"Ein wichtiger Ansatz, Kinder zu schützen" - Interview mit Heinz Fuchs
Heinz Fuchs leitet die Fachstelle Tourism Watch des EED und hat im Dezember 2001 am zweiten Weltkongress gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern in Yokohama teilgenommen. 134 Regierungen und 250 nichtstaatliche Organisationen (NGOs) waren dort vertreten - an vorderster Front End Child Prostitution, Pornography and Trafficking (Beendet Prostitution, Pornografie und Handel mit Kindern, ECPAT). Diese internationale Kinderrechts-NGO hat in Deutschland 27 Mitgliedsorganisationen, darunter den EED mit seiner Fachstelle Tourism Watch, Brot für die Welt, die Kindernothilfe und Misereor. Heinz Fuchs hat ECPAT Deutschland in Yokohama vertreten.
von Bernd Ludermann
Herr Fuchs, um welche Art Missbrauch geht es beim Kampf gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern?
Um Prostitution mit Kindern, den Kinderhandel und die Kinderpornographie. Täglich entstehen zum Beispiel etwa hundert neue Webseiten im Internet mit kinderpornografischem Inhalt. Gerade 20 Staaten sind technisch und von ihren Gesetzen her in der Lage, dagegen vorzugehen.
Hängen diese drei Arten des Kindesmissbrauchs zusammen?
Ja. Der Kinderhandel dient zum Teil dazu, die Nachfrage nach Kindern für Pornografie oder Prostitution zu befriedigen. Es werden Kinder aus Nepal nach Indien gebracht und aus Osteuropa nach Westeuropa. Unser Ausländerrecht führt oft dazu, dass Kinder, sobald sie als Opfer sichtbar werden, abgeschoben werden, da sie illegal im Land sind. Mein Schwerpunkt ist aber nicht der Kinderhandel, sondern der kommerzielle Missbrauch im Zusammenhang mit dem Tourismus.
Welches Ausmaß hat dieses Problem?
Genaue Zahlen gibt es natürlich nicht. Aber man geht davon aus, dass rund 400.000 deutsche Männer jedes Jahr auf Reisen gehen zu dem Zweck, sexuelle Dienstleistungen zu kaufen. Einige 10.000 treten ihre Reise an, um Sex mit Kindern zu haben. Hier sind umfassende Ansätze nötig: Präventionsmaßnahmen, Hilfe für die Opfer, Gesetze in den einzelnen Ländern, zwischenstaatliche Zusammenarbeit sowie eine Sensibilisierung für das Problem.
Der Kongress in Yokohama sollte prüfen, welche Empfehlungen des ersten Weltkongresses gegen kommerziellen Kindesmissbrauch inzwischen umgesetzt worden sind. Welche Schritte hatte dieser erste Kongress in Stockholm 1996 empfohlen?
Sehr wichtig war, dass er dem Thema erstmals öffentliche Aufmerksamkeit verschafft hat. Er hat zudem die Staaten zu entsprechender Gesetzgebung aufgefordert und das Exterritorialitätsprinzip angemahnt, also dass Täter im Heimatland bestraft werden können...
So dass zum Beispiel ein deutscher Mann, der in Thailand ein Kind missbraucht, in Deutschland dafür verklagt werden kann?
Genau. Deutschland hatte das schon einige Jahre vorher eingeführt, aber viele andere Staaten noch nicht. Außerdem hat der Kongress in Stockholm empfohlen, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit etwa bei den Ermittlungen zu verbessern. Der Kongress in Yokohama hat das noch einmal bestätigt - da bleibt noch Dringendes zu tun. In Yokohama sind darüber hinaus Kinder und Jugendliche nicht nur als Opfer wahrgenommen, sondern in den Kampf gegen den Missbrauch einbezogen worden. Ich fand sehr ermutigend, dass über hundert Jugendliche als Teil der offiziellen Delegationen dabei waren.
Wie ist denn insgesamt die Bilanz bei der Umsetzung der Empfehlungen von 1996?
Von den 122 Vertragsstaaten haben 34 bisher nationale Aktionspläne entwickelt, und 26 sind dabei, das zu tun. Es ist also einiges geschehen. Aber es gibt noch erhebliche Mängel. Zum Beispiel sind in Deutschland seit 1993, soweit mir bekannt ist, 33 Täter wegen Straftaten an Minderjährigen im Ausland verurteilt worden. Bei der Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden und der Beweisführung gibt es große Probleme. Aus Thailand kommt zum Beispiel die Klage, dass die Exterritorial-Gesetze noch zu wenig angewandt werden und Botschaften oft mit Kautionszahlungen die Strafverfolgung behindern. Auch hatten in Yokohama nur etwa ein Drittel der Staaten zu berichten, dass sie mit anderen Akteuren zusammenarbeiten, etwa gegen Pornographie im Internet mit den Internet-Providern oder gegen Sextourismus mit der Tourismus-Wirtschaft. Die Bilanz ist insgesamt ernüchternd: Weltweit haben seit dem Kongress in Schweden 1996 laut dem UN-Kinderhilfswerk Unicef die Prostitution und der sexuelle Missbrauch mit Kindern zugenommen - nicht zuletzt aufgrund der Verarmung etwa in Osteuropa. Zum Teil hat der Kindesmissbrauch sich von Ländern wie Thailand, die Maßnahmen dagegen ergriffen haben, weg verlagert. Man muss sich allerdings fragen: Wie sähe das aus, wenn seit 1996 nichts unternommen worden wäre?
Sind Unternehmen bereit, sich am Kampf gegen Kindesmissbrauch zu beteiligen?
Es gab in Yokohama drei Schalter für die Konferenzanmeldung - für Regierungen, für NGOs und für den Privatsektor. Bei den Schaltern für NGOs und Regierungen standen lange Schlangen, bei dem für den Privatsektor nur einzelne Personen. Es ist nach meiner Einschätzung nicht gelungen, den Privatsektor umfassend zu beteiligen. Ich bedaure sehr, dass wir aus Deutschland auch nicht die Reiseindustrie motivieren konnten, den Verhaltenskodex, den wir mit dem deutschen Reisebüro- und -veranstalterverband DRV im letzten Jahr abgeschlossen hatten, in Yokohama selbst vorzustellen.
Wer genau hat diesen Kodex mit deutschen Reiseveranstaltern ausgehandelt?
ECPAT Deutschland; der EED wird dort von meiner Fachstelle Tourismus vertreten. Innerhalb von ECPAT koordiniere ich den Arbeitsbereich Tourismus. In mehreren Ländern Europas ist ECPAT dabei, einen sechs Punkte umfassenden Verhaltenskodex mit der Reisebranche einzuführen. Der DRV hat den Kodex übernommen und seinen Mitgliedern zur Umsetzung empfohlen. Die Unternehmen sagen nun: Wir sensibilisieren unsere Mitarbeiter, wir nehmen den Schutz der Kinder in unsere Firmenphilosophie auf, wir schreiben entsprechende Klauseln in die Verträge mit unseren touristischen Dienstleistern, wir schulen unsere Mitarbeiter und Reiseleiter, und wir legen jährlich einen Bericht über unsere Erfahrungen vor. Das ist ein kaum zu überschätzender Beitrag des privaten Sektors. Der DRV repräsentiert immerhin 80 Prozent des deutschen Reisemarktes. Außerdem ist es gelungen, zusammen mit der polizeilichen Präventionsstelle des Bundes und der Länder, dem DRV und ECPAT Deutschland ein Massenfaltblatt zu produzieren. Es ruft Reisende dazu auf, nicht wegzusehen, wenn Anzeichen für Kindesmissbrauch bemerkt werden. Mit dem DRV ist vereinbart, dass es an alle Reisenden ausgegeben wird. Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die deutsche Reiseindustrie das in Yokohama selbst präsentiert. Das Modell hat dort großes Interesse gefunden.
Ist der Sextourismus nicht ein eher untergeordneter Teil des Missbrauchs von Kindern, verglichen mit den Übergriffen von Einheimischen?
Das ist richtig. Die japanische Regierung zum Beispiel hat sich mit dem Kongress relativ schwer getan, weil die Prostitution mit Minderjährigen in Japan wie in vielen anderen Ländern ein schweres Problem und ein Tabuthema ist. Der Tourismus ist insgesamt nicht das Hauptproblem, aber er ist ein wichtiger Ansatzpunkt, etwas Konkretes zu tun. Ein anderer ist die Altersgrenze für gesetzlichen Schutz. Alle, die sich mit kommerziellem Kindesmissbrauch beschäftigen, sagen, dass Kinder bis zum Alter von 18 Jahren gesetzlich vor sexuellem Missbrauch geschützt werden müssen. Es geht hier schließlich nicht um sexuelle Beziehungen zwischen 17-Jährigen, sondern um Ausbeutung. Doch die Altersgrenze liegt in manchen Staaten bei 14, in anderen bei 16 Jahren.
Was sind die nächsten Ziele der Kampagne?
Wir arbeiten erstens mit der Bundesregierung an der Erstellung eines nationalen Aktionsplans. ECPAT Deutschland will zweitens stärker auf die Beteiligung von Jugendlichen setzen. Die evangelische Jugend im Rheinland hat zum Beispiel eine Kampagne gemacht mit dem pfiffigen Titel "Hose zu und Finger weg". Drittens engagieren wir uns weiter im Dialog mit der Reiseindustrie bei der Umsetzung des Kodex. Viertens überlegen wir im europäischen Verbund, wie wir das Problem an der Ostgrenze der Europäischen Union angehen. Hier brauchen wir eine breite Ost-West-Zusammenarbeit und wollen auch neue Zielgruppen in den Blick nehmen wie Busunternehmen, die Tagesausflüge organisieren, oder Speditionen.
Betrachten Sie die öffentliche Aufmerksamkeit für das Problem des kommerziellen Kindesmissbrauchs als Verdienst der NGO-Kampagnen?
Auf jeden Fall. Die Forderungen der NGOs und beide Weltkongresse haben Druck auf die Regierungen ausgeübt, sich mit dem Problem zu befassen. Aber mir scheint auch, dass die Anschläge vom 11. September zu einer neuen Nachdenklichkeit über den Zustand dieser Welt geführt haben. Die Bereitschaft ist gewachsen, über Ungerechtigkeiten nachzudenken - auch zwischen den Geschlechtern und Erwachsenen und Kindern -, die Ursache von verschiedenen Formen der Gewalt sind.
Buchtipp: ECPAT Deutschland (Hrsg.) Aktiv zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung
Spendenprojekte zur Prävention, Rehabilitation, Öffentlichkeitsarbeit Es bedurfte eines Fernsehkrimis, des legendären "Tatort Manila", um eine breitere Öffentlichkeit in Deutschland für das Geschäft mit Kindersex zu sensibilisieren. Der Film verschaffte auch der internationalen Kampagne gegen Kinderprostitution, Kinderpornografie und Kinderhandel und dem damit befassten Netzwerk ECPAT in Deutschland Rückenwind. ECPAT Deutschland zeigt nun in seiner jüngsten Publikation am Beispiel von 13 Projekten, was für die Opfer getan werden kann, wie man dem kommerziellen Kindesmissbrauch vorbeugt und wie sinnvolle Kampagnen zum Schutz der Kinder aussehen. Die vier christlichen Hilfswerke Brot für die Welt, Kindernothilfe, Misereor und Missio - alle Mitglieder von ECPAT Deutschland - berichten von ihrer Arbeit auf den Philippinen, in Thailand, Sri Lanka, Indien, Kenia, Äthiopien, Kamerun, Ecuador und Brasilien. Die Projektbeispiele machen deutlich, dass juristische und polizeiliche Maßnahmen gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen nicht ausreichen - so wichtig sie sind. Der Erfolg hängt entscheidend davon ab, die Lebensbedingungen in den Ländern des Südens nachhaltig zu verbessern, so dass Kinder und Jugendliche nicht länger gezwungen werden können, für ihr Überleben ihren Körper zu verkaufen. Das Projektheft ist keine soziologische und kriminologische Studie zum Thema, sondern gibt übersichtliche Informationen zur Arbeit von Hilfswerken. Es macht aber deutlich, dass der Umgang mit Sexualität, Macht und Moral sich ändern muss, wenn die Manilas dieser Welt nicht länger "Tatorte" sein sollen. Jürgen Schübelin |
aus: der überblick 01/2002, Seite 120
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".