Klimawandel und der Süden
Klimaschutz ist nur in globaler Zusammenarbeit möglich und setzt Gerechtigkeit voraus. Sunita Narain verlangt, allen Menschen dasselbe Recht auf Nutzung der Atmosphäre zu geben. Narain ist die Direktoren des Centre for Science and Environment (CSE) in New Delhi und arbeitet besonders zu globaler Demokratie und Klimawandel (vgl. ihren Beitrag in der "der überblick" 1/1994). Die nichtstaatliche indische Umweltorganisation, ein Partner des EED und von "Brot für die Welt, ist in Forschung, Bewusstseinsbildung und Anwaltschaft tätig, vor allem für nachhaltige Ressourcennutzung.
Gespräch mit Sunita Narain
Sind die Folgen des Klimawandels in Indien schon zu spüren?
Das kann man nicht mit wissenschaftlicher Gewissheit sagen, weil einzelne Wetter-Extreme nicht eindeutig auf den Klimawandel zurückgeführt werden können. Indien war schon immer stark von Dürren und Fluten betroffen. Es gibt aber klare Anzeichen dafür, dass diese jetzt infolge des Klimawandels sowohl häufiger als auch größer werden. Eine andere Folge der Erderwärmung wird aber für Indien noch schlimmer sein: Das Abschmelzen der Gletscher im Himalaya. Die Wasserversorgung für 40 Prozent der Bevölkerung Indiens hängt vom Schmelzwasser dieser Gletscher ab, das die großen Flüsse speist. Diese Gletscher sind auf dem Rückzug. Wenn sie abschmelzen, führt das zunächst zu mehr Überflutungen und dann zu extremem Wassermangel in großen Teilen Indiens.
Seit Beginn der 1990er Jahre ist bekannt, dass der Ausstoß an Treibhausgasen vermindert werden muss, doch es ist wenig passiert. Haben Sie noch Hoffnung, dass der Temperaturanstieg begrenzt werden kann? Was wäre nötig, um wirksame Schritte zu erreichen?
Natürlich sind entschlossene Maßnahmen noch möglich. Nötig ist aber ein Kraftakt für globale Zusammenarbeit, wie es ihn noch niemals gab. Die Voraussetzung dafür ist Gerechtigkeit. Die reichen Länder müssen das Prinzip der Klima-Gerechtigkeit akzeptieren. Zur Zeit verursacht jeder US-Amerikaner im Durchschnitt Treibhausgas-Emissionen pro Jahr von über 20 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten. Die Europäer verursachen rund 10 Tonnen im Jahr, ein durchschnittlicher Chinese rund 3,2, ein Inder etwa 1,5 und ein Afrikaner unter 0,5 Tonnen. Langfristig muss das überall auf unter 0,5 Tonnen pro Kopf und Jahr reduziert werden.
Kurzfristig müssen die Industrieländer mit starken Reduktionen beginnen, während die Emissionen von Entwicklungsländern vorübergehend noch wachsen können. Wir brauchen jetzt ein System, das jedem Menschen das gleiche Recht auf Emissionen von sagen wir 2 Tonnen pro Kopf zuschreibt und diese Rechte handelbar macht. Wir werden zum Beispiel die US-Amerikaner niemals zwingen können, in nächster Zeit ihre Emissionen auf 2 Tonnen pro Kopf zu vermindern. Wenn sie oder andere Nationen mehr emittieren wollen, können sie das eine gewisse Zeit lang tun, aber sie müssen die Rechte dazu von anderen kaufen.
Wird es nicht den Druck vermindern, die Wirtschaftsweise umzustellen, wenn Amerikaner oder Europäer statt dessen die nötigen Verschmutzungsrechte kaufen können?
Nein. Unter solch einem System werden die Emissionsrechte knapp sein, zumal die Wirtschaften der Entwicklungsländer stark wachsen. Es werden niemals so viel Rechte zum Verkauf stehen, wie nötig wären, damit die Amerikaner oder Europäer das Niveau ihrer Emissionen einfach beibehalten.
Sollten Schwellenländer, insbesondere China und Indien, auch Pflichten zur Begrenzung ihrer Emissionen akzeptieren, falls die Industrieländer dies tun?
Wenn die Industrieländer sich verpflichten, ihre Emissionen drastisch zu senken, sollten Länder wie Indien und China zusagen, Wachstumsstrategien zu verfolgen, die von fossilen Energien wegführen. Das Recht dieser Länder auf Entwicklung kann nicht zur Debatte stehen. Sie sollten sich aber verpflichten, schmutzige Techniken zu überspringen und gleich zu emissionsarmen überzugehen. Dazu müssten für wichtige Sektoren der Wirtschaft die jeweils saubersten und effizientesten Techniken zum Standard erhoben werden. Die hohen Kosten dafür müssen die Industriestaaten mit tragen. Der Clean Development Mechanism (CDM) muss in diesem Sinn verändert werden.
Der Mechanismus (siehe Kasten) ist kein Beitrag zu wirksamem Klimaschutz?
Nicht in seiner gegenwärtigen Form. Da nutzt er reichen Ländern sowie den Reichen in armen Ländern. CDM-Projekte werden von Unternehmen aus Industrieländern vorgeschlagen; sie beauftragen ein Consultant- Büro, das Projekt zu planen, und bezahlen dann ein von den Vereinten Nationen (UN) ausgewähltes Wirtschaftsprüfungsunternehmen, das den Plan prüft. Auf dieser Basis billigt das zuständige UN-Gremium die Projekte. Das Verfahren hat zur Folge, dass kleine Projekte und solche für arme Gemeinschaften zum Beispiel, die mit alternativer Energie zu versorgen praktisch ausgeschlossen sind. Die Projekte, die am häufigsten unter dem CDM finanziert werden, zielen auf Hersteller eines in Kühlanlagen verwendeten Gases im Süden: Sie erhalten die Technik, ein Nebenprodukt zu vernichten, dessen Treibhaus-Wirkung pro Tonne viel höher ist als die von Kohlendioxid. Die beiden ersten CDM-Projekte in Indien fallen in diese Kategorie. Die indischen Firmen führen die Technik ein und erhalten dafür Zertifikate über vermiedene Emissionen, die sie an europäische Unternehmen, Händler oder Regierungsstellen verkaufen. Nach unseren Recherchen tun sie das zu einem Preis weit unter dem Wert in Europa.
Zudem ist zweifelhaft, dass ernsthaft geprüft worden ist, ob die Projekte zu nachhaltiger Entwicklung in Indien beitragen. Den beiden indischen Firmen wird etwa vorgeworfen, Wasser- und Luftverschmutzung zu verursachen und so arme Gemeinschaften zu schädigen. Solche CDM-Projekte sind das Ergebnis eines Planungsverfahrens, das privaten Firmen großen Einfluss gibt und dafür sorgt, dass indische Behörden so wenig wie möglich regulieren können. Es ist so ausgelegt, dass reiche Länder auf die billigste mögliche Weise Emissionsminderungen verbuchen können und Industriebetriebe in Industrie- wie Schwellenländern dabei profitieren.
Wie beurteilen Sie die Klimapolitik Indiens?
Der indischen Regierung ist das Klimaproblem bewusst. Sie fördert zum Beispiel erneuerbare Energien. Ob Indien Obergrenzen für die eigenen Emissionen akzeptieren soll vorausgesetzt die reichen Länder gehen voran , ist in der Regierung wie im Parlament umstritten. Internationale Medien zeichnen hier aber ein verzerrtes Bild: Sie stellen Indien und China als Schurken dar, die Treibhausgase ausstoßen und die Klimapolitik behindern. Die USA und Australien, die größten Verschmutzer und Blockierer von internationalen Klimaschutz-Abkommen, werden dagegen mit Samthandschuhen angefasst. Europa und Japan erscheinen als Mittler, obwohl zum Beispiel die Emissionen Europas wieder ansteigen. Die Regierung Indiens fürchtet, dass sie gezwungen wird, die eigenen Emissionen zu begrenzen, wenn sie das Thema Klimaschutz offen angeht. Sie ist aber im Allgemeinen bereit, sich mit unseren Forderungen auseinanderzusetzen.
Bedeuten Emissionsrechte für jeden Menschen auch einen Ausgleich innerhalb von Staaten etwa dass Reiche, die viel Emissionen verursachen, die Rechte dafür von Armen kaufen?
Man sollte ein innerstaatliches System von gleichen Anrechten schaffen. Auch die Reichen in Indien, ich selbst eingeschlossen, nehmen mehr als ihren Anteil am globalen Gut der Atmosphäre in Anspruch. Wir müssen begreifen, dass es beim Klimawandel und bei der Klimapolitik um die Umverteilung von Reichtum geht nicht nur zwischen Staaten, sondern auch zwischen Reich und Arm in armen Staaten. Die Reichen werden abgeben müssen. Investitionen in emissionsarme Techniken müssen eingesetzt werden, um den Armen alternative Energiequellen sowie Einkommenschancen zu verschaffen. Im Übrigen reichen mehr Effizienz und neue Technik nicht. Es geht auch darum, wie viel Konsum genug ist. Die Wirtschaften müssen so umstrukturiert werden, dass der Energiekonsum sinkt. Zum Beispiel muss man in das öffentliche Verkehrswesen investieren und die Nutzung privater Autos beschränken. Singapur hat das getan, und dort sind die Leute weder dumm noch arm. Warum ist das in London oder New York nicht passiert?
Was erwarten Sie beim Thema Klima von Ihren Partnerorganisationen in Europa?
Wir haben eine Allianz mit nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und Kirchen in Europa gebildet, die für unsere Anwaltschafts-Arbeit wichtig ist. Die wichtigste Aufgabe der NGOs im Norden ist eindeutig, die Öffentlichkeit in ihren Heimatländern aufzuklären und darauf hinzuwirken, dass sie die nötigen tiefgreifenden Veränderungen akzeptiert.
aus: der überblick 03/2007, Seite 142
AUTOR(EN):
Die Fragen stellte Bernd Ludermann.