Tansanias frühere Staatspartei hat von der zerstrittenen Opposition wenig zu befürchten
In Tansania ist die Demokratie nicht von Volksbewegungen errungen, sondern von der Staatspartei schrittweise eingeführt worden. Die wollte damit ihrer Macht eine neue Grundlage verschaffen. Das Kalkül ist aufgegangen - nicht zuletzt, weil die Opposition schwach und zersplittert geblieben ist. Für die allmähliche Festigung der Demokratie muss das nicht schlecht sein. Eine große Gefahr sind jedoch Konflikte, die mit der Demokratisierung zutage getreten sind - zwischen Sansibar und dem Festland, zwischen den Religionen und zwischen sozialen Gruppen.
von Gero Erdmann
Tansanias Demokratisierung ist in Afrika ein fast einmaliger Fall. In den meisten Staaten des Kontinents war die Öffnung des politischen Systems eine Folge von sozialen Protesten, die sich nach und nach politisierten. In Tansania hingegen wurde die Demokratisierung "von oben" inszeniert: Die Führung der alten Staatspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM, Partei der Revolution) begann und organisierte diesen Prozess, den sie bis heute entscheidend kontrolliert. Das kann noch als Vermächtnis von Julius K. Nyerere angesehen werden. Er hatte Anfang 1990er Jahre die Debatte um das Mehrparteiensystem gegen den Widerstand des damaligen Staatspräsidenten Ali Hassan Mwinyi angestoßen und schließlich die Einrichtung der Nyalali-Kommission, die sich mit dieser Frage befassen sollte, durchgesetzt.
Nyerere folgte dabei nicht dem Druck von außen oder von einer parteiinternen Opposition, sondern hatte frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt. Die in den Nachbarstaaten beginnende Demokratisierungswelle, so schätzte er richtig ein, würde eines Tages auch nach Tansania schwappen. Zudem waren die in Osteuropa zerfallenen Staatsparteien der CCM so ähnlich, dass ein vergleichbarer Prozess auch in Tansania nicht auszuschließen war. Die Verbonzung und autoritär-bürokratische Verkrustung der Staatspartei waren ihm in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, als er nicht mehr Staatspräsident, sondern nur noch Parteichef war, überaus deutlich geworden. Ein dritter Grund für die politische Liberalisierung ist darin zu finden, dass nach 1990 die Geber zunehmend die Entwicklungshilfe mit politischen Bedingungen verbanden. Von diesen Zuwendungen war das Land nach dem Ende des Kalten Krieges mehr denn je abhängig.
Nyereres Ziel war klar: Die CCM sollte den Demokratisierungsprozess kontrollieren, um auch in einem Mehrparteiensystem demokratisch legitimiert an der Macht bleiben zu können. Da es damals kaum eine nennenswerte Opposition gab, erschien dieses Ziel keineswegs vermessen. Die erste größere, von einer Partei organisierte Massendemonstration gegen die Einparteiherrschaft der CCM fand mit ungefähr 30.000 Menschen erst Ende 1992 in Mwanza statt - das heißt fast drei Jahre, nachdem die Debatte um das Mehrparteiensystem eröffnet und Oppositionsparteien formell zugelassen worden waren. Zuvor hatte es lediglich kleinere Demonstrationen zivilgesellschaftlicher Gruppen gegeben, die nie eine politische Brisanz wie in anderen afrikanischen Ländern gewinnen konnten.
Die Regierung setzte 1991 eine Kommission unter dem Vorsitz des Richters am obersten Gericht Francis L. Nyalali ein; sie sollte prüfen, ob für das Land ein Mehrparteien- oder ein Einparteisystem geeigneter sei. Ihr Abschlussbericht ließ zweierlei deutlich werden. Zum einen erfreute sich das CCM-Regime noch immer großer Zustimmung in der Bevölkerung. Über 80 Prozent von mehr als 36.000 befragten Personen hatten sich für das Einparteisystem ausgesprochen, nur eine Minderheit für ein Mehrparteiensystem. Andererseits verlangte mehr als die Hälfte der Befragten dennoch mehr politische Mitbestimmung und Demokratie - kurz: eine demokratisch reformierte CCM. Die Schlussfolgerung der Nyalali-Kommission, der sich die Regierung anschloss, fiel zugunsten von Menschenrechten und Demokratie aus: Um das Recht der Minderheit zu gewährleisten, seien demokratische Verhältnisse notwendig und dazu die Zulassung anderer Parteien.
Da die Kommission vom Präsidenten eingesetzt worden war, zog die Opposition die Ergebnisse in Zweifel. Zwar gibt es berechtigte Einwände gegen die Befragungsmethode, doch hat eine unabhängige Meinungsbefragung, die ich 1993 und 1994 durchgeführt habe, die Ergebnisse im Wesentlichen bestätigt: Trotz aller politischen und wirtschaftlichen Fehlleistungen genoss die CCM - ganz anders als entsprechende Parteien in den meisten anderen afrikanischen Staaten zu dieser Zeit - noch immer die Unterstützung einer klaren Mehrheit.
Die ersten Mehrparteienwahlen im Jahre 1995 bestätigten diesen Trend: Benjamin W. Mkapa gewann mit 61,8 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahl, während die CCM 59,2 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. Aufgrund des einfachen Mehrheitswahlrechts gewann die CCM damit 186 Parlamentssitze, die rund 80 Prozent der Mandate ausmachten. Doch selbst unter einem Verhältniswahlrecht hätte die alte Staatspartei die absolute Mehrheit der Mandate gewonnen. Die Oppositionsparteien konnten zusammen nur in 2 der 20 Festlandsregionen eine Stimmenmehrheit gewinnen. In der Region Mara gelang dies nur knapp, in Kilimanjaro hingegen sehr deutlich. Zwar hatte es bei den Wahlen gravierende Unzulänglichkeiten gegeben, doch wurde das Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.
Dies galt allerdings nur für das Festland (Tansania besitzt zwei Regierungen: eine für den Gesamtstaat - die Union -, die zugleich das Festland regiert, und eine für die Inselgruppe Sansibar. Deren Präsident ist zugleich Vizepräsident der Union; Anm. d. Red.). Die Präsidentschaftswahlen auf der Inselgruppe Sansibar waren hingegen vermutlich gefälscht. Dafür sprechen zahlreiche Indizien. So hatte die oppositionelle Civic United Front (CUF, Vereinigte Bürgerfront) bei den Wahlen zum Parlament Sansibars noch eine Stimmenmehrheit, wenn auch nicht die Mehrheit der Mandate. Bei der Auszählung der parallel laufenden Präsidentschaftswahl schlug sich das allerdings nicht nieder.
Insgesamt war das Wahlergebnis damals knapper als vielfach erwartet. Als Stärke der Opposition ließ sich dies jedoch kaum deuten. Die zwölf registrierten Oppositionsparteien waren untereinander in höchstem Maße zerstritten. Angesichts der Übermacht der CCM, die in jedem Wahlkreis mit einem Kandidaten antrat, hatten sich die Oppositionsparteien nicht einmal auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen können. Keine der Oppositionsparteien vermochte, in allen Wahlkreisen mit eigenen Kandidaten anzutreten, Wahlkreisabsprachen gab es dennoch nicht. Nur mit solchen Absprachen und gegenseitiger Unterstützung hätte die Opposition ihre Chancen deutlich verbessern können.
Vermutlich hatte erst der Übertritt des ebenso populären wie populistischen ehemaligen Innenministers Augustine L. Mrema von der CCM zur National Convention for Construction and Reform (NCCR, Nationalversammlung für Aufbau und Reform) im März vor den Oktoberwahlen 1995 die Aussichten der Opposition deutlich verbessert. Denn diese hatte kaum politische Alternativen zur Politik der CCM anzubieten, soweit sie nicht mit völlig unhaltbaren Versprechen hervortrat. Aufgrund ihres Programms wäre wohl eine Ausweitung wirtschaftlicher und politischer Liberalität zu erwarten gewesen. Allerdings erscheint auch dies fraglich - insbesondere was die politische Liberalität angeht. Ein Vertreter von "Recht und Ordnung" wie Mrema wäre sicher nicht davor zurückgeschreckt, etwa die von der Nyalali-Kommission als repressiv eingestuften Gesetze der Verfassung für seinen eigenen Machterhalt zu nutzen. Er hat sich - wie auch viele seiner Parteikollegen - bei innerparteilichen Auseinandersetzungen keineswegs als Demokrat erwiesen.
Nach den ersten Wahlen wurde die Opposition durch weitere Zersplitterungs- und Zerfallsprozesse geschwächt. So zerbrach die einst wichtigste und wirksamste Oppositionspartei NCCR-Mageuzi nicht nur in mehrere Fraktionen, sondern verlor nach und nach zahlreiche Mitglieder, die zur CCM zurückkehrten. Der innerparteiliche Streit, bei dem es nicht um inhaltliche oder taktische Fragen, sondern vor allem um den Einfluss von Personen ging, gipfelte schließlich im Parteiübertritt des Vorsitzenden Mrema und zahlreicher Anhänger im April 1999 zur Tanzania Labour Party (TLP), die bis dahin kaum funktionsfähig gewesen war. Organisatorisch blieben auch die übrigen Oppositionsparteien, abgesehen von einzelnen regionalen Hochburgen, auf dem Lande kaum verankert. Die CCM hingegen ist wie kaum eine andere Partei in Afrika landesweit präsent.
In Sansibar sorgte die Manipulation des Wahlergebnisses für anhaltende Spannungen, auf die die Regierung mit einer breit angelegten Repressionswelle und der Verhaftung von CUF-Anhängern reagierte. Die CUF wiederum verweigerte über mehrere Jahre jegliche Mitarbeit im sansibarischen Repräsentantenhaus, während nahezu alle Geber die Entwicklungshilfe für Sansibar einstellten. Die Spannungen auf Sansibar belasteten zunehmend auch das Verhältnis zum Festland, zumal die CCM des Festlandes kaum Einfluss auf die unversöhnliche und repressive Politik der Sansibar-CCM gewinnen konnte. Ein nach langwierigen Verhandlungen 1999 vom Commonwealth vermitteltes Versöhnungsabkommen (Muafaka I) beendete zwar den Boykott des Repräsentantenhauses durch die CUF, doch scheiterte das Abkommen an der geringen Kompromissbereitschaft der CCM auf Sansibar.
Währenddessen konnte es sich die CCM-geführte Regierung der Union mit ihrer stabilen Mehrheit im Parlament seit 1995 leisten, die Probleme um die offenen Verfassungsfragen vor sich herzuschieben. Das betraf die von der Nyalali-Kommission kritisierten 40 repressiven Gesetze sowie die von den Oppositionsparteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen geforderte Reform der alten, 1977 verabschiedeten Einparteiverfassung. An ihr war 1992 nur jener Artikel geändert worden, der sich auf den Einparteistaat bezog. Zwar erkannte die Regierung prinzipiell die Notwendigkeit verschiedener Verfassungsänderungen an, doch berief sie erst 1998 eine entsprechende Kommission, die zu diesen Fragen die öffentliche Meinung einholen und Reformvorschläge ausarbeiten sollte. Der von der Kommission im Jahr darauf vorgelegte Bericht bestätigte noch einmal die Notwendigkeit einer Verfassungsreform.
Ihre Empfehlungen bedeuteten in vielen Punkten eine Kritik an den Positionen der CCM-Regierung zu Verfassungsfragen. Doch die Regierung verabschiedete mit ihrer absoluten Parlamentsmehrheit vor den Wahlen im Jahr 2000 nur Verfassungsänderungen, die die Aussichten für ihre ohnehin kaum gefährdete Wiederwahl noch verbessern sollten. So kann der Präsident nun mit nur einfacher statt mit absoluter Mehrheit gewählt werden.
Reformvorschläge, die auf mehr Bürgerbeteiligung zielten, wurden schlicht übergangen. Ferner wies die CCM den Vorschlag einer drei- statt der zweigliedrigen quasiföderalen Struktur - je ein Parlament und eine Regierung für Sansibar, Festland und Union - mit nicht ganz unberechtigten Kostenargumenten zurück.
Grundsätzlich ungelöst blieb damit unter anderem eine eklatante Verletzung des demokratischen Gleichheitsgrundsatzes in der Verfassung. Denn mit dem Fortbestand des von Sansibar und Festland gemeinsam gewählten Unionsparlamentes hat eine Wählerstimme in Sansibar ein sehr viel höheres Gewicht als eine des Festlandes. Die von ungefähr einer Million Menschen bewohnte Inselgruppe Sansibar wird dort nämlich von 50 Abgeordneten repräsentiert, während über 30 Millionen Einwohner des Festlandes von 182 Abgeordneten vertreten werden. Allerdings begünstigt die überhohe Repräsentanz Sansibars die Opposition, die allein 24 ihrer 46 Parlamentssitze (1995-2000) der sansibarischen CUF verdankte. Bei den zweiten Mehrparteienwahlen im Jahre 2000 hatte sich an den politischen Machtverhältnissen nichts Grundlegendes geändert. Wie von den meisten Beobachtern befürchtet, hatte die konzeptionslose Opposition auf dem Festland keine Chance gegen die Regierungspartei. Ganz anders sah dagegen die Situation in Sansibar aus, wo die CUF-Opposition und die CCM einander fast gleich stark gegenüberstanden und der Wahlkampf entsprechend angespannt und gewaltsam verlief. Doch fiel der Sieg der Regierungspartei unerwartet klar aus: Sie kam landesweit auf über 80 Prozent der Stimmen und gewann damit 202 der nunmehr 231 Direktmandate, während der Opposition nur noch 29 Mandate zufielen. Von diesen hatte die CUF allein 15 in Sansibar gewonnen, während sich auf dem Festland die Mandate über 5 Parteien einschließlich der CUF (2 Sitze) verteilten. Mremas TLP konnte nur 4 Sitze, die einst stärkste Festlandsopposition NCCR nur noch ein Mandat erringen.
Auch bei den Präsidentschaftswahlen hat der Amtsinhaber der CCM, Benjamin W. Mkapa, 10 Prozent zulegen können und wurde mit 71,7 Prozent im Amt bestätigt. Der 1995 mit fast 28 Prozent stärkste Oppositionskandidat Mrema fiel hingegen auf unter 8 Prozent zurück, während der Kandidat der CUF, Ibrahim Lipumba, rund 10 Prozent hinzugewinnen konnte und mit 16,3 Prozent zum stärksten Oppositionskandidaten aufstieg. Die Vorherrschaft der alten Staatspartei wurde damit noch einmal gestärkt.
Die Wahlen auf dem Festland wurden von den Beobachtern als insgesamt frei und fair beurteilt. Die Wahlen in Sansibar arteten jedoch zu einem Debakel aus. In der Region Sansibar-Stadt wurden die Wahlen von der Wahlkommission annulliert und die Wahlurnen aus den übrigen Wahlkreisen ohne öffentliche Kontrolle und Auszählung in Verwahrung genommen. Unklar blieb, ob das Wahlchaos von der Regierungsseite bewusst herbeigeführt worden oder schlichter Inkompetenz der Wahlkommission geschuldet war. Die von den Wahlbeobachtern einhellig geforderte Wiederholung der gesamten Wahl lehnte die Wahlkommission ab; neue Wahlen wurden nur für die annullierten Wahlkreise von Sansibar-Stadt angesetzt. Bei diesen war trotz des Boykotts seitens aller Parteien außer der CCM die Wahlbeteiligung erstaunlich hoch, und die CCM siegte. Die CUF war daraufhin nicht bereit, das Wahlergebnis zu akzeptieren. Was mit den zwischenzeitlich verwahrten Urnen geschehen war, hatte sich jeder Kontrolle entzogen. Zudem verlor die CUF gegenüber der Wahl von 1995 auch in ihrer Hochburg auf Pemba 5 Sitze im Repräsentantenhaus Sansibars beziehungsweise 6 im Unionsparlament. Offensichtlich war sie damit zum zweiten Mal um einen Wahlsieg betrogen worden.
In der Folge verschärften sich die Spannungen in Sansibar erneut. Die zunehmende Repression durch die Sicherheitskräfte hatte bis Anfang 2001 bis zu 80 Tote auf Seiten der CUF-Anhänger sowie 2000 bis 3000 Flüchtlinge nach Kenia zur Folge. Im Oktober 2001 wurde der Streit zwischen der CUF und der Regierung auf Sansibar durch ein neues Abkommen (Muafaka II) entspannt. Unklar blieb aber, ob damit tatsächlich ein Weg zu einer langfristigen und schrittweisen Konfliktlösung gefunden war, handelt es sich doch bereits um das zweite Abkommen dieser Art; das erste (Muafaka I) von 1999, das auch Bestandteil des neuen Abkommens ist, konnte nicht umgesetzt werden. Schließlich geht es um die Kontrolle der Macht und der Ressourcen des Staates, und offenbar war die CCM - zumindest auf Sansibar und mit Unterstützung der Festlands-CCM - bisher nicht bereit, einen demokratischen Wahlentscheid zu ihren Lasten zu akzeptieren.
Demokratietheoretisch gesehen erscheint die unangefochtene Dominanz der CCM sehr problematisch, auch wenn diese vor allem der Schwäche der Opposition geschuldet ist. Aber für die politische Stabilität und damit auch für die längerfristige demokratische Entwicklung kann die gesteuerte Demokratisierung unter der Vorherrschaft einer Partei unter Umständen zuträglich sein. Die Forschung über Systemwechsel und Parteien zeigt jedenfalls, dass anderswo in der Welt viele erfolgreiche Demokratisierungsprozesse seit dem Zweiten Weltkrieg dadurch gekennzeichnet sind, dass sie "von oben" inszeniert oder durchgesetzt wurden - bisweilen bekanntlich sogar von auswärtigen Besatzungsmächten. Anschließend standen die politischen Systeme dieser Länder unter der Vorherrschaft einer Partei, die über Jahrzehnte in der Lage war, das politische Geschehen zu kontrollieren, bis sie dann doch demokratisch abgelöst wurde.
So ist auch mittelfristig nicht zu erwarten, dass die tansanische Opposition an die Macht gelangen könnte. Zu schwach ist ihre soziale Basis, und inhaltlich zeigt sie kaum Unterschiede zur CCM. Zu schwach sind auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen, als dass sie in absehbarer Zeit eine attraktive Alternative aufbauen könnten. Dies ist zweifellos das Erbe des tansanischen Einparteisystems, das wie kein anderes in Afrika fast alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen einbinden und kontrollieren konnte.
Die Schwäche der Opposition ist die eine Seite, die politische und soziale Integrationsleistung der Elite in der CCM ist die andere. Wie kaum anderswo in Afrika gelang es durch eine geschickte Politik, die ganze politische Elite des Landes immer von neuem - teils in langwierigen und kostspieligen Prozessen - einzubinden und damit größere politische oder ethnische Opposition zu verhindern. Auch das kann als ein Erbe Nyereres angesehen werden. Offenbar ist es gelungen, die Prinzipien der alten Integrationspolitik so zu institutionalisieren, dass sie seine Person überdauert haben und zu einem Teil der politischen Kultur des Landes geworden sind - zumindest auf dem Festland.
Allerdings gibt es eine Reihe von Problemen und Konflikten, die dieser politisch stabilen Entwicklung des Landes entgegenwirken und nach einer Lösung verlangen. Dazu gehört die vermutlich gewachsene Korruption im Lande. Sollte sie nicht eingedämmt werden, dann wird sie nicht nur die neuen demokratischen Institutionen, sondern auch das Vertrauen der Bürger in die Stabilität und Kontinuität verbürgende CCM längerfristig untergraben. Zwar ist kaum zu messen, ob oder in welchem Maße die Korruption seit der Demokratisierung zugenommen hat. Ein Anwachsen der Korruption war bereits in der Wirtschaftskrise Anfang der achtziger Jahre zum Problem geworden und hat bereits mit der wirtschaftlichen Liberalisierung und Privatisierung Mitte der achtziger Jahre, also noch zu Zeiten des Einparteiregimes, weiter zugenommen. Angesichts der unvollständigen Reformen, der fortbestehenden bürokratischen Hindernisse für die Wirtschaft und der jüngeren politischen Öffnung der CCM gegenüber Wirtschaftsinteressen spricht allerdings nichts dafür, dass die Korruption abgenommen hätte. Viel eher ist das Gegenteil anzunehmen. Für dauerhafte politische Stabilität, die demokratische Konsolidierung und auch für die wirtschaftliche Entwicklung sind aber ein effektives und kalkulierbares Verwaltungshandeln genauso unerlässlich wie Rechtsstaatlichkeit - zumindest in einem gewissen Maße.
Problematisch für die Zukunft ist vor allem der ungelöste Konflikt auf Sansibar, der kurzfristig nicht einfach zu lösen scheint. Er belastet auch die Unionsregierung und die CCM als Partei. Dabei geht es nicht nur um den Streit zweier Parteien über die Anerkennung eines Wahlergebnisses. Der Parteienstreit auf Sansibar ist mit ethnisch-sozialen Konflikten verbunden: Die CUF repräsentiert den arabisch-shirasischen Bevölkerungsteil in Sansibar, der eine stärkere Unabhängigkeit vom Festland und eine Annäherung an die arabischen Golfstaaten befürwortet (Shirazi nennt sich die Gruppe von rund 300.000 Insel- und Küstenbewohnern, die sich auf Vorfahren aus dem Nahen Osten zurückführen - die sollen einem Mythos zufolge im 10. Jahrhundert aus dem heutigen Iran nach Ostafrika eingewandert sein; Anm. d. Red.). Diese Gruppe grenzt sich von der afrikanisch-shirasischen ab, die vor allem auf der Hauptinsel Unguja verbreitet ist und sich stärker an der tansanischen Union orientiert.
Die CUF knüpft an die Tradition der früheren Zanzibar Nationalist Party (ZNP) und der Zanzibar and Pemba Peoples Party (ZPPP) an, die die alte sansibarisch-arabische Oberschicht der Großgrundbesitzer und Bürokraten sowie die shirasischen Klein- und Mittelbauern auf Pemba repräsentierten. Die CCM ist dagegen die Nachfolgepartei der revolutionären Afro-Shirazi-Party (ASP), deren Anhänger vor allem Plantagenarbeiter auf Unguja waren - zum Teil vom Festland stammende afrikanische, zum Teil ehemals bäuerliche shirasische. Der damit verbundene Konflikt wird erst dann seine Sprengkraft verlieren, wenn die CCM die Oppositionsrolle akzeptieren kann und umgekehrt für die CUF an der Regierung demokratische Prinzipien Bestand haben werden.
Indirekt verbunden mit diesem Konflikt, der den Staat und die herrschende Partei betrifft, ist auch die Rolle Sansibars in der Union. Seit Anfang der neunziger Jahre haben das in der Verfassung begründete Ungleichgewicht zwischen den beiden Landesteilen und die Privilegien Sansibars für politische Unruhe gesorgt. Bereits 1993 forderte eine Gruppe von 55 CCM-Abgeordneten ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung für das Festland. Die Verfassungskommission machte 1999 vergeblich auf dieses Problem aufmerksam. Je länger die Konflikte um Sansibar ungelöst bleiben und die CCM-Regierung in Sansibar autoritär und repressiv regiert, umso größer wird die Belastung für die Union in ihrer gegenwärtigen Verfassung und für die Einheit der Partei. Im schlimmsten anzunehmenden Falle wird die Brisanz des Konfliktes für die Einheit der CCM letztlich davon abhängig sein, wie stark die politische Identität der Unionsprotagonisten an der Union hängt.
Damit wiederum eng verbunden ist der muslimisch-christliche Gegensatz. Wie anderswo auch liegen den religiösen Spannungen soziale und politische Konflikte zugrunde. Aber auch diese sind nicht von der Demokratisierung verursacht, sondern hatten sich schon zuvor angekündigt. Durch die Demokratisierung sind sie offener zutage getreten, aber sonst wären sie später möglicherweise noch explosiver in Erscheinung getreten. Auf beiden Seiten spitzen vor allem radikale, fundamentalistische Strömungen die religiösen Unterschiede politisch zu. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, dass bei aller im Alltag verbreiteten Toleranz gegenseitige Zuschreibungen und Wahrnehmungen der Anderen zur Alltagskultur und Politik gehören.
Bereits die Verteilung der Religionszugehörigkeit ist ungeklärt. Zuweilen wird von je einem Drittel Christen, Muslimen und einheimischen Religionen ausgegangen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass rund die Hälfte der Bevölkerung Christen sind (davon etwa die Hälfte Katholiken), während in der anderen Hälfte Moslems dominieren. Mit dem Amtsantritt von Nyereres Nachfolger Ali Hassan Mwinyi, einem Muslim aus Sansibar, breitete sich auf dem vermutlich mehrheitlich christlichen Festland der Verdacht aus, dass nun Muslime in der Verwaltung und der Regierung bevorzugt würden. Tatsächlich rückten unter Mwinyi mehr Muslime in führende Position auf als zuvor. Hinzu kam, dass die muslimischen Sansibaris nicht nur im Unionsparlament überrepräsentiert sind, sondern auch auf dem Festland besondere Privilegien wie Zollfreiheit und Landerwerbsrechte genießen, die Festlands-Tansanier nicht in gleicher Weise in Sansibar in Anspruch nehmen können.
Dem stand auf der muslimischen Seite das Gefühl gegenüber, vor allem im Bildungssektor und damit in Verwaltung und Politik von der alten, überwiegend christlichen Führung der TANU (der Vorgängerpartei der CCM) benachteiligt worden zu sein und nicht die gleichen Aufstiegschancen zu haben. Im Zuge der Privatisierung wurde dieser Eindruck der muslimischen Benachteiligung noch einmal verstärkt, als den christlichen Kirchen wieder mehr Verantwortung beim Betrieb von Krankenhäusern und Schulen übertragen wurde, die ihnen im Rahmen der sozialistischen Politik genommen worden war. Das beklagen muslimische Politiker offen. Zudem wurde 1995 mit Benjamin W. Mkapa wieder ein Christ zum Präsidenten gewählt, womit auf der anderen Seite die Spekulation über die gezielte Privilegierung der Christen einsetzte.
Auf Sansibar selbst war Ende der achtziger Jahre mit der Bismillahi (Im Namen Allahs) eine islamisch orientierte Opposition im Untergrund aktiv, die von Exilsansibaris unterstützt wurde. Zur gleichen Zeit reagierten muslimische Kreise in Sansibar mit Demonstrationen auf Kritik am traditionellen Frauenbild des Islam seitens der CCM-Frauenorganisation.
Eine Nähe zum Islam ist indessen nicht nur oppositionellen Kreisen zueigen, sondern auch in der CCM-Führung zu finden. Ende 1992 trat die sansibarische Regierung heimlich der Organization of the Islamic Conference (OIC) bei. Wiederholte offizielle Kontakte der von Mwinyi geführten Unionsregierung seit Ende der achtziger Jahre zur Islam in Africa Organisation (IAO), die als Frontorganisation der Islamisierungsstrategie in Afrika gilt, nährten das Misstrauen auf christlicher Seite weiter. Zwar hatte sich die sansibarische Regierung Mitte 1993 wieder aus der OIC zurückgezogen, doch wurde die Forderung zu einem Beitritt Tansanias zur OIC seither immer wieder erhoben.
Ein Höhepunkt der religiösen Auseinandersetzungen waren 1993 rassistisch-religiöse Hetzreden des berüchtigten Geistlichen Christopher Mtikila, der zugleich ein populärer Führer der Democratic Party auf dem Festland war, gegen asiatische, arabische, sansibarische und muslimische Geschäftsleute sowie von ihm geführte Demonstrationen. Bei Angriffen militanter Muslime auf Schweinemetzgereien in Dar es Salaam am Karfreitag des gleichen Jahres eskalierte der Konflikt erneut. 1998 und 1999 folgten Unruhen und Verhaftungen fundamentalistischer Christen und Muslime, die ihren Höhepunkt in Straßenschlachten mit zahlreichen Toten zwischen Sicherheitskräften und radikalen Muslimen um die Mwembechai-Moschee in Dar es Salaam fanden. Der moderate Muslimrat Bakwata machte für die Militanz der Konflikte vor allem fundamentalistische Einflüsse und Geldgeber aus dem Sudan, Libyen und dem Iran verantwortlich.
Die eng miteinander verwobenen Konfliktfelder Korruption, Religion und Union könnten die weitere Entwicklung des Landes bedrohen. Die politische Stabilität und damit auch die weitere demokratische Entwicklung sind in hohem Maße von der Stabilität und Einheit der CCM abhängig. Gelingt es der CCM-Führung nicht, den Konflikt auf Sansibar und die Unionsfrage zu lösen, werden die Einheit der Partei, die politische Stabilität und die ohnehin nicht vielversprechenden Entwicklungsperspektiven des Landes gefährdet werden. Daher ist es notwendig, dass die CCM nicht nur auf Sansibar, sondern auch auf dem Festland lernt, demokratische Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren.
Eine Spaltung der CCM würde sehr wahrscheinlich ihre politische Vorherrschaft brechen und die sonst auf absehbare Zeit hin schwache Opposition beträchtlich stärken. Allerdings führt das zur Frage nach dem politischen Preis dafür. Von einer derart gestärkten Opposition wären weder wirkliche programmatische Alternativen noch eine geringere Zersplitterung zu erwarten. Sollte die CCM sich entlang der Sansibar- und Unionsfrage spalten, so wären damit wohl auch zusätzliche religiös-politische Spannungen verbunden. Vor allem in der Küstenregion könnten diese, von interessierten Politikern ausgenutzt, rasch eine eigene Sprengkraft entwickeln.
Der Nyalali-ReportDemokratie braucht eine unabhängige RechtsprechungWenn es nach seinen Eltern gegangen wäre, hätte Francis Nyalali weiter Vieh gehütet. Doch der Junge meldete sich nach einem Unfall selbst in der Grundschule an. Obwohl das nötige Geld vorhanden war, wollte ihn seine Familie nicht auf die weiterführende Internatsschule schicken. Nur durch den Schwindel des Clanchefs, der Nyalalis Familie bittere Armut bescheinigte, bekam der Junge ein Stipendium und konnte seine Schulbildung beenden. Die Falschauskunft des alten Herrn erwies sich als weitsichtig. Aus Francis Nyalali wurde ein bedeutender Jurist und Reformer. Nach der Unabhängigkeit studierte er in England Jura und machte anschließend in Tansania Karriere. Als junger Jurist im Norden des Landes versuchte er, den Menschen die Wichtigkeit unabhängiger Rechtsprechung nahezubringen, und entwickelte das Konzept, dass nicht die Menschen zu den Gerichten, sondern die Gerichte zu den Menschen kommen müssen. Später stieg er zum obersten Richter des Landes auf, ein Amt, das er von 1976 bis 1990 innehatte. Richtig bekannt wurde er aber erst als Vorsitzender der 1991 eingesetzten Presidential Commission on Single Party or Multi-Party System in Tanzania. Sie sollte durch eine Befragung herausfinden, welche politische Organisationsform die Bevölkerung für die Zukunft befürwortete. Dabei sollte berücksichtigt werden, welche Auswirkungen die Änderung des politischen Systems auf die tansanische Union, die Stabilität und den inneren Frieden haben würde. Von den 22 Mitgliedern der Kommission kamen je elf vom Festland und aus Sansibar. Francis Nyalali gehörte zu der Festlandsdelegation, sein Vertreter Abdulwahid M. Borafia zu der aus Sansibar. Die Kommision befragte 36.299 Menschen aus allen 25 Distrikten Tansanias sowie im Ausland lebende Tansanier. Etwa vier Fünftel wandten sich gegen die Einführung eines Mehrparteiensystems, mehr als die Hälfte wollte allerdings mehr Demokratie und Partizipation. Die Nyalali-Kommission sprach sich aber dennoch für die Einführung eines Mehrparteiensystems aus; sie nannte dafür drei Gründe. Erstens hatte sich auch die Hälfte derer, die für die Beibehaltung des Einparteisystems gestimmt hatten, für grundlegende Veränderungen ausgesprochen. Zweitens wurden die 20 Prozent, die ein Mehrparteiensystem wollten, als eine potenzielle Gefahr für das Einparteisystems gesehen. Drittens wurde vermutet, dass die unter 40-jährigen Befürworter des Einparteisystems nur deshalb dafür gestimmt hatten, weil sie kein anderes System kannten. Für den Übergang vom Ein- zum Mehrparteiensystem sollte eine verfassungsgebende Versammlung eingesetzt werden. Damit eine regionale, ethnische oder religiöse Teilung des Landes vermieden wird, sprach sich die Kommission für ein Gesetz aus, das nur im ganzen Land vertretene Parteien zu lassen sollte. Der Nyalali-Report untersuchte auch die vorhandenen Gesetze auf ihre Übereinstimmung mit den Menschenrechten. Er plädierte deshalb für die Änderung oder Streichung von 40 als repressiv eingestuften Gesetzen. Zu diesen Gesetzen gehört auch der Preventive Detention Act von 1962, der Verhaftungen auf bloßen Verdacht und in Inhaftierung ohne Urteil erlaubt. Die CCM nahm nur die Änderungen zur Parteienfrage auf. Sie setzte keine verfassungsgebende Versammlung ein und ließ sich auch nicht auf einen klaren Zeitplan zur Durchführung des Übergangs ein. Die Vorschläge der Nyalali-Kommission wurden weder in der Öffentlichkeit noch im Parlament erörtert. So wurde auch der Bitte an die Regierung, ein Forum für eine offene gesellschaftliche Diskussion und ein Bildungsprogramm zu Mehrparteiensystem und Demokratie einzurichten, nicht nachgekommen. Weil es für die Demokratie noch viel zu tun gibt, ist auch der längst pensionierte Richter Francis Nyalali weiter tätig. In der Nähe von Arusha hat er ein Ausbildungszentrum für juristisches Personal, das Lushoto Institute for Judifial Administration, eingerichtet. Eva-Maria Eberle |
aus: der überblick 02/2002, Seite 15
AUTOR(EN):
Gero Erdmann:
Gero Erdmann ist Mitarbeiter des Instituts für Afrika-Kunde und Repräsentant im Berliner Büro des Instituts sowie Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft in Hamburg.