Gehorsam gegenüber Gott
Der südafrikanische Theologe Christian Beyers Naudé hat viel dazu beigetragen, dass die Befreiungsbewegung “African National Congress” offen für Menschen aller Hautfarben blieb.
von Gisela Albrecht
Wir, die wir zum großen Teil nicht mehr bewusst Zeitgenossen waren von Dietrich Bonhoeffer, hatten das große Glück, Zeitgenossen zu sein von Beyers Naudé, der im Südafrika der Apartheid einen sehr ähnlichen Kampf ausgefochten hat wie Bonhoeffer im Deutschland des Nationalsozialismus. “Es gibt doch nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, kompromisslos einzutreten”, hat Bonhoeffer 1935 in den Briefen an seinen Bruder geschrieben, “und mir scheint, der Friede und die soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, sei so etwas ... alles wäre verdorben, wollte man Christus für die Kirche aufbewahren. Christus ist für die Welt gestorben und nur mitten in der Welt ist Christus Christus.” Beyers Naudé hat diese theologische Aussage für uns mit der Lebendigkeit eines auch heute gültigen Appells erfüllt, weil er sie mit seinem eigenen Leben besiegelt hat und mit dem Schmerz, der damit verbunden war.
Als sich am 18. September 2004 in der Niederländisch Reformierten Kirche von Aasvoelkop in Johannesburg die Gemeinde versammelte, um Abschied zu nehmen von Beyers Naudé, war eine geistliche Pilgerreise zu Ende gekommen, auf deren Weg Beyers Naudé das ganze Spektrum der politischen Realität Südafrikas durchmessen hatte, von einem Ende zum anderen, weil er - wie Bonhoeffer - die Botschaft des Evangelium ins “Diesseits” geholt hatte.
Bis zu ihrem Ende hat er diese Pilgerreise nicht als eine “politische” verstanden, sondern immer als eine des Glaubens, bestimmt und gelenkt von dem, was er “Gehorsam gegen Gottes Wort” genannt hat. Viel zu spät, sagte er immer, habe er erkannt, was das denn wirklich bedeute in der Apartheid-Gesellschaft; aber als er es erkannt hatte, wich er von dieser Erkenntnis nicht mehr ab, und sie zwang ihn in die Konfrontation mit allem, was ihm von Geburt aus heilig war: mit seiner Kirche, dem Staat und vor allem seinem eigenen Afrikaaner Volk .
Damit führte ihn dieser Weg - das war nicht zu vermeiden - auch mitten hinein in die Welt, in die politischen Konflikte seiner durch die Rassentrennung zerrissenen Gesellschaft. Was für eine politische Sprengkraft dieser Weg des Glaubensgehorsams am Ende zur Folge hatte, wurde sichtbar in den Zeremonien der Trauer, mit denen Südafrika von Beyers Naudé Abschied nahm. Sie ähnelten eher einem politischen Staatsbegräbnis als der letzten Ehre für einen Geistlichen.
Die Fahnen des Landes wehten auf halbmast, der Sarg wurde in offenem Wagen mit militärischer Eskorte eine nach ihm benannte Straße entlang gefahren, das staatliche Fernsehen übertrug die Trauerfeierlichkeiten vier Stunden lang live, und neben den Repräsentanten der Kirche hielt auch Thabo Mbeki, der Staatspräsident, im Gottesdienst eine Rede und erinnerte Südafrika an die politische Bedeutung, die das Leben von Beyers Naudé für das Land gehabt hatte: “Die Opfer, die er gebracht hat, haben uns Frieden und Versöhnung garantiert, weil sie denen, die auf Rache hätten aus sein können, deutlich gemacht haben, dass die Afrikaaner nicht ihre Feinde sind, weil Beyers Naudé nicht ihr Feind war, sondern ihr Kampfgenosse, Freund und Anführer.” Ähnlich Bischof Desmond Tutu, der die Trauerpredigt hielt: “Er war als Hebamme zur Stelle, um der neuen Gesellschaftsordnung der Demokratie ans Licht der Welt zu helfen - er, der so lange verächtlich gemacht und ausgegrenzt wurde, war wieder da. Er hat vielen Schwarzen geholfen, den Rassismus hinter sich zu lassen, jenen, die versucht waren, anti-weiß zu werden. Das war von entscheidender Bedeutung, für die Demokratie, die wir geworden sind.”
Beyers Naudé, das wurde in diesen Reden klar, war für schwarze Südafrikaner zum Symbol geworden für die Möglichkeit der Brüderlichkeit auch weißer Südafrikaner; er hatte die Option für ein Zusammenleben von Schwarzen mit Weißen offengehalten, auch ich hatte das immer wieder, überall im Land, noch in den Jahren der Apartheid, von Schwarzen gehört. Für sie war Beyers Naudé, zusammen mit einer Handvoll Weißer - fast immer wurden auch die Namen von Bram Fischer, Joe Slovo und Helen Joseph genannt - so etwas wie stellvertretender Garant für die Möglichkeit eines “neuen” Südafrika, ohne Diskriminierung nach Rasse und Hautfarbe, eines Südafrika, das deshalb vor der Katastrophe des Rassenkrieges bewahrt werden könnte - fast wie in der alttestamentlichen Geschichte von Sodom und Gomorrha, in der die Existenz von ein paar Menschen, die das Gerechte tun, die Stadt vor dem Untergang rettet.
Nelson Mandela kam mit seiner Würdigung der Essenz dessen, was Beyers Naudés Vermächtnis an die Zurückbleibenden sein könnte, am nächsten. Er rief die spirituelle Seite dieser politisch so bedeutsam gewordenen Lebensgeschichte ins Gedächtnis, als er davon sprach, dass es Beyers gelungen sei, Mitglied der “menschlichen Familie” zu werden - jenseits von Rasse und Hautfarbe. “Beyers erinnerte mich vor allem an den Weg, den ich selbst zurückzulegen hatte: von der Vorstellung in meinem Kopf, Mitglied einer kleinen Gruppe von Menschen zu sein, hin zum Selbstverständnis, einer immer größeren Familie von Menschen anzugehören - diese Reise haben viele von uns auf sehr unterschiedliche Weise unternehmen müssen. Lasst uns diesen großen Südafrikaner als Verkörperung dessen erinnern, was ein lebenswertes Leben immer ist: von dem Mut, der uns allen auf diesem Weg abverlangt wird, um einander wirklich Bruder und Schwester zu sein, von der Erfüllung einer solchen Reise im Glauben, wenn das Ende weder klar noch sicher ist.”
Vielleicht liegt hier das eigentlich Bemerkenswerte an der Person von Beyers Naudé, das ganz und gar Unselbstverständliche, das, was sein Leben so besonders gemacht hat: Dass seine compassion nicht nur den Opfern, den Schwarzen, galt, sondern wirklich und wahrhaftig auch den Tätern, den Weißen, - ein Mitgefühl, das des Feindbildes nicht bedurfte, sondern die Liebe zu den weißen Landsleuten bewahrte und um sie trauerte, ein Mitgefühl, das niemanden ausschloss von der Vision der Erneuerung, auch nicht die Schuldigen. Vielleicht hat er daher letztendlich auch die ideologisch gefangenen Weißen mitnehmen können auf den Weg zur human family, von der Mandela gesprochen hat, und konnte zu der Brücke werden zwischen den Menschen, als die ihn jetzt fast alle südafrikanischen Zeitungen in ihren Nachrufen beschrieben haben.
Dass er im Tod in die Kirche der Niederländisch Reformierten Gemeinde von Aasvoelkop zurückkehrte, in der er gut 40 Jahre zuvor sein Amt als Pastor hatte niederlegen müssen, war wie eine Besiegelung dafür, dass sein Weg zu den Schwarzen für ihn nicht ein Weg war weg von den Weißen. Als sich am 18. September 2004 die Gemeinde in der Kirche von Aasvoelkop am Sarg von Beyers Naudé versammelte, schloss sich daher ein Kreis.
Es war diese Kirche, in der Beyers am 22. September 1963 vor seiner Gemeinde gestanden hatte, um Abschied zu nehmen, - wie ein Ketzer in Acht und Bann getan von der weißen NG Kerk, in der er einer der ranghöchsten Geistlichen war, aller seiner Ämter enthoben, weil er die Doktrin der Rassentrennung in der Kirche nicht mehr mittragen konnte und deshalb als Abtrünniger galt, als Verräter am volk.
Es war der einsamste Augenblick seines Lebens. Ich habe ihn erst 1976, also viele Jahre später, kennen gelernt, und noch da hatte ich den Eindruck, dass es ihm schwer fiel, die Trauer dieses Augenblicks zu ertragen, den Schmerz, dass er ausgeschlossen war von denen, die er liebte und den Schmerz um sie, die er von einem verhängnisvollen Weg nicht zurückhalten konnte. “Ich erinnere mich noch an meinen letzten Gottesdienst. Ich fühlte mich vollkommen verlassen. Ich wusste, was auf mich zukommen würde; ich wusste, wie man mit Leuten umging, die als Verräter am eigenen Volk betrachtet wurden; ich wusste, es würde ein langer Weg durch die Wildnis sein.”
Das Bibelwort seiner Abschiedspredigt an seine Gemeinde, damals an jenem Sonntag im September steht in der Apostelgeschichte 5, Vers 29: Wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen. Obedience to God - das bleibt das Thema seines Lebens, Leitmotiv seiner Predigten, Antrieb seines Handelns, etwas, dem er lange auszuweichen versucht hatte, viele Jahre lang.
Seine Geschichte ist die Geschichte einer Umkehr, bestürzend radikal, äußerlich aber beinahe lautlos und ohne zeitlich fixierbaren Bruch. So etwas wie ein Damaskus-Erlebnis hat es in seinem Leben nicht gegeben, keine blitzartige Erkenntnis, dass Apartheid Unrecht ist und die biblische Begründung für eine nach Rassen getrennte Kirche eine Häresie. Bei ihm war es nicht wie bei Frikkie Conradie, einem Freund und jungen Kollegen, Bure wie er, aufgewachsen in der Ideologie der Apartheid wie er. Conradie genügte eine einzige Begegnung, ein einziges nachtlanges Gespräch mit einem Theologen von der anderen Seite der Rassenschranke, mit Alan Boesak, dann brach sein Apartheid-Weltbild zusammen und er begann sein Leben neu.
Beyers Naudé lebte fast bis zu seinem 40. Lebensjahr relativ unangefochten von der Rassendiskriminierung in seinem Land, ganz integriert in die Ideologie seine Kirche und seines Volkes; als Gemeindepastor geliebt und bald als charismatischer Prediger in weiten Kreisen bekannt. 1940 als jüngstes Mitglied Aufnahme in den Broederbond, die geheime Zentrale weißer Macht, und dann bruchloser Aufstieg in die höchsten Ämter der NGK mit einer glänzenden - auch politischen - Karriere vor sich.
Von der Apartheid weiß er praktisch nichts, davon, wie Schwarze unter ihr lebten, erst recht nicht; vom ANC hat er nur vage gehört, ein schwarzes Township nie betreten, er hatte nur in weißen Gemeinden gedient. Aber unterschwellig verläuft eine Gegenströmung der Irritation, des sporadischen Zweifelns, das er wegschiebt, so gut es geht. Unbemerkt von seinen Kollegen, sogar von seiner Familie, beginnt er mit einem erneuten Studium der Bibel und theologischer Literatur. Zum ersten Mal besucht er die Townships der Schwarzen, nimmt Kontakt mit nicht weißen Geistlichen auf. “Es war ein intellektueller Prozess” - so beurteilt er selbst im Rückblick seine Entwicklung, ein Urteil, das schwer zu verstehen ist, wenn man die existentielle Radikalität seines späteren Lebens bedenkt.
Als sich die Zweifel nicht mehr wegschieben lassen und er den quälenden inneren Kampf mit sich selbst kaum noch aushalten kann, ist er schon ein prominenter Kirchenführer im Zentrum der Macht. Er zögert immer noch, das für wahr zu halten, was doch ganz offen vor seinen Augen liegt. Und er hat Angst. Angst, als Verräter zu gelten. Angst, vielleicht auch, vor dem Verlust seiner Macht. Und Militanz und Rebellentum sind seinem Wesen eigentlich fremd. Er bleibt, in welcher Phase seines Lebens er sich auch befindet, selbst in der Zeit, als er unter Bann lebt und nachts die jungen Untergrundkämpfer bei ihm Hilfe suchen, der burische Pfarrer, der Seelsorger, der nicht trennen sondern verbinden will.
Doch dann kommt Sharpeville, 1960, wo 69 gewaltfrei demonstrierende Schwarze von der Polizei erschossen werden. Und das verändert alles für ihn. Als der Ökumenische Rat der Kirchen in Reaktion auf Sharpeville im gleichen Jahr auf einer Konferenz in Cottesloe bei Johannesburg die Apartheid für unbiblisch erklärt, wird das gewissermaßen zur Kreuzstation: Als einziger Delegierter seiner Kirche verweigert Beyers Naudé anschließend den Widerruf - eine offene Konfrontation mit der Kirche, die 1963 zur Gründung des Christlichen Instituts und zu seinem Ausschluss aus allen Ämtern der Kirche führt.
Er ist bei der Haltung von Martin Luther angelangt - wie Bonhoeffer, der nach dem Beschluss zur Einführung des “Arier-Paragraphen” in die preußische Landeskirche Flugblätter an die Bäume von Wittenberg nagelte mit dem Text: “Der Arier-Paragraph ist eine Irrlehre der Kirche und zerstört ihre Substanz. Darum gibt es einer Kirche gegenüber, die den Arier-Paragraphen ... durchführt, nur noch einen Dienst der Wahrheit, nämlich den Austritt”. Tauscht man den Begriff “Arierparagraph” gegen den der “Apartheid” aus, ist das ein Text, der 30 Jahre später auch die Situation der Christen um Beyers Naudé in Südafrika genau trifft.
Cottesloe - das war für Beyers Naudé der Beginn eines Kirchenkampfes, der, wie der Kampf der Bekennenden Kirche in Deutschland nicht nur ein theologischer Konflikt mit der Kirche war, sondern eine politische Auseinandersetzung mit dem Staat. Das Christliche Institut nahm die zentralen Begriffe der Bibel - Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Versöhnung im Sinn der prophetischen Tradition - wörtlich und kündigte damit unausgesprochen und automatisch, denn das war nicht die Absicht, dem Staat die Loyalität; allein dadurch, dass es die Bibel “beim Wort nahm” und dieses Wort durch die ökumenische Praxis der Zusammenarbeit von schwarzen und weißen Christen lebte, stellte das Christliche Institut das Fundament des Apartheid-Staates in Frage, bestritt ihm seine Autorität, diese Worte für sich zu reklamieren und sie mit der eigenen Ideologie zu füllen. Was für eine politische Macht das in Leben umgewandelte Wort haben kann, bestätigte der südafrikanische Staat selbst: Das Christliche Institut wurde von der Regierung zur “Gefahr für den Staat” erklärt, Beyers Naudé selbst der Prozess gemacht.
Gelassen hat er sich - das war 1973 - vor Gericht zur Unausweichlichkeit seines Widerstands gegen die Apartheidideologie bekannt: “Wenn eine Situation entstehen sollte, in der ein Christ aufgrund seiner Überzeugung von Gottes Wort dem Gesetz des Landes den Gehorsam verweigern muss, dann hat er vor Gott das Recht, das Gesetz zu missachten; ihm muss jedoch klar sein, dass er die Folgen für diesen Ungehorsam auf sich nehmen und sie ertragen muss.”
Man hat oft gesagt, dass der Bann einen Menschen lebendig begräbt. Es ist sicher, dass der südafrikanischen Regierung das mit Beyers Naudé niemals gelungen ist. Sie hatte ihn im Oktober 1977 mit der Bannverfügung belegt, die sie erst sieben Jahre später wieder aufhob. Der öffentlich schweigende Beyers war beredter als zuvor, und der in der politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Kommunikation fast ganz auf Einzelgespräche im privaten Raum seines Hauses eingeschränkte Beyers möglicherweise von größerer politischer Wirkung als der öffentlich und international agierende Direktor des Christlichen Instituts. Und das, ohne dass der Bann ihn zum Märtyrer machte - das ließ er nicht zu. Traf man ihn in seinem Garten unter dem Aprikosenbaum - sein Haus und sein Telefon wurden ständig überwacht -, benahm er sich so gelassen und entspannt, als hätte er nicht bemerkt, dass ein Wagen mit Beamten des Geheimdienstes demonstrativ vor der Tür seines Hauses stand.
Vielleicht wuchs seine Ausstrahlung, weil seine außergewöhnliche Begabung zur Präsenz, zur Konzentration auf den Menschen, der vor ihm war, nun unbehindert war, frei von den überwältigenden, teilweise chaotischen Verpflichtungen des Büro-Alltags im Diakonia-Haus. Und natürlich war der Bann in den Augen der rebellischen Township-Jugend auch eine Art Ritterschlag der Glaubwürdigkeit, ein sichtbarer Beweis für seine Solidarität: “Bis ich gebannt war, haben sie mir nicht wirklich vertraut”, hat Beyers gesagt, “aber von dem Moment an, als ich die Bannverfügung erhalten hatte, sprachen sie untereinander anders: Jetzt ist der Typ über jeden Zweifel erhaben, er ist bereit, den Preis zu bezahlen. Die Tatsache, dass die Regierung so gegen ihn vorgeht, beweist uns, dass er im Befreiungskampf in Wahrheit auf unserer Seite steht.”
Es war die Zeit der fast totalen äußeren Reduktion auf sein Haus im so beschaulichen weißen Stadtteil Greenside, in der Beyers Naudé die Grenzen seiner von der Geburt ins Weiß-Sein geprägten Existenz weiter überschritt als zur Zeit seiner Bewegungsfreiheit; Menschen aus allen Teilen der Welt kamen zu ihm, aus allen Lebensbereichen, mit allen erdenklichen Anliegen; und er nahm sie alle ernst, auch wenn es persönliche Kümmernisse waren und keine politischen Fragen.
Was ihn und sein Leben am meisten verändert hat, wie er einmal gesagt hat: Als der Bann ihm das Verlassen seines weißen Wohngebiets verbot, kamen die schwarzen Südafrikaner zu ihm, einer nach dem anderen, bei Tag und bei Nacht. Sie nahmen ihn auf in ihre Gemeinschaft wie kaum einen Weißen vor ihm, ließen ihn teilhaben an ihrem Leben, an dem, was sie dachten und fühlten. Und er hörte ihnen zu und kam näher an das Verstehen der Wirklichkeit des schwarzen Lebens als je zuvor. Er hat diese Nähe bewahrt - auch nachdem sein Bann abgelaufen und er als Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates wieder zum Kirchenführer geworden war.
Auch im “neuen” Südafrika hat Beyers nicht aufgehört, Teil dieser Gemeinschaft zu sein: Er war Gast der ANC-Delegation, war bei den ersten Gesprächen mit der Regierung, also, wie Tutu sagte midwife bei der Entstehung des neuen Südafrika. Bis zu seinem Tod - und vielleicht sogar im Tod - war er ein Symbol dafür, dass man ganz und gar seiner Herkunft treu bleiben - er ist ein Bure geblieben mit jeder Faser seines Herzens - aber darüber hinaus Teil der menschlichen Gemeinschaft sein kann. Seinem Wunsch entsprechend wurde seine Asche sowohl im Alexandra Township verstreut wie auch auf dem Friedhof der weißen Gemeinde von Aasvoelkop.
Als Beyers Naudé am 18. September in Südafrika zu Grabe getragen wurde, war es vielleicht ein Satz von Mandela, der genau das traf, was uns alle - auch wenn wir keine Worte dafür hatten - so sehr zu Beyers hingezogen hat. Beyers erinnere ihn, sagte Mandela, an den eigenen Weg, den er habe zurücklegen müssen, um ein Mitglied der menschlichen Familie zu werden, statt nur Teil einer begrenzten Gemeinschaft zu sein.
Jetzt, wo er aus dieser Welt fortgegangen ist, befällt uns deshalb fast so etwas wie ein Gefühl des Alleingelassenseins. Er war - jenseits aller Unterschiede, die Menschen voneinander unterscheidbar machen - ein Mitglied der “menschlichen Familie”.
aus: der überblick 04/2004, Seite 98
AUTOR(EN):
Gisela Albrecht:
Gisela Albrecht hat Literatur, Philosophie und Theologie studiert und sich als Journalistin
auf Südafrika spezialisiert. Ihr gemeinsam mit Angela Mai gedrehter Dokumentarfilm
"Memories of Rain" über zwei südafrikanische Widerstandskämpfer wurde in diesem Jahr
auf der "Berlinale" uraufgeführt und war seither auf Festivals in aller Welt zu sehen.