Mode, Models und Multikulti
Die Modebranche zeigt nicht nur, welche Kleider gerade modern sind, sondern sie macht mit ihren Models auch vor, welches Aussehen gefragt ist. Derzeit sind in den Magazinen und auf dem Laufsteg besonders viele Russinnen zu sehen. Vor zwanzig Jahren kamen afrikanische Mannequins groß raus. Die Models sollen das jeweilige Lebensgefühl einer Zeit widerspiegeln und möglichst weltweit gut ankommen, berichtet Kathrin Seidel, die stellvertretende Modechefin der Zeitschrift “Elle” in Deutschland.
Die Fragen stellte Renate Giesler
Wer entscheidet eigentlich, welche Gesichtsform, welche Körpermaße und welche Hautfarbe als schön zu gelten haben?
Das ist saisonabhängig. Die Top-Designer engagieren mal diesen und mal jenen Frauentyp für Laufsteg und Werbekampagnen. Zur Zeit ist auffällig, dass viele Rothaarige mit Porzellanteint in Paris und Mailand zu sehen sind. Zu den Trendsettern zählen Modemacher wie Gucci und Prada, und die beeinflussen schon, welche Gesichter aus welchen Teilen der Welt ihre Kollektionen vorführen. Mode ist ein Geschäft: Am besten kommt immer eine Mischung an aus Individualität und globalem Geschmack, die sich rund um den Globus einsetzen lassen. Letztlich sollen mit der aktuellen Mode möglichst viele Menschen von New York bis Hongkong angesprochen werden. Vergleicht man die Mode heute mit der aus dem Jahr 1960, fällt auf, dass es kein Modediktat mehr gibt. Sehr verändert haben sich die Schnitte für Kleider. Das hat auch damit zu tun, dass die Durchschnittsfrau heute andere Maße hat als noch vor vierzig Jahren. Mode ist vielfältiger und zugleich extremer geworden.
Welche Rolle spielt eine Zeitschrift wie “Elle” bei der Herausbildung von Trends?
Journalistinnen und Redakteurinnen für die Ressorts Mode und Kosmetik spielen eine wichtige Rolle. Denn sie präsentieren ja die Mode einem großen Publikum und wählen aus. Jede Zeitschrift hat ihre eigene Philosophie. Elle zum Beispiel will ansprechende Mode für beruflich erfolgreiche Frauen zeigen, die vielfältige Interessen haben. Was wir bringen, das soll natürlich wirken, und die Models sollen ein positives Lebensgefühl ausstrahlen. Inszenierungen mit Metall und Ketten, die beispielsweise in Richtung Punk gehen, sind nicht der Stil von Elle. Unser Grundprinzip ist, schöne Menschen und Mode zu zeigen.
Ihre Zeitschrift erscheint in 37 Ländern auf allen Kontinenten. Sind auf den Titelblättern der jeweiligen nationalen Ausgaben denn entsprechend zum Beispiel Frauen aus Asien oder Lateinamerika zu sehen?
Das kann, muss aber nicht so sein. Die Entscheidung liegt bei den jeweiligen Redaktionen. Es kommt vor, dass ein europäisches Gesicht die Ausgabe für den indischen oder den südafrikanischen Markt schmückt. Umgekehrt läuft das ebenfalls. Wir hatten in Deutschland schon Frauen mit dunkler Hautfarbe auf dem Titel, das war Ende der achtziger Jahre. Zu der Zeit, der Trend ging bis in die Neunziger hinein, arbeiteten viele Frauenzeitschriften mit Models aus Äthiopien oder dem Sudan.
War es Strategie oder Zufall, dass damals Afrikanerinnen so hoch im Kurs standen?
Dass schlanke, stolz wirkende dunkelhäutige Frauen vor gut zwanzig Jahren so gefragt waren, hat mehrere Gründe. Modedesigner Paco Rabanne, der in der Szene auch als Rebell gilt, schickte 1966 schwarze Mannequins auf den Laufsteg. Es war eine Art Revolution in der Modewelt, andere Designer folgten. Jean-Paul Gaultier zum Beispiel engagierte für seine Herbst- und Wintershows 1997 ausschließlich dunkelhäutige Models. Paris ist eine multikulturelle Stadt, in der Menschen aus allen Teilen der Welt leben und so lag es nahe, nicht nur hellhäutige Frauen zu engagieren. Gesellschaftliche Entwicklungen spielen ebenso eine Rolle: Als in den sechziger und siebziger Jahren die Schwarzen in den Vereinigten Staaten von Amerika für gleiche Rechte eintraten, sah man bald auch mehr dunkelhäutige Models. Nicht zu vergessen: Die Modebranche lebt von der Veränderung. Es sah damals ganz einfach ungewohnt und damit toll aus und galt als gelungener Kontrast, wenn eine stolze, hochgewachsene Äthiopierin oder ein amerikansches black girl ein romantisches Blumenkleid vorführte. Heutzutage, in der Saison 2004 bis 2005, sind andere Gesichter, Haut- und Haarfarben gefragt.
Haben Frauen aus Afrika heute weniger Chancen, einen Job in der Branche zu bekommen?
Sie gelten nicht mehr als so “exotisch” wie noch vor zwanzig Jahren, wobei Top-Models wie Alek Wek aus dem Sudan oder Iman aus Somalia nach wie vor sehr gefragt sind. Bei den Trendshows in Paris gehören schwarze Models einfach dazu. Im September 2004 waren sie auch in Mailand zu sehen. Für Fotoproduktionen und für Zeitschriftentitel jedoch werden im Moment eher russische Models gebucht. Zum einen sind Russinnen für Agenturen schneller und leichter zu engagieren als Somalierinnen oder eine Frau aus Burundi, zum anderen gelten sie als unkompliziert und sehr diszipliniert. Entscheidend aber ist die Optik. Sie haben in der Regel gut modellierte Gesichter mit hohen Wangenknochen und schönen Augenformen. Russinnen wirken markant, intensiv und zugleich fragil. Das Spezielle, was sie ausstrahlen, passt wohl besser zum aktuellen Modetrend als das Erhabene, das so manche Afrikanerin verkörpert.
Was gestern in Paris oder New York zu sehen war, ist morgen schon in Bangkok oder Shanghai zu erwerben. Gibt es bald keine nationalen Besonderheiten in der Mode mehr?
Das ist zu befürchten, selbst wenn wir in Europa so schnell keine Angleichung haben werden. In Frankreich lassen sich raffinierter geschnittene Kleider einfach besser verkaufen als in Deutschland. In England kommt neben dem klassischen Stil die völlig schräge Variante gut an, während die Italiener auf einen subtil-eleganten Farbmix setzen. Davon einmal abgesehen ist eine Tendenz hin zum globalen Einheitslook zu erkennen. Die “angesagte” Jeans, die es früher nur in New York oder Mailand gab, kann ich heute überall kaufen - und genau solche Marken wollen modebewusste Jugendliche weltweit haben. Dabei bleiben die Stile auf der Strecke, die für bestimmte Länder und Kulturen sind. Das ist bedauerlich.
aus: der überblick 04/2004, Seite 12