Globaler Strukturwandel und Entwicklungsdienst - ein Beitrag aus theologischer Perspektive
Die Gründung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) soll ein Zeichen setzen. Die organisatorische Neuerung wirft grundsätzliche Fragen auf: Wo ist der Platz der Kirche in der Einen Welt? Welche Rolle können kirchliche Hilfswerke im globalen Strukturwandel spielen?
von Hans Spitzeck
Vor 40 Jahren wurde die Aktion "Brot für die Welt" ins Leben gerufen. Zunächst war nur eine einmalige Aktion in der Adventszeit 1959 geplant. Sie wurde seither jedoch alljährlich wiederholt. Brot für die Welt gehört heute zum Erscheinungsbild der evangelischen Kirchen. Mehr noch: Es ist das bekannteste Hilfswerk in Deutschland. Brot für die Welt und die anderen evangelischen Entwicklungswerke haben bisher in der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (AG KED) zusammengearbeitet. Nun steht mit der Gründung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) eine neue Phase bevor. Die zuständigen Gremien mahnen eine stärkere Beachtung der Themen "Theologie" und "Mission" in der Praxis des EED an.
Der Entwicklungsdienst ist eine Aufgabe, vor der Gesellschaft, Politik und Kirche gleichermaßen stehen. Dies wirft die Frage nach der theologischen Orientierung des Entwicklungsengagements auf. Offensichtlich gibt es kein unmittelbares biblisches Muster für eine Theologie des Entwicklungsdienstes. In der AG KED verbinden sich unterschiedliche theologische Orientierungsmuster. Zu unterscheiden sind zumindest die Traditionen zwischenkirchlicher Hilfe und ökumenischer Diakonie, Missionstraditionen sowie der Ökumene und Sozialethik. Damit kommen kirchliche Milieus und Frömmigkeitstypen in den Blick. Für den kirchlichen Entwicklungsdienst sind verschiedene Zugänge von Bedeutung: Da ist zum einen Gottes Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, die zu Hoffnung und Zuversicht ermutigt. Ferner schafft das Doppelgebot zur Gottes- und Nächstenliebe die Freiheit zur Achtung eines jeden Mitmenschen. In der Nachfolge Jesu wiederum, der sich auf die Seite der Schuldigen, der Armen, der Hungernden und Verfolgten gestellt hat, sind Christinnen und Christen zur Anwaltschaft für Gerechtigkeit in der Welt gerufen. Ökumenisches Teilen schließlich ist Ausdruck wechselseitiger Sorge in der einen Kirche Jesu Christi. Der Entwicklungsdienst der Kirche ist also Teil eines größeren Ganzen und verweist auf die wachsende Einheit der Kirchen.
Eine theologische Betrachtung des kirchlichen Entwicklungsdienstes hat die unterschiedlichen Zugänge anzuerkennen und zu verbinden. In nahezu idealtypischer Weise leistet dieses die Denkschrift der Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst "Der Entwicklungsdienst der Kirche - ein Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt" von 1973. Darin heißt es: "Die ökumenische Diskussion hat gezeigt, daß das Eintreten für soziale Gerechtigkeit im Weltmaßstab in christlicher Verantwortung gründet und zu neuen Formen gesellschaftlicher Diakonie herausfordert. Christliche Liebe ist nicht nur dem notleidenden Einzelnen zugewandt. Es genügt auch nicht, Schäden und Mängel, die sich aus ungerechten Verhältnissen ergeben, nachträglich aus Gründen christlicher Barmherzigkeit zu lindern. Vielmehr gehören Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, Dienst am Einzelnen und an der Gesellschaft, die Beseitigung der Ursachen sozialer Ungerechtigkeit sowie die Fürsorge für deren Opfer gleichermaßen unter die Botschaft des kommenden Gottesreiches."
Aufgabe des kirchlichen Entwicklungsdienstes ist, einen Beitrag zur "Überwindung der Armut, des Hungers und der Not in der Welt und ihrer Ursachen" zu leisten - so die EKD-Synode in Berlin-Spandau 1986. Der kirchliche Entwicklungsdienst orientiert sich dabei an einem Leitbild menschenwürdiger Entwicklung, das mehr umfaßt als nur die Abwesenheit von Mangel und Unterdrückung. Die Parteinahme für die Armen markiert den Kern des christlichen Entwicklungsengagements.
Warum engagiert sich die Kirche in der Entwicklungsarbeit? Helmut Gollwitzer hat das in seiner Berliner Rede zur Eröffnung von Brot für die Welt am 12. Dezember 1959 beispielhaft ausgeführt. Zunächst appelliert Gollwitzer an das Erbarmen: "Was heute abend an uns geschehen soll - und wahrhaftig nicht nur heute abend, sondern, ausgehend vom heutigen Abend, in der ganzen Aktion Brot für die Welt, die bis ins letzte Haus der letzten Gemeinde dringen soll -, ist eine Aufrüttelung, ein Herausgerütteltwerden aus der Trägheit des Herzens, aus jener törichten, kurzsichtigen und verantwortungslosen Trägheit, mit der wir genießen, was wir haben, ohne zu fragen, wie es um uns her aussieht. (...) Dieser Abend soll uns aus der Gedankenlosigkeit des Genusses dieser scheinbaren Selbstverständlichkeiten herausrütteln. Er appelliert an unser Erbarmen. Was wäre ein Mensch ohne Erbarmen - was wäre ein Christ ohne Erbarmen?"
Entwicklungshilfe ist für Gollwitzer in einem zweiten Schritt auch vernünftig. Dazu führt er das wohlverstandene Eigen-interesse der "satten Völker" an: "Es geht aber nicht nur um unser Erbarmen, es geht um unser eigenes wohlverstandenes Interesse. Das heißt, sollte unser Erbarmen zu schwach, unser Herz zu hart sein, dann sollte unsere Vernunft uns sagen: Wenn wir nicht rechtzeitig durchgreifende Hilfe schaffen, braut sich da ein Unheil zusammen, das sich über unseren eigenen Köpfen entladen wird. (...) Kommt die Änderung nicht rechtzeitig, dann ist alle Arbeit für Entspannung und Frieden umsonst, dann droht uns, der Minderheit von satten Völkern, aus dem angestauten Haß der Mehrheit von hungernden Völkern Rache und Verderben."
Daran anschließend entwickelt er die besondere Verantwortung der Christen, die sich um Christi willen an der Aktion "Brot für die Welt" beteiligen mögen: "Wer den Notleidenden nur Evangelium bringt und nicht zugleich damit tätige Hilfe aus eigenem Opfer, der macht aus dem Evangelium fromme Sprüche und verschuldet, daß die anderen dann ebenfalls meinen, das Evangelium sei nichts anderes als ein frommer Schwindel im Interesse der Besitzenden."
Eine besondere Aufgabe sieht Gollwitzer darin, daß die Kirchen mit der Aktion "Brot für die Welt" eine öffentliche Meinung schaffen, "die auf die Regierungen drückt". Und noch ein letztes Element aus Gollwitzers Rede verdient Beachtung. Das Zusammenwirken der Kirchen angesichts der Gegensätze zwischen den Konfessionen wie der Unterschiede zwischen den Landeskirchen und Freikirchen: "Wenn Gott uns den armen Lazarus vor die Türe legt, dann gibt es keine Ausrede, dann müssen wir hinaus und Hand anlegen, und weil es keiner allein schafft, müssen wir zusammen Hand anlegen, und dies also ist die Weise, wie Gott uns immer wieder zusammenbringt - und zwar bis in die Weltpolitik hinein."
1968 diskutierte die EKD-Synode in Berlin-Spandau die "Zukunft der Kirche und die Zukunft der Welt". Die Spandauer Synode gilt als die Geburtstunde des Kirchlichen Entwicklungsdienstes (KED). 1969 nahm der Kirchliche Entwicklungsdienst seine Arbeit auf. Seit Beginn des Kirchlichen Entwicklungsdienstes wird immer wieder mit den Begriffen Weltverantwortung oder Entwicklungsverantwortung der Kirche argumentiert. Beide sind in gewisser Weise doppeldeutig. Denn für beide trifft zu, was der Theologe Martin Honecker mit Blick auf den Begriff Weltverantwortung kritisch ausführt: "Weltverantwortung kann einmal die ökumenische, weltweite, globale Verantwortung meinen. Das Wort kann aber auch dazu dienen, einen spezifisch "weltlichen" Auftrag der Kirche, im Unterschied zum "eigentlichen", geistlichen, kirchlichen zu benennen." Zur angemessenen Behandlung des Gegenstandes führt er die Begriffe "Gesellschaft" und "Öffentlichkeit" ein, wobei er der Politik eine besondere Rolle bei der Vermittlung kirchlicher Anliegen zuschreibt. Die begriffliche Achse Kirche und Gesellschaft scheint mir für die theologische Reflexion des Entwicklungsdienstes von unverändert grundlegender Bedeutung zu sein. Kirche, Gesellschaft, Öffentlichkeit und Politik bilden damit den kategorialen Bezugsrahmen für die konzeptionelle Weiterarbeit des kirchlichen Entwicklungsdienstes.
Theologische Bewertungen berühren häufig das Verständnis von Glaube und Kirche, Diakonie oder Mission. Deshalb tendieren kirchliche Werke dazu, Theologie in ihren Entscheidungsprozessen auszublenden - in der Absicht, grundsätzliche Fragen abzuwehren. Eine handlungsorientierte theologische Reflexion der Praxis des Entwicklungsdienstes scheint mir aber dringend geboten.
Der globale Strukturwandel verändert die Handlungsbedingungen des Entwicklungsdienstes. Die Nachkriegsordnung, in deren Schoß die Entwicklungshilfe ihren Ursprung hatte, wird durch den weltwirtschaftlichen Strukturwandel zunehmend aufgelöst. Die Globalisierung setzt bestehende Verhältnisse von Staat und Gesellschaft unter Anpassungsdruck. Dabei eröffnen sich auch neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Einflußnahme auf politische Entscheidungsprozesse.
Der kirchliche Entwicklungsdienst leistet mit seinem weitgespannten Partnernetz einen eigenständigen Beitrag zur Nord-Süd-Vernetzung. Dies schafft Voraussetzungen dafür, daß globale Verantwortung von den Kirchen und Gemeinden in Deutschland wahrgenommen werden kann. Folgende Problemkreise bedürfen der vordringlichen Verständigung: erstens die Option für die Armen im Zusammenhang der Globalisierung, zweitens die Notwendigkeit und Grenzen des kirchlichen Entwicklungsdienstes, drittens Kirche, Mission und Entwicklung in der ökumenischen Theologie und schließlich die Mitgestaltung einer neuen gerechteren Weltordnung.
Bei erneuter Lektüre von Dokumenten aus den siebziger und achtziger Jahren erscheinen deren sozio-ökonomische und theologische Einschätzungen weitsichtig und aktuell. Bei einem zweiten Nachdenken aber wird deutlich, daß eine ihnen gemäße Praxis nur ansatzweise verwirklicht worden ist. Auch Grundsatzdokumente haben ihre Zeit und bedürfen einer erneuten Aneignung, um sie mit Leben zu füllen. Dies gilt vor allem auch für die Überlegungen zur Rolle der Armen. Sicherlich ist die Entdeckung der Armen durch die Theologie der Befreiung einer der wesentlichen Lernprozesse der Ökumene in der Zeit nach der Weltkirchenkonferenz von Uppsala 1968 gewesen. In der Fomel "Kirche der Armen" verbinden sich seither sozialethische und ekklesiologische Aussagen. Die Armen werden als Subjekte ihrer eigenen Geschichte und damit als die Akteure für den Entwicklungsdienst der Kirchen wahrgenommen und gewürdigt.
Der globale Strukturwandel erfordert es, die Option für die Armen im Kontext der Globalisierung neu zu überdenken. Die Schlüsselbegriffe "Entwicklung" und "Dritte Welt" verlieren an Erklärungskraft. Die Dritte Welt differenziert sich. Und zunehmend ist mehr und mehr "Dritte Welt" auch in der "Ersten Welt" zu entdecken, wie sich auch zunehmend mehr "Erste Welt" in der "Dritten Welt" ausbreitet. Unvorstellbarer Reichtum kontrastiert mit Armut und sozialem Ausschluß. Die Feminisierung der Armut ist eine weitere Tendenz der vergangenen Jahrzehnte: Überall auf der Welt sind Frauen ärmer als Männer. Was also heißt Armut heute? Wer und wo sind die Armen? Ist Entwicklung weiterhin eine zutreffende Kategorie, die den Kern unseres Anliegens beschreibt?
Armut, Hunger und Not fordern auch weiterhin die Kirchen. Der kirchliche Entwicklungsdienst setzt zur Armutsbekämpfung an konkreten Lebenslagen an. Darin liegt seine Stärke. Aber allein aus eigener Kraft wird der kirchliche Entwicklungsdienst auf die Dauer erfolglos bleiben. Um die Ursachen von Armut zu überwinden, bedarf es politischer Lösungen. Die Kirche kann gesellschaftliche Verständigung und politische Regelungen nicht ersetzen, wohl aber ermöglichen. Und erst im Zusammenspiel mit anderen Entwicklungskräften kann der Entwicklungsdienst der Kirchen einen eigenen Beitrag zu sozialen Gestaltung der Einen Welt leisten. Koinonia, gelungene Gemeinschaft, ist das Ziel.
Die von den zurückgehenden Finanzzuweisungen der Kirchen ausgelöste Struktur- und Legitimationskrise der AG KED hat ein Bewußtsein für die Notwendigkeit organisatorischer Profilbildung geschaffen. Ökumenische Zusammenarbeit und Bündnisse mit Gruppen der Zivilgesellschaft sind von der Sache her geboten. Kann sich der kirchliche Entwicklungsdienst in der ökumenischen Kooperation stärker als zur evangelischen Kirche gehörig profilieren, ohne daß dies zu Lasten der Ökumene geht? Kann sich der kirchliche Entwicklungsdienst in der Vernetzung der nichtstaatlichen Organisationen (NGO) deutlich als kirchlicher Dienst profilieren, ohne daß dieses zu Lasten der Arbeitsfähigkeit eines solchen Zusammenschlusses geht?
Der Entwicklungsdienst ist für die deutschen Kirchen jahrelang ein weit geöffnetes Fenster zur Ökumene gewesen. Es steht zur Zeit zu befürchten, daß die deutschen Kirchen sich in einem Provinzialismus einkapseln. Ökumenische Anregungen haben es schwer, in Deutschland Aufnahme zu finden. Deshalb ist es eine lohnende Aufgabe, Anschluß an die ökumenische Diskussion zu finden und über das Verhältnis von Kirche, Mission und Entwicklung in ökumenischer Weite nachzudenken. Versuchen wir eine afrikanische oder asiatische Perspektive einzunehmen, dann erschließt sich unmittelbar, daß diese Fragen nicht ohne Berücksichtigung des interreligiösen Dialogs bearbeitet werden können. Der christlich-islamische Dialog über gemeinsame Strategien und Aktionen zur Überwindung von Armut und zur Durchsetzung von Recht, Gerechtigkeit und Frieden ist dabei vordringlich.
Im globalen Strukturwandel gibt es Gewinner wie Verlierer. Globalisierung läßt die globale Konkurrenz deutlicher erkennen. Zeitliche Abläufe werden - nicht nur durch die technologisch-elektronische Revolution - beschleunigt. Das ausgehende Jahrhundert wird als gnadenlose Zeit erlebt. Welche Rolle spielen Religion und ethische Orientierungen? Wie kommen die Interessen kommender Generationen zur Geltung? Wie können Handlungsgrenzen definiert und gesellschaftlich durchgesetzt werden? Als Folge von Globalisierung der Produktion, der Märkte und Finanzen verlieren auf den Nationalstaat beschränkte Institutionen ihre Fähigkeit zur Steuerung. Die Diskussion um die Globalisierung verweist auf die Notwendigkeit, zu neuen, weltweiten Regelungen und Konfliktlösungsmechnismen zu kommen (global governance). Mit welchen Kräften können dafür "Allianzen der Solidarität" eingegangen werden? Das prophetische Wort reagiert auf Situationen von Macht und Ungerechtigkeit. Macht- und Institutionenkritik sind positive Elemente protestantischer Tradition. Wo also ist das prophetische Wort der Kirchen angebracht, und wie kann den Mächtigen ins Gewissen geredet werden?
Theologisch gesprochen steht der Entwicklungsdienst unter der Verheißung der kommenden Gottesherrschaft. Aber Gottes Handeln ist in der Geschichte weder offenkundig noch können wir darüber verfügen. Angesicht der komplexen Probleme, die mit dem globalen Strukturwandel einhergehen, ist Befreiung zur Solidarität die Chance des Entwicklungsdienstes der Kirche. Seine Projekte und Programme eröffnen Wege zu gelungenem Leben und verweisen auf die gesellschaftliche Bedeutung von Liebe und Barmherzigkeit. Um der politischen Durchschlagskraft willen bedarf es einer neuen Verständigung über Ansätze, Methoden und Ziele der Entwicklungsarbeit. Der neu gegründete Evangelische Entwicklungsdienst kann dabei als Katalysator der Diskussion mit Partnern in Übersee und Deutschland wirken. Dazu zwei Anregungen aus den Erfahrungen der Inlandsarbeit.
Die Welt rückt zusammen. Sinkende Reisekosten ermöglichen häufigere persönliche Begegnungen zwischen Nord und Süd. Die Revolution im Kommunikationssektor eröffnet darüber hinaus weitere Möglichkeiten des Austausches. Internet und E-Mail sind dafür zu Synonymen geworden. Weltweite Ökumene wird zunehmend lokal erfahrbar. Dem Entwicklungsdienst ist es aufgegeben, neue Formen der ökumenischen Präsenz zu gestalten. Dies wird auch in das Organisationsgefüge der kirchlichen Werke eingreifen müssen. Nord und Süd sind durch Migration und Globalisierung ungleich stärker verwoben als vor 20 oder 30 Jahren. Für den Entwicklungsdienst heißt dies, die Projektarbeit in Übersee und die entwicklungsbezogene Inlandsarbeit als einander ergänzende Handlungsräume der Kirche zu konzipieren. Darin wird Ökumene konkret. Personen verleihen ihr Gesicht.
Eine-Welt-Gruppen stehen in den Gemeinden für die weltweite Ökumene. Partnerschaften mit Gemeinden in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa geben der ökumenischen Zusammenarbeit ebenso Gestalt wie entsprechende Verbindungen in unsere Nachbarländer. Nicht von ungefähr sind evangelische Kirchengemeinden die Hauptträger der Kampagne "Erlaßjahr 2000 - Entwicklung braucht Entschuldung". Dies macht deutlich, daß die 25 Jahre Inlandsarbeit des Kirchlichen Entwicklungsdienstes erfolgreich waren. Die Liste der Kampagnen, an denen sich der Ausschuß für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik (ABP) durch seine Förderung beteiligt hat, ist lang. Die Kampagne für "Saubere Kleidung" ist hier genauso zu nennen wie die erfolgreiche Kampagne gegen Kinderprostitution. Der deutsche Gesetzgeber hat reagiert und Vergehen an Minderjährigen im Ausland unter Strafe gestellt. Das Engagement von Ehrenamtlichen ist eine tragende Säule der weltweite Ökumene. Eine-Welt-Gruppen und ehemalige Entwicklungshelfer und Stipendiaten sind ein Unterpfand der Inlandsarbeit. Ihnen geeignete Formen der Mitarbeit anzubieten, ist eine dringende Aufgabe für den Entwicklungsdienst. Vor dem Hintergrund der wachsenden Vorbehalte in der Gesellschaft gegenüber (anonymen) Großorganisationen - zu denen in diesem Fall auch die Kirchen zu rechnen sind - bieten Gemeindepartnerschaften die persönliche Begegnung, die unmittelbare Erfahrung. In ihnen verbinden sich ökumenische Gemeindeerneuerung mit Mission und Entwicklungsdienst.
Allein dieses Beispiel verdeutlicht, daß der Evangelische Entwicklungsdienst eine Zusammenarbeit mit den regionalen Missionswerken suchen muß, um regionale und thematische Schwerpunkte der Arbeit zu verabreden. Nur eine vertiefte Kooperation mit den Missionswerken läßt die Einheit von missionarischem Zeugnis und kirchlichem Weltdienst Gestalt werden.
Im Entwicklungsdienst nehmen die Kirchen öffentliche Verantwortung wahr. Dazu arbeiten die Werke und Einrichtungen mit einer Vielzahl von Partnern und Organisationen zusammen. Der kirchliche Entwicklungsdienst sucht den gesellschaftlichen Dialog. Wirtschaft, Politik und nichtstaatliche Einrichtungen gehören dazu genauso wie andere Hilfswerke und nichtstaatliche Organisationen (NGO).
Um der Sache und der Glaubwürdigkeit willen ist es dringend geboten, daß die evangelischen Kirchen in Entwicklungsangelegenheiten mit einer Stimme sprechen. 1998 hatte die EKD-Synode empfohlen, daß aus allen fünf Mitgliedsorganisationen der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (AG KED) ein gemeinsames Entwicklungswerk gebildet werden soll. Zunächst aber wird die Aktion "Brot für die Welt" dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) nicht angehören. Die Leipziger EKD-Synode vom November 1999 erwartet deshalb eine enge Kooperation des EED mit dem Diakonischen Werk und befürwortet "eine baldige volle Einbeziehung von "Brot für die Welt" in den EED". Denn EED und Brot für die Welt sollen nicht unverbunden nebeneinander arbeiten oder gar miteinander konkurrieren. Schon die Bremer EKD-Synode 1973 verlangte, daß die Kirche Entwicklungsverantwortung "in allen ihren Lebensäußerungen" wahrnimmt. "Die Kirche soll ein gutes Beispiel geben den weltlichen Ständen", mahnt uns Martin Luther.
aus: der überblick 04/1999, Seite 96
AUTOR(EN):
Hans Spitzeck:
Hans Spitzeck ist Theologe und promovierter Politikwissenschaftler. Er koordiniert die Öffentlichkeitsarbeit und Publizistik beim Evangelsichen Entwicklungsdienst (EED).