Charles M. Huber
Ein Niederbayer im Senegal
Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2004, 350 S.
Thomas Ducks
Von weißen Wilden und wilden Weißen
IKO-Verlag für interkulturelle Kommunikation Frankfurt am Main 2003, 104 S.
von Bartholomäus Grill
Am ersten Schultag sprach die Frau Mama: »Hör' zu! Heute wirst du ein kleines Negerlein sehen. Es ist ganz schwarz und geht mit euch in die erste Klasse. Ihr dürft es niemals auslachen. Es kann nichts dafür.« Das kleine Mädchen hieß Klara; es war ein so genanntes Besatzerkind die Mutter eine Deutsche, der Vater ein afroamerikanischer Soldat. Wir neckten die Klara gelegentlich wegen der krausen Haare und dunklen Haut, aber wir akzeptierten sie, weil sie genauso urbayerisch sprach wie wir und sich auch sonst kein bisschen anders verhielt. Offenbar fühlte auch sie sich unter uns Landeiern recht gut aufgehoben.
So ähnlich scheint es auch Charles M. Huber ergangen zu sein, der in Großköllnbach aufwuchs, einem Dorf im tiefsten Niederbayern, und später berühmt wurde als erster schwarzer Kriminalpolizist im deutschen Fernsehen er spielte in der Serie »Der Alte« den Inspektor Henry Johnson. »Ich war ein Niederbayer ohne wenn und aber«, erinnert sich Huber, und die Fotografien aus seiner Kindheit illustrieren dieses Selbstverständnis. Man sieht ein drolliges Kerlchen beim Krippenspiel, mit der Kommunionskerze oder im schneidigen Trachtenjanker. Wir schreiben die frühen sechziger Jahre, und natürlich musste sich der dunkelhäutige Karl-Heinz allerlei dumme Sprüche anhören. Man empfahl ihm, sich mit Wurzelbürste und Waschpulver weiß zu waschen. Man verspottete ihn als Rußkater oder, ein Feindbild des Kalten Krieges gebrauchend, als Lumumba. Patrice Lumumba verkörperte das Schreckbild des schwarzen Kommunisten; er kämpfte für einen unabhängigen Kongo, seine Ermordung im Jahre 1961 wurde von westlichen Geheimdiensten orchestriert.
Aber der kleine Bub hatte eine große, dicke, resolute Beschützerin: seine Oma mütterlicherseits, die ihn über alles liebte. Weil er außerdem etliche gute Freunde hatte, dachte er, seine Hautfarbe würde anderen genauso wenig auffallen wie ihm selber und das in einer erzkonservativen Gegend, in der schon Mischehen zwischen Katholiken und (falschgläubigen) Protestanten als sittenwidrig angesehen wurden. Aber im rückschauenden Vergleich war Hubers erste Heimat im Gäuboden toleranter als die sich gerne liberal und weltoffen gebende Großstadt München, wo er im Schulalter hinziehen musste. Seinerzeit gab es auf dem Lande noch kein Leitkultur-Geschrei, keine Jagdszenen auf »Asylanten«, keine Überfremdungshysterie. Die meisten Leute von Großköllnbach waren nicht feindselig eingestellt gegen dieses schwarze Kerlchen, denn es war kein Eindringling von außen, keine massenhafte Bedrohung, sondern ein kleines lustiges »Negerlein«, das als Ergebnis eines nachkriegszeitlichen Betriebsunfalls gleichsam von innen, aus der Mitte der Gesellschaft, kam. Charles M. Huber fährt bis heute gerne in sein Dorf, irgendwie gehört er dazu.
Den offenen und bösartigen Rassismus sollte er erst in Gräfelfing kennen lernen, einem Vorort von München. Hier schlug das dumme Gerede gelegentlich in Hass um, der Rußkater wurde zum »dreckigen Bimbo« und die Väter der Schulfreundinnen hatten Angst, dass dieser schwarze Strizzi ihre lilienweißen Töchter schänden könnte. Karl-Heinz sieht jetzt aus wie Jimmy Hendrix, er revoltiert gegen den Mief der Vorstadt, gegen dem dumpfen Rassismus, gegen die Welt der reaktionären Bürger. Er wird zu einem »deutschen Black Panther«, der seinerseits beschließt, die Weißen nicht mehr zu mögen. Unablässig kreist der junge Mann um die Fragen seiner Identität: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin?
Er weiß unterdessen, dass sein leiblicher Vater aus Afrika kommt und Diplomat ist beim Durchblättern der Illustrierten Quick hat er zum ersten Mal ein Bild von ihm gesehen. Der Onkel ist noch berühmter: Léopold Sédar Senghor, Staatspräsident des Senegal und frankophoner Dichter. Huber beschließt, den anderen, den afrikanischen Teil seiner Herkunft zu erkunden. Er fliegt nach Dakar, in die Hauptstadt des Senegal, und muss gleich am Anfang verwundert feststellen, dass ihn die Einheimischen einen métis nennen, ein Halbblut, und ihn dem Lager der Weißen zuordnen: »Du bist kein Afrikaner!« Er irrt herum im Land seines Vaters, es befremdet ihn. Erst auf den Dörfern entdeckt er, dass der Senegal und Niederbayern so grundverschieden nicht sind hier wie dort werden die kulturellen Gebote und Verbote, Normen und Werte durch die strenge Tradition vorgezeichnet.
Der dritte Teil ist der schwächste Abschnitt eines starken Buches, denn Huber nimmt jeden Schmäh, jede urban legend für bare Münze, bedient in allzu hurtigen Exkursen so manches europäische Klischee und rutscht manchmal in den Ethnokitsch ab: »Meine Gene hatten auf den Ruf der Trommel geantwortet«, notiert er nach einer Musik-Session. Am Ende bleiben Afrika und die eigene Africaness doch nur unerfüllte Sehnsucht, eine europäische Utopie vom afrikanischen Gegen-Ich. Dennoch: »Ein Niederbayer im Senegal« ist die ehrliche und lehrreiche Lebensgeschichte eines Grenzgängers, der die Kindheit in einer »Monokultur« erlebte und sich in den Jugendjahren zwischen zwei Welten wiederfand. Gut und mit viel Witz geschrieben sind diese Erinnerungen auch, was in Filmkreisen eher selten vorkommt.
Charles M. Huber nennt sich selber einen schwarzen Bayern oder bayerischen Schwarzen. Hätte er die frühen Jahre im Senegal verbracht, wäre er Afrikaner geworden. Das ist heutzutage, wo der genetische Determinismus wieder en vogue ist und Lebenswege als unabänderlich, weil biologisch vorgegeben, gelten, durchaus keine selbstverständliche Erkenntnis mehr. »Würde ein Botokude (Indianer aus Brasilien) als neugeborenes Kind nach einer preußischen Kleinstadt gebracht und dort aufgezogen, er würde später so urteilen, wie die übrigen Spießbürger«, notiert Heinrich Cunow, Direktor des Museums für Völkerkunde zu Berlin, anno 1893. Das war in einer Epoche, als die Rassenlehrer die natürliche Höherwertigkeit des weißen, europäischen Herrenmenschen postulierten und den kolonialen Eroberungsterror legitimierten, indem sie die Unterworfenen als primitive, tierhafte Kreaturen entmenschlichten.
Cunows unzeitgemäßer Gedanke wird zitiert in einer Abhandlung, zu der die Biographie Hubers quasi die Anschauungen und Erfahrungen liefert. Sie trägt den exotischen Titel »Von weißen Wilden und wilden Weißen« und wurde von Thomas Ducks geschrieben, einem gelernten Ethnologen und Politikwissenschaftler. Seine »Facetten der europäisch-überseeischen Begegnung«, wie es im Untertitel heißt, enthalten kluge Reflektionen über den Ethnozentrismus, der die eigene Kultur über alle anderen in der Welt stellt. Ducks belegt mit markanten Beispielen, dass jede Kultur eigentlich eine multikulturelle Melange ist, die sich im Austausch mit anderen Kulturen entwickelt hat. Wobei das fremdländische Erbteil in der Regel gar nicht mehr als solches wahrgenommen, sondern als ureigenes verstanden wird. Welcher Deutschtümler ist sich schon dessen bewusst, das zu seiner »Leitkultur« die Religion der Hebräer (Christentum), die Rechenkunst der Inder (Dezimalsystem) oder ein Grundnahrungsmittel aus Peru (Kartoffel) gehören?
Auch der Begriff »multikulturell« wird in unseren Tagen gerne als Schimpfwort gebraucht, als Inbegriff der buchstäblich grenzenlosen Naivität von Gutmenschen und Kulturrelativisten. Aber das schreckt Thomas Ducks nicht ab. Er plädiert in seinem lesenswerten Büchlein für einen aufgeklärten Kulturrelativismus, der die Mannigfaltigkeit, Gleichwertigkeit und Wechselbezüglichkeit aller Völker und Kulturen anerkennt: »Relativismus ist vielleicht sogar ein überlebensnotwendiges Korrektiv, das uns davon abhält, selbstgefällig und anmaßend zu werden«. Denn man weiß, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist und wie schnell aus Kulturmenschen Barbaren werden können.
aus: der überblick 03/2005, Seite 56
AUTOR(EN):
Bartholomäus Grill
Bartholomäus Grill ist Korrespondent der ZEIT in Kapstadt, Südafrika