertung des CFA-Francs zu, der an den französischen Franc gekoppelten Währung vieler frankophoner Länder Afrikas (vgl. "der überblick" 2/97). Damit und mit der nicht zufällig so bezeichneten Abidjan-Doktrin, mit der Frankreich Zahlungsbilanzhilfen für afrikanische Staaten an den vorherigen Abschluss von Strukturanpassungsprogrammen band, sicherte Bedié sich die weitere Unterstützung Frankreichs (um den Franc CFA gegenüber dem französischen Franc zu stabilisieren, können solche Zahlungsbilanzhilfen nötig sein; Anm. d. Red.). Dank französischer Hilfe gelang es dann, die Weltbank, die in ihrer Anfang 1994 veröffentlichten Bilanz über Strukturanpassung in Afrika die Elfenbeinküste noch in der untersten Kategorie der poor performers eingestuft hatte, zu umfangreichen neuen Hilfszusagen zu bewegen. Ein seit 1994 stark steigendes Wirtschaftswachstum bestärkte den Optimismus in Geberkreisen.
Frankreich erwirkte auch, dass die Elfenbeinküste im Rahmen der 1997 gestarteten Initiative zur Schuldenerleichterung für hochverschuldete Entwicklungsländer (HIPC; vgl. "der überblick" 1/98) berücksichtigt wurde. Nach jahrelangem Ringen zwischen den Gebern und der Regierung wurde 1999 schließlich auch die zentrale Stabilisierungskasse Caistab aufgelöst und damit der Kakao-und Kaffeesektor vollständig liberalisiert. Seit 1995 galt die Elfenbeinküste wieder als aufstrebende Volkswirtschaft, und das Regime versuchte mit einem groß angelegten öffentlichen Investitionsprogramm, den "zwölf Werken des Elefanten von Afrika", seine wirtschaftliche Dynamik öffentlichkeitswirksam herauszustellen.
Trotz günstiger Wirtschaftstrends blieb jedoch völlig unklar, wie das seit Ende der achtziger Jahre andauernde Ringen um durchgreifende Reformen des Staatsapparats tatsächlich ausgehen würde. So waren zum Beispiel in den sechs Jahren von Bediés Herrschaft weder Reformen des Außenhandels noch des Finanzmarktes noch des öffentlichen Dienstes eingeleitet worden. Der Gewinn an Wettbewerbsfähigkeit, der durch die Abwertung des Franc CFA erzielt werden konnte, war 1999 bereits wieder aufgebraucht. Allgemein wurde angenommen, dass mit dem Abgang Ouattaras 1993 jeder ernsthafte Versuch, die patrimonialen Züge des Staates zu überwinden, aufgegeben wurde und dass mit den Gebern vereinbarte Wirtschaftsreformen versandeten oder bewusst manipuliert wurden.
Verhängnisvoller für Bedié war jedoch, dass unter seiner Führung - anders als unter seinem Vorgänger Houphouët-Boigny - die wirtschaftliche und die politische Entwicklung völlig voneinander abgekoppelt wurden. Suchte man sich im wirtschaftlichen Bereich mit dem bisher geltenden Modell durchzuwursteln, so entfernte sich Bedié im politischen Bereich von den vielbeschworenen Traditionen seines Vorgängers. Da eine Rückkehr zu autoritären Verhältnissen nicht möglich war, Bedié aber seine prekäre Machtposition im Vorfeld der Wahlen von 1995 stabilisieren musste, half er sich mit einem politischen Trick, dessen langfristige politische und soziale Auswirkungen zum damaligen Zeitpunkt nicht abzusehen waren. Da sein Hauptkonkurrent, der vormalige Premier Ouattara, zwar international hochgeschätzt war, aber Zweifel über die genaue Herkunft seiner Eltern bestanden, wurden das Wahlgesetz (und später sogar die Verfassung) derart modifiziert, dass bei allen Wahlen nur noch Kandidaten zugelassen wurden, deren beide Elternteile ivorischer Herkunft waren. Die Abkehr von der Politik Houphouët-Boignys hätte nicht radikaler ausfallen können - hatte dieser doch die frankophonen Staaten der Region stets als eine politische Gemeinschaft aufgefasst, den Arbeitsmigranten aus den Sahelstaaten das Wahlrecht eingeräumt und zudem traditionell Ausländer jedweder Provenienz in politische Führungsämter berufen.
Die Absurdität der neuen Regelung - es gibt die Elfenbeinküste und mithin Ivorer erst seit 1960, und außerdem ist es kaum möglich, fälschungssichere und vollständige Unterlagen aus diesen Zeiten zu beschaffen - änderte nichts an ihrer politischen Wirkung. Zahlreiche Politiker, die jahrelang in der Einheitspartei oder der Regierung mitgearbeitet hatten, wurden nun unter Verweis auf ihre vermeintlich fehlende ivoirité aus dem politischen Wettbewerb ausgeschlossen. In einem Staat, dessen wirtschaftlicher Erfolg auf dem gezielten Import von Saisonarbeitern aus den benachbarten Sahelstaaten gefußt hatte - sie machen ein Drittel der Bevölkerung aus -, kam es zur schleichenden Umdefinition der politischen Gemeinschaft. Mitglieder der nördlichen, vorherrschend muslimischen Bevölkerungsgruppen wurden ausgegrenzt, hatten Schwierigkeiten bei der Erneuerung ihrer Pässe.
Ouattara, der zunächst den Kampf der wirtschaftspolitischen Reformer gegen die Parteibarone verkörpert hatte, wurde nun fast ungewollt zu einem Symbol der ethnisch-religiösen Benachteiligung des Nordens. Nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen und unter starkem Einfluss verschiedener frankophoner Staatschefs verzichtete Ouattara schließlich zur Rettung des politischen Friedens auf eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 1995. Er versprach aber, im Jahr 2000 nicht mehr zurückzustecken. Die Wahlen endeten in einem Fiasko und in gewaltsamen Ausschreitungen. Bedié wurde ohne ernsthafte Konkurrenten als Präsident bestätigt, gewann aber keine Legitimität. Seine Partei erreichte dank krasser Bevorzugung durch die Behörden und dank der geltenden Wahlgesetze eine haushohe Mehrheit der Parlamentssitze, die den realen Verhältnissen im Land überhaupt nicht mehr entsprach.
Seitdem spitzte sich die innenpolitische Situation immer mehr zu. Der politische Konflikt drehte sich nun nicht mehr wie zu den Zeiten Houphouët-Boignys um die Durchsetzung oder Verteidigung demokratischer Errungenschaften, die sich die traditionelle Oppositionspartei Front Populaire Ivoirien (FPI) auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Bedié stand nun mit dem Rassemblement des Républicains (RDR) mit Ouattara an der Spitze eine ethno-regionale Partei gegenüber, deren Führer selbst jahrelang in der Einheitspartei PDCI gewesen waren. Anders als die Universitätsprofessoren und Gewerkschaftsführer aus den Reihen der FPI kämpften sie nun mit harten Bandagen um die Macht, die Kontrolle über privatisierte Staatsunternehmen und über lukrative informelle Handelsnetze.
Der Preis, den Bedié für den Ausschluss immer größerer Teile der Elite (und der Bevölkerung) von der politischen und wirtschaftlichen Macht bezahlen musste, war zunächst im Ausland kaum sichtbar. Aber der soziale Frieden im Land war seit langem gestört. In Abidjan wurden Universitäten und Schulen über drei Jahre hinweg von Streiks und Krawallen lahm gelegt. Die wachsende Ethnisierung der Politik führte gerade unter den Bedingungen einer starken Binnenmigration zu ähnlichen - wenn auch bislang weniger dramatischen - Verhältnissen wie in Kenia, wo politische Konflikte (Wahlen) und wirtschaftliche Konflikte (die Verknappung des Bodens) zu gewalttätigen, bewusst gesteuerten "ethnischen" Auseinandersetzungen eskalierten. So kam es auch in der Elfenbeinküste bereits vor den Wahlen 1995 ausgerechnet in den Oppositionshochburgen zu "ethnischen Unruhen", die eine Abhaltung der Wahlen in den betroffenen Wahlkreisen unmöglich machten und damit für anderthalb Jahre den Oppositionsführern den Sitz im Parlament und die damit verbundene Immunität vorenthielten.
Der Präsident verschanzte sich mit seinen Beratern zunehmend hinter einer zweifelhaften Legalität, wonach Gesetze und Verfassungsartikel, die den demokratischen Prinzipien widersprachen, dennoch Geltung beanspruchen durften, da sie von einem demokratisch gewählten Parlament beschlossen worden waren. Eine Revision von Fehlentscheidungen, zu denen sich Houphouët-Boigny immer wieder bereitgefunden hatte, blieb aus.
Zu den besonders skandalösen Regelwerken gehörte neben der modifizierten Verfassung mit einem praktisch unbeschränkten Notstandsrecht und dem Wahlgesetz das so genannte loi anti-casseur. Danach waren die Organisatoren von Demonstrationen für alle Rechtsverletzungen haftbar zu machen, die von irgendeinem Teilnehmer im Verlauf der Demonstration begangen wurden. Auf der Grundlage dieses Gesetzes ließ Bedié Ende Oktober 1999 praktisch die gesamte im Land befindliche Führungsspitze der RDR verhaften und kündigte einen Prozess gegen Ouattara wegen vermeintlich gefälschter Geburtsurkunden an. Es folgten gewalttätige Ausschreitungen in Abidjan und im Norden des Landes. Nachdem im Verlauf des Jahres sowohl der IWF als auch die Europäische Union wegen öffentlich gewordener Korruption an höchster Stelle ihre Zahlungen eingestellt hatten, war nun auch Frankreichs Geduld am Ende. Zudem bildete sich offensichtlich auch innerhalb der PDCI Widerstand gegen Bediés kompromisslose Haltung.
Der sang-und klanglose Abgang Bediés wurde erst möglich, weil Frankreich kurz nach Ausbruch der Militärrevolte deutlich machte, dass es nichts unternehmen und insbesondere nicht seine im Land befindlichen Soldaten aktivieren werde, um den amtierenden Staatschef gewaltsam im Amt zu halten. Diese neue französische Politik weist tatsächlich über den Fall der Elfenbeinküste weit hinaus. Sie bedeutet das Ende einer jahrzehntelangen Politik der bedingungslosen Unterstützung für "befreundete" Staatschefs, die als unverzichtbare Verbündete französischer Afrika-und Außenpolitik gegolten hatten. Die Präsidenten von Gabun, Kamerun oder Senegal dürften daher die Ereignisse in Abidjan mit größter Aufmerksamkeit verfolgt haben.
Die rasche Niederlage Bediés machte offenkundig, dass praktisch niemand bereit war, sich für den legalen Anspruch des gewählten Präsidenten auf sein Amt einzusetzen. Vielmehr wurde der Putsch als Chance für einen Neuanfang begriffen, an dem praktisch die gesamte bisherige Elite mitwirken will.
Die Signale, die die neue Militärregierung bisher aussendet, sind widersprüchlich, wie die angesehene ivorische Menschenrechtsliga LIDHO in einer ersten Bilanz Anfang Februar festgestellt hat. Obwohl die frühere Opposition in Ministerien und Kommissionen dominiert und die Militärregierung sich prinzipiell verpflichtet hat, die Macht zum Ende des Jahres an gewählte Institutionen zurückzugeben, behält diese sich in allen Fragen das letzte Wort vor. Es ist keineswegs auszuschließen, dass der eine oder andere General im Verlauf der kommenden Monate doch auch Geschmack an der Politik bekommt.
Noch weniger klar ist, wie die Regierung mit den sozialen Forderungen der Bevölkerung und der angestauten Gewaltbereitschaft umgehen wird. Obwohl Bedié keine Tränen nachgeweint werden, bleiben der PDCI-Apparat gerade auf dem Land intakt und das Konfliktpotenzial zwischen den beiden bisherigen großen Oppositionsparteien FPI und RDR beträchtlich. Die "geläuterte" PDCI und die RDR berufen sich gleichermaßen auf das Erbe des houphouetisme, und es ist keineswegs sicher, auf wessen Seite sich die FPI stellen wird, die bereits 1999 zu Verhandlungen mit Bedié bereit war (nicht aber zum Eintritt in die Regierung).
Das Standardsprüchlein der ivorischen Eliten la Côte d'Ivoire est la Côte d'Ivoire (die Elfenbeinküste ist die Elfenbeinküste), mit dem der wirtschaftliche und politische Sonderweg und der unvergleichliche Entwicklungsstand des Landes in der Region betont werden sollten, hat, so scheint es, seine Berechtigung eingebüßt. Wirtschaftlich repräsentiert das Land schon lange keinen Sonderweg mehr. Im günstigsten Fall wird die ra Bedié ein Interregnum gewesen sein, mit der das Land den notwendigen Wechsel hin zu einer neuen Generation politischer Eliten vollzieht, welche sich den Herausforderungen einer sich rasch wandelnden globalen Weltwirtschaft zu stellen weiß.
aus: der überblick 01/2000, Seite 84
AUTOR(EN):
Christof Hartmann:
Dr. Christof Hartmann ist Politologe und wissenschaftlicher Assistent am Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik, Ruhr-Universität Bochum.