Der faire Handel sucht sein Potenzial stärker auszuschöpfen
Der Absatz fair gehandelter Produkte wächst. Sein Anteil liegt in Deutschland allerdings unter dem in mehreren Nachbarländern. Wo sind ungenutzte Chancen für die Ausweitung des fairen Handels? Und wie kann er mehr Einfluss auf den konventionellen Welthandel nehmen?
von Bernd Ludermann
Der faire Handel bewegt sich aus der Nische. Kaffee, Tee und Süßigkeiten mit seinem Siegel tauchen in deutschen Supermärkten auf. Dutzende Städte oder Regionen haben fair gehandelte Kaffees kreiert, die den Lokalpatriotismus ansprechen und sich in Bäckereien oder Eisdielen verkaufen. Und die Bundesregierung unterstützt mit der Kampagne Fair feels good die Gewinnung neuer Käuferschichten für faire Waren.
Die Ausweitung des fairen Handels verhilft Kaffee- und Kakaobauernfamilien, Teepflückerinnen und Arbeitern auf Orangenplantagen zu einem würdigeren Leben. Denn er zahlt für ihre Produkte einen Mindestpreis, der die Kosten des nachhaltigen Anbaus und der Lebenshaltung deckt, sowie Zuschläge für soziale und wirtschaftliche Entwicklung, etwa den Schulbesuch der Kinder. Langfristige Lieferbeziehungen und, wo nötig, eine Vorfinanzierung helfen kleinen Anbietern, die kaum Kredit bekommen und Nachfrageschwankungen nicht abfangen könnten. Die Erzeuger verpflichten sich ihrerseits auf Standards bei der Produktion wie den Ausschluss von Zwangs- und Kinderarbeit oder gute fachliche Anbau-Praxis. Für biologisch Erzeugtes gibt es noch einen Aufpreis.
All das hilft im Süden Hunderttausenden aber doch nur einer kleinen Minderheit. Die Gefahr, dass der faire Handel Wohlstandsinseln in armen Ländern fördert, ist seinen Verfechtern bewusst. Das gepa Fair Handelshaus, das größte europäische für faire Waren, importiert deshalb von zahlreichen Anbietern, statt wenigen die ganze Produktion abzukaufen. Sein Geschäftsführer Thomas Speck betont zudem, dass Beratung für die Einhaltung der Sozial- und Qualitätsstandards oder für den Bio-Anbau manche Erzeuger schließlich auch befähigt hat, auf normalen Märkten höhere Erlöse zu erzielen.
Dort allerdings, das ist das eigentliche Problem, hat sich die Lage für die ärmsten Länder verschlimmert. Von einem ungehinderten Zugang zu den Märkten im Norden kann bei wichtigen Produkten wie Zucker und Baumwolle keine Rede sein. Und die Preise für viele Exportgüter der ärmsten Länder sind nach Studien der UN-Handels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD langfristig gesunken und kurzfristig starken Schwankungen unterworfen. Zwar war in den 1990er Jahren der Preisverfall relativ gering. Dafür hatte aber die wachsende Marktmacht internationaler Konzerne zur Folge, dass diese einen größeren Teil des Endpreises vereinnahmen und die Erzeuger in den ärmsten Ländern weniger erhalten. Was kann da der faire Handel ausrichten? Kann er noch mehr Produzenten eine Perspektive bieten? Und kann er dazu beitragen, den normalen Handel, der über das Schicksal der großen Mehrheit entscheidet, etwas gerechter zu machen?
Bei der Marktausweitung sind Erfolge zu verzeichnen. Dies ist nicht zuletzt das Ergebnis einer Professionalisierung. Der faire Handel in Deutschland geht auf Dritte-Welt-Aktionen in den 1970er Jahren zurück, vor allem aus kirchlichen Jugendverbänden und Hilfswerken. Der Kirchliche Entwicklungsdienst (KED) und die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend von protestantischer Seite, Misereor und der Bund der deutschen katholischen Jugend von katholischer gründeten 1975 die Gesellschaft für Partnerschaft in der Dritten Welt (gepa) und sind bis heute ihre Gesellschafter (an die Stelle des KED ist der EED getreten). Daneben waren und sind kleinere Vereine im fairen Handel tätig. Über Aktions- und Solidaritätsgruppen sowie ehrenamtlich betriebene Weltläden kamen die Waren unters Volk zunächst Handwerksprodukte, dann Nahrungs- und Genussmittel. Die tragen heute rund neun Zehntel zum Umsatz fairer Waren bei, Kaffee allein etwa die Hälfte.
Lange war der faire Handel weitgehend auf Dritte-Welt-Bewegte und politisch Aktive beschränkt. Ende der 1980er Jahre nahmen seine Verfechter, darunter die kirchlichen Werke, sich jedoch vor, breitere Bevölkerungsteile anzusprechen. Um faire Waren in den normalen Handel zu bringen, wurde der Verein TransFair gegründet. Er zeichnet Produkte, die fair gehandelt werden, mit einem Siegel aus und kontrolliert, ob die deutschen Lizenznehmer die mit dem Siegel verbundenen Regeln einhalten. So können konventionelle Handelshäuser einen Teil ihrer Waren zertifizieren lassen und gesondert anbieten.
Die Marktausweitung gelang nur begrenzt. 2001 war rund ein Prozent des in Deutschland verkauften Kaffees fair gehandelt. In Luxemburg und der Schweiz lag der Anteil bei drei Prozent und in den Niederlanden etwas darunter. In diesen Ländern ist er weiter gewachsen. Neue Vergleichszahlen fehlen, aber auch in Großbritannien und den USA ist seit 2000 eine rasante Zunahme des fairen Handels zu verzeichnen, erklärt Anja Osterhaus vom FairTrade Advocacy Office in Brüssel. Ein einheitliches internationales Siegel, das von der FairTrade Labelling Organisation (FLO) in Bonn überwacht wird, erleichtert seit 2003 den Handel.
Dass Deutschland bei der Absatzsteigerung zurückliegt, hat verschiedene Gründe. So haben in manchen Ländern, etwa Österreich und der Schweiz, staatliche Kampagnen den fairen Handel früher unterstützt als bei uns. Ein Hauptproblem sieht Dieter Overath, der Geschäftsführer von TransFair, aber darin, dass die Mehrheit der Deutschen Lebensmittel billig kaufen will und stärker als in vielen anderen europäischen Ländern Billig-Discounter den Markt beherrschen. Im Vergleich zu deren Preisen sind faire Produkte sehr teuer besonders das wichtigste, der Kaffee (siehe Kasten auf Seite 109).
Den Absatz zu steigern setzt deshalb voraus, dass faire Produkte gehobenen Qualitätsansprüchen genügen und ein entsprechendes Image kultivieren (vgl. das Gespräch mit Thomas Speck). Denn, so Overath: Trotz 'Geiz ist geil' gibt es im hochwertigen Bereich Wachstumsmöglichkeiten." Gute Chancen sieht er bei Süßigkeiten und Südfrüchten. Gerade hat der erste Hersteller teurer Gourmet-Schokoladen auf Zutaten mit TransFair-Siegel umgestellt. Daneben bietet bisher nur die gepa faire Süßigkeiten an; der Umsatz wuchs im Geschäftsjahr 2003/04 um fast 20 Prozent. Süßwaren sind jetzt nach Kaffee dort das zweitwichtigste Produkt.
Gefragt ist auch, dass faire Produkte zugleich biologisch erzeugt sind. 40 Prozent der Waren mit TransFair-Siegel tragen inzwischen ein Bio-Siegel, Tendenz steigend. Für die Produzenten sind faire Preise wichtig, dagegen achten die Verbraucher eher auf bio, bemerkt Reinhart Koppe von der Abteilung Politik und Kampagnen bei Brot für die Welt. Denn das verbinden sie mit einem Mehrwert für sich selbst.
Wolfgang Wilde aus der Geschäftsführung der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann bestätigt das. Das Unternehmen bietet seit 1998/99 faire Produkte an, vor allem Tee und Kaffee. Diesen Markt hätten aber die Niedrigpreise geschädigt, sagt Wilde. Erfolgreicher sind Bananen: "Wir beziehen jetzt unsere Bio-Bananen vollständig aus fairem Handel. Sie kosten pro Kilo etwa 50 Cent mehr als unsere konventionellen Bananen und machen schon 20 Prozent des Bananen-Umsatzes aus. Unter anderem mit biologischen und fairen Produkten wolle sich Tengelmann von den Discountern abheben. Wilde empfiehlt den Importeuren, faire Produkte in kreativerer Verpackung zu präsentieren, denn die Kunden, die statt zum Discounter zum Supermarkt gehen, wollten auch ein Einkaufs-Erlebnis.
Nimmt das Vordringen fairer Produkte in die Supermärkte den Weltläden Kunden weg? Nein, meint Markus Frieauff vom Weltladen-Dachverband: Wir haben im Gegenteil von dieser Entwicklung eher profitiert. Die 500 bis 600 Weltläden wollen sich als Fachgeschäfte für fairen Handel profilieren, erklärt er. Ihr Vorteil sei, dass sie neben soliden Informationen ein breiteres faires Sortiment bieten als Supermärkte zum Beispiel geschmacklich verschiedene faire Kaffees. Weltläden sollen einladender werden und sich an besser frequentierten Stellen ansiedeln. Erlebnis-Shopping im Weltladen? Genau, sagt Frieauff: Wir wollen die herausragende Qualität der fairen Produkte erlebbar machen. Wenn Menschen sich vom fairen Handel emotional angesprochen fühlen, haben wir ein wichtiges Ziel erreicht.
Frieauff empfiehlt, einen Teil der in den Läden geleisteten Arbeit zu bezahlen, wenn sich das trägt. Über einen Mangel an Ehrenamtlichen kann der Verband jedoch nicht klagen. Nur die Form des Engagements habe sich geändert: Es ist stärker befristet und den Engagierten ist wichtiger, dass eine sinnvolle Arbeit sie auch persönlich weiterbringt.
Ein weiteres Marktsegment wollen der EED und Brot für die Welt verstärkt erschließen: Sie wollen fairen Kaffee in die Kirchen bringen. Viele kirchliche Einrichtungen und Kantinen bieten ihn an, die Mehrzahl aber noch nicht. Und das nicht nur weil das Geld knapper wird, meint Koppe: Wer heute konventionellen Kaffee nimmt, hat früher, als der Preisunterschied noch kleiner war, auch keinen fairen gekauft. Darüber hinaus sieht Koppe ein großes Marktpotenzial in den Produzentenländern selbst, soweit es sich um Schwellenländer mit einer großen Mittelschicht handelt wie Brasilien.
Trotz allem wird der faire Handel auf absehbare Zeit ein winziger Teil des Welthandels bleiben. Wieweit können seine Verfechter mit Aufklärung und politischer Einflussnahme auf den übrigen Handel einwirken? Das war ursprünglich ihr wichtigstes Anliegen. Doch es ist, bemerkt Klaus Piepel von Misereor, seit Ende der 1980er Jahre hinter die Sorge um den Absatz zurückgetreten. Zu den Debatten über Handelspolitik und Sozialstandards hätten die fairen Händler lange wenig zu sagen gehabt.
Dass Aufklärung und Bildung leiden, bestreiten Speck und Frieauff. Im Gegenteil, im Supermarkt erreicht man breitere Zielgruppen, sagt Speck. Wilde bestätigt, dass Kaiser's Tengelmann die Handzettel mit Informationen zum fairen Handel, die TransFair erstellt, tatsächlich in seinen Filialen auslegt. Die Wirkung bezweifelt er aber: Flyer werden kaum mehr wahrgenommen, die Leute sind mit Information überfüttert. Fernsehwerbung oder die Anmietung der viel beachteten Regale an der Kasse hielte er für eine bessere Investition.
Frieauff stimmt zu, dass man sich nicht im Supermarkt politisch bildet. Er hält das aber für eine verengte Perspektive, denn der Stellenwert des fairen Handels in der gesamten gesellschaftlichen Diskussion sei stark gestiegen. Der faire Handel bringt auch nach wie vor junge Menschen mit Dritte-Welt-Themen in Berührung. Eine Krise der politischen Arbeit sieht Frieauff nicht: Nur die klassischen Agitationsformen funktionieren nicht mehr. Dafür sei nun etwa der jährliche World Fair Trade Day in Deutschland sehr erfolgreich.
Die Kritik, Organisationen des fairen Handels sollten zu Welthandelsfragen klarer Stellung beziehen, hält Speck für teils berechtigt: Es würde dem fairen Handel gut anstehen, sich mehr die Fragen einer verantwortlichen Gestaltung der Globalisierung zu Eigen zu machen. Overath plädiert indessen für eine gewisse Arbeitsteilung: TransFair nehme als Mitglied des Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsinstitutionen (VENRO) politisch Stellung. Man kann aber nicht im Supermarkt die Welthandelsordnung kritisieren. Da gehe es ums Verkaufen.
Fortschritte in puncto politisches Einmischen erkennt auch Piepel. Zum einen weil Unternehmens-Kodizes und Sozialstandards nicht mehr als anrüchig gelten. So hat VENRO, vertreten von der Menschenrechtsorganisation FIAN, sich an der Erarbeitung eines Verhaltenskodex für die gesamte Kaffeewirtschaft beteiligt. Dass man versuchen muss, diese Art kleine Verbesserungen in großen Teilen des Marktes zu erreichen und nicht nur große in der Nische, scheint im Prinzip nicht strittig. Den Kaffee-Kodex allerdings halten Vertreter des fairen Handels für mangelhaft (siehe Kasten).
Zum anderen sollte die Gründung des Forum Fairer Handel im Jahr 2002 unter anderem die Lobby-Arbeit koordinieren und stärken. Dem Forum gehören der EED, Brot für die Welt, Misereor, TransFair, die gepa sowie kleinere faire Importeure an. Es hat im März Forderungen an die Welthandelspolitik vorgelegt. Danach kann der faire Handel kein Modell für den gesamten Welthandel sein, seine Grundsätze können aber helfen, diesen gerechter zu machen. Verlangt werden unter anderem Umwelt- und Sozialstandards, Vorrang der Menschenrechte vor dem Freihandel und besondere Schutzmöglichkeiten für die schwächsten Handelspartner. Produkte sollen verschieden behandelt werden dürfen je nachdem, ob sie nach ökologischen und sozialen Standards produziert werden; dies verbieten die Regeln der Welthandelsorganisation WTO bisher.
Ähnliche Forderungen erhebt die Welthandelskampagne Gerechtigkeit jetzt. Sie wird von 34 Organisationen getragen, darunter der EED und Brot für die Welt, und beteiligt sich im April an einer internationalen Aktionswoche (siehe www.gerechtigkeit-jetzt.de). Der EED unterstützt auch das erwähnte Fair Trade Advocacy Office in Brüssel, das im April 2004 eingerichtet wurde, um gemeinsame Lobby-Arbeit für die europäischen Verbände des fairen Handels zu machen.
Es scheint also, dass Vorkämpfer des fairen Handels die Praxis im Kleinen wieder stärker mit der Debatte über den Welthandel im Großen verbinden. Hier müssen sie allerdings sehr dicke Bretter bohren; es wäre unangemessen, schnelle Erfolge zu fordern. Zumal sie beim Verkaufen wie bei politischen Kampagnen damit kämpfen, dass nicht alle, die mehr Fairness gut finden, auch dafür zahlen mögen. Die Leute erwarten, sagt Overath, dass die Produkte nicht unter üblen Bedingungen erzeugt sind, vor allem ohne Kinderarbeit. Gleichzeitig erwarten sie aber auch Schnäppchen.
aus: der überblick 01/2005, Seite 106
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".