Ohne zivilgesellschaftliches Engagement hat die Entwicklungszusammenarbeit keine Zukunft
Die aktive Rolle vieler nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) bei internationalen Konferenzen und ihr wachsender Einfluss auf die Politik hat bereits zu einer Diskussion über die "NGOisierung der Weltpolitik" geführt. Gibt es tatsächlich eine Machtverschiebung von der Staatenwelt hin zu gesellschaftlichen Gruppen, oder werden die NGOs einfach überschätzt?
von Franz Nuscheler
Auf allen politischen Handlungsebenen, von der lokalen bis zur globalen Ebene, mischen heute zivilgesellschaftliche Akteure mit. UN-Generalsekretär Kofi Anan sprach deshalb schon von einer "stillen Revolution" hinter den Kulissen der Staatenwelt, die nach telegenem Anschein und eigenem Anspruch das Weltgeschehen allein bewegt, dies aber schon lange nicht mehr tut.
Es gibt kaum noch ein Bundesministerium oder eine internationale Organisation, die keine NGOs um sich schart, sie in Dialogforen einbezieht und durch kleinere oder größere Zuwendungen bei Laune zu halten versucht. Die Dramaturgie der jüngsten Weltkonferenzen zeigte, dass sie nicht mehr in die Vorräume oder an die Katzentische von internationalen Verhandlungen abgedrängt, sondern teilweise schon in Regierungsdelegationen eingegliedert wurden. In UN-Organisationen haben sie schon seit langem einen Konsultativstatus, allerdings mit unterschiedlichen Mitwirkungsmöglichkeiten.
Offensichtlich versprechen sich beide Seiten Vorteile von dieser Kooperation: Regierungen und internationale Organisationen zapfen die Expertise von NGOs an und umarmen sie, um ihr Protestpotenzial aufzufangen. NGOs erhalten Zugang zu Herrschaftswissen und können Beratungen beeinflussen.
Die aktive Rolle von Menschenrechtsorganisationen in der internationalen Menschenrechtspolitik, die wirksame Einflussnahme von Umweltgruppen auf die globale Umweltpolitik und der zunehmend transnational vernetzten Entwicklungslobby auf die nationale und internationale Politik werden aber sehr unterschiedlich bewertet.
Für hartgesottene Etatisten in den Außen- und Entwicklungsministerien und für "Realisten" in der akademischen Disziplin der Internationalen Beziehungen ist der "bunte Haufen" der NGOs immer noch ein lästiges, lautstarkes, aber letztlich doch ohnmächtiges Störpotenzial im exklusiven Zuständigkeits- und Handlungsbereich von Staaten und Diplomaten. Andererseits gibt es schon eine ganze Gattung von Literatur, welche die NGOs zum Sauerteig der sich herausbildenden Weltgesellschaft, zum Jungbrunnen einer Weltbürgergesellschaft und zum demokratischen Gegengewicht zu den finsteren Mächten der Globalisierung hochstilisiert. Die Einschätzungen schwanken also zwischen unkritischer Romantisierung, die bei den NGOs gelegentlich auch eine Selbstüberschätzung befördert, und despektierlicher Geringschätzung. Beide Extreme werden ihrer Rolle nicht gerecht.
Welche Funktionen erfüllen NGOs in Politik und Gesellschaft? Welche Rolle spielen sie im politischen Kräftespiel? Welche Stärken und Schwächen lassen sie inzwischen erkennen?
Erstens: NGOs stören die eingespielten Routinen der Politik durch Proteste und Provokationen, sie erzeugen mit einer zunehmend geschickten Medienarbeit Gegenöffentlichkeit und damit Gegenmacht. Sie fungieren als Sensoren der Gesellschaft, greifen vernachlässigte Themen auf und leisten der Politik durch Früherkennung von gesellschaftlichen Problemen und durch Frühwarnung vor Konflikten nützliche Dienste.
Zweitens: Sie konfrontieren die Welt der Sachzwänge und mühsamen Kompromisse mit Idealen und Utopien, die häufig dem politischen Alltagsgeschäft weit entrückt sind, ihm aber auch normative Orientierungen geben können. Sie können es sich leisten, über den kurzen Zeithorizont von Wahlterminen hinauszuschauen und Vorschläge zu unterbreiten, die von den politischen Führungsgruppen aus wahltaktischen Gründen tabuisiert werden. Sie verdanken ihre Popularität auch den Schwächen von repräsentativen Institutionen, dem Vertrauensverlust von politischen Parteien und verbreiteten Ohnmachtsgefühlen gegenüber bürokratischen Apparaten und undurchsichtigen Entscheidungsprozessen und Herrschaftsstrukturen.
Drittens: NGOs tragen dazu bei, das soziale und moralische Kapital einer Gesellschaft zu aktivieren. Sie demonstrieren, dass es neben Individualisierungs- und Entsolidarisierungstendenzen auch noch Bedürfnisse nach kreativer Betätigung im Gemeinwesen gibt. Sie holen gewissermaßen die Politik in die Gesellschaft zurück und bilden den Sauerteig bürgerschaftlichen Engagements, das sich nicht in der Teilnahme an Wahlen erschöpft.
Viertens: Die zunehmend transnational organisierten Netzwerke von NGOs bilden Organisationskerne einer sich herausbildenden internationalen Zivilgesellschaft und Stoßtruppen einer globalen Opposition gegen Machtballungen in Weltpolitik und Weltwirtschaft. Sie versammeln sich inzwischen überall, wo sich die Reichen und Mächtigen dieser Welt hinter hohen Mauern und Polizeiketten treffen - sei es in Davos, in Seattle, in Prag, in Göteborg oder Genua. Sie streuen einerseits Sand ins Getriebe von undurchsichtigen Machtkartellen und erzwingen ein Stück Öffentlichkeit und Transparenz, wo sich solche Machtkartelle im Prozess der Globalisierung und Multilateralisierung der Politik zunehmend demokratischer Kontrolle entziehen. Diese Wächterrolle kann die Kontrolle durch demokratisch gewählte Parlamente nicht ersetzen, aber die gewählten Repräsentanten dazu drängen und befähigen, ihre Kontrollrechte wirksamer zu erfüllen.
Andererseits diskreditieren Protestaktionen die Kritik an der Globalisierung, wenn sie in gewaltsame Krawalle, blindwütige Attacken gegen Personen und Sachen umschlagen. Wenn sie internationale Konferenzen erschweren, die sich mit globalen Problemen beschäftigen und Lösungen erarbeiten sollen, torpedieren sie den Dialog zwischen Politik und Zivilgesellschaft, spielen den "Etatisten" in die Hände, die immer der Geheimdiplomatie in exklusiven Zirkeln den Vorzug gegeben haben, und erweisen somit dem Bemühen um Transparenz und Partizipation einen Bärendienst.
Die politische Gestaltung der Globalisierung, also Global Governance, braucht das kritische Engagement der Zivilgesellschaft, aber auch die Bereitschaft und Fähigkeit zum Dialog. Was auf den Straßen von Seattle oder Genua geschah, war zwar nicht den größtenteils friedlichen Demonstranten anzulasten, sondern war das Werk von gewaltbereiten Rollkommandos. Es gab aber den Zweifeln an den edlen Zielen und an der Legitimation der "Internationale der NGOs" neue Nahrung.
Den Stärken und Potentialen der "NGO-Szene" stehen also auch einige Schwächen gegenüber, wobei allerdings vor Verallgemeinerungen zu warnen ist. In der NGO-Szene tummeln sich ganz unterschiedliche Gebilde mit jeweils spezifischen Tugenden und Schwächen.
Erstens: Die NGOs greifen oft einzelne Problemfelder auf und erarbeiten sich in diesen Feldern beachtliche Sachkompetenz, blenden aber bei dieser Engführung die Wirkungen auf andere Problemfelder aus. Auch sie leiden häufig an einer Kurzsichtigkeit, die sie der Politik anzulasten pflegen. Ihr Erfolg beruht auch auf dem Privileg, sich nicht um den Ausgleich von Zielkonflikten kümmern und Entscheidungen treffen zu müssen. Manche sind auf eine medienwirksame Inszenierung von Skandalen aus, um aus dem Schatten größerer Konkurrenzorganisationen heraustreten zu können. Die Konkurrenz auf dem Spenden- und Zuschussmarkt ist groß.
Zweitens: Manche NGOs neigen auch zu einem gesinnungstüchtigen Moralismus, der ihnen das wenig schmeichelhafte Image von "Gutmenschen" einbrachte: Gut gemeint, aber wenig durchdacht und ziemlich realitätsfern! Diese moralische Selbstgerechtigkeit der "edlen Seelen" ist dialogfeindlich und deshalb auch im klugen Eigeninteresse kontraproduktiv. Diese Kritik gilt nicht der Rückbesinnung auf moralische Prinzipien (wie Gerechtigkeit oder Solidarität), sondern einem selbstgerechten Moralismus, der nur eigene Wahrheiten gelten lässt und deshalb penetrant intolerant ist.
Drittens: Die Vielzahl von NGOs, die sich seit den achtziger Jahren weltweit geradezu inflationär vermehrten, täuscht über Oligarchisierungstendenzen in der NGO-Szene hinweg. Nur wenige können sich größere Mitarbeiterstäbe, eine professionelle Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit und den teuren Konferenztourismus leisten. Aber diese wenigen Großen - wie Greenpeace oder der BUND, amnesty international oder die kirchlichen Hilfswerke - prägen das Image der Szene und haben privilegierte Zugänge zu den Vorhöfen der Macht. Das zivilgesellschaftliche Engagement artikuliert sich eher in kleineren und basisnäheren Organisationen, die nur durch freiwillige Arbeit überleben können. Hier findet statt, was Jürgen Habermas als Wesenskern von Zivilgesellschaft versteht: nämlich als autonome, selbstorganisierte, häufig spontane Assoziation von Bürgerinnen und Bürgern zur Erreichung nicht-profitorientierter Ziele.
Viertens: Die NGOs operieren in einem mehrfachen existenziellen Dilemma. Je weniger sie nur protestieren und Kampagnen organisieren wollen und je mehr sie sich auf Kooperation mit staatlichen Institutionen einlassen, um in die Vorhöfe der Macht zu gelangen, desto größer ist ihr Risiko, ein mehr oder weniger großes Stück ihrer Autonomie zu opfern und für Zwecke der staatlichen Geldgeber instrumentalisiert zu werden. Die reichlichen Subsidien für kirchliche Hilfswerke weckten beispielsweise auch beim katholischen Hilfswerk Misereor den Verdacht, als "Verschiebebahnhof für Almosen und Alibis" missbraucht zu werden und als Gegenleistung den kirchlichen Segen für die staatliche Entwicklungspolitik besorgen zu sollen. Dieses Risiko wächst mit dem Grad der finanziellen Abhängigkeit von staatlichen Zuschüssen. Dann ist der Irrweg von einer NGO zu einer Schein-NGO (QUANGO) und zu ihrer Funktionalisierung als Verlängerung des Staates nicht mehr weit.
Je mehr sich NGOs professionalisieren, um kampagnenfähig und/oder zum sachkundigen Dialog- und Kooperationspartner werden zu können, desto größer ist die Gefahr, dass sie ihre Bodenhaftung und ihren basisdemokratischen Anspruch verlieren. Die einen fordern von ihnen, was andere an ihnen kritisieren: die Bereitschaft und Fähigkeit zum Konflikt oder aber zum Dialog mit den Mächtigen. Nur wenige bewältigen diese Gratwanderung zwischen konkurrierenden Ansprüchen und Anforderungen ohne Einbußen an Glaubwürdigkeit. Die heftigste Kritik kommt deshalb nicht von außen, sondern von innen. Die Neigung zum Masochismus gehört zur NGO-Szene.
Gerade die großen NGOs haben nicht nur ein Legitimations-, sondern auch ein innerorganisatorisches Demokratieproblem. Eine hierarchische und elitäre Organisationsstruktur gibt es nicht nur bei Greenpeace. Meinungsumfragen bescheinigen NGOs zwar eine hohe Wertschätzung in der Bevölkerung, aber diese demoskopisch ermittelte Akzeptanz verleiht ihnen noch keine demokratische Legitimation. In wessen Namen sprechen ihre Funktionäre, auf deren Auswahl die Spender keinen Einfluss haben? Sie repräsentieren allenfalls eine virtuelle Gemeinde. Der Mythos von basisdemokratischen und nur edlen Zielen verpflichteten Organisationen ist also korrekturbedürftig. Manche NGOs sind fragwürdige Gebilde, die sich mit raffinierten Werbemethoden Spenden erschleichen und deshalb auf die schwarze Liste von Evaluierungsagenturen gerieten. Während das Finanzgebaren von öffentlichen Verwaltungen der Kontrolle von Haushaltsausschüssen und Rechnungshöfen unterliegt, erteilen sich die Vorstände der meisten NGOs selbst die Entlastung.
Es gibt eine wachsende Gruppe von professionalisierten NGOs, die über keine Mitgliederbasis verfügen, sondern von reichen Sponsoren finanziert werden. Prototypisch ist die international sehr respektierte NGO Human Rights Watch, der ein spendabler Sponsor, nämlich der Großspekulant George Soros, ein professionelles Management ermöglicht. Einen Sonderstatus haben die kirchlichen Hilfswerke, deren Handeln letztlich von kirchlichen Hierarchien, aber nicht vom Kirchenvolk, das Kirchensteuer bezahlt und reichlich spendet, kontrolliert wird. Allerdings können Spender - anders als zwangsverpflichtete Steuerzahler - durch ihre Spende Zustimmung zu den Zielen und zu der Arbeit von NGOs signalisieren.
Weil die Legitimationsfrage in der derzeitigen Diskussion über die NGOs im Mittelpunkt steht und vor allem von bedrängten Politikern, Bürokraten und Verbandsfunktionären in den Mittelpunkt gerückt wurde, sind einige weitere Überlegungen notwendig. Interessenverbände wie Gewerkschaften oder Wirtschaftsverbände betonen in positiver Abgrenzung zu den NGOs, eine innerverbandliche Demokratie zu haben, von ihren Mitgliedern finanziert und kontrolliert zu werden. Aber die für NGOs immer vorwurfsvoller aufgeworfene Legitimationsfrage stellt sich auch für sie, wenn sie im "Verbändestaat" politische Entscheidungen zu beeinflussen versuchen. Dies versuchen Verbände und NGOs gleichermaßen, aber auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Erfolg. Der BDI oder DGB betreiben ihren Lobbyismus zwar heimlicher, aber viel wirksamer als der laute Chor der NGOs.
Wenn der Lobbyismus von Wirtschaftsverbänden für partikulare Interessen als legitimes Instrument in einer pluralistischen Demokratie anerkannt wird, kann den NGOs diese Legitimität nicht aberkannt werden, zumal sie sich eher für gemeinwohlorientierte Ziele einsetzen. Die zivilgesellschaftliche Partizipation, die ein Lebenselixier von Demokratie bildet, und der Beitrag zur politischen Kultur des Pluralismus liefern ihnen auch aus demokratietheoretischer Sicht eine Legitimationsbasis, obwohl sie aus verfassungsrechtlicher Sicht über kein demokratisches Mandat verfügen. Bei ihnen sind weniger Legitimationsdefizite zu beklagen als bei mächtigen Wirtschaftslobbies, die auf nationaler und internationaler Ebene hinter dem Rücken von Wählern und Parlamenten operieren. NGOs scheuen nicht die Öffentlichkeit, sondern suchen sie, weil sie sich nur mit Unterstützung der Medien Gehör verschaffen können.
Ein wichtiges Argument für die Legitimation von NGOs liefern Erfahrungen aus der Umweltpolitik. Umweltministerinnen und -minister betonen immer wieder, dass ihnen der öffentliche Druck dabei hilft, eine aktive Umweltpolitik gegen widerstrebende Ressortinteressen, vor allem aus den Wirtschaftsministerien, und gegen die Wirtschaftslobby durchzusetzen. Thilo Bode, der frühere Vorsitzende von Greenpeace, beantwortete die Legitimationsfrage so: "Unsere Berechtigung ergibt sich daraus, dass es neben den legitimierten Trägern der Macht - den Parteien, den Parlamenten, den Regierungen - Interessengruppen geben muss, damit es im offenen Meinungsstreit zu vernünftigen Entscheidungen kommt."
Allgemein formuliert: NGOs können Legitimation beanspruchen, wenn es ihnen gelingt, die Gesellschaft zu überzeugen, dass sie in einer pluralistischen Demokratie als Sauerteig bürgerschaftlichen Engagements und als Widerpart mächtiger Interessengruppen gebraucht werden - und wenn sie sich selbst nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung demokratisch legitimierter Institutionen verstehen. Ihre Popularität zeugt nicht nur von gesellschaftlicher Akzeptanz, sondern auch von einer Krise der repräsentativen Institutionen, die gut daran täten, aus dieser Popularität Lehren zu ziehen.
Die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit engagierten NGOs sind längst hoffähig geworden. Die Weltbank, viele UN-Organisationen, die EU-Kommission und die nationalen Entwicklungsbehörden laden sie nicht nur regelmäßig zu Konsultationen ein, sondern finanzieren auch viele ihrer Aktivitäten. Bei der Weltbank gibt es schon seit 1981 ein NGO-Komitee. Die OECD bezeichnete sie als "Stützen der Entwicklung" und als unverzichtbare Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit.
Die nationalen und internationalen Entwicklungsagenturen wissen schon, warum sie den Dialog mit wichtigen NGOs suchen (obwohl diese nach Erfahrung eines Teilnehmers an solchen Dialogrunden vielfach nur einen "symbolischen Tischschmuck" bilden). Sie brauchen deren Kooperationspotenzial in den Zielländern, wenn sie das zivilgesellschaftliche Selbsthilfepotenzial aktivieren wollen; und sie brauchen deren Mobilisierungs- und Werbepotenzial in den eigenen Ländern, um der in Misskredit geratenen Entwicklungspolitik mehr Akzeptanz zu verschaffen - auch und gerade durch kritisches Engagement.
NGOs genießen weit größeres Ansehen und Vertrauen als die staatlichen Entwicklungsbehörden. Sie gelten als Hoffnungsträger einer weniger von kommerziellen und außenpolitischen Interessen geleiteten Nord-Süd-Politik. Sie beteiligen sich an der öffentlichen Debatte über Entwicklungspolitik engagierter und häufig auch sachkundiger als die an diesem Politikbereich nur noch wenig interessierten Parlamente. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ) des Deutschen Bundestages führt nur noch ein Schattendasein.
Die Aktivitäten der NGOs sind so vielfältig und unterschiedlich wie ihre Organisationsformen und Gründungszwecke. Viele sind hin- und hergerissen zwischen der konkreten Projektarbeit in den Entwicklungsländern und der Solidaritätsarbeit im eigenen Land, die häufig Eine Welt-Läden als Stützpunkte nutzt. Die großen Hilfswerke wie Misereor und Brot für die Welt, die Welthungerhilfe, die Kindernothilfe oder terre des hommes versuchen beides, weil sie erkannt haben, dass Solidarität in der Einen Welt unteilbar ist. Die großen Hilfswerke mischen auch in der internationalen Arena mit.
Die staatlichen Entwicklungsbehörden leiten einen Teil ihrer Projektmittel über NGOs in den Süden, weil diese einige komparative Vorteile gegenüber staatlichen Durchführungsorganisationen haben (die ihrerseits mit NGOs kooperieren). Erstens erreichen sie eher als jedes staatliche, zwischen Staaten oder internationalen Finanzorganisationen ausgehandelte und von Bürokraten verwaltete Programm die anvisierten Zielgruppen. Zweitens haben oder finden sie Partner, die mit der Lage vor Ort vertraut sind. Dies gilt im Besonderen für kirchliche Hilfswerke mit ihren weltweiten Partnerstrukturen. Drittens können sie eher Selbsthilfe, Partizipation und Empowerment der Armutsgruppen organisieren, weil eine von staatlichen Trägern organisierte Selbsthilfe ein Widerspruch in sich ist, vor allem dann, wenn sie sich gegen bestehende Machtstrukturen auflehnt. Viertens arbeiten NGOs mit einem geringeren Verwaltungs- und Personalkostenaufwand als staatliche Durchführungsorganisationen oder privatwirtschaftliche Consulting-Unternehmen (deren Tagessätze dem Wochenlohn von Entwicklungshelfern aus NGO-Reihen entsprechen). Fünftens liegen ihre Arbeitsschwerpunkte im Kernbereich einer armutsorientierten und partnerschaftlich organisierten Entwicklungszusammenarbeit.
Inzwischen häufen sich aber nicht nur Skandalgeschichten über Ruinen der bi- und multilateralen Entwicklungshilfe, sondern auch Berichte über misslungene NGO-Projekte und verschwundene Millionen. Dutzende von Habilitationsschriften, Dissertationen und Diplomarbeiten haben dem Wildwuchs von NGOs nicht nur Gutes abgewonnen und das böse Wort von der "NGO-Seuche" in die Welt gesetzt. In der Tat stehen sich in vielen afrikanischen Hauptstädten in- und ausländische NGOs gegenseitig auf den Füßen und versuchen, sich aus dem Füllhorn ausländischer Hilfe zu bedienen. Ein Kritiker, Manfred Glagow, goss schon vor einem Jahrzehnt Wasser in den Wein der NGO-Euphorie, als er behauptete, dass NGOs zwar anders, aber nicht besser als staatliche oder privatwirtschaftliche Entwicklungsagenturen seien.
Solche Urteile wurden durch die Selbstüberschätzung der NGOs provoziert, liefern aber keine faire Bilanz. Ihnen kann nicht angelastet werden, Milliarden von Steuergeldern in den Sand gesetzt zu haben, weil sie immer der Maxime folgten: Statt Millionenprojekten Millionen von Projekten. Sie betätigten sich nicht als Hilfstruppen kommerzieller und geostrategischer Interessen, sondern eher als Störenfriede im Entwicklungsgeschäft. Fehlentwicklungen in der boomenden NGO-Szene in vielen Entwicklungsländern, die aus der Jagd von staatlichen Entwicklungsorganisationen und Nord-NGOs nach Partnern im Süden erwuchsen, können ihnen nur teilweise angelastet werden. NGO bedeutet eben nicht immer, was der Name verspricht - und bedeutet vielfach GONGOs (Government Organized Non-Governmental Organisations) zur Erschließung privater Geldquellen aus dem Ausland. Statt die Korruption von Bürokratien auszutrocknen, wurden neue Korruptionswege eröffnet. Diese Gefahr lauert überall, wo Geld fließt. Entwicklungszusammenarbeit ist ein Wagnis, bei dem Fehlschläge, Rückschläge und Fehlentwicklungen nicht auszuschließen sind.
NGOs sind hier und dort Agenten des solidarischen Helfens, Lernens und Veränderns. Sie stehen allerdings unter einem allzu hohen und unerfüllbaren Erwartungsdruck, unter den sie sich auch selbst gesetzt haben. Sie können die staatliche Entwicklungspolitik nicht ersetzen, sondern nur in einigen Tätigkeitsfeldern ergänzen und sie ständig unter Legitimationsdruck setzen, das zu tun, was viele amtliche Absichtserklärungen versprechen. Deshalb ist ihre Inlandsarbeit mindestens ebenso wichtig wie ihre Projektarbeit im Süden, wo zunehmend einheimische NGOs dafür sorgen, dass die Überschwemmung mit ausländischen Entwicklungshelfern überflüssig und kontraproduktiv wird. Ownership, das heißt Eigenverantwortung und Selbermachen, ist das entwicklungspolitische Gebot.
Was bedeutet dies für die NGOs hierzulande? Sie sollen nicht länger Brunnen im Sahel bohren, sondern die eigenen Gesellschaften solidaritätsfähig und fit für die Eine Welt machen. Für alle Hilfswerke sollte die Maxime von Bischof Franz Kamphaus (Limburg) gelten: Es gehe nicht nur darum, die Wunden derer zu verbinden, die unter die Räuber gefallen sind, sondern auch darum, die Strukturen der Räuberei aufzudecken und zu verändern. Dies muss in Berlin, Brüssel und Washington geschehen.
Eine "NGOisierung der Weltpolitik" hat bisher nicht stattgefunden, aber es bildete sich in einigen Politikfeldern eine fruchtbare PPP (Public-Private Partnership) heraus. In dieser Partnerschaft sind NGOs unverzichtbare Organisationselemente, zwar gelegentlich lästig, aber gerade durch ihr kritisches Engagement das Salz in der Suppe. Ihre Entzauberung und die Korrektur ihrer Selbstüberschätzungen, also mehr Bescheidenheit, tun Not. Aber eine Entwicklungszusammenarbeit ohne zivilgesellschaftliches Engagement, das sich organisatorisch in den NGOs verdichtet, hätte keine Zukunft. Die "NGO-Seuche" ist nur aus der Sicht vordemokratischer Entscheidungsträger, für die Transparenz und Partizipation Fremdworte waren, eine Krankheit.
aus: der überblick 03/2001, Seite 6
AUTOR(EN):
Franz Nuscheler:
Dr. Franz Nuscheler ist Professor für Internationale und Vergleichende Politik an der Gerhard-Mercator-Universität Gesamthochschule Duisburg und Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF).