"Viele Verstösse werden in Israel jetzt hingenommen"
Die 1972 gegründete Association for Civil Rights in Israel (ACRI) ist die älteste Bürgerrechtsorganisation des Landes. Risa Zoll, ihre Direktorin für internationale Beziehungen, schildert, wie schwierig der Einsatz für grundlegende Rechte seit Ausbruch der zweiten Intifada vor drei Jahren geworden ist.
von Rainer Busch
Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Wir befassen uns mit dem gesamten Spektrum der Menschenrechte. Etwa 60 Prozent unserer Tätigkeit gilt den arabischen Bürgern in Israel sowie den Palästinensern in den besetzten Gebieten, also im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Die Themen für diese beiden Gruppen sind sehr unterschiedlich. In den besetzten Gebieten geht es um ganz grundlegende Dinge: die fehlende Bewegungsfreiheit, die Sicherung des Wohnrechts, die Landnahme, Gewalt der Siedler gegen Palästinenser, die Zerstörung ihrer Häuser. Bei der Arbeit in Israel geht es mehr um die Vertretung arabischer Interessen in öffentlichen Institutionen, aber auch um Dinge wie Gesundheits- und Schulversorgung. Die restlichen 40 Prozent unserer Arbeit sind Themen gewidmet wie Religionsfreiheit, Gleichstellung der beiden Volksgruppen oder Rechte der Beduinen.
Was können Sie für diese Gruppen tun?
Wir versuchen zunächst auf konkrete Probleme aufmerksam zu machen, indem wir mit Behörden korrespondieren oder uns direkt mit einzelnen Behördenmitarbeitern auseinandersetzen. Manchmal sind wir in der Lage, in Einzelfällen zu helfen. Zum Beispiel, wenn es um die Verweigerung bestimmter Dokumente oder um die Anerkennung von Staatsbürgerschaften geht. Wir kennen die Probleme und die formale Vorgehensweise. Wir wissen, was beachtet werden muss. Wir weisen die Behörden auf bestimmte Paragraphen hin, die es einzuhalten gilt. Zudem identifizieren wir Trends im Bereich der Menschenrechtsverletzungen und bringen diese vor Gericht - wenn es sein muss bis zum Obersten Gerichtshof. Zwar urteilen die Gerichte nicht immer in unserem Sinne. Aber durch die Prozesse erzeugen wir öffentliche Aufmerksamkeit, die wiederum Druck auf die Regierung und die Behörden bewirkt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir haben für eine arabische Familie in Israel erreicht, dass sie ein Haus in einem jüdischen Gebiet kaufen konnte. Das war ein echter Meilenstein. Das Gericht urteilte, es dürfte beim Kauf von Staatsland keine Diskriminierung zwischen Juden und Arabern geben. Sie müssten gleich behandelt werden. Dieses Urteil wurde vor vier Jahren gesprochen. Seitdem verweigert die Regierung auf verschiedensten Ebenen der Familie den Kauf des Grundstückes. Aufgrund des Urteils wurde in der Knesset versucht, ein Gesetz zu verabschieden, welches den Verkauf von Staatsland nur an Juden erlaubt. Dieses Gesetz scheiterte, nicht zuletzt, weil wir das Thema durch den Prozess auf die öffentliche Tagesordnung gesetzt hatten. Aber insgesamt ist unsere Erfolgsrate sehr gemischt.
Ist Ihre Arbeit schwieriger geworden in den letzten Jahren seit Ausbruch der zweiten Intifada?
Keine Frage, das ist so. Uns werden immer mehr Hürden in den Weg gelegt. Menschenrechtsverletzungen, wie sie etwa bei der Verhängung von Ausnahmezuständen oder der Landnahme in den besetzten Gebieten geschehen, dürfen nicht mehr grundsätzlich vor Gericht gebracht werde. Wir müssen viele einzelne Fälle sammeln und bündeln, damit sich ein Gericht überhaupt damit befasst. Dies bedeutet deutlich mehr Arbeit. Trotzdem kann es passieren, dass ein Gericht sagt: Es geht hier um Sicherheitsfragen, darüber wird nicht verhandelt.
In der Öffentlichkeit herrscht ein Klima der Angst, nicht nur wegen der Selbstmordattentate, sondern auch aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation. Wir haben unsere Positionen über die Jahre nicht verändert. Aber die Israelis sind für unsere Themen bei weiten nicht mehr so offen.
Wie wird ACRI in Israel wahrgenommen?
Das hängt davon ab, mit wem Sie sprechen. In bestimmten Bereichen gelten wir als eine radikale Organisation am äußeren linken Spektrum, die nur mit und für Palästinenser und Araber arbeitet und sich nicht um andere kümmert. Anderen wiederum sind wir nicht radikal genug, weil wir auch mit offiziellen Stellen zusammenarbeiten. Ich denke, so lange wir Kritik von beiden Seiten bekommen, machen wir ganz gute Arbeit. Unsere Mitgliederzahl von 1200 ist über die Jahre konstant geblieben. Das ist ein gutes Zeichen. Unser Hauptziel ist heute, unsere Themen in die Presse und auf die politische Tagesordnung zu bekommen. Das ist in den vergangenen Jahren deutlich schwieriger geworden. Wir müssen sehr viel stärker zuspitzen, um wahrgenommen zu werden.
Wie steht es heute um die Wahrung der Menschenrechte in Israel?
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, aber die Situation ist sehr düster. Es gibt eine sehr viel stärkere Legitimation für Rassismus, für die Verletzung von Menschenrechten. Dinge, die vor drei Jahren einen öffentlichen Aufschrei verursacht hätten, werden heute stillschweigend hingenommen. Bei Heiraten zwischen Palästinensern aus den besetzten Gebieten und aus Jerusalem darf das Ehepaar nicht nach Jerusalem ziehen. Davon gibt es 2000 bis 3000 Fälle pro Jahr. Das ist ein eindeutig rassistisches Gesetz, das völlig ohne öffentliche Kritik verabschiedet wurde. Maßnahmen der Regierung werden in den Medien kaum noch hinterfragt. Deshalb arbeiten wir so intensiv daran, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Denn nur eine Veränderung der öffentlichen Meinung ermöglicht Verbesserungen.
Ist dies eine Phase oder sehen Sie einen grundsätzlichen Politikwechsel?
Das ist schwer zu sagen. Ich bin sicher, dass sich die Lage irgendwann wieder verbessern wird. Die Frage ist: Wie schlimm muss es noch werden, bevor es besser wird? Nur wenn der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern politisch gelöst wird, gibt es Hoffnung für die Wahrung der Menschenrechte. Wann das soweit ist, ist sehr unklar. Ich fürchte eher, die Situation wird sich weiter verschlechtern.
ACRI wird seit 1991 vom EED unterstützt. Wie wichtig ist diese Hilfe für sie?
Sie ist zentral für unsere Arbeit. Der EED finanziert seit langen unseren Einsatz für arabische Bürger in Israel. Dazu zählt neben der rechtlichen Unterstützung auch die Bildungsarbeit in Schulen. Wir führen in arabischen Schulen Kurse zum Thema Menschenrechte durch und publizieren Unterrichtsmaterial für die Schüler. Seit einem Jahr finanziert der EED ein weiteres Projekt, das es uns ermöglicht, unsere Arbeit in den besetzten Gebieten auszubauen, insbesondere die rechtliche Unterstützung bei Menschenrechtsverletzungen. 95 Prozent unserer Mittel stammen aus dem Ausland. Der Rest kommt aus Israel, vor allem aus Benefizkonzerten, die wir selbst organisieren. Geld von der Regierung nehmen wir nicht.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Palästinensern organisiert?
ACRI hat keine Vertretungen in den palästinensischen Gebieten. Wir haben Büros in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem mit insgesamt 44 Mitarbeitern. Mit vielen palästinensischen Organisationen arbeiten wir sehr eng zusammen. Sie haben die besseren Kontakte und Informationen vor Ort. Wir stellen unter anderem das rechtliche Know-How. Diese Zusammenarbeit ist sehr vertrauensvoll und effektiv.
aus: der überblick 04/2003, Seite 140
AUTOR(EN):
Rainer Busch:
Rainer Busch ist freier Journalist in Hamburg;
er hat im Oktober im Rahmen einer
Journalistenreise des EED Israel bereist.