"Macht es Ihnen denn gar nichts aus, nicht aktuell arbeiten zu können?" wird die Redaktion gelegentlich von Zeitungskollegen gefragt. "Wir sind doch aktuell," antworten wir dann und verweisen darauf, dass manches im "überblick" stand, was anderswo erst später zur Kenntnis genommen wurde. Schon 1995 gab es ein Heft über Warlords, kurz vor dem 11. September 2001 eines über Radikalität in der Diaspora. Und in den letzten Wochen hatten wir beim Posteingang manchmal den Eindruck, dass "Fisch" zum Thema wird. Im "überblick" wurde schon 2004 analysiert, welche Folgen für die Welternährung und internationale Handelsstrukturen es hat, dass die Meere überfischt sind und das Fischangebot zunehmend aus industrieller Fischzucht in der Dritten Welt stammen wird. Dass die Ärzte und Krankenschwestern aus Afrika abwandern ("der überblick" 3/2005), ist nun in aller Munde, und Chinas Auftreten in Afrika ("der überblick" 4/2005) ist inzwischen Gegenstand heftiger Diskussionen.
Um die Veränderungen in der Welt wahrzunehmen, muss die Redaktion aus dem eigenen Dunstkreis heraustreten und bereit sein, Neues aufzunehmen. Deshalb gehört zur Vorbereitung eines Heftes, dass die Redaktionsmitglieder Zeitschriften und Bücher aus verschiedenen Teilen der Welt lesen, um hierzulande noch wenig zur Kenntnis genommene Autoren mit ungewöhnlichen Sichtweisen, Arbeitsfeldern und Informationen zu entdecken. Sie muss ferner das Gespräch mit Fachleuten und ausländischen Gästen suchen, die etwas systematisch beobachten oder Originelles zu berichten haben. Dank der benachbarten Afrika-, Asien- und Iberoamerika-Institute und der günstigen Lage an einem der Hamburger Bahnhöfe schaut immer mal wieder ein interessanter Gesprächspartner zum Tee vorbei.
Natürlich gelingt diese hintergründige Aktualität nicht immer, noch kann die Redaktion des "überblick" alles voraussehen. So war beispielsweise in Heft 2/2006 und in einem (vor dem Druck korrigierten) Manuskript für dieses Heft noch von der beeindruckenden nigerianischen Finanzministerin die Rede, die inzwischen für die auswärtigen Beziehungen zuständig ist. Ob durch den Ressortwechsel der Kampf gegen die Korruption ("der überblick" 2/2006) nachlässt, werden wir sicher in der nächsten Zeit aus Afrika erfahren.
Manchmal allerdings ist die schwerfällige Arbeitsweise einer gründlichen Quartalsschrift auch deprimierend: etwa, wenn wir, wie in den letzten Tagen, fast täglich Meldungen über die bedrohliche Situation im Darfur bekommen und unser Heft doch erst gegen Ende des Monats erscheinen wird. Und wir sprechen auch manchmal darüber, dass Zeitschriften wie die unsere, egal wie aktuell wir sind, zwar dringend nötig, aber auch ziemlich machtlos sind.
Die Redaktion
aus: der überblick 03/2006, Seite 1