Bei den Kämpfen in Mogadischu wurde ein Hilfswerk zur Zielscheibe
von Marc Engelhardt
"Die Gästezimmer sind fertig", verkündet der Chef von Daryeel Bulsho Guud, Abukar Scheich Ali, mit seiner zuversichtlichsten Stimme. Das neue Hauptquartier der Hilfsorganisation steht jetzt in Afgoye, gut 30 Kilometer außerhalb von Mogadischu. "Auch sonst ist alles in Schuss, wir können wieder arbeiten." Von Angst oder Resignation keine Spur.
Dabei ist bei den Kämpfen in Mogadischu Ende April nicht nur das Büro in Trümmer gelegt worden. Auch einer der Helfer, ein Arzt, ist bei der mehr als 24 Stunden anhaltenden Bombardierung des Gebäudes ums Leben gekommen. Kaum einen Monat später geht die Arbeit weiter sie muss ja. In den 16 staatenlosen Jahren seit der Vertreibung des Diktators Siad Barre haben die somalischen Helfer sich an einiges gewöhnen müssen. Früher schon mussten sie zwei Mal Hals über Kopf aus anderen Bürogebäuden fliehen, weil sich quasi über Nacht die Sicherheitslage verschlechtert hatte.
Daryeel Bulsho Guud (DBG) ist Somalisch für "Hilfe für alle". In Mogadischu bedeutet das: Keiner der verfeindeten Clans wird bevorzugt. Nur so konnte die Organisation so lange überleben. Als Mitte vergangenen Jahres das Bündnis islamischer Gerichte die Macht übernahm, ging die Arbeit weiter. Nach dem Einmarsch äthiopischer Soldaten ein halbes Jahr später blieb DBG als eine von nicht einmal einer Handvoll Organisationen im Einsatz. Und selbst als dann seit März der Krieg zwischen Truppen der Übergangsregierung und äthiopischer Armee auf der einen Seite, den Ende 2006 verjagten Islamisten und dem mit ihnen sympathisierenden Hawiye-Clan auf der anderen Seite immer heftiger tobte, stellten Abukar und seine Kollegen die Hilfe nie ein.
Doch dann gerieten die Helfer selbst ins Fadenkreuz. Wie genau, ist bis heute unklar. Mehrere Angestellte mussten am 22. April in dem mehrstöckigen Gebäude ausharren, weil äthiopische Truppen es ohne Unterlass bombardierten. Erst nach 24 Stunden konnten die vier Verletzten behandelt werden. Für den Arzt und DBG-Unterstützer Aden Haydar, der in den vorangehenden Wochen Medikamente im Auftrag des deutschen Auswärtigen Amtes verteilt hatte, kam jede Hilfe zu spät: Er erlag seinen Verletzungen, ebenso wie ein Nachbar, der auf das DBG-Gelände geflüchtet war.
Möglicherweise wurde das Büro bombardiert, weil es am falschen Ort lag: Die heftigsten Kämpfe um die Vormacht in Mogadischu wurden an der Tawfiq-Kreuzung geführt, und genau dort stand das DBG-Gebäude. Doch die Hilfsorganisation war bekannt; es ist kaum vorstellbar, dass die Militärführer nichts von ihrem Büro wussten. "Ein äthiopischer General hat uns später sein Bedauern ausgedrückt, dass gerade eine von Deutschland finanzierte Organisation in Mitleidenschaft gezogen wurde", sagt der Verwaltungschef von DBG. "General Gabre hat uns erklärt, welche Hochachtung er vor Deutschland habe, der größten Gebernation in Äthiopien. Und er hat uns versprochen, dass deutsche Ziele nie wieder von der äthiopischen Armee angegriffen werden sollen." Auch in Somalia ist Deutschland ein großer Geber, der zweitgrößte nach der ehemaligen Kolonialmacht Italien.
Die DBG-Mitarbeiter erinnern sich an viele katastrophale Situationen in der Anarchie und den Bandenkriegen seit dem Sturz von Siad Barre 1991. Aber so schlimm wie im April diesen Jahres, sagt Abukar Scheich Ali, sei es nie gewesen. Hunderte Menschen kamen in den Kämpfen, die nur in einem kleinen Teil Mogadischus geführt wurden, ums Leben, manche sagen mehr als tausend. Ende des Monats befanden sich in Mogadischu nur noch Helfer, Kämpfer und wenige Männer, die ihr Haus und ihren Besitz verteidigen wollten. Alle anderen waren auf der Flucht. "Die Äthiopier wollen mich umbringen, weil ich Somali bin, und die Milizen wollen mich töten, weil ich nicht mit ihnen kämpfe", sagte ein Bewohner hoffnungslos.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zählte mehr als 400.000 aus Mogadischu Vertriebene, von denen drei Viertel bis heute nicht zurückgekehrt sind. "Die Leute würden gerne zurück nach Mogadischu, aber dort sind die Häuser zerstört, es gibt keinen Strom, kein Wasser wohin sollen sie also zurückkehren?", fragt Abukar. Im kargen Umland Mogadischus war zeitweise selbst Schatten unter den wenigen Bäumen nur gegen Geld oder Lebensmittel zu haben. Auf eine Massenflucht dieser Größenordnung war niemand vorbereitet. Zudem konnten manche Hilfsgüter erst nach Wochen verteilt werden, nachdem die Übergangsregierung im Kampf die Oberhand gewonnen hatte.
Cholera brach aus, und der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Somalia, Eric Laroche, warnte vor einer Krise gigantischen Ausmaßes. Der somalischen Übergangsregierung und den mit ihr verbündeten äthiopischen Truppen wirft er vor, Hilfslieferungen systematisch zu behindern, mit bürokratischen Auflagen und Straßensperren: "Wir haben versucht, deswegen mit den Behörden Kontakt aufzunehmen, aber die ignorieren uns einfach." Im Mai nahmen die Schwierigkeiten weiter zu. Das Schutzgeld auf der Strecke nach Baidoa, so berichteten die UN, habe sich binnen vier Wochen mehr als vervierfacht. 520 US-Dollar pro Lastwagen müssen Hilfsorganisationen jetzt an bewaffnete Banden zahlen, um helfen zu dürfen.
Die Übergangsregierung unternimmt nichts dagegen. Im Gegenteil: Statt die Hilfe leichter zu machen, verkündete der neue Innenminister Mohammed Gamadhere, jede Hilfsorganisation habe sich binnen weniger Tage bei ihm zu registrieren, um die Arbeitsgenehmigung nicht zu verlieren. Abukar schüttelt den Kopf. "Wir haben uns als Gruppe von Hilfsorganisationen mit dem Minister zusammengesetzt und ihm gesagt, dass das nicht geht, zumal unsere Geber auch noch zustimmen müssen." Schließlich lenkte Gamadhere ein und verlängerte die Frist. Doch noch ist unklar, was das Ergebnis der Neuregistrierung sein wird und warum sie überhaupt vorgenommen wird. Zuletzt hatten sich alle Organisationen ein halbes Jahr zuvor bei den neuen islamistischen Behörden anmelden müssen. "Im Moment wissen wir einfach nicht, was die Regierung eigentlich will", sagt Abukar fast entschuldigend.
Bei all dem drängt die Zeit. Der größte Fluss der Region, die Shabelle, wird nach Regenfällen flussaufwärts in Äthiopien bald Hochwasser führen. Dann sind die Straßen zu den Flüchtlingen überschwemmt. Bis dahin will DBG möglichst viele Hilfsgüter verteilt haben: Ende Mai wurden wieder riesige Medikamentenvorräte in die großen Hospitäler Mogadischus gebracht. Auch die Entwicklungsprojekte, die DBG in den vergangenen Jahren aufgebaut hat, verfolgt die Organisation weiter: Mehrere solarbetriebene Brunnen wurden in den Wochen nach dem Krieg rund um Mogadischu aufgestellt. Doch andere Errungenschaften, etwa die von DBG gegründete "Umwelt-Feuerwehr", eine Ausbildungsstätte von Frauen für Frauen oder die massenhafte Ausstattung von Grundschulen, wirken in diesen Tagen seltsam fern. Viel der in den vergangenen Jahren aufgebauten Infrastruktur ist zerstört, man muss von vorne anfangen.
Von Versöhnung oder auch nur Verständigung sind die Regierung und der Clan der Hawiye sowie die Islamisten noch weit entfernt. Immer wieder detonieren in Mogadischu Bomben, fallen Schüsse. Auch Selbstmordattentate, früher in Somalia unbekannt, kommen jetzt vor. Ohne die äthiopische Armee wären Präsident Abdullahi Jusuf und seiner Übergangsregierung längst die Kontrolle über Mogadischu wieder entglitten. Die geplante Nationale Versöhnungskonferenz wird ständig vertagt. Eigentlich hätte sie Mitte April beginnen sollen. "Das Versöhnungskomitee hat entschieden, die Konferenz wegen unerwarteter Umstände zu verschieben", erklärte der Komiteevorsitzende, Somalias Ex-Präsident Ali Mahdi, im Juni lakonisch.
Doch das eigentliche Problem ist, dass in Somalia niemand an den Erfolg des Kongresses zu glauben scheint. Der Präsident der Übergangsregierung Abdullahi Jusuf hätte dem Plan einer umfassenden Versammlung nie zugestimmt, wenn die Europäer das nicht zur Bedingung für Entwicklungshilfe gemacht und EU-Entwicklungskommissar Louis Michel ihm das Messer auf die Brust gesetzt hätten.
Dennoch: Vertreter der Islamisten will die Regierung nicht einladen. Die Hawiye erklären, nicht an der Versöhnungskonferenz teilnehmen zu wollen. "Es ist falsch, dass die Teilnehmer entlang von Clanlinien ausgewählt werden sollen", so der Vorsitzende des Ältestenrats der Hawiye, Hadschi Abdi Iman. "Somalias Probleme haben mit den Clans nichts zu tun, sie sind politisch." Iman kritisiert zudem, dass es keine unabhängigen Vermittler bei den Gesprächen gibt. Ein enger Vertrauter Imans wird im Schutz der Anonymität noch deutlicher. "Was soll uns eine Versöhnungskonferenz bringen? Die Regierung will etwas von uns, also soll sie uns ein Angebot machen." "Wir wissen, dass die Versöhnungskonferenz kaum etwas bringen wird", sagt ein EU-Diplomat in Kenias Hauptstadt Nairobi. "Aber wir finanzieren sie trotzdem welche Alternative haben wir denn?"
DBG hält sich aus solchen politischen Debatten heraus. Nach 16 Jahren hat die Gruppe gelernt, diplomatisch zu sein, ohne in Opportunismus abzugleiten. Sollte es die Konferenz geben, dann wird DBG wohl auf jeden Fall als Beobachter dabei sein. Und die Helfer werden alles daran setzen, das Beste für die einfache Bevölkerung herauszuholen.
aus: der überblick 03/2007, Seite 154
AUTOR(EN):
Marc Engelhardt
Marc Engelhardt lebt in Nairobi und arbeitet
als freier Journalist, unter anderem für den epd,
die tageszeitung und ARD-Hörfunk
und -Fernsehen.